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Saura: Der Flamenco erfindet sich ständig neu

Carlos Saura ist der Grand Seigneur des spanischen Kinos. Festibaam, das vierte Ibero-afro-amerikanische Kulturfestival in Köln, hat Carlos Saura für 50 Jahre Arbeit als Kinoregisseur geehrt. In seinem neuesten Film "Iberia" steht wieder der Flamenco im Mittelpunkt.

02.11.2005
    Saura: Nach Köln bin ist just zum Zeitpunkt der Premiere meines letzten Films Iberia in Madrid gekommen! Eigentlich hätte ich bei der Premiere dabei sein müssen, aber ich habe meinen Film gelassen und bin hierher nach Köln gekommen.

    Was die Musikfilme angeht, so verfolge ich zwei verschiedene Stile. Da gibt es zum einen Filme mit einer klaren Handlung. Dazu gehören Carmen, Bluthochzeit oder auch Tango beispielsweise. Auf der anderen Seite drehe ich eine Art Dokumentation über Flamenco, Sevillanas und so! Mein letzter Film IBERIA entspricht eher dieser Kategorie. Es gibt keine Handlung, es ist ein reiner Musikfilm. Verschiedene Künstler interpretieren Stücke, von daher ist das Ganze eine vielleicht etwas ungewöhnliche Dokumentation geworden.

    Birke: Was ist das Faszinierende für Sie an dem Flamenco, daran, Musiker und Tänzer zusammenzuführen?

    Saura: Der Flamenco gehört, glaube ich, zu den außergewöhnlichsten Musikrichtungen auf der Welt, nicht nur in Spanien! Er ist vergleichbar mit dem Jazz – in dem Sinn, dass er aus der Vergangenheit kommt, aber in der Gegenwart präsent ist und sich in die Zukunft projeziert. Dem Flamenco gelingt es, sich ständig neu zu erfinden, andere, neue Rhythmen aufzugreifen, sie zu erneuern und in Flamenco umzuwandeln. In diesem Sinn ist der Flamenco eine lebendige Musik und hat im Grunde mit Folklore nichts zu tun! Folklore ist etwas Anderes! Folklore bleibt in der Vergangenheit verhaftet. Der Flamenco indes ist vital, er erneuert sich ständig – und das ist etwas Außergewöhnliches!

    Birke: In welchem Aspekt hat sich der Flamenco auch modernisiert, wenn Sie Vergleiche ziehen zwischen Carmen und Bluthochzeit und Ihrem jetzigen Film Iberia?

    Saura: Der Flamenco ist sehr breit gefächert. da gibt es den klassischen, sehr rigiden Flamenco, mit konkreten Regeln, nach denen gesungen und getanzt wird. Dann gibt es den weniger klassischen Flamenco mit viel Freiheiten, wo man sogar zeitgenössische Tänze, ja sogar Hip Hop zu Flamencomusik tanzen kann. Der Flamenco erlaubt Rhythmus, er erlaubt vieles und man kann beide zusammenführen: den klassischen und den freien Flamenco. Heute spielt der Flamenco-Fusion eine große Rolle. Da wird Flamenco mit anderer, mit kubanischer Musik, mit Cumbias, vor allem lateinamerikanischer Musik kombiniert.

    Birke: Sie haben wieder einige der großen Artisten Spaniens zusammengebracht: José Antonio, einen Tänzer, Chano Dominguez und Rosa Torres Pardo am Piano und die Sänger Morente – Ist das auch eine Art Showcase für die modernen spanischen Avantgarde –Künstler?

    Saura: Eine Auswahl der meiner Meinung nach besten Künstler Spaniens wirkt beim Film Iberia mit! Alle Richtungen sind dabei vertreten: Klassische Tänzer, die mit Hang zur Modernität tanzen. Andere improvisieren, in dem Film ist ein Ausschnitt von allem zu sehen.

    Das Besondere an Iberia ist, dass es nicht nur um Flamenco, sondern auch um andere spanische Tänze geht. Das ist das erste Mal, dass ich einen Film drehe, der nicht nur einer Richtung, dem Flamenco, gewidmet ist, sondern auch andere Beiträge zeigt!

    Birke: Was ist der Unterschied in der Arbeit mit diesen Künstlern im Vergleich damals zu Antonio Gades und Cristina Hoyos?

    Saura: Es gibt da eigentlich keine Unterschiede. Antonio Gades war nur ein hervorragender Tänzer und ein wunderbarer Freund, ein persönlicher Freund von mir. Wir haben bei drei Filmen erfolgreich zusammengearbeitet. In Spanien ist Antonio Gades fast schon ein Mythos. Es gibt aber andere Künstler dieser Statur! Das Gleiche trifft auf Cristina Hoyos, eine großartige Tänzerin zu, aber heutzutage gibt es fantastische Tänzerinnen und Tänzer in Spanien.

    Birke: Carlos Saura, viele Ihrer Werke sind zur Zeit der Franco Diktatur entstanden und befassen sich auch mit den drei "Monstern" der spanischen Gesellschaft: Der unterdrückten Sexualität, einer pervertierten Religion und der Hörigkeit der Autorität gegenüber. Gibt es da noch immer Aufarbeitungsbedarf?

    Saura: Ja: In den Vereinigten Staaten, in Deutschland, im Iran, in Italien, im Irak: überall auf der Welt muss noch aufgearbeitet werden. Es sind diese drei großen Themen: Die Religion, der Fundamentalismus, die Sexualität, in Spanien herrscht diesbezüglich erheblich größere Freiheit als vorher, und das System aus Polizei und Militär: Das ist, ich muss sagen leider, eines der großen universellen Themen!

    Birke: Werden Sie auch die aktuellen Probleme Spaniens, die Flüchtlingsprobleme, die Loslösung Kataloniens und des Baskenlandes irgendwie filmisch aufarbeiten?

    Saura: Die Frage der Unabhängigkeit bestimmter Regionen Spaniens interessiert mich überhaupt nicht! Ich stamme übrigens aus Aragon! Und ich glaube, wir leben in einer Welt, wo dies das geringste Problem ist! Damit sollten wir nicht unsere Zeit vergeuden! Da gibt es größere Probleme!

    Die Einwanderung, die Flüchtlinge: Das ist wirklich dramatisch, und für dieses Problem gibt es keine einfache Lösung! Ich weiß nicht, wie man es lösen kann, aber es scheint normal, dass es existiert! Es ist doch logisch, dass die Menschen aus den armen Ländern in die reichen Staaten wollen und nicht umgekehrt! Das liegt doch auf der Hand!

    Birke: Sie haben auch einen Roman geschrieben: Esa Luz, dieses Licht. Kritiker haben gesagt, das war eigentlich ein Drehbuch, aber der Film fehlt noch – kommt der bald?

    Saura: Wenn ich schreibe, dann immer in Form von Bildern. Ich glaube, die Kritiker haben recht: Esa Luz ist ein literarisch geschriebenes Drehbuch. Ich finde es gut: Das ist eine neue Literaturgattung! Ich arbeite und schreibe immer in Bildern. Dieser Film wird wohl nie gedreht, er ist sehr schwierig und teuer zu realisieren! Hin und wieder bekomme ich aus Deutschland, Italien oder Spanien eine Anfrage. Wenn es dann aber ums Budget geht, machen die immer einen Rückzug! Vielleicht wird es ja eines Tages noch etwas!

    Birke: Das hoffen wir auch! Carlos Saura, Sie haben auch eine Faszination für Maler. Jetzt hat gerade Goya mit einer Riesenausstellung das Publikum in Berlin begeistert. Was begeistert Carlos Saura an Goya? Sie haben ja auch einen Film, Goya en Burdeos, Goya in Bordeaux gedreht!

    Saura: Goya ist ein außergewöhnlicher Maler. Außerdem stammt er wie Luis Bunuel und ich aus Aragon! Wir stammen also aus der gleichen Gegend. Mich fasziniert an Goya vor allem seine Vorstellungskraft! Denn die ist auch für’s Kino, für die Literatur von entscheidender Bedeutung! Es kommt doch nicht darauf an, die Wirklichkeit abzubilden. Durch die neue Technik, die digitalen Kameras wird das doch jeden Tag einfacher! Viel schwieriger ist es, das Vorstellungsvermögen zu nutzen und in etwas anderes umzusetzen. Das hat Goya gemacht, das hat der Filmemacher Bunuel geschafft und das versuche auch ich!

    Birke: Auf welches Werk Carlos Saura’s dürfen wir uns in der Zukunft nach Iberia freuen?

    Saura: Es gibt verschiedene Projekte. Das konkreteste ist wohl ein Musikfilm, den ich nächstes Jahr in Brasilien drehen werde. Eine wahre Geschichte kombiniert mit Arbeiten im Studio, so wie ich stets vorgehe. Darüber hinaus steht ein Film über den Fado in Portugal auf dem Programm und über Phillipp II von Spanien ist etwas in Planung.