
Zwar gab es auch bislang schon Cafés und Restaurants in Saudi-Arabien, doch sie waren meist aufgeteilt in zwei Sektionen: eine für Männer und eine für Familien. Das nimmt immer mehr ab. Und endlich sind Cafés, Restaurants und die großen Einkaufszentren auch nicht mehr die einzigen Möglichkeiten, auszugehen. Kinos haben eröffnet, Konzerte und Festivals finden statt. Rawans Kollegin Bahar erklärt:
"Früher haben wir gesagt: Wir müssen ins Ausland reisen, um dies oder jenes zu tun. Jetzt gibt es alles hier: Restaurants, Konzerte und Spiele."
Als Bankangestellte wissen die beiden, dass es der Regierung nicht nur darum geht, die Bevölkerung zu unterhalten:
"Dazu kommen noch die spürbaren wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Leute kommen zu uns, das kurbelt die Wirtschaft an. Das Geld geht nicht mehr ins Ausland, sondern kommt hierher - und wir können es reinvestieren."
Und dann kommen die beiden ins Schwärmen.
"Toll war das Winter-Wunderland, der Vergnügungspark."
"Es ist wirklich perfekt. Man spürt die Bemühungen dahinter."
"In diesen wenigen Tagen ist diese Stadt ein Ort der Freude geworden. Die Menschen sind in Feierlaune. Sie gehen gern aus. Familien nehmen ihre Kinder mit. Es gab keinen Hokuspokus, keine Unfälle, die Decke ist nicht eingestürzt, der Boden hat sich nicht aufgetan. Himmel und Hölle haben wir noch nicht gesehen."
Noch bevor das Festival in Riad endet, begann schon das nächste in Diriyya, dem nicht weit entfernten Stammsitz der Königsfamilie. Die Saudi Seasons genannte Festivalreihe soll das Königreich zu einer der wichtigsten touristischen Destinationen der Welt machen, so das ehrgeizige Ziel. Und die Konzerte, Lichtinstallationen, Freiluftkinos und Vergnügungsparks im öffentlichen Raum sind nur ein kleiner Teil eines großen Plans, Vision 2030 genannt. Kronprinz Mohammed bin Salman stellte das Dokument im April 2016 vor. Der ehrgeizige Thronfolger will internationale Investoren anziehen und Saudi-Arabien zu einem zentralen Umschlagplatz zwischen Asien, Afrika und Europa machen. Dahinter stehen handfeste politische Überlegungen, wie der französische Nahostexperte Gilles Kepel erläutert:
"Der Kronprinz muss der jungen aufsteigenden Mittelklasse etwas bieten, wenn er ihre Unterstützung will. Bis jetzt hat er die konservativen Milieus bewusst vergrault. Aber durch seine autoritäre Politik läuft er Gefahr, auch die Unterstützung der urbanen gebildeten Jugend zu verlieren. Er muss jetzt Arbeitsplätze und Ressourcen bieten – das ist auch ein Grund für den Börsengang eines kleinen Teils des Kapitals von Aramco."
In den vergangenen Jahrzehnten machte der staatliche Ölkonzern Aramco die immensen Erdölvorkommen Saudi-Arabiens zu Staatsgeld. Davon profitierte auch die Bevölkerung: Subventionen für Benzin und Lebensmittel, kostenlose, zum Teil exzellente Bildungseinrichtungen und eine weitreichende Gesundheitsversorgung gehörten dazu.

Doch die Bevölkerung muss in der Lage sein, diese Kosten zu tragen – dafür braucht es gut bezahlte Arbeitsplätze. Noch besser lässt es sich leben, wenn in einer Familie beide Elternteile erwerbstätig sind. Darum bemüht sich Saudi-Arabien in letzter Zeit verstärkt darum, Frauen in die Erwerbsarbeit zu bringen. Die Aufhebung des Fahrverbots im Sommer 2018 soll ihnen das einfacher machen. Bei all diesen Maßnahmen geht es auch darum, eine alte Einstellung zu überwinden, sagt Gilles Kepel:
"Die Erdölrente hat wie überall eine Art soziale Krankheit mit sich gebracht. Sie zerstört Gesellschaften, verhindert Arbeit und begünstigt autoritäre Regime. Langfristig macht sie Gesellschaften unfähig, sich weiterzuentwickeln und sich zu verteidigen. Das steckt hinter diesen Überlegungen. Man will nicht das Erdöl abschaffen - es bleibt überlebenswichtig für das Regime -, aber man will nicht mehr nur mit diesen Einnahmen funktionieren. Über diese Diagnose habe ich mit dem Kronprinzen selbst gesprochen: Wenn man sich nicht bewegt, stirbt man."
Über einen Mangel an Bewegung können die Saudis im Moment nicht klagen – zumindest nicht, was Wirtschaft und Gesellschaft angeht. Viele teilen die Aufbruchsstimmung und sehen sich als Teil der Vision 2030, so wie diese saudische Marketing-Studentin:
"Ich habe großes Glück, genau zu diesem Studienjahrgang zu gehören. Wir haben 2016 begonnen, als die Vision 2030 vorgestellt wurde. Und jetzt machen wir unseren Abschluss, während das Nationale Transformationsprogramm abgeschlossen wird. Wir gehen also in die Welt auf 2030 zu."
Zwei Tage lang diskutieren hier Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus 120 Ländern in parallel laufenden Workshops Themen wie die ideale Gestaltung von Arbeitsräumen, Umgang mit Diversität im Team oder Arbeit mit künstlicher Intelligenz. Nebenbei läuft noch ein Start-up-Wettbewerb. Immer wieder geben Topmanager wie der Vorstandsvorsitzende des französischen Erdölkonzerns Total, Patrick Pouyanné, auf der Hauptbühne Ratschläge für die große Karriere:
"Wenn ihr einen Fehler macht, wiederholt ihn nicht. Wenn ihr das im Kopf behaltet, werdet ihr vorankommen."
Unter den vorwiegend jungen Leuten ist auch ein Angestellter eines internationalen Konzerns, der gerade erst nach neun Jahren aus dem Ausland zurückgekehrt ist und den Wandel der saudischen Gesellschaft jetzt besonders deutlich sieht:
"Ich stamme nicht aus Riad. 2009 kam ich zum ersten Mal hierher in die Hauptstadt – es war eine sehr konservative Gesellschaft. Damals waren 99,9 Prozent der Frauen völlig verschleiert, an den meisten Aktivitäten nahmen sie nicht teil. Und leider schauten die Männer auf sie herab. Heute bekommen sie mehr Chancen – darüber bin ich wirklich sehr glücklich. Es ist nur…. Nein, das sage ich nicht. So ist gut."
Was der junge Mann auch ohne Nennung seines Namens wohl nicht sagen wollte? Jedenfalls ist es in Saudi-Arabien dieser Tage durchaus häufiger so, dass Menschen nichts Negatives über das Land und die Vision seines Kronprinzen sagen wollen, zumal nicht in ein Mikrofon – zu groß ist die Angst, hierfür abgestraft zu werden.

"Teil der Saudisierung ist, gegen Arbeitslosigkeit anzukämpfen. Deshalb ist sie nötig. Und wenn man sich mal andere Länder wie die USA anschaut: Da haben Unternehmen auch die Auflage, keine Ausländer einzustellen, wenn sie nicht bewiesen haben, dass kein Amerikaner den Job machen kann. Und der saudische Arbeitsmarkt braucht immer noch Ausländer, für niedrig- und hochqualifizierte Jobs. Wir werden hier immer Leute aus verschiedenen Ländern im Land haben."
Gerade für niedrigqualifizierte Arbeitsmigranten wird allerdings nicht nur die Aufenthaltsgenehmigung immer teurer, auch der Arbeitsmarkt bietet weniger Chancen. Denn Saudis steigen nun auch in Berufe ein, die bislang ganz in ausländischer Hand waren, wie der Architekt Sami Angawi beobachtet:
"Ich war letzte Woche in Riad und war positiv überrascht: Zum ersten Mal sah ich junge Saudis im Hotel das Gepäck tragen und sich um die Gäste kümmern. In Mekka haben wir das schon immer getan, aber jetzt passiert das in Riad. Ich habe die Männer sogar beglückwünscht und umarmt. Ein Arbeitsloser kann doch so eine Arbeit tun, ohne dass man ihn verachtet. Das war lange aus dem Gleichgewicht geraten. Niemand hatte saudischen Bürgern diese Art von Arbeit verboten. Aber in unseren Stammestraditionen und durch die Konkurrenz zwischen den Familien galt solch eine Arbeit als herabwürdigend."

"Es passiert etwas durch die Vision 2030. Aber wir sollten 2030 plus sagen. Denn wenn man zu schnell fährt, kann ein Unfall passieren. Wenn man mit der richtigen Geschwindigkeit fährt, ist das kein Problem. Ich denke, 2030 sollten wir bereit sein für den nächsten Schritt. Davor sollten wir die Menschen durch Bildung, Wissen und Kommunikation vorbereiten. Die jungen Leute sollten lernen, künstlerisch kreativ zu sein, um sich auf friedliche Art auszudrücken."
Tatsächlich hat sich Saudi-Arabien neuerdings auch die Kunstförderung auf die Fahnen geschrieben. Ein neues Kulturministerium wird soeben eingerichtet - noch ist man dort etwas unsicher, selbst der Ministeriumssprecher will lieber nicht ins Mikrofon sagen, was man plant. Unterstützend soll es jedenfalls sein für lokale Talente in Film, bildender Kunst oder Musik.
Ein weiteres Ziel der Vision 2030 liegt im religiösen Tourismus: die Zahl der muslimischen Pilger, die die kleine, saisonunabhängige Wallfahrt Umrah nach Mekka machen, soll von acht auf 30 Millionen steigen. Alteingesessene Familien, die sich bisher um die Pilger kümmerten, werden nach und nach von großen Reiseunternehmen verdrängt. Die können dann zur religiösen Komponente auch gleich noch einen touristischen Teil anbieten. Zum Beispiel einen Strandurlaub im gigantischen Luxusressort Red Sea Project, das zurzeit an der Westküste des Landes entsteht. Oder einen Besuch in der Region von Al-Ula. Ihre touristische Erschließung hat Saudi-Arabien mit einem bilateralen Abkommen an eine französische Agentur übertragen. Deren Vorsitzender Gérard Mestrallet ist überzeugt von der Attraktivität des Königreichs:
"Hier gibt es Geschichte und Natur. 7000 Jahre Geschichte, islamisch und besonders vorislamisch – vor allem aus der Zeit der Nabatäer. Da gibt es die antike Stadt Hegra, die mit dem vielbesuchten Petra in Jordanien verwandt ist. Bisher kamen nur sehr wenige Besucher dorthin, weil es keine Touristenvisa gab. Diese Schätze werden bald für Besucher aus aller Welt zugänglich sein. Und es gibt atemberaubende Landschaften, Wüsten, Berge, Felsen, die vom Wind geformt wurden – meiner Meinung nach noch schöner als der Grand Canyon in Arizona. Das sind die beiden Trümpfe, die man jetzt für die Welt enthüllen muss."
"In allen Bereichen, die zum Tourismus gehören, im Hotel- und Restaurantsektor wird es neue Arbeitsplätze geben – auch sehr anspruchsvolle. Man kann sein eigenes Unternehmen gründen, an der Spitze eines Restaurants steht immer ein Unternehmer. Und es gibt noch Anspruchsvolleres. In der modernen Archäologie beispielsweise kann man antike Stätten oder Gräber in 3D simulieren. So etwas entwickeln oft Start-Ups. Es wird also Arbeitsplätze für sehr viele Menschen geben – allein für die Region Al-Ula rechnen wir mit 35.000."
Ein anderes Kleinod, das sich für den Besuch ausländischer Touristen herausputzt, ist die Altstadt von Jeddah. Verwinkelte Gassen mit kleinen Geschäften laden zum Bummeln ein, alte Häuser werden restauriert, manche sind schon zu Cafés umgewandelt.
An einer Ecke steht eine Gruppe junger Frauen, die meisten von ihnen tragen Gesichtsschleier und einen schwarzen Umhang. Sie lauschen aufmerksam den Ausführungen ihres Reiseleiters. Eine kurze Nachfrage ergibt: Sie lernen das Metier der Stadtführerin, in Erwartung des touristischen Ansturms.
Auch Andrew aus Neuseeland ist in der Altstadt von Jeddah unterwegs. Er arbeitet für Luxushotels in den Vereinigten Arabischen Emiraten und will ausloten, wie sich der Tourismus in Saudi-Arabien entwickeln wird. Er ist begeistert von den alten Gebäuden und dem leicht morbiden Charme der Altstadt. Und:
"Jeddah liegt direkt am Roten Meer – in diesem wunderschönen Meer kann man tauchen, schwimmen, segeln und so weiter. Das sind tolle Möglichkeiten. Und die Stadt erinnert mich ein bisschen an Downtown Havanna auf Kuba. Natürlich ist der Baustil anders, aber manche Gebäude sind genauso verfallen. Denken Sie daran, wie charmant Havanna ist und wie interessant die Leute das finden. Ich finde das faszinierend."
Ob seine Freunde und Familie wohl als Touristen nach Saudi-Arabien kommen würden?
"Sie würden kommen. Aber nach zwei Tagen würden sie ein Glas Wein wollen."
Alkohol auszuschenken, ist allerdings in Saudi-Arabien immer noch verboten – selbst in internationalen Hotels. Auf dieses Problem angesprochen, sagt ein Touristenführer in Jeddah:
"Wir haben Apfelsaft, Traubensaft. Das können sie doch ersetzen. Ich zeige den Touristen nur mein Land, ich weiß nicht, was sich noch ändern wird. Wir haben hier eine Stadt, die mehr als 800 Jahre alt ist. Jeddah war immer der Hafen, ein Durchgangsort nach Mekka. Wir erklären die historischen und religiösen Dinge. Alles andere… wenn es gut ist und den Leuten hilft, kein Problem. Wir heißen alle willkommen."

"Es ist der Wunsch des Kronprinzen, sein Land zur Welt hin zu öffnen. Tourismus ist ein Hebel des Wandels. Ich lade die Touristen der ganzen Welt ein, ihre früheren Ansichten zu überwinden und dieses Land zu entdecken, das sich wirklich im Umbruch befindet."
Mit dem Umbruch hat Mestrallet recht, so viel ist sicher. Der Tourismus, wie ihn die Vision 2030 vorsieht, bringt den Saudis schon jetzt ein attraktiveres Kulturprogramm, lockerere Umgangsformen und neue Verdienstmöglichkeiten – ähnlich wie römische Kaiser ihr Volk mit Brot und Spielen versorgten.