Schäuble: Na gut, es wird ja nur über die Frage debattiert, ob Rot-Grün sich noch bis zur nächsten Bundestagswahl hinschleppt. Das ist eigentlich, wie ich finde, ziemlich traurig, weil wir nicht über die wirklichen Probleme in unserem Lande reden. Es ist ja klar: Die Entscheidungen, die notwendig sind im Kampf gegen den Terrorismus, fallen niemand leicht. Aber es wird ja nicht darüber diskutiert, warum das getan werden muss - oder welche Gründe sprechen dagegen, das zu tun. Auch auf dem Parteitag der Grünen ist darüber nicht gesprochen worden . . .
Detjen: . . . aber da gab es doch schon einmal eine intensive Debatte über die Frage: Wie stehen die Grünen zum Einsatz bewaffneter Einheiten, das kann man ihnen doch nicht vorwerfen . . .
Schäuble: Eigentlich war es doch klar. Die Grünen haben gesagt: 'Wir wollen das eigentlich nicht, aber wir wollen an der Regierung bleiben' - aus Gründen, die ja in Ordnung sind oder die man jedenfalls als Grüner so sehen kann - 'und deswegen müssen wir das mittragen'. Das war nicht die Entscheidung, dass sie es mittragen, weil sie es für richtig halten, sondern das war die Entscheidung, sie müssen es mittragen, weil sie an der Regierung sind und bleiben wollen. Wie will man eigentlich den Menschen in unserer Bevölkerung klarmachen, dass diese Entscheidung richtig ist, wenn man sie damit begründet, dass man gerne an der Regierung bleiben möchte. Das ist das, was mich an dieser Debatte wirklich ärgert, denn wir hätten seit dem 11. September wirklich Grund, ein wenig ernsthafter die politische Diskussion zu führen.
Detjen: Aber wie gesagt, es ist ja nicht so, dass die Grünen sich mit der Frage 'Krieg, Bundeswehreinsatz' nicht beschäftigt hätten. Kann man es ihnen übelnehmen, dass diese Partei da mit sich selber gerungen hat?
Schäuble: Nein, das nehme ich niemandem übel. Ich finde, jeder, der sich mit der Frage beschäftigt, muss ja mit sich ringen - jeder einzelne, jede Gruppe, auch jede Partei. Das nehme ich überhaupt nicht übel, da würden Sie mich falsch verstehen. Was ich übel nehme, ist die Begründung für die Entscheidung, selbst beim Außenminister. Der hat zwar auch in seiner Rede immer gesagt, was für die Entscheidung spricht, sich mit Amerikanern, Briten, anderen, mit der zivilisierten Völkergemeinschaft, mit den Vereinten Nationen gemeinsam am Kampf gegen den Terrorismus zu beteiligen. Aber letzten Endes war seine Begründung auch: 'Wenn Ihr wollt, dass wir an der Regierung bleiben, dann müsst Ihr das jetzt machen'. Also, es ging nicht um die Frage, ob es richtig ist oder falsch, sondern es ging um die Frage: Wollen die Grünen an der Regierung bleiben oder nicht. Ich sage noch einmal, wir müssen ein wenig aufpassen. Wir muten ja unserer Bevölkerung wirklich schwere Entscheidungen zu, und die müssen wir doch richtig begründen. Und die Begründung kann doch nicht sein, dass irgend jemand gerne an der Regierung sein und bleiben möchte. Die Begründung kann doch nur sein, dass es keinen besseren, sichereren Weg gibt für die Zukunft der Menschen in unserem Lande, Bedrohungen möglichst auszuschließen, den Frieden in der Welt zu erhalten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat ja von einer Gefahr für den Weltfrieden gesprochen, darum geht es - und nicht um die Frage, ob Rot-Grün zusammenhält, ob Herr Trittin Minister bleibt oder nicht. Das ist wichtig für Herrn Trittin, aber nicht für die Menschen.
Detjen: Diese Frage hat sich aber auch für die Union nochmal in dem Moment anders gestellt, als der Bundeskanzler die Sachfrage über Krieg und Bundeswehreinsatz mit der Kanzlerfrage - mit der Vertrauensfrage - verknüpft hat. Auch die Union hat dann in dem Moment bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestag die außenpolitische Erwägung von großer internationaler Tragweite einer rein innenpolitischen Machtfrage unterworfen.
Schäuble: Ja, gut. Aber ich meine, die Vertrauensfrage war dominierend in der Abstimmung, deswegen braucht es ja auch eine andere Mehrheit. Es brauchte ja eben nicht nur die einfache Mehrheit im Bundestag, sondern die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Das Dominierende ist die Vertrauensfrage, die der Bundeskanzler stellt. Er darf sie stellen, nur damit wird es nicht mehr eine Abstimmung über die Sache, sondern eine Abstimmung über den Bestand der Regierung. Und das habe ich auch für falsch gehalten, weil wir damit nicht mehr in der Sache debattiert . . .
Detjen: . . . dann liegt der Fehler aber aus Ihrer Sicht allein beim Kanzler und nicht bei den Grünen, die sich dann genau den gleichen Erwägungen angeschlossen haben wie Sie . . .
Schäuble: Ja gut, den Fehler hat der Kanzler gemacht, und die Grünen haben das erst kritisiert, dass er es gemacht hat, und sie haben es jetzt auf ihrem Parteitag genauso gemacht.
Detjen: Hätten sie es anders machen können?
Schäuble: Ich hätte es für richtig gefunden, wir hätten im Bundestag gesagt - das ist eine Frage, die den Deutschen nicht leicht fällt, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung und etwas mehr als 50 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs -: 'Lass uns hier nicht einfach nur entlang der Mehrheiten von Koalition und Opposition diskutieren und entscheiden, sondern lass es uns mit einer breiten Mehrheit machen'. So hat es übrigens die frühere Regierung gemacht. Volker Rühe hat immer Wert darauf gelegt, dass man für Entscheidungen über Einsätze - in Bosnien damals - eine breite Mehrheit im Bundestag hat. Den Weg hat der Bundeskanzler mit seiner Entscheidung verstellt, und das habe ich für falsch gehalten. Und jetzt haben die Grünen auf ihrem Parteitag dasselbe noch einmal gemacht.
Detjen: Wie wäre dann, wenn es die Verknüpfung mit der Machtfrage Schröders nicht gegeben hätte, die Diskussion in der Union verlaufen? Wäre das dann noch einmal ähnlich gewesen, wie etwa vor dem Mazedonieneinsatz? Hätte die Union dann - wie jetzt - geschlossen gestimmt?
Schäuble: Wir hätten sicherlich mit der ganz großen Mehrheit dafür gestimmt, aber wir hatten uns auch in den Beratungen in der Fraktion, in den Arbeitsgruppen, in dem Auswärtigen Ausschuss, dem ich angehöre, die Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir haben über Wochen - auch seit dem 11. September - über diese Fragen sehr intensiv um die Sache gerungen, und ich glauben nicht, dass wir hundertprozentig geschlossen abgestimmt hätten. Aber es hätte im Bundestag sicherlich eine Mehrheit - na, sagen wir mal von 80 Prozent aller Abgeordneten gegeben. Und das wäre ja für die Soldaten beispielsweise, für ihre Familien, aber auch für die Bevölkerung insgesamt besser gewesen als jetzt diese Mehrheit von zwei Stimmen, von der jeder weiß: Es ist keine Mehrheit in der Sache, sondern es ist nur mit dem Gewürge zusammengekommen, dass andernfalls die Regierung auseinander gebrochen wäre, was wahrscheinlich auch nicht das Schlimmste für unser Land gewesen wäre.
Detjen: Herr Dr. Schäuble, viele Grüne haben sich ja - und das ist auch auf dem Parteitag jetzt deutlich geworden - deswegen schwer mit dieser Entscheidung getan, weil sie gesagt haben: Da tut sich ein Gegensatz vom politischen Pragmatismus und Gewissen auf. Es sei um eine Gewissensfrage gegangen, haben viele gesagt. Welche Rolle hat für Sie, als Sie am vorletzten Freitag im Bundestag abgestimmt haben, das Gewissen des Abgeordneten Wolfgang Schäuble gespielt?
Schäuble: Ja gut, wenn man in Opposition ist - und die Wähler haben das ja entschieden -, dann muss man, wenn die Regierung die Vertrauensfrage stellt, nicht lange nachdenken. Dann kann die Opposition gar nicht anders, als mit 'nein' stimmen. Das hat übrigens der Bundeskanzler in der Debatte selbst richtig gesagt. Wenn wir in der Sache entschieden hätten - wir hatten ja auch Anträge in der Sache gestellt und zugestimmt mit Entschließungsanträgen -, da finde ich eben die Debatte, die Sie jetzt beschrieben haben, zwischen Pragmatismus und Gewissen - da fängt das Übel an. Ich habe mir - und ich glaube, die allermeisten Kollegen vermutlich in allen Fraktionen des Bundestages - ja die Entscheidung nicht leicht gemacht. Man prüft sich seit dem 11. September: Was muss man tun? Meine Überzeugung ist: Diese Gefahr bedroht uns alle. Es geht nicht nur um Solidarität mit Amerika, wir sind alle bedroht. Und wenn es eine Gefahr für den Weltfrieden ist, wie die Vereinten Nationen gesagt haben - ja, wenn der Weltfrieden verlorengeht, dann trifft es uns alle. Deswegen ist die fürchterlich schwierige Frage: Was kann getan werden, was ist der beste Weg, um diese Gefahr so klein wie möglich zu halten. Und da glaube ich, dass es keine bessere Alternative gibt, als so begrenzt, wie es jetzt geschieht, auch militärische Mittel einzusetzen. Sie sind nicht das einzige; es wird in Afghanistan nicht zu Ende sein, man muss die nachrichtendienstlichen Mittel, die Kontrolle der Finanzströme, die Zusammenarbeit der Polizeien und im eigenen Lande die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen verstärken. Das alles ist notwendig, aber wir können auf den Einsatz militärischer Mittel auch nicht verzichten. Und das ist eine Gewissensentscheidung.
Detjen: Zu diesem ganzen Dilemma ist es ja nur deswegen gekommen, weil das Bundesverfassungsgericht 1994 in seiner Entscheidung festgelegt hat, dass bewaffnete Einsätze der deutschen Streitkräfte nur mit Zustimmung des Bundestages erfolgen dürfen. Und die Karlsruher Richter haben gesagt, dass der Bundestag damit auch die Verantwortung für diesen Einsatz trägt. Trägt die Union, tragen Sie persönlich diese Verantwortung mit, obwohl Sie in der Abstimmung - in der verknüpften Abstimmung - dagegen gestimmt haben?
Schäuble: Ja, wir tragen sie mit. Wir haben ja beispielsweise im Ausschuss, in den Ausschussberatungen - es wird ja über eine Beschlussempfehlung des Ausschusses abgestimmt -, haben wir ja zugestimmt. Wir haben in den Entschließungsanträgen klar gemacht, dass wir in der Sache mittragen. Wir werden uns da auch nicht 'in die Büsche schlagen', das ist nicht die Haltung der Union. Die Union hat - wie wohl Opposition - nach dem 11. September sehr klar gemacht, dass wir in einer so ernsten Zeit nicht in erster Linie daran denken, was nützt diese Geschichte wem parteipolitisch, sondern dass wir in dieser Frage wirklich sagen: Es kommt jetzt zuerst vor allem darauf an, das Richtige für unser Land zu tun, unseren Beitrag auch als Opposition zu leisten, die Regierung auch dort, wo sie es nach unserer Überzeugung es richtig macht, sie zu unterstützen - das tun wir ja im Grundsatz auch -, dort, wo sie in der Gefahr ist, Fehler zu begehen, sie auch zu korrigieren, notfalls auch durch Rat und Kritik zu helfen. Das ist jetzt wichtig. Und diese Aufgabe haben wir auch erfüllt, und deswegen werden wir uns auch weiterhin unserer Verantwortung stellen.
Detjen: Sie sagen, es geht um Unterstützung der Bundesregierung. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dagegen heißt es: Die Bundeswehr ist ein Parlamentsheer; das Parlament trägt die Entscheidung über Einsatz oder Nichteinsatz. Ist diese gedankliche Konstruktion eigentlich noch haltbar, wenn man diesen Beschluss, den der Bundestag jetzt gefasst hat, genau anschaut - wenn es um einen Einsatzraum geht, der den halben Globus umfasst, um einen Zeitraum von zwölf Monaten? Auch der Bundeskanzler spricht da immer nur von 'Bereitstellung' und sagt, die Entscheidung eigentlich behält er sich vor. Also, ist diese gedankliche Konstruktion des Verfassungsgerichts noch zeitgemäß, noch haltbar?
Schäuble: Das Verfassungsgericht hat ja selber gesagt, dass die Frage, wie genau sich Regierung und Parlament die Verantwortung teilen sollen oder wie sie aufgeteilt werden soll, eigentlich am besten durch ein Gesetz geregelt werden sollte. Deswegen habe ich auch im August vorgeschlagen - schon vor den Anschlägen -, durch ein Gesetz das zu regeln, denn so, wie wir bisher es gemacht haben, geht es ja nicht. So detailliert wie bei den früheren Einsätzen - noch im Kosovo -, kann der Bundestag das nicht beschließen. Jetzt hat er das in einem sehr weiten Spielraum der Regierung gegeben. Das muss in einer solchen Lage so sein, obwohl ich selber Zweifel habe, dass es richtig ist, dass der Bundestag zwölf Monate lang eigentlich rein formal den Beschluss gar nicht mehr zurückholen kann - nur auf Initiative der Regierung. Darüber ist ja noch in der Debatte gesprochen worden. Insofern glaube ich, wir müssen das genauer abstimmen. Und deswegen sollten wir ein solches Gesetz machen. Der Bundestag muss in die Verantwortung, in die Entscheidung eingebunden sein. Aber im parlamentarischen Regierungssystem ist die Regierung ohnedies von der Mehrheit im Bundestag abhängig. Hat sie keine Mehrheit im Bundestag, ist nicht mehr lange Regierung. Wir müssen uns beispielsweise auch die noch schwierigere Frage stellen, die haben wir noch gar nicht diskutiert: Wie machen wir es eigentlich in unserem Verhältnis zur Integration in der Europäischen Union - wie innerhalb der NATO? Können wir wirklich jetzt einfach sagen: Na ja gut, die beschließen in der NATO oder die beschließen in der Europäischen Union - die NATO ist ja hier nicht betroffen -, aber wir behalten uns dann vor, im Bundestag oder wo immer noch einmal zu entscheiden. Bei 17 Mitgliedsländern in der NATO oder 15 in der Europäischen Union wird das ziemlich kompliziert. Und deswegen müssen wir diese Fragen 'Parlamentsbeteiligung' auch noch einmal unter der Gesichtspunkt der notwendigen internationalen Integration bedenken. Das wird eine noch schwierigere Debatte werden.
Detjen: Warum hat es dieses Gesetz, das die Karlsruher Richter ja angeregt haben, eigentlich nie gegeben - auch in der Zeit nicht, als die Union an der Regierung war, als Sie Fraktionsvorsitzender von CDU und CSU im Bundestag waren?
Schäuble: Also, wir haben ja diese Entscheidung - und diese Entscheidung ist, wenn ich es richtig weiß, von 1994 -, und wir hatten ja in der Zeit ziemlich Mühe, überhaupt eine Zustimmung der Opposition zu bekommen. Ein solches Gesetz kann man nicht mit der Mehrheit nur der Regierung machen, auch da braucht man eine breite Mehrheit. Rot-Grün in der Opposition war nicht in der Lage, an einem solchen Gesetz konstruktiv mitzuwirken. Deswegen habe ich ja gesagt, jetzt könnte man es machen - Rot-Grün in der Regierung, eine Opposition, die sich ihrer Verantwortung nicht entzieht; da könnte man ein solches Gesetz zustande bringen. Man muss sich ja nur einen Moment überlegen, was wäre in Deutschland los, wenn alles genau so wäre weltpolitisch, wie es jetzt ist, nur wir hätten noch die Regierung, die wir bis 1998 hatten und SPD und Grüne wären in der Opposition. Wir hätten völlig andere Stimmung in unserem Lande. Und das zeigt, dass jetzt die Chance, wo wir eine verantwortliche Opposition haben, für ein solches Gesetz groß ist. Deswegen sollte man sie auch nutzen.
Detjen: Herr Dr. Schäuble, es kommen jetzt Meldungen aus den USA, nachdem dort angeblich überlegt wird, den Kampf - den Krieg - gegen den internationalen Terrorismus auszuweiten. Es ist von Somalia, von Sudan, von Jemen die Rede. Kann und sollte sich Deutschland daran beteiligen?
Schäuble: Deutschland wird sich im Rahmen seiner Möglichkeiten am Kampf gegen den Terrorismus weltweit beteiligen müssen. Das haben wir ja auch gesagt. Wir haben ja nicht gesagt, wir beteiligen uns nur in Afghanistan; wir führen ja keinen Krieg gegen Afghanistan. Wir beteiligen uns am Kampf gegen den Terrorismus, und was nötig und möglich ist, muss getan werden. Es hat wenig Sinn zu spekulieren, insbesondere wenn man als Mitglied der Opposition gar keine speziellen oder vertieften Kenntnisse hat. Ich halte nichts von Spekulationen, aber ich . . .
Detjen: . . . die Frage kann sich ja sehr schnell sehr konkret stellen . . .
Schäuble: . . . ja, wenn sie sich stellt, muss man genau wieder prüfen: Ist es notwendig, ist es angemessen und richtig? Und es kann sehr wohl sein, dass der Kampf gegen den Terrorismus sich nicht nur Afghanistan beschränkt. Das fürchte ich, dass das richtig ist.
Detjen: Also, keine bedingungslose Solidarität?
Schäuble: Na, wir werden immer bei jeder einzelnen Entscheidung zu prüfen haben, ob sie richtig ist. Wenn wir entscheiden müssen, müssen wir ja unserer Verantwortung gerecht werden. 'Bedingungslose Solidarität' - das sind alles so Begriffe; wir geben ja nicht unseren Verstand und unsere eigene Verantwortung an der Garderobe ab. Aber ich sage noch einmal: Mir geht es gar nicht nur um Solidarität mit Amerika, sondern es geht um die gemeinsame Bekämpfung einer Bedrohung unserer Sicherheit und einer Bedrohung des Friedens in der Welt. Und da tun die Amerikaner so sehr für uns einen Gefallen, wie wir ihnen Solidarität leisten.
Detjen: Aber nochmal nachgefragt: Wie verstehen Sie den Beschluss, den der Bundestag gefasst hat. Würde der einen Einsatz, etwa in Somalia, eine Bereitstellung deutscher Streitkräfte abdecken, oder wäre das - so ist das ja auf dem Grünen Parteitag dargestellt worden jetzt - nicht der Fall? Müsste da der Bundestag nochmal neu beschließen?
Schäuble: Nein, der Beschluss des Bundestages ist ja insoweit eindeutig, als er sagt: In anderen Ländern als Afghanistan können Soldaten der Bundeswehr auf der Grundlage dieses Beschlusses nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung eingesetzt werden. Nun gibt es das Problem - das hat eine Rolle gespielt -, dass es in Somalia gar keine Regierung gibt. Aber wenn es keine Regierung gibt, kann sie auch nicht zustimmen. Und deswegen musste die Bundesregierung ja auch klarstellen - ich glaube, sie hatte es ursprünglich anders sich vorgestellt, aber sie musste klarstellen aufgrund unserer Fragen, dass, wenn es keine Regierung gibt, kann sie auch nicht zustimmen. Und deswegen erlaubt dieser Beschluss - ohne Zustimmung einer Regierung - eben nicht, dass die Bundeswehr tätig wird. Da müsste ein neuer Beschluss gefasst werden.
Detjen: Am Montag beginnt in Bonn auf dem Petersberg die Afghanistankonferenz der Vereinten Nationen. Welche Rolle kann Deutschland da spielen, außer der Rolle des Gastgebers, der die Räumlichkeiten für die Konferenzteilnehmer zur Verfügung stellt?
Schäuble: Ja nun, die Rolle des Gastgebers geht natürlich über die Zurverfügungstellung der Räumlichkeiten schon hinaus. Man kann schon ein Stück weit Klima und Ablauf der Konferenz bestimmen, so dass das eine wichtige Verantwortung ist. Und es geht ja nun in der Tat darum - das wird schwierig sein, ich weiß auch nicht, ob das auf der Konferenz schon erreicht wird, aber es ist sicherlich ein erster Schritt -, zu verhindern, dass in Afghanistan das Elend der letzten Jahrzehnte weitergeht - dass das eine grausame Regime beseitigt ist, und dann kommt das nächste Regime, und das ist auch nicht besser. Dieses Land braucht Frieden. Und dieses Land, in dem ja die Verhältnisse schon vor dem 11. September so trostlos waren wie kaum irgendwo auf der Welt, das braucht nicht nur Frieden, sondern das braucht dann auch die Zusammenarbeit all der zerstrittenen Stämme, damit eine Voraussetzung geschaffen wird, dass man auch mit internationaler Hilfe den Menschen in diesem Land eine Perspektive für ein Leben in einer menschenwürdigen Zukunft überhaupt geben kann.
Detjen: Herr Dr. Schäuble, SPD und Grüne haben auf den beiden Parteitagen, die jetzt zurückliegen, ihre 'K'-Fragen, die Koalitionsfragen, eindeutig beantwortet. Die 'K'-Frage - die Kandidatenfrage der Union ist noch offen. Wäre die CDU eigentlich unter dieser Voraussetzung in der Lage gewesen, jetzt - aus dem Stehgreif - innerhalb von wenigen Tagen in einen Wahlkampf zu starten, wenn die rot-grüne Koalition an diesem oder am vorvergangenen Wochenende zerbrochen wäre?
Schäuble: Aber ja. Schauen Sie, CDU und CSU sind ja eine Gemeinschaft von zwei Parteien. Wir können nur gemeinsam erfolgreich sein, auch in einem Wahlkampf. Also müssen wir uns verständigen. Das hat viel Zeit, denn die Wahl ist im September nächsten Jahres. Und man weiß ja, dass es gar nicht gut ist, wenn man Personalfragen zu lange vor Wahlen entscheidet. Aber wenn sich die Notwendigkeit stellen würde, schnell zu entscheiden, würden sich die beiden Parteien verständigen. Wir haben ja seit langem gesagt: Die beiden Vorsitzenden werden einen gemeinsamen Vorschlag machen, und wenn sie den Vorschlag richtig machen, woran ich nicht zweifle, wird er eine große Zustimmung finden. Das kann auch sehr schnell gehen.
Detjen: Sie sind da selbst ins Gespräch gebracht worden. Sie haben das, soweit ich das verstanden habe, auch nie zurückgewiesen, dass Sie bereit sein könnten, die Rolle des Kanzlerkandidaten zu übernehmen. Könnten Sie sich vorstellen, das zu tun, wenn die Zeit dann mal irgendwann im nächsten Jahr reif dafür ist?
Schäuble: Nun, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mich an einer Debatte jetzt darüber beteilige, wo wir hier sagen, wir führen diese Debatte nicht. Das macht doch keinen Sinn. Ich glaube, es ist übrigens auch falsch - wir haben es jetzt gerade bei Rot-Grün festgestellt. Wir müssen aufpassen, dass die Menschen in unserem Lande nicht den Eindruck gewinnen - oder dass er sich noch verstärkt, soweit er vorhanden sein sollte -, die Politiker würden sich immer nur mit ihren eigenen Interessen, Posten, Ämtern und Ambitionen beschäftigen und nicht mit dem, was für die Zukunft des Landes wichtig ist oder was die Menschen interessiert. Und deswegen lehne ich es einfach ab, zum falschen Zeitpunkt die falschen Debatten zu führen. Wir haben jetzt eine Bedrohung von Frieden und Sicherheit, wir haben eine dramatisch schlecht wirtschaftliche Lage, eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, und da sollen die Politiker - verdammt noch mal - nicht nur immer ihre üblichen Spiele spielen, sondern sie sollen sich um die wirklich zentralen Sorgen der Menschen und die Aufgaben für unser Land kümmern.
Detjen: Lassen Sie mich, Herr Dr. Schäuble, dennoch eine weitere Frage zu Ihrer Person stellen, in der es nicht um ein übliches Spiel geht. Anfang des Monats hat die Staatsanwaltschaft Berlin das Ermittlungsverfahren eingestellt, das für Sie wahrscheinlich quälend lange gegen Sie und Ihre ehemalige Schatzmeisterin Brigitte Baumeister lief. Für Sie persönlich ist das jetzt sicherlich zunächst mal auch eine Erleichterung. Aber ergeben sich daraus auch politische Konsequenzen für die Rolle Wolfgang Schäubles in der Fraktion, in der Partei?
Schäuble: Nein. Ich glaube, die allermeisten Menschen haben sowieso, soweit sie die Dinge überhaupt verfolgt haben, ja verstanden, dass ich Opfer einer merkwürdigen Geschichte gewesen bin. Die Staatsanwaltschaft musste ihre Pflicht tun; sie hat sie sehr gründlich getan, das musste sehr lange gehen. Aber sie hat auch - obwohl sie sogar einen Menschen, der ja nun als notorischer Verleumder sich seit fünf Jahren einem internationalen Haftbefehl durch Flucht entzieht, eine Woche lang vernommen hat, ist sie zu dem Ergebnis gekommen: Es gibt keinen Anhaltspunkt für ein Ermittlungsverfahren gegen mich. Deswegen hat sie es eingestellt, und deswegen bin ich von der Geschichte nun wirklich unbelastet.
Detjen: Herr Schäuble, Personen sind ja durchaus auch mit Programmen verbunden. Als Angela Merkel zur Vorsitzenden der CDU gewählt wurde, war das ja sehr deutlich der Fall. Sie stand für den Anspruch einer Erneuerung der CDU. Ist die CDU heute oder ist sie nächstes Wochenende, wenn sie sich in Dresden zu ihrem Parteitag trifft, eine 'neue' Partei?
Schäuble: Nein, wir sind nicht eine neue Partei, aber wir sind eine Partei, die beständig auf der Grundlage ihrer gefestigten und auch bewährten Überzeugungen und Wertvorstellungen Antworten auf sich verändernde Fragen stellt. Unsere Lebensverhältnisse verändern sich ja in einem rasanten Tempo - Globalisierung, Internet sind so Stichworte. Deswegen müssen wir auf neue Fragen auch neue Antworten finden. Das haben wir in diesen Jahren der Opposition sehr gut getan. Wir sind die erste große politische Gruppierung, die ein geschlossenes und überzeugendes Konzept für die Begrenzung von Zuwanderung und für die Integration der bei uns lebenden Menschen vorgelegt hat. Wir haben . . .
Detjen: . . . aber wenn ich da einhaken darf: Da hatten Sie tatsächlich die Nase vorn, aber inzwischen besteht ja die Gefahr, dass die Union gerade in der Frage auch wieder in die Rolle des Blockierers gedrängt wird.
Schäuble: Nein, überhaupt nicht. Herr Schily hat ja unser Konzept gelobt. Also, wenn er seinen eigenen Überzeugungen, die er geäußert hat, treu bleibt, gibt es eine klare Mehrheit für ein Konzept, das ja dann wesentlich mehr dem entspricht, was die Union vorgelegt hat. Wir sind übrigens auch in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik viel besser aufgestellt. Wir haben klare Konzepte, und jedermann weiß: Wenn die Politik der Union verwirklicht würde, wären wir in der wirtschaftlichen Entwicklung nicht Schlusslicht in Europa. Wir haben unser familienpolitisches Programm, um ein anderes Beispiel zu nennen, aktualisiert in diesen Jahren, was auch notwendig war - die Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Tätigkeit von Männer und Frauen tatsächlich zu verbessern. Da hatten wir noch Defizite. Wir haben in Schul- und Hochschulpolitik hervorragende programmatische Arbeit in diesen Jahren geleistet. Das heißt, wir haben den Auftrag als Opposition 1998 im Wahlergebnis angenommen, wir haben die Zeit als Opposition genutzt, und wir sind gut darauf vorbereitet, Regierungsverantwortung für unser Land zu tragen.
Detjen: Die Regierung, die aber im Augenblick im Amt ist, macht es Ihnen nicht gerade leicht. Wenn man auf das Thema 'innere Sicherheit' blickt, da hat Otto Schily Ihnen über lange Zeit die Schau gestohlen. Und wenn man auch auf andere Themen schaut: Etwa die Gendebatte, die uns im Frühsommer lange beschäftigt hat, die im Moment etwas in den Hintergrund getreten ist - da ist die CDU, obwohl es da ja um etwas so Zentrales, wie auch ein christliches Menschenbild geht, auch nicht viel schlauer als die anderen.
Schäuble: Also, lassen Sie mich zur inneren Sicherheit sagen: Die Tatsache, dass Herr Schily endlich das für richtig hält, was wir immer vertreten haben - was er übrigens immer bekämpft hat. Das ist ja so bemerkenswert, dass er sich für 'Law and Order' ausspricht, dafür hat man uns noch vor ein paar Jahren diffamiert - das macht die Sache ja nicht falsch, aber die Menschen sind klug genug um zu wissen: Für innere Sicherheit hat immer die Union verlässlich gestanden. Es ist gut, dass wenigstens jetzt Herr Schily ein bisschen zur rechten Einsicht kommt, aber die größere Kompetenz hat die Union.
Detjen: Herr Dr. Schäuble, letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort: Wie lang muss die CDU/CSU in der Opposition bleiben, wenn es im Herbst - worauf ja vieles zuläuft - zu einer sozialliberalen Koalition kommt?
Schäuble: Nun, jede Legislaturperiode dauert vier Jahre. Aber ich bin ziemlich sicher, dass wir stärkste Fraktion werden bei der Bundestagswahl, wann immer sie sein wird. Und dann werden wir auch die Regierung stellen.
Detjen: Vielen Dank Herr Dr. Schäuble.
Detjen: . . . aber da gab es doch schon einmal eine intensive Debatte über die Frage: Wie stehen die Grünen zum Einsatz bewaffneter Einheiten, das kann man ihnen doch nicht vorwerfen . . .
Schäuble: Eigentlich war es doch klar. Die Grünen haben gesagt: 'Wir wollen das eigentlich nicht, aber wir wollen an der Regierung bleiben' - aus Gründen, die ja in Ordnung sind oder die man jedenfalls als Grüner so sehen kann - 'und deswegen müssen wir das mittragen'. Das war nicht die Entscheidung, dass sie es mittragen, weil sie es für richtig halten, sondern das war die Entscheidung, sie müssen es mittragen, weil sie an der Regierung sind und bleiben wollen. Wie will man eigentlich den Menschen in unserer Bevölkerung klarmachen, dass diese Entscheidung richtig ist, wenn man sie damit begründet, dass man gerne an der Regierung bleiben möchte. Das ist das, was mich an dieser Debatte wirklich ärgert, denn wir hätten seit dem 11. September wirklich Grund, ein wenig ernsthafter die politische Diskussion zu führen.
Detjen: Aber wie gesagt, es ist ja nicht so, dass die Grünen sich mit der Frage 'Krieg, Bundeswehreinsatz' nicht beschäftigt hätten. Kann man es ihnen übelnehmen, dass diese Partei da mit sich selber gerungen hat?
Schäuble: Nein, das nehme ich niemandem übel. Ich finde, jeder, der sich mit der Frage beschäftigt, muss ja mit sich ringen - jeder einzelne, jede Gruppe, auch jede Partei. Das nehme ich überhaupt nicht übel, da würden Sie mich falsch verstehen. Was ich übel nehme, ist die Begründung für die Entscheidung, selbst beim Außenminister. Der hat zwar auch in seiner Rede immer gesagt, was für die Entscheidung spricht, sich mit Amerikanern, Briten, anderen, mit der zivilisierten Völkergemeinschaft, mit den Vereinten Nationen gemeinsam am Kampf gegen den Terrorismus zu beteiligen. Aber letzten Endes war seine Begründung auch: 'Wenn Ihr wollt, dass wir an der Regierung bleiben, dann müsst Ihr das jetzt machen'. Also, es ging nicht um die Frage, ob es richtig ist oder falsch, sondern es ging um die Frage: Wollen die Grünen an der Regierung bleiben oder nicht. Ich sage noch einmal, wir müssen ein wenig aufpassen. Wir muten ja unserer Bevölkerung wirklich schwere Entscheidungen zu, und die müssen wir doch richtig begründen. Und die Begründung kann doch nicht sein, dass irgend jemand gerne an der Regierung sein und bleiben möchte. Die Begründung kann doch nur sein, dass es keinen besseren, sichereren Weg gibt für die Zukunft der Menschen in unserem Lande, Bedrohungen möglichst auszuschließen, den Frieden in der Welt zu erhalten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat ja von einer Gefahr für den Weltfrieden gesprochen, darum geht es - und nicht um die Frage, ob Rot-Grün zusammenhält, ob Herr Trittin Minister bleibt oder nicht. Das ist wichtig für Herrn Trittin, aber nicht für die Menschen.
Detjen: Diese Frage hat sich aber auch für die Union nochmal in dem Moment anders gestellt, als der Bundeskanzler die Sachfrage über Krieg und Bundeswehreinsatz mit der Kanzlerfrage - mit der Vertrauensfrage - verknüpft hat. Auch die Union hat dann in dem Moment bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestag die außenpolitische Erwägung von großer internationaler Tragweite einer rein innenpolitischen Machtfrage unterworfen.
Schäuble: Ja, gut. Aber ich meine, die Vertrauensfrage war dominierend in der Abstimmung, deswegen braucht es ja auch eine andere Mehrheit. Es brauchte ja eben nicht nur die einfache Mehrheit im Bundestag, sondern die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Das Dominierende ist die Vertrauensfrage, die der Bundeskanzler stellt. Er darf sie stellen, nur damit wird es nicht mehr eine Abstimmung über die Sache, sondern eine Abstimmung über den Bestand der Regierung. Und das habe ich auch für falsch gehalten, weil wir damit nicht mehr in der Sache debattiert . . .
Detjen: . . . dann liegt der Fehler aber aus Ihrer Sicht allein beim Kanzler und nicht bei den Grünen, die sich dann genau den gleichen Erwägungen angeschlossen haben wie Sie . . .
Schäuble: Ja gut, den Fehler hat der Kanzler gemacht, und die Grünen haben das erst kritisiert, dass er es gemacht hat, und sie haben es jetzt auf ihrem Parteitag genauso gemacht.
Detjen: Hätten sie es anders machen können?
Schäuble: Ich hätte es für richtig gefunden, wir hätten im Bundestag gesagt - das ist eine Frage, die den Deutschen nicht leicht fällt, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung und etwas mehr als 50 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs -: 'Lass uns hier nicht einfach nur entlang der Mehrheiten von Koalition und Opposition diskutieren und entscheiden, sondern lass es uns mit einer breiten Mehrheit machen'. So hat es übrigens die frühere Regierung gemacht. Volker Rühe hat immer Wert darauf gelegt, dass man für Entscheidungen über Einsätze - in Bosnien damals - eine breite Mehrheit im Bundestag hat. Den Weg hat der Bundeskanzler mit seiner Entscheidung verstellt, und das habe ich für falsch gehalten. Und jetzt haben die Grünen auf ihrem Parteitag dasselbe noch einmal gemacht.
Detjen: Wie wäre dann, wenn es die Verknüpfung mit der Machtfrage Schröders nicht gegeben hätte, die Diskussion in der Union verlaufen? Wäre das dann noch einmal ähnlich gewesen, wie etwa vor dem Mazedonieneinsatz? Hätte die Union dann - wie jetzt - geschlossen gestimmt?
Schäuble: Wir hätten sicherlich mit der ganz großen Mehrheit dafür gestimmt, aber wir hatten uns auch in den Beratungen in der Fraktion, in den Arbeitsgruppen, in dem Auswärtigen Ausschuss, dem ich angehöre, die Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir haben über Wochen - auch seit dem 11. September - über diese Fragen sehr intensiv um die Sache gerungen, und ich glauben nicht, dass wir hundertprozentig geschlossen abgestimmt hätten. Aber es hätte im Bundestag sicherlich eine Mehrheit - na, sagen wir mal von 80 Prozent aller Abgeordneten gegeben. Und das wäre ja für die Soldaten beispielsweise, für ihre Familien, aber auch für die Bevölkerung insgesamt besser gewesen als jetzt diese Mehrheit von zwei Stimmen, von der jeder weiß: Es ist keine Mehrheit in der Sache, sondern es ist nur mit dem Gewürge zusammengekommen, dass andernfalls die Regierung auseinander gebrochen wäre, was wahrscheinlich auch nicht das Schlimmste für unser Land gewesen wäre.
Detjen: Herr Dr. Schäuble, viele Grüne haben sich ja - und das ist auch auf dem Parteitag jetzt deutlich geworden - deswegen schwer mit dieser Entscheidung getan, weil sie gesagt haben: Da tut sich ein Gegensatz vom politischen Pragmatismus und Gewissen auf. Es sei um eine Gewissensfrage gegangen, haben viele gesagt. Welche Rolle hat für Sie, als Sie am vorletzten Freitag im Bundestag abgestimmt haben, das Gewissen des Abgeordneten Wolfgang Schäuble gespielt?
Schäuble: Ja gut, wenn man in Opposition ist - und die Wähler haben das ja entschieden -, dann muss man, wenn die Regierung die Vertrauensfrage stellt, nicht lange nachdenken. Dann kann die Opposition gar nicht anders, als mit 'nein' stimmen. Das hat übrigens der Bundeskanzler in der Debatte selbst richtig gesagt. Wenn wir in der Sache entschieden hätten - wir hatten ja auch Anträge in der Sache gestellt und zugestimmt mit Entschließungsanträgen -, da finde ich eben die Debatte, die Sie jetzt beschrieben haben, zwischen Pragmatismus und Gewissen - da fängt das Übel an. Ich habe mir - und ich glaube, die allermeisten Kollegen vermutlich in allen Fraktionen des Bundestages - ja die Entscheidung nicht leicht gemacht. Man prüft sich seit dem 11. September: Was muss man tun? Meine Überzeugung ist: Diese Gefahr bedroht uns alle. Es geht nicht nur um Solidarität mit Amerika, wir sind alle bedroht. Und wenn es eine Gefahr für den Weltfrieden ist, wie die Vereinten Nationen gesagt haben - ja, wenn der Weltfrieden verlorengeht, dann trifft es uns alle. Deswegen ist die fürchterlich schwierige Frage: Was kann getan werden, was ist der beste Weg, um diese Gefahr so klein wie möglich zu halten. Und da glaube ich, dass es keine bessere Alternative gibt, als so begrenzt, wie es jetzt geschieht, auch militärische Mittel einzusetzen. Sie sind nicht das einzige; es wird in Afghanistan nicht zu Ende sein, man muss die nachrichtendienstlichen Mittel, die Kontrolle der Finanzströme, die Zusammenarbeit der Polizeien und im eigenen Lande die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen verstärken. Das alles ist notwendig, aber wir können auf den Einsatz militärischer Mittel auch nicht verzichten. Und das ist eine Gewissensentscheidung.
Detjen: Zu diesem ganzen Dilemma ist es ja nur deswegen gekommen, weil das Bundesverfassungsgericht 1994 in seiner Entscheidung festgelegt hat, dass bewaffnete Einsätze der deutschen Streitkräfte nur mit Zustimmung des Bundestages erfolgen dürfen. Und die Karlsruher Richter haben gesagt, dass der Bundestag damit auch die Verantwortung für diesen Einsatz trägt. Trägt die Union, tragen Sie persönlich diese Verantwortung mit, obwohl Sie in der Abstimmung - in der verknüpften Abstimmung - dagegen gestimmt haben?
Schäuble: Ja, wir tragen sie mit. Wir haben ja beispielsweise im Ausschuss, in den Ausschussberatungen - es wird ja über eine Beschlussempfehlung des Ausschusses abgestimmt -, haben wir ja zugestimmt. Wir haben in den Entschließungsanträgen klar gemacht, dass wir in der Sache mittragen. Wir werden uns da auch nicht 'in die Büsche schlagen', das ist nicht die Haltung der Union. Die Union hat - wie wohl Opposition - nach dem 11. September sehr klar gemacht, dass wir in einer so ernsten Zeit nicht in erster Linie daran denken, was nützt diese Geschichte wem parteipolitisch, sondern dass wir in dieser Frage wirklich sagen: Es kommt jetzt zuerst vor allem darauf an, das Richtige für unser Land zu tun, unseren Beitrag auch als Opposition zu leisten, die Regierung auch dort, wo sie es nach unserer Überzeugung es richtig macht, sie zu unterstützen - das tun wir ja im Grundsatz auch -, dort, wo sie in der Gefahr ist, Fehler zu begehen, sie auch zu korrigieren, notfalls auch durch Rat und Kritik zu helfen. Das ist jetzt wichtig. Und diese Aufgabe haben wir auch erfüllt, und deswegen werden wir uns auch weiterhin unserer Verantwortung stellen.
Detjen: Sie sagen, es geht um Unterstützung der Bundesregierung. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dagegen heißt es: Die Bundeswehr ist ein Parlamentsheer; das Parlament trägt die Entscheidung über Einsatz oder Nichteinsatz. Ist diese gedankliche Konstruktion eigentlich noch haltbar, wenn man diesen Beschluss, den der Bundestag jetzt gefasst hat, genau anschaut - wenn es um einen Einsatzraum geht, der den halben Globus umfasst, um einen Zeitraum von zwölf Monaten? Auch der Bundeskanzler spricht da immer nur von 'Bereitstellung' und sagt, die Entscheidung eigentlich behält er sich vor. Also, ist diese gedankliche Konstruktion des Verfassungsgerichts noch zeitgemäß, noch haltbar?
Schäuble: Das Verfassungsgericht hat ja selber gesagt, dass die Frage, wie genau sich Regierung und Parlament die Verantwortung teilen sollen oder wie sie aufgeteilt werden soll, eigentlich am besten durch ein Gesetz geregelt werden sollte. Deswegen habe ich auch im August vorgeschlagen - schon vor den Anschlägen -, durch ein Gesetz das zu regeln, denn so, wie wir bisher es gemacht haben, geht es ja nicht. So detailliert wie bei den früheren Einsätzen - noch im Kosovo -, kann der Bundestag das nicht beschließen. Jetzt hat er das in einem sehr weiten Spielraum der Regierung gegeben. Das muss in einer solchen Lage so sein, obwohl ich selber Zweifel habe, dass es richtig ist, dass der Bundestag zwölf Monate lang eigentlich rein formal den Beschluss gar nicht mehr zurückholen kann - nur auf Initiative der Regierung. Darüber ist ja noch in der Debatte gesprochen worden. Insofern glaube ich, wir müssen das genauer abstimmen. Und deswegen sollten wir ein solches Gesetz machen. Der Bundestag muss in die Verantwortung, in die Entscheidung eingebunden sein. Aber im parlamentarischen Regierungssystem ist die Regierung ohnedies von der Mehrheit im Bundestag abhängig. Hat sie keine Mehrheit im Bundestag, ist nicht mehr lange Regierung. Wir müssen uns beispielsweise auch die noch schwierigere Frage stellen, die haben wir noch gar nicht diskutiert: Wie machen wir es eigentlich in unserem Verhältnis zur Integration in der Europäischen Union - wie innerhalb der NATO? Können wir wirklich jetzt einfach sagen: Na ja gut, die beschließen in der NATO oder die beschließen in der Europäischen Union - die NATO ist ja hier nicht betroffen -, aber wir behalten uns dann vor, im Bundestag oder wo immer noch einmal zu entscheiden. Bei 17 Mitgliedsländern in der NATO oder 15 in der Europäischen Union wird das ziemlich kompliziert. Und deswegen müssen wir diese Fragen 'Parlamentsbeteiligung' auch noch einmal unter der Gesichtspunkt der notwendigen internationalen Integration bedenken. Das wird eine noch schwierigere Debatte werden.
Detjen: Warum hat es dieses Gesetz, das die Karlsruher Richter ja angeregt haben, eigentlich nie gegeben - auch in der Zeit nicht, als die Union an der Regierung war, als Sie Fraktionsvorsitzender von CDU und CSU im Bundestag waren?
Schäuble: Also, wir haben ja diese Entscheidung - und diese Entscheidung ist, wenn ich es richtig weiß, von 1994 -, und wir hatten ja in der Zeit ziemlich Mühe, überhaupt eine Zustimmung der Opposition zu bekommen. Ein solches Gesetz kann man nicht mit der Mehrheit nur der Regierung machen, auch da braucht man eine breite Mehrheit. Rot-Grün in der Opposition war nicht in der Lage, an einem solchen Gesetz konstruktiv mitzuwirken. Deswegen habe ich ja gesagt, jetzt könnte man es machen - Rot-Grün in der Regierung, eine Opposition, die sich ihrer Verantwortung nicht entzieht; da könnte man ein solches Gesetz zustande bringen. Man muss sich ja nur einen Moment überlegen, was wäre in Deutschland los, wenn alles genau so wäre weltpolitisch, wie es jetzt ist, nur wir hätten noch die Regierung, die wir bis 1998 hatten und SPD und Grüne wären in der Opposition. Wir hätten völlig andere Stimmung in unserem Lande. Und das zeigt, dass jetzt die Chance, wo wir eine verantwortliche Opposition haben, für ein solches Gesetz groß ist. Deswegen sollte man sie auch nutzen.
Detjen: Herr Dr. Schäuble, es kommen jetzt Meldungen aus den USA, nachdem dort angeblich überlegt wird, den Kampf - den Krieg - gegen den internationalen Terrorismus auszuweiten. Es ist von Somalia, von Sudan, von Jemen die Rede. Kann und sollte sich Deutschland daran beteiligen?
Schäuble: Deutschland wird sich im Rahmen seiner Möglichkeiten am Kampf gegen den Terrorismus weltweit beteiligen müssen. Das haben wir ja auch gesagt. Wir haben ja nicht gesagt, wir beteiligen uns nur in Afghanistan; wir führen ja keinen Krieg gegen Afghanistan. Wir beteiligen uns am Kampf gegen den Terrorismus, und was nötig und möglich ist, muss getan werden. Es hat wenig Sinn zu spekulieren, insbesondere wenn man als Mitglied der Opposition gar keine speziellen oder vertieften Kenntnisse hat. Ich halte nichts von Spekulationen, aber ich . . .
Detjen: . . . die Frage kann sich ja sehr schnell sehr konkret stellen . . .
Schäuble: . . . ja, wenn sie sich stellt, muss man genau wieder prüfen: Ist es notwendig, ist es angemessen und richtig? Und es kann sehr wohl sein, dass der Kampf gegen den Terrorismus sich nicht nur Afghanistan beschränkt. Das fürchte ich, dass das richtig ist.
Detjen: Also, keine bedingungslose Solidarität?
Schäuble: Na, wir werden immer bei jeder einzelnen Entscheidung zu prüfen haben, ob sie richtig ist. Wenn wir entscheiden müssen, müssen wir ja unserer Verantwortung gerecht werden. 'Bedingungslose Solidarität' - das sind alles so Begriffe; wir geben ja nicht unseren Verstand und unsere eigene Verantwortung an der Garderobe ab. Aber ich sage noch einmal: Mir geht es gar nicht nur um Solidarität mit Amerika, sondern es geht um die gemeinsame Bekämpfung einer Bedrohung unserer Sicherheit und einer Bedrohung des Friedens in der Welt. Und da tun die Amerikaner so sehr für uns einen Gefallen, wie wir ihnen Solidarität leisten.
Detjen: Aber nochmal nachgefragt: Wie verstehen Sie den Beschluss, den der Bundestag gefasst hat. Würde der einen Einsatz, etwa in Somalia, eine Bereitstellung deutscher Streitkräfte abdecken, oder wäre das - so ist das ja auf dem Grünen Parteitag dargestellt worden jetzt - nicht der Fall? Müsste da der Bundestag nochmal neu beschließen?
Schäuble: Nein, der Beschluss des Bundestages ist ja insoweit eindeutig, als er sagt: In anderen Ländern als Afghanistan können Soldaten der Bundeswehr auf der Grundlage dieses Beschlusses nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung eingesetzt werden. Nun gibt es das Problem - das hat eine Rolle gespielt -, dass es in Somalia gar keine Regierung gibt. Aber wenn es keine Regierung gibt, kann sie auch nicht zustimmen. Und deswegen musste die Bundesregierung ja auch klarstellen - ich glaube, sie hatte es ursprünglich anders sich vorgestellt, aber sie musste klarstellen aufgrund unserer Fragen, dass, wenn es keine Regierung gibt, kann sie auch nicht zustimmen. Und deswegen erlaubt dieser Beschluss - ohne Zustimmung einer Regierung - eben nicht, dass die Bundeswehr tätig wird. Da müsste ein neuer Beschluss gefasst werden.
Detjen: Am Montag beginnt in Bonn auf dem Petersberg die Afghanistankonferenz der Vereinten Nationen. Welche Rolle kann Deutschland da spielen, außer der Rolle des Gastgebers, der die Räumlichkeiten für die Konferenzteilnehmer zur Verfügung stellt?
Schäuble: Ja nun, die Rolle des Gastgebers geht natürlich über die Zurverfügungstellung der Räumlichkeiten schon hinaus. Man kann schon ein Stück weit Klima und Ablauf der Konferenz bestimmen, so dass das eine wichtige Verantwortung ist. Und es geht ja nun in der Tat darum - das wird schwierig sein, ich weiß auch nicht, ob das auf der Konferenz schon erreicht wird, aber es ist sicherlich ein erster Schritt -, zu verhindern, dass in Afghanistan das Elend der letzten Jahrzehnte weitergeht - dass das eine grausame Regime beseitigt ist, und dann kommt das nächste Regime, und das ist auch nicht besser. Dieses Land braucht Frieden. Und dieses Land, in dem ja die Verhältnisse schon vor dem 11. September so trostlos waren wie kaum irgendwo auf der Welt, das braucht nicht nur Frieden, sondern das braucht dann auch die Zusammenarbeit all der zerstrittenen Stämme, damit eine Voraussetzung geschaffen wird, dass man auch mit internationaler Hilfe den Menschen in diesem Land eine Perspektive für ein Leben in einer menschenwürdigen Zukunft überhaupt geben kann.
Detjen: Herr Dr. Schäuble, SPD und Grüne haben auf den beiden Parteitagen, die jetzt zurückliegen, ihre 'K'-Fragen, die Koalitionsfragen, eindeutig beantwortet. Die 'K'-Frage - die Kandidatenfrage der Union ist noch offen. Wäre die CDU eigentlich unter dieser Voraussetzung in der Lage gewesen, jetzt - aus dem Stehgreif - innerhalb von wenigen Tagen in einen Wahlkampf zu starten, wenn die rot-grüne Koalition an diesem oder am vorvergangenen Wochenende zerbrochen wäre?
Schäuble: Aber ja. Schauen Sie, CDU und CSU sind ja eine Gemeinschaft von zwei Parteien. Wir können nur gemeinsam erfolgreich sein, auch in einem Wahlkampf. Also müssen wir uns verständigen. Das hat viel Zeit, denn die Wahl ist im September nächsten Jahres. Und man weiß ja, dass es gar nicht gut ist, wenn man Personalfragen zu lange vor Wahlen entscheidet. Aber wenn sich die Notwendigkeit stellen würde, schnell zu entscheiden, würden sich die beiden Parteien verständigen. Wir haben ja seit langem gesagt: Die beiden Vorsitzenden werden einen gemeinsamen Vorschlag machen, und wenn sie den Vorschlag richtig machen, woran ich nicht zweifle, wird er eine große Zustimmung finden. Das kann auch sehr schnell gehen.
Detjen: Sie sind da selbst ins Gespräch gebracht worden. Sie haben das, soweit ich das verstanden habe, auch nie zurückgewiesen, dass Sie bereit sein könnten, die Rolle des Kanzlerkandidaten zu übernehmen. Könnten Sie sich vorstellen, das zu tun, wenn die Zeit dann mal irgendwann im nächsten Jahr reif dafür ist?
Schäuble: Nun, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mich an einer Debatte jetzt darüber beteilige, wo wir hier sagen, wir führen diese Debatte nicht. Das macht doch keinen Sinn. Ich glaube, es ist übrigens auch falsch - wir haben es jetzt gerade bei Rot-Grün festgestellt. Wir müssen aufpassen, dass die Menschen in unserem Lande nicht den Eindruck gewinnen - oder dass er sich noch verstärkt, soweit er vorhanden sein sollte -, die Politiker würden sich immer nur mit ihren eigenen Interessen, Posten, Ämtern und Ambitionen beschäftigen und nicht mit dem, was für die Zukunft des Landes wichtig ist oder was die Menschen interessiert. Und deswegen lehne ich es einfach ab, zum falschen Zeitpunkt die falschen Debatten zu führen. Wir haben jetzt eine Bedrohung von Frieden und Sicherheit, wir haben eine dramatisch schlecht wirtschaftliche Lage, eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, und da sollen die Politiker - verdammt noch mal - nicht nur immer ihre üblichen Spiele spielen, sondern sie sollen sich um die wirklich zentralen Sorgen der Menschen und die Aufgaben für unser Land kümmern.
Detjen: Lassen Sie mich, Herr Dr. Schäuble, dennoch eine weitere Frage zu Ihrer Person stellen, in der es nicht um ein übliches Spiel geht. Anfang des Monats hat die Staatsanwaltschaft Berlin das Ermittlungsverfahren eingestellt, das für Sie wahrscheinlich quälend lange gegen Sie und Ihre ehemalige Schatzmeisterin Brigitte Baumeister lief. Für Sie persönlich ist das jetzt sicherlich zunächst mal auch eine Erleichterung. Aber ergeben sich daraus auch politische Konsequenzen für die Rolle Wolfgang Schäubles in der Fraktion, in der Partei?
Schäuble: Nein. Ich glaube, die allermeisten Menschen haben sowieso, soweit sie die Dinge überhaupt verfolgt haben, ja verstanden, dass ich Opfer einer merkwürdigen Geschichte gewesen bin. Die Staatsanwaltschaft musste ihre Pflicht tun; sie hat sie sehr gründlich getan, das musste sehr lange gehen. Aber sie hat auch - obwohl sie sogar einen Menschen, der ja nun als notorischer Verleumder sich seit fünf Jahren einem internationalen Haftbefehl durch Flucht entzieht, eine Woche lang vernommen hat, ist sie zu dem Ergebnis gekommen: Es gibt keinen Anhaltspunkt für ein Ermittlungsverfahren gegen mich. Deswegen hat sie es eingestellt, und deswegen bin ich von der Geschichte nun wirklich unbelastet.
Detjen: Herr Schäuble, Personen sind ja durchaus auch mit Programmen verbunden. Als Angela Merkel zur Vorsitzenden der CDU gewählt wurde, war das ja sehr deutlich der Fall. Sie stand für den Anspruch einer Erneuerung der CDU. Ist die CDU heute oder ist sie nächstes Wochenende, wenn sie sich in Dresden zu ihrem Parteitag trifft, eine 'neue' Partei?
Schäuble: Nein, wir sind nicht eine neue Partei, aber wir sind eine Partei, die beständig auf der Grundlage ihrer gefestigten und auch bewährten Überzeugungen und Wertvorstellungen Antworten auf sich verändernde Fragen stellt. Unsere Lebensverhältnisse verändern sich ja in einem rasanten Tempo - Globalisierung, Internet sind so Stichworte. Deswegen müssen wir auf neue Fragen auch neue Antworten finden. Das haben wir in diesen Jahren der Opposition sehr gut getan. Wir sind die erste große politische Gruppierung, die ein geschlossenes und überzeugendes Konzept für die Begrenzung von Zuwanderung und für die Integration der bei uns lebenden Menschen vorgelegt hat. Wir haben . . .
Detjen: . . . aber wenn ich da einhaken darf: Da hatten Sie tatsächlich die Nase vorn, aber inzwischen besteht ja die Gefahr, dass die Union gerade in der Frage auch wieder in die Rolle des Blockierers gedrängt wird.
Schäuble: Nein, überhaupt nicht. Herr Schily hat ja unser Konzept gelobt. Also, wenn er seinen eigenen Überzeugungen, die er geäußert hat, treu bleibt, gibt es eine klare Mehrheit für ein Konzept, das ja dann wesentlich mehr dem entspricht, was die Union vorgelegt hat. Wir sind übrigens auch in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik viel besser aufgestellt. Wir haben klare Konzepte, und jedermann weiß: Wenn die Politik der Union verwirklicht würde, wären wir in der wirtschaftlichen Entwicklung nicht Schlusslicht in Europa. Wir haben unser familienpolitisches Programm, um ein anderes Beispiel zu nennen, aktualisiert in diesen Jahren, was auch notwendig war - die Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Tätigkeit von Männer und Frauen tatsächlich zu verbessern. Da hatten wir noch Defizite. Wir haben in Schul- und Hochschulpolitik hervorragende programmatische Arbeit in diesen Jahren geleistet. Das heißt, wir haben den Auftrag als Opposition 1998 im Wahlergebnis angenommen, wir haben die Zeit als Opposition genutzt, und wir sind gut darauf vorbereitet, Regierungsverantwortung für unser Land zu tragen.
Detjen: Die Regierung, die aber im Augenblick im Amt ist, macht es Ihnen nicht gerade leicht. Wenn man auf das Thema 'innere Sicherheit' blickt, da hat Otto Schily Ihnen über lange Zeit die Schau gestohlen. Und wenn man auch auf andere Themen schaut: Etwa die Gendebatte, die uns im Frühsommer lange beschäftigt hat, die im Moment etwas in den Hintergrund getreten ist - da ist die CDU, obwohl es da ja um etwas so Zentrales, wie auch ein christliches Menschenbild geht, auch nicht viel schlauer als die anderen.
Schäuble: Also, lassen Sie mich zur inneren Sicherheit sagen: Die Tatsache, dass Herr Schily endlich das für richtig hält, was wir immer vertreten haben - was er übrigens immer bekämpft hat. Das ist ja so bemerkenswert, dass er sich für 'Law and Order' ausspricht, dafür hat man uns noch vor ein paar Jahren diffamiert - das macht die Sache ja nicht falsch, aber die Menschen sind klug genug um zu wissen: Für innere Sicherheit hat immer die Union verlässlich gestanden. Es ist gut, dass wenigstens jetzt Herr Schily ein bisschen zur rechten Einsicht kommt, aber die größere Kompetenz hat die Union.
Detjen: Herr Dr. Schäuble, letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort: Wie lang muss die CDU/CSU in der Opposition bleiben, wenn es im Herbst - worauf ja vieles zuläuft - zu einer sozialliberalen Koalition kommt?
Schäuble: Nun, jede Legislaturperiode dauert vier Jahre. Aber ich bin ziemlich sicher, dass wir stärkste Fraktion werden bei der Bundestagswahl, wann immer sie sein wird. Und dann werden wir auch die Regierung stellen.
Detjen: Vielen Dank Herr Dr. Schäuble.