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Schäfer-Gümbel: Kein Koalitionsvertrag ohne deutliche SPD-Handschrift

Als ein Votum gegen die Große Koalition möchte Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel die schlechten Wahlergebnisse des SPD-Vorstands auf dem Parteitag nicht bewerten. Die Koalitionsverhandlungen seien aber auch kein Automatismus, es sei auch möglich, dass es am Ende nicht zusammenpasse.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Und zwar für Andrea Nahles als Generalsekretärin der SPD. Schlappe 67 Prozent, ihr bislang schlechtestes Ergebnis. Und auch die stellvertretenden Parteivorsitzenden Kraft, Özugus, Schwesig und Scholz strafen die Genossen auf dem Parteitag in Leipzig ab mit mittelprächtigen bis schlechten Ergebnissen. Eine Ohrfeige für die SPD-Spitze, ein klares Signal - aber welches eigentlich?

    - Fragen wir Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel, er wurde neu in den Vorstand gewählt. Guten Morgen, Herr Schäfer-Gümbel!

    Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!

    Dobovisek: Ein Denkzettel also für die bisherige Parteispitze: Was steht drauf?

    Schäfer-Gümbel: Na ja. Wir sind doch auf einem Parteitag, der unmittelbar nach der Bundestagswahl stattfindet, wo wir das zweitschlechteste Ergebnis erreicht haben in der Nachkriegszeit. Und dass das erst mal für Unruhe und auch für Ärger sorgt, das ist so. Das ist nicht das, was wir erwartet haben. Und deswegen wird natürlich auf dem Parteitag selbst als auch in den Nebengesprächen viel diskutiert worden, lag es – waren wir geschlossen genug, waren wir inhaltlich gut genug ausgerichtet, gab es zu viele Pannen, wer ist dafür verantwortlich? All die Fragen, die auch Sie als Journalisten bewegen und auch viele Menschen draußen, die nicht jeden Tag sich mit Politik beschäftigen. Die beschäftigen auch die Delegierten. Und dann leitet sich das ab. Mein Glück ist, glaube ich, ein Stück weit gewesen, dass ich bisher nur normales Mitglied des Parteivorstandes war und insofern nicht genug Gelegenheit hatte, Leuten auf den Füßen zu stehen.

    Dobovisek: Deshalb gab es für Sie auch 89 Prozent, das heißt, Sie konnten sich gestern Abend da entspannt zurücklehnen. Aber wenn Sie Ihre anderen Kollegen, Ihre anderen Genossen aus dem Parteivorstand betrachten, die wurden unter anderem ja auch dafür abgestraft, dass sie Koalitionsverhandlungen mit der Union führen. Wie wichtig ist dieser Punkt der Kritik.

    Schäfer-Gümbel: Na ja, das ist jetzt eine sehr freie Interpretation dessen, was da passiert. Es ist erst einmal das Resultat der Aufarbeitung auch der Wahlkampagnen, auch des Durcheinanders, das es manchmal gab, wo ja auch berichtet wurde, über Fehler. Ich glaube nicht, dass dieses Ergebnis zunächst einmal was mit der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen hat. Weil dazu gab es ein sehr klares Votum auch des Parteikonvents. Es ist allerdings auch ein klarer Hinweis darauf, dass wir unsere Handschrift in den Koalitionsverhandlungen klar erkennen müssen. Und nur dann werden wir auch einen umsetzungsfähigen und durchsetzungsfähigen Koalitionsvertrag unseren Mitgliedern präsentieren können. Das heißt, die Aufgabe, die vor uns liegt, ist eine große, sie ist eine ambitionierte insbesondere auch deswegen, weil auf der Unionsseite ja auch in den letzten Tagen nicht nur, sage ich mal, Zurückhaltung geübt wurde, sondern auch ein wenig geholzt wurde. Aber ich glaube, dass alle Beteiligten wissen, wenn man diese Koalition will, dann muss es klar sein, dass es Fortschritte bei beispielsweise Fragen der sozialen Gerechtigkeit – das gilt nicht nur für den Mindestlohn, aber es gilt vor allem für den Mindestlohn – durchgesetzt werden.

    Dobovisek: Sie sagen also, der Koalitionsvertrag müsse eine klare SPD-Handschrift tragen. Hannelore Kraft sagte heute Morgen das noch ein bisschen anders, sie hat gesagt, es muss hart mit der Union verhandelt werden. Jetzt blicken wir mal zurück …

    Schäfer-Gümbel: Das ist nichts anderes, das ist genau das gleiche, was wir meinen …

    Dobovisek: Einfach nur ein bisschen härter ausgedrückt. Lassen Sie mich bitte noch den Gedanken fortführen, Herr Schäfer-Gümbel. Dahinter steckt ja auch noch eine große Spaltung momentan zwischen Union und der SPD. Die konnten wir wunderbar diese Woche beobachten, wo mehrere Arbeitsgruppen gleich abgebrochen worden sind. Wie hart kann denn so eine Verhandlung dann noch werden, um tatsächlich am Ende noch konstruktiv zu sein?

    Schäfer-Gümbel: Am Ende werden sich die Verhandlungskommissionen zusammenreißen müssen, um ein Ergebnis zu präsentieren. Und im Moment werden in der Tat die Korridore hart miteinander verhandelt. Und das ist natürlich zwischen CDU auf der einen Seite und SPD auf der anderen Seite besonders hart, weil dort bald zwei Parteien miteinander diskutieren und verhandeln, die eigentlich und vorrangig über die Meinungsführerschaft miteinander streiten. Das heißt, die Wege sind einfach deutlich weiter. Und wenn Hannelore Kraft sagt, wir werden da mit größerer Härte durchgehen – ich will es einfach noch mal unterstreichen, wir haben da völlig identische Auffassungen –, dann ist einfach klar, dass es keinen Koalitionsvertrag geben kann, in dem nicht ein Politikwechsel erkennbar ist. Dabei ist klar, dass die jeweiligen Identitätskerne der beiden Partner, oder in diesem Fall ja auch der drei Partner mit der CSU, nicht infrage gestellt werden können. Und das ist die Kunst, die es jetzt anliegt, und dann werden wir intensiv mit den Mitgliedern darüber zu diskutieren haben.

    Dobovisek: Könnte es auch sein, dass am Ende diese beiden Kerne der drei Parteien, die es ja nun sind, am Ende doch nicht zueinanderpassen, zumindest jetzt nicht?

    Schäfer-Gümbel: Also, ich komme aus Hessen. Und da haben wir gelernt, gar nichts mehr auszuschließen. Und dann jeweils mit den Situationen umzugehen. Und es gibt ein zweites Sprichwort in Hessen, das ich gerne verwende, das ist: Ein Kloß nach dem anderen! Wir verhandeln jetzt erst mal, und es kann sein, dass es am Ende nicht zusammenpasst. Deswegen haben wir immer klar gesagt, es ist kein Automatismus in diesen Verhandlungen, sondern es muss am Ende ein gutes Ergebnis herauskommen, da müssen beide Seiten erkennbar sein. Da wird es Themen geben, wenn wir sie nicht durchsetzen, die wir trotzdem auf der Tagesordnung haben. Ich hab das gestern in meiner Bewerbungsrede klar gesagt. Das Thema Verteilungsgerechtigkeit, Steuergerechtigkeit, Steuerfluchtbekämpfung ist ein Thema, das werden wir weiter auf die Tagesordnung setzen. Und zwar völlig unabhängig davon, wie weit wir in den Koalitionsverhandlungen mit der anderen Seite kommen, weil wir dazu Überzeugungen und eine Haltung haben. Und das werden wir auch weiter zum Thema machen. Das heißt, wir geben unsere Auffassungen, unsere Haltungen nicht an der Tür ab, wenn wir in eine Koalition eintreten.

    Dobovisek: Ein großer Kloß, Herr Schäfer-Gümbel, der am Ende, um in Ihrem Bild zu bleiben, auf Sie wartet, ist dann die Mitgliederbefragung der SPD. Wie viel Prozent der Basis müssten denn Ihrer Meinung nach Ja sagen, damit Sie am Ende noch sagen können, meine Partei steht hinter der Großen Koalition?

    Schäfer-Gümbel: Na ja, es muss auf jeden Fall erst mal eine Mehrheit dafür geben, dass der Vertrag geschlossen wird …

    Dobovisek: Reichen 51 Prozent?

    Schäfer-Gümbel: Sehen Sie, ich hab im letzten Jahr mal eine Zahl genannt, das hat dann für ziemlich viel Durcheinander gesorgt. Und deswegen habe ich mich hart entschieden, zwei Dinge im öffentlichen Raum nicht mehr zu machen. Erstens, Ironie einzusetzen, ohne dass ich ein großes Schild hochhalte, Vorsicht, Ironie! Und zweitens, ich gehe mit solchen Zahlen nicht mehr um. Wir brauchen eine Mehrheit in dieser Mitgliederbefragung. Dass das keine Liebeshochzeit ist, das wissen alle Beteiligten, sondern es ist eine Vernunftsbeziehung, die das Ergebnis dieser Wahl ist. Und dass wir uns das alles anders gewünscht hätten, das weiß jeder.

    Dobovisek: Würde zur Vernunft auch gehören, möglicherweise am Ende einer Pkw-Maut für ausländische Autofahrer zuzustimmen?

    Schäfer-Gümbel: Sehen Sie, wir sind gerade mitten in den Verhandlungen – ich hab dafür keine Fantasie.

    Dobovisek: Das heißt, Sie können sich weder das eine noch das andere vorstellen.

    Schäfer-Gümbel: Ich hab keine Fantasie, wie das, was die CSU da ständig vorschlägt und vorträgt, umsetzungsfähig sein soll. Wir haben immer und immer wieder auf die europarechtlichen Probleme hingewiesen. Wir haben darauf hingewiesen, dass es kein Modell geben wird, an dessen Ende die deutschen Autofahrer nicht höher belastet sind. Und zwar insbesondere die, die bisher weniger zahlen. Das gilt für jedes Maut-Modell. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll. Und von daher hab ich keine Fantasie, wie sich das auflöst.

    Dobovisek: Nur eine Gegenstimme gab es auf dem Parteitag beim Leitantrag, der künftig auch eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ermöglichen soll. Wir haben vorhin eine doch eher kritische Stimme aus der CSU gehört, die dafür kein Verständnis hat. Warum gerade jetzt?

    Schäfer-Gümbel: Weil es, glaube ich, einfach klug ist, das, was wir ohnehin die letzten anderthalb Jahre gemacht haben, nämlich zu sagen, in Richtung Linkspartei, die Mystifizierung muss beendet werden. Es gibt da keine formale Abgrenzung mehr, sondern es wird hart in der Sache miteinander diskutiert, beispielsweise bei aus unserer Sicht abenteuerlichen Vorstellungen in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch in der Europa-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Und jetzt muss auch die Linke sich dazu ein Stück weit verhalten auf der Bundesebene, wie sie mit solchen Fragen umgeht. Ob die CSU dafür Verständnis hat oder nicht, das ist, ehrlich gesagt, nicht unser Thema.

    Dobovisek: Da könnten Sie in Hessen ja gleich loslegen. Die Gespräche laufen ja bereits.

    Schäfer-Gümbel: Sehen Sie, genau das ist der Punkt. Den werden wir nämlich am Montag in aller Ruhe in unseren Gremien diskutieren, auf der Grundlage eines Sondierungsberichtes. In der Tat sind wir da mitten in den Endzügen auch von Gesprächen. Wir haben am Montag auch noch Gespräche mit der Union. Ich nehme natürlich zur Kenntnis, dass es auch schwarze und grüne Gespräche miteinander gibt, die sehr intensiv sind. Von daher, die Frage, was in Hessen am Ende passiert, entscheidet leider die SDP nicht ganz alleine. Aber noch sind wir optimistisch, am Ende ein gutes Ergebnis auch für Hessen hinzukriegen.

    Dobovisek: Der frisch gewählte stellvertretende SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel. Vielen Dank für das Gespräch!

    Schäfer-Gümbel: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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