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Schadstoff Kunststoff

Abfall aus Kunststoff richtet in den Weltmeeren große Schäden an. Auf der ersten europäischen Konferenz zur Eindämmung und Vermeidung von Meeresmüll in Berlin suchen Experten und Politiker nach einer Gegenstrategie.

Von Anja Krieger | 10.04.2013
    Mehr Glamour für ein ernstes Thema: Das muss sich EU-Umweltkommissar Janez Potocnik erhofft haben, als er Anfang März Seite an Seite mit dem Schauspieler Jeremy Irons vor die Presse trat. Irons durfte seinen Film "Trashed" bewerben, Potocnik bekam prominente Unterstützung im Kampf gegen den Plastikmüll.

    "Übersetzer: Beim Müll im Meer handelt es sich zu fast 80 Prozent um Plastik. Schätzungsweise zehn Millionen Tonnen Müll kommen jedes Jahr hinzu, das meiste davon Partikel aus Kunststoff, und machen die Ozeane zur größten Plastikmüllkippe der Erde. Der Kunststoff ist eine ernsthafte Gefahr für das Leben in den Meeren und möglicherweise auch die Gesundheit des Menschen. Das Grünbuch, das wir heute präsentieren, soll dieses Problem an der Wurzel packen."

    Potocniks Diskussionspapier ist nicht der erste politische Anlauf, der den wachsenden Eintrag von Müll in die Umwelt aufhalten soll. Vier Jahre nach dem Film "Plastic Planet" und vierzig Jahre nach Abschluss des MARPOL-Abkommens gegen die Verschmutzung der Meere steht das Thema wieder auf der Agenda. Auch für die Biologin Stefanie Werner vom Umweltbundesamt:

    "Wir wissen auf jeden Fall genug, um direkt handeln zu können. Wir haben eine um einiges bessere Datenlage für die Nordsee, weil dort schon seit knapp 20 Jahren ein Spülsaummonitoring läuft, sprich: Man guckt sich an den Küsten an, was an Abfällen antreibt. Man hat dort Auswertungen vorgenommen, die besagen, dass das Gros der Abfälle aus der Schifffahrt und aus der Fischerei kommen. Dass circa zwei Drittel Kunststoffabfälle sind. In der Ostsee ist das ein bisschen schwieriger, aber auch da liegen erste Befunde vor, dass dort wahrscheinlich die landseitigen Einträge primär sind, wie Einträge durch den Tourismus oder auch durch die Flüsse."

    Dass es ein Problem gibt, bestreitet nicht mal mehr die Industrie. Nur: Was soll man tun? In Berlin wollen die rund 200 Vertreter aus Umweltschutz, Wissenschaft und Politik Vorschläge zur Lösung des Problems sammeln. Denn das ambitionierte Ziel der EU lautet: Ab dem Jahr 2020 soll der Meeresmüll um Europa keine Gefahr mehr darstellen. So steht es in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Konkrete Maßnahmen sind allerdings erst ab 2016 geplant. Dann bleiben immerhin noch vier Jahre, um den angestrebten "guten Umweltzustand" der Meere herzustellen, sagt Alexander Potrykus:

    "Es ist ganz deutlich, dass der Verbrauch an Plastik seit Jahrzehnten ständig ansteigt, inzwischen weltweit bei über 260 Millionen Tonnen pro Jahr liegt, und wir haben festgestellt, dass innerhalb dieses Sektors Plastik der Anteil der Plastikverpackungen der größte ist. Innerhalb dieser Plastikverpackungen stehen dann wiederum die Plastikflaschen und Plastiktüten an der Spitze - die machen nämlich ungefähr 63 Prozent von diesen Plastikverpackungen aus."

    Das hat Alexander Potrykus in einer Studie für die EU ermittelt. Mit seinen Kollegen prüfte der Umweltberater, welche Produkte die europäischen Meere besonders belasten. Das Ergebnis: Tüten und Flaschen aus Kunststoff gehören zu den größten Verschmutzern. EU-Kommissar Potocnik zieht deshalb Maßnahmen wie eine Abgabe für Plastiktüten in Erwägung. Um die Ursachen des Problems zu bekämpfen, ist er mit Kunststoffherstellern im Gespräch. Außerdem will er das Problem wilder Deponien angehen und die Recyclingraten erhöhen. Neue Produkte müssten her, so sein Credo, die langlebig, modular und reparabel sind. Die Frage ist nur: Wie kann die Kommission das erreichen?

    Auf Rückhalt bei den Regierungen der EU-Staaten kann sie nur begrenzt zählen. Forscher wie Melanie Bergmann wissen das aus eigener Erfahrung. Die Wissenschaftlerin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung erregte kürzlich Aufsehen mit einer Studie zu Müll in der arktischen Tiefsee:

    "Momentan ist es aber zumindest bei uns am Institut zum Beispiel so, dass die meisten Leute, die sich mit dem Thema befassen, das so nebenher machen, so ein bisschen wie ich. Eigentlich arbeite ich zur Megafauna und habe das jetzt gesehen und ja, mache das eben auch zu meinem Thema, obwohl ich dafür nicht in erster Linie bezahlt werde, weil ich es wichtig finde."

    Erst in Ansätzen ist erforscht, wie viel Kunststoff in die Meere gelangt, wo er sich absetzt, und welche Risiken er wirklich birgt. Es brauche mehr Gelder, um die teuren Schiffe und Geräte zu finanzieren, um Proben zu nehmen und das Personal für die Analyse zu bezahlen, sagt Melanie Bergmann. Auch ihr Kollege Lars Gutow engagiert sich neben seiner eigentlichen Arbeit als Meeresbiologe. Er ist skeptisch, dass Konferenzen wie die in Berlin viel verändern können. Das Problem aus Sicht des Wissenschaftlers:

    "Dass man sich des Problems eigentlich bewusst ist, aber man tut im Grunde genommen nichts dagegen. Also, es gibt Konferenzen, es geht durch die Medien, es geht durch die Wissenschaft. Wissenschaft macht auch Vorschläge, aber sie werden im Grunde genommen nicht umgesetzt. Wie so oft ist es so, dass das Problem wahrscheinlich erst uns selber noch stärker betreffen muss, bevor wir handeln."

    Es ist wie bei den meisten Umweltproblemen. Gehandelt wird erst, wenn es brenzlig wird.