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Schach-Weltmeisterschaft
Iranische Schiedsrichterin legt Kopftuch ab

Bei der Schach-Weltmeisterschaft der Frauen in Shanghai hat die iranische Chef-Schiedsrichterin Shohreh Bayat für einen Eklat gesorgt. Seit dem vierten Turniertag tritt die 32-Jährige bewusst ohne Kopftuch auf. Drohungen iranischer Staatsmedien und ihres heimischen Schach-Verbandes ignoriert die Schiedsrichterin.

Von Steffen Wurzel | 13.01.2020
Die iranische Schiedsrichterin Shohreh Bayat bei der Schach-Weltmeisterschaft der Frauen in Schanghai. Bayat steht an einem Tisch, an dem zwei WM-Teilnehmerinnen vor einem Schachbrett sitzen, und greift nach einer Figur.
Die iranische Schiedsrichterin Shohreh Bayat bei der Schach-Weltmeisterschaft der Frauen in Schanghai (AFP)
Shohreh Bayat ist Chef-Schiedsrichterin bei der Schach-Weltmeisterschaft der Frauen in Shanghai. Die 32-Jährige leitet und überwacht die täglichen Matches zwischen Titelverteidigerin Ju Wenjun aus China und Alexandra Gorjatschkina aus Russland. Shohreh Bayat ist Iranerin. In ihrem Heimatland werden Frauen vom Staat gezwungen, ein Kopftuch zu tragen.
Als offizielle Repräsentantin des iranischen Schachverbands hatte Shohreh Bayat auch während der ersten Tage der Schach-WM in Shanghai ein Kopftuch auf. Sie trug es allerdings so, wie viele Iranerinnen: eher dezent und unauffällig; das Tuch bedeckte nur die Hälfte ihrer Haare. Auf einigen Fotos muss man schon zweimal hinschauen, um das Kopftuch überhaupt zu entdecken. Das sorgte in iranischen Staatsmedien für einen Shitstorm. "Nach dem Turniertag schaute ich auf mein Telefon und sah, dass in iranischen Medien plötzlich über mein Kopftuch berichtet wird. Die behaupteten, ich hätte aus Protest gegen das Kopftuch keines getragen", sagte Bayat.
Seit dem vierten Turniertag verzichtet die Chef-Schiedsrichterin auf ein Kopftuch
Auf regierungstreuen iranischen Webseiten wurde der WM-Schiedsrichterin unterstellt, bewusst ein Zeichen gegen das Kopftuch setzen zu wollen. Diesen Vorwurf hat Shohreh Bayat im Gespräch mit dem ARD-Hörfunk zurückgewiesen. Sie zeigte sich schockiert über die Anschuldigungen aus ihrem Heimatland, auch über eine Nachricht des iranischen Schachverbands: Der forderte die 32-Jährige auf, sich schriftlich zu entschuldigen und als Zeichen der Reue ab sofort ein besonders fromm anmutendes Kopftuch zu tragen. Shohreh Bayat lehnte das ab, im Gegenteil: Seit dem vierten Turniertag verzichtet die Chef-Schiedsrichterin der Schach-WM in Shanghai nun vollständig auf ein Kopftuch.
"Ich habe den iranischen Schachverband gebeten, mir schriftlich zu versichern, dass ich ohne Sorge um meine Sicherheit in den Iran zurückkehren kann. Als ich darauf keine Antwort bekommen habe, war mir klar, dass es nicht sicher für mich ist, zurückzukehren und dass es nun auch keinen Unterschied mehr macht, ob ich das Kopftuch trage, oder nicht." Während des Turniers, bei den Pressekonferenzen und danach zeigt die iranische Schiedsrichterin nun fast schon stolz ihre langen schwarzen Haare. Shohreh Bayat hat sich entschieden, zunächst nicht in ihre Heimat zurückzukehren. Sie fürchte sich vor Gängelung und Bestrafung, sagte sie.
Der Weltschachverband FIDE hält an Bayat fest
Der Weltschachverband FIDE hält an Bayat fest. Man sei besorgt angesichts der Berichte aus Teheran, sagte FIDE-Vizepräsident Nigel Short in Shanghai. Man sorge sich nun natürlich um die Sicherheit der Iranerin. Es gebe keinen Grund, an ihren Leistungen als Schiedsrichterin zu zweifeln, betonte der Weltschachverbands-Vize außerdem. Er schätze Shohreh Bayat eine ausgewiesen professionelle Schiedsrichterin. Heute endet die erste Hälfte der Frauen-Schachweltmeisterschaft. Von Shanghai geht es für die beiden Teilnehmerinnen und den Rest der Delegation nun weiter ins ostrussische Wladiwostok. Dort wird das Turnier ab morgen fortgesetzt.