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"Schäden betragen fast 15 Milliarden Dollar"

Vor der am Donnerstag in Stockholm beginnenden Libanon-Geberkonferenz hat der libanesische Delegierte der deutschen Wirtschaft, Alexis Naassan, auf die Schäden in dem Land hingewiesen. Es gebe 15.000 zerstörte Wohnungen im Libanon, erklärte Naassan.

Moderation: Rainer-B. Schossig |
    Rainer-B. Schossig: Die Schäden, die die israelischen Militärschläge während des jüngsten Libanon-Krieges in Beirut und anderen Städten und Dörfern hinterlassen haben, gleichen denen schwerer Erdbeben, ganz zu schweigen von dem durch das Bombardement der Raffinerie an der Küste verursachten Ölteppich vor der libanesischen Küste.

    Doch die Spendenbereitschaft der Menschen ebenso wie der internationalen Gemeinschaft hält sich - wie ja oft bei solchen kriegerischen Kollateralschäden - in spürbaren Grenzen. Immerhin wird nun am 31. August in Stockholm eine internationale Geberkonferenz für humanitäre Hilfe und Wiederaufbau im Libanon stattfinden. Am Telefon in Beirut ist nun der Libanese Alexis Naassan, Delegierter der deutschen Wirtschaft im Libanon. Guten Morgen, Herr Naassan.

    Alexis Naassan: Guten Morgen.

    Schossig: Herr Naassan, keine Geberkonferenz kann dem Land die weit mehr als 1000 getöteten Menschen zurückgeben, aber es gibt ja bereits finanzielle Schätzungen immerhin. Um einen wie hohen Schaden handelt es sich derzeit etwa im Libanon?

    Naassan: Okay, die Schäden betragen fast 15 Milliarden Dollar.

    Schossig: Kann man sich kaum vorstellen.

    Naassan: Wir haben 15.000 Wohnungen zerstört im Land.

    Schossig: Ja.

    Naassan: Und so weiter und so fort. Ja.

    Schossig: Wie sind diese Schäden denn ein wenig noch genauer aufzuschlüsseln, Herr Naassan? Wo sind sie am gravierendsten? Also was drückt am schwersten? Was man immer nur sieht, sind ja die zerstörten Gebäude, aber es gibt ja auch unsichtbare, strukturelle Schäden.

    Naassan: Ja natürlich, die Wohnungen. Dann wir haben fast 80 Brücken, die fast ganz zerstört sind, vom Norden bis zum Süden. Und wissen Sie, die Israelis haben diese Brücken bombardiert, um LKWs für Hisbollah zu zerstören auch oder zu verhindern, Richtung Süden Raketen zu bringen - so sagen sie natürlich, ja.

    Schossig: Und wie sieht …

    Naassan: Und dann haben wir natürlich die Schäden der Industrie. Fast fünf, nein, mehr, fast 20 große Industrien sind total zerstört worden, ja? Von Milchherstellung bis zur Konservenherstellung auch. Sind alle fast zerstört. Und warum weiß ich nicht eigentlich. Anscheinend sind selber für Wettbewerb, diese Industrien sind dieselben an israelischen Industrien eigentlich, ja. Und sagen manche, dass sie wurden zerstört wegen dieser Wettbewerbesfähigkeit der libanesischen Industrie den Israelis gegenüber.

    Schossig: Sie sind Delegierter der deutschen Wirtschaft im Libanon. Inwieweit sind dort auch Betriebe betroffen, an denen deutsche Firmen beteiligt sind?

    Naassan: Okay, direkt deutsche Firmen haben wir nicht, nur die Commerzbank ist hier vertreten. Aber 500 libanesische Firmen vertreten deutsche Produkte. Und diese Firmen hatten natürlich viele Güter im Lager, ja? Und manche sind total zerstört worden. Indirekte Schäden für die deutsche Wirtschaft.

    Schossig: Ja. Ja. In welchem Umfang oder in welchem Zeitraum können denn diese schweren Schäden im Libanon überhaupt behoben werden? Was schätzen Sie da, was in die Zukunft geht?

    Naassan: Für die Industrie ist einfach, es ist schneller für die Industrie natürlich, ja? Wir können rechtzeitig Anlagen importieren. Aber natürlich die Wohnungen brauchen mehr Zeit. Und fast ein Jahr. Deswegen Hisbollah hat 12.000 Dollar pro Familie dann ausgegeben, um die Miete des Jahres vorauszuzahlen. Verstehen Sie, was ich meine? Die mieten dann eine Wohnung woanders und dann in einem Jahr, hoffentlich, haben diese Leute dann die Wohnung ja wieder da.

    Schossig: Das hat ja etwas Symbolisches. Oder hat - das ist natürlich eine Hilfe, aber das ist ja mehr eine symbolische Hilfe.

    Naassan: Nein, symbolisch nicht richtig, weil die - bis zu 600 Dollar kann man eine Wohnung dann mieten ja pro Jahr, pro Monat meine ich.

    Schossig: Noch mal zurück zur Geberkonferenz, Herr Naassan. 60 Regierungen und Organisationen sind da eingeladen, also natürlich diverse UN-Einrichtungen, da stehen auch die Weltbank und die Arabische Entwicklungsbank und das Rote Kreuz stehen mit auf der Gästeliste. Reicht das Ihrer Ansicht nach?

    Naassan: Es kommt darauf an, wer an dieser Konferenz teilnimmt. Natürlich, die großen arabischen Länder, die Geld haben, sollten was unternehmen meiner Meinung nach. Natürlich, ja. Und wenn alle reichen Leute und weniger reichen Leute zusammenkommen, um Libanon zu helfen, meiner Meinung nach könnte es reichen, ja.

    Schossig: Welche Staaten und Organisationen halten sich denn da bewusst zurück oder noch in Deckung? Wie sieht es mit den arabischen Staaten aus? Haben Sie Informationen, ob die jetzt sich in der Hilfe engagieren wollen?

    Naassan: Okay, dann, wir sollen im Einzelnen die arabische Golfländer dann nehmen?

    Schossig: Zum Beispiel.

    Naassan: Dubai und Abu Dhabi wollen sowieso helfen und sind bereit, 500 Millionen Dollar zu liefern. Das ist die erste Hilfe, konkrete Gelder. Dann haben wir Saudi-Arabien: fast eine Milliarde US-Dollar. Dann Katar auch: 500 Millionen. Natürlich ist es ist (…) von den Schäden natürlich. Aber trotzdem, mit der Hilfe auch der acht reichsten Länder der Welt sozusagen können wir was auf die Reihe bringen.

    Schossig: Wenn Sie von den reichsten Ländern der Welt sprechen …

    Naassan:G8 meine ich.

    Schossig: G8, nicht? Zum Beispiel.

    Naassan: Auch für Russland vielleicht, aber - gucken Sie mal: Russland hat auch viel geholfen. Ich war gestern am Flughafen und kam eine Bundesluftwaffenmaschine da an mit russischer Hilfe drin, aus Zypern.

    Schossig: Und welche Rolle spielen die USA? Haben Sie davon gehört?

    Naassan: Die versuchen natürlich, irgendwie die Blockade aufzuheben. Die Blockade der israelischen Kriegsmarine. Der Libanon darf weder importieren noch exportieren jetzt zurzeit. Wegen Blockade. Und die USA haben versprochen natürlich, diese Blockade wieder aufzuheben - hoffentlich nächste Woche. Noch ein Beispiel: Der Flughafen ist fast gesperrt. Die hiesige Fluggesellschaft fliegt nur nach Amman. Und dann kommen die Geheimdienstler und versuchen, untersuchen die Maschine und dann geht das grüne Licht, um Weiterflüge meine ich.

    Schossig: Sie kennen die deutsche Wirtschaft etwas näher, Herr Naassan. Haben Sie Einblicke, wer aus Deutschland, wo aus Deutschland Hilfsgelder herkommen könnten?

    Naassan: Okay, ich denke, dass heute Morgen kommt die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hier nach Libanon.

    Schossig: Das war heute in den Nachrichten, ja.

    Naassan: Ja. Um Hilfe zu leisten, meiner Meinung nach, natürlich. Dann die GTZ kommt auch immer mit, die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Die sind sowieso im Lande für das Duale System …

    Schossig: Ja, das sind ja staatliche Hilfen. Aber Sie sprachen vorhin von 500 Firmen, die dort auch engagiert sind. Gibt es da eine Firma, die man besonders nennen sollte?

    Naassan: Natürlich Mercedes Benz, natürlich ja. Und DaimlerChrysler meiner Meinung nach. Die sind stark vertreten und die sollen was leisten. Ich kenne den Vertreter, den Herrn Gargul, und sagte mir gestern am Telefon, dass der Konzern ist bereit natürlich, was zu leisten, zu liefern. Aber ich bin nicht sicher, ich habe keine Zahlen natürlich.

    Schossig: Letzte Frage, Herr Naassan: Sollten die Deutschen Care-Pakete schicken, wie sie sie selbst erhalten haben nach dem Zweiten Weltkrieg?

    Naassan: Können Sie die Frage wiederholen bitte?

    Schossig: Sollten die Deutschen so genannte Care-Pakete schicken, also individuelle Pakete?

    Naassan: Ah, verstehe, was Sie meinen. Gute Frage. Vielleicht ist überflüssig, meiner Meinung nach, weil die Hilfe kommt sowieso. Und dann, die hiesigen Organisationen sind gut in der Verteilung meiner Meinung nach.

    Schossig: Das war Alexis Naassan aus Beirut, vielen Dank, Delegierter der deutschen Wirtschaft im Libanon, über die am kommenden Donnerstag in Stockholm beginnende internationale Geberkonferenz für das vom Krieg verheerte Land.