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Schäuble

DLF: Die CDU sitzt nach 16 Jahren Bundesregierung nun – um ein Wort der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu zitieren – seit einem Jahr im 'Fegefeuer der Opposition‘. Es ist Ihnen als neuer Vorsitzender gelungen, das Personal behutsam zu erneuern; eine Selbstzerfleischung fand nicht statt. Wie, Herr Schäuble, soll es jetzt in der Partei weitergehen?

Michael Groth |
    Schäuble: Wir haben nicht nur uns personell erneuert, sondern wir haben ja auch uns in der Opposition gut eingerichtet, wiedergefunden. Das war ja auch ein Lernprozess. Wir haben eine Reihe von Wahlauseinandersetzungen erfolgreich bestritten, und jetzt müssen wir natürlich daran arbeiten, dass wir die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Regierung verstärken, dass unsere Alternativen stärker wahrgenommen werden. Daran war in den ersten Monaten nach dem Regierungswechsel gar kein so großes Interesse der Öffentlichkeit, weil sich das Interesse auf die neue Regierung und nicht auf die frühere Regierung und neue Opposition konzentrierte. Aber nach der bitteren Enttäuschung über Rot-Grün bei vielen Menschen in unserem Lande wächst das Interesse an den Alternativen der Opposition der Union, und deswegen arbeiten wir jetzt intensiver an inhaltlichen Alternativen – was wir uns ja von vornherein vorgenommen hatten, was wir auf unserem Parteitag in Erfurt schon angekündigt hatten.

    DLF: Nehmen wir mal die neue Leitlinie zur Familienpolitik der CDU. Da heißt es unter anderem: 'Stärkere Berücksichtigung von Gemeinschaften ohne Trauschein sowie von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften‘. Ist das ein gutes Beispiel für die Erneuerung über Inhalte, die Sie meinen?

    Schäuble: Ja gut, das ist ein wenig eine verkürzende Darstellung unseres Familienpapiers, und in der Verkürzung gibt’s ja einen falschen Eindruck von dem Papier wieder. Worum es uns geht, ist ja, dass wir sagen - das ist die generelle Aufgabe in der Opposition nach unserem Verständnis. Wir müssen auf der Grundlage unserer grundlegenden Werte, von denen wir überzeugt sind, die wir auch nach der Wahlniederlage und dem Regierungswechsel im vergangenen Jahr nicht aufgegeben haben - auf dieser Grundlage müssen wir Antworten für sich verändernde soziale Wirklichkeiten finden. Wir bleiben davon überzeugt – das wird ja auch in diesem Antrag ganz klar ausgeführt –, dass Ehe und Familie grundsätzlich die besten Formen sind – Institutionen –, in denen wir Solidarität zwischen Generationen organisieren können. Deswegen halten wir daran fest. Aber wir müssen auf der anderen Seite zur Kenntnis nehmen, dass die Lebenswirklichkeit vielfältiger geworden ist. Und da wir ja nun ein grundsätzliches Verständnis einer wertegebundenen Freiheit haben, heißt das auch Toleranz. Und deswegen sagen wir – auch wenn wir unsere Vorstellungen, Leitbilder, Wertvorstellungen haben –, so müssen wir doch auch zur Kenntnis nehmen, dass Menschen unterschiedlich leben wollen, tatsächlich leben. Und wir müssen Antworten finden, wie wir Toleranz mit Leitwertvorstellungen verbinden. Und deswegen sagen wir: Wir bleiben davon überzeugt: Ehe und Familie sind die besten Institutionen, aber wir nehmen zur Kenntnis, dass Menschen in unterschiedlichen Lebensformen leben, und wir respektieren das.

    DLF: In dieser Woche beherrschte das Verhältnis der CDU zur PDS ein Teil der Schlagzeilen. Die Union will - dieses Fazit darf man wohl ziehen – die SED-Nachfolgepartei nicht nur verdammen, sondern sich auch inhaltlich mit ihr auseinandersetzen. Um welche Themen soll es denn dabei vor allem gehen?

    Schäuble: Zunächst einmal: Die Debatte dieser Woche zeigt sehr deutlich: Es gibt eben in unserer Medienwirklichkeit künstliche Auseinandersetzungen. In Wahrheit war es etwas, worüber sich alle in der Union einig sind – und es ist ja eigentlich auch eine schiere Selbstverständlichkeit: Wir wollen uns ja nicht der PDS annähern, sondern wir wollen nur noch erfolgreicher mit ihr auseinandersetzen, sie politisch bekämpfen. Und deswegen sagen wir – aber das ist auch nicht neu –: Der Hinweis auf die Vergangenheit der PDS – SED, Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl, Stasi etc. -, der ist zwar weiterhin notwendig, aber erreicht alleine nicht aus. Wir müssen stärker, um die Menschen davon zu überzeugen, dass das falsch ist, PDS zu wählen, uns mit den Inhalten bzw. mit den Lösungsvorschlägen – oder richtiger gesagt – mit den nicht vorhandenen Lösungsvorschlägen der PDS auseinandersetzen. Denn tatsächlich ist es ja so, dass die PDS – und das ist typisch für radikale Parteien – im wesentlichen davon lebt, angebliche oder tatsächliche Missstände zu dramatisieren, zu kritisieren, ohne selber gangbare Wege aufzuzeigen, wie man denn vorhandene Probleme besser lösen könnte. Und das ist das typische Merkmal destruktiver radikaler Parteien. Und das deutlich herauszuarbeiten, das muss uns gelingen. Die Sozialdemokraten haben dabei versagt. Und auch, wenn wir selber in Ostdeutschland ja in diesem Jahr sehr erfolgreich gewesen sind – vor einem Jahr hat man uns noch gesagt, wir hätten Ostdeutschland nach der Bundestagswahl eh‘ keine Chance mehr, inzwischen sind wir klar die stärkste politische Kraft –, aber es gefällt uns nicht, dass die PDS inzwischen auf Platz zwei vorgerückt ist und die SPD nur auf Platz drei. Das war in erster Linie ein Versagen der SPD, aber wir müssen eben im Sinne der Solidarität der Demokraten da ein Stück weit die Arbeit der SPD mit übernehmen in der Auseinandersetzung mit der PDS.

    DLF: Hat Ihre Generalsekretärin, hat Frau Merkel recht, wenn sie fürchtet, die Einheit sei durch das unterschiedliche Parteiengefüge in Ost- und Westdeutschland gefährdet?

    Schäuble: In der Verabsolutierung hat sie es nicht gesagt. Aber natürlich ist klar – und da gibt es sehr viele Diskussionen, jetzt gerade auch im Umfeld des zehnten Jahrestages des Falles der Mauer –: Was uns in Deutschland noch trennt, auch nach zehn Jahren Einheit, ist schon die Tatsache, dass wir – gerade was die PDS anbetrifft – im Wählerverhalten ganz unterschiedliche Strukturen zwischen Ost und West, also zwischen neuen und alten Bundesländern haben, natürlich schon ein Hinweis darauf, dass es noch Trennendes in unserer sozialen Wirklichkeit gibt. Und deswegen ist es wichtig: Je besser es uns gelingt, noch vorhandene Teilungen – Spätwirkungen von 40 Jahren Teilung und Sozialismus in einem Teil Deutschlands – zu überwinden, je besser es uns gelingt, uns in Deutschland insgesamt auf unsere Aufgaben in Gegenwart und Zukunft zu verständigen, umso mehr werden wir das Trennende überwinden. Je mehr das gelingt, die Menschen in eine reale realistische verantwortliche Debatte über tatsächliche Lösungsmöglichkeiten dafür zu interessieren, umso weniger haben radikale Parteien wie die PDS eine Chance, die ja nur in der Negation, aber nicht in konstruktiven Lösungen ihrer Programmatik sich erschöpfen.

    DLF: Die PDS sitzt ja nun in einer Landesregierung, es gibt viele kommunale Bündnisse. Aufgrund der Wahlergebnisse sitzt sie auch in Gremien und Institutionen und sie strebt eine Beteiligung an - wie sie es nennt - gesellschaftlichen Bündnissen an. Die von vielen, auch in der CDU, nach dem Umbruch geäußerte Hoffnung, die PDS erledige sich nach einigen Jahren, trug doch wohl?

    Schäuble: Sie hat sich jedenfalls noch nicht erfüllt. Ich glaube noch immer, wenn die demokratischen Parteien es alle richtig machen, dass wir eine Chance haben, die PDS jedenfalls wesentlich stärker zurückzudrängen, als es bei den letzten Wahlen gelungen ist. Aber das ist in erster Linie schon ein Versäumnis der Sozialdemokraten gewesen. Ich meine, was nun die Zusammenarbeit in Parlamenten anbetrifft, so muss man klar sagen: Als Demokrat muss man Wahlentscheidungen respektieren. Und wenn die Wähler in Wahlentscheidungen entscheiden, dass die PDS im Bundestag ist oder in Landtagen, dann muss man sie an der parlamentarischen Arbeit in dem Rahmen, in dem das die Verfassung gebietet und die Spielregeln der Demokratie, beteiligen. Aber das heißt nicht, dass man sich mit ihr gemein macht oder dass man mit ihr darüber hinaus zusammenarbeiten muss. Deswegen halten wir für falsch, dass die Sozialdemokraten sich eben mit der PDS nicht nur auf parlamentarischer Ebene - unvermeidlich aufgrund von Wählerentscheidungen - zusammen sind, sondern dass sie mit ihr Regierungsverantwortung teilen. Übrigens nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern ja faktisch auch in Sachsen-Anhalt. Und wir glauben, dass diese Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit der PDS, die nicht klare konsistente Haltung der Sozialdemokraten in der Abgrenzung gegenüber der PDS, einer der Gründe ist, warum die PDS stärker bei den letzten Wahlen abgeschnitten hat als sie es hätte müssen, wenn die SPD einen klaren Kurs gefahren wäre.

    DLF: Es geht eben um Wähler, und fast jeder fünfte Ostdeutsche gibt ja inzwischen der PDS seine Stimme. Hoffen Sie denn wirklich, diese Wähler durch Ihre Argumente sofort zur Union zu ziehen? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass zunächst die SPD von denen gestärkt wird, die nicht mehr PDS wählen?

    Schäuble: Also jedenfalls ist mir jeder lieber, der SPD wählt als PDS. Aber jetzt will ich doch einmal sagen, weil Sie sagen, 'jeder Fünfte inzwischen in den neuen Ländern‘ . . .

    DLF: . . . fast jeder Fünfte . . .

    Schäuble: . . . fast jeder Fünfte. Was heißt das? Bei der Wahl zur Volkskammer, bei der einzigen freien Wahl in der damaligen DDR am 18. März 1990, hat auch fast jeder Fünfte damals PDS gewählt. Insofern: Die PDS hat gar nicht soviel absolut zugenommen. Es ist ja auch so, dass ihre Wähleranteile bei den Jungwählern eher unterdurchschnittlich sind, sie lebt eigentlich eher von den Alten. Und man muss ja nun zur Relativierung der Erfolge der PDS immer daran erinnern: Die PDS erringt in Ostdeutschland weniger Stimmen als die SED vor der Wende Mitglieder in der damaligen DDR hatte. Und deswegen bin ich auch nicht ganz so pessimistisch, dass man das Problem nicht lösen kann. Ich hätte mir gewünscht und ich hatte vor neun Jahren gehofft, wir wären heute schon weiter, das ist wahr. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass durch eine Politik der sozialen Marktwirtschaft letzten Endes viele Menschen davon zu überzeugen sind, die heute noch – aus welchen Gründen auch immer, vielleicht auch durch ein Stück weit Nostalgie oder ein Stück weit Verletztheit, weil sie sich in Ostdeutschland noch immer gegenüber Westdeutschland benachteiligt fühlen oder weil ihnen der Westen manchmal zu kalt vorkommt gegenüber ihren Lebenserfahrungen – und dann der Versuchung nicht widerstehen können, PDS zu wählen. Wenn wir daran intensiv arbeiten – glaube ich –, können wir das Problem besser lösen als es bisher gelungen ist.

    DLF: Sie geben mir das Stichwort, Herr Schäuble. Die PDS versucht ja, sich in Ostdeutschland als Partei der sozialen Gerechtigkeit darzustellen. Mit anderen Worten will die CDU – mit Blick auf Gesamtdeutschland natürlich – ja das gleiche, jedenfalls in Abgrenzung zum Schröder-Kurs, der von vielen ja als kalt und gefühllos wahrgenommen wird. Können Sie sich in diesem Zusammenhang dann auch wieder Gemeinsamkeiten zwischen PDS und CDU vorstellen>?

    Schäuble: Nein. Wissen Sie, für soziale Gerechtigkeit sind ja verbal alle, ganz gewiss auch die SPD mit dem Vorsitzenden Schröder und dem Bundeskanzler Schröder. Das sind Überschriften, das sagt gar nichts. Es geht ja um den Weg, wie man das erreicht. Und da muss ich doch schon einmal sagen: Das, was die PDS vorlegt an Programmen, ist ja überhaupt nicht tauglich. Und das, was die PDS zu verantworten hat, dort, wo sie Verantwortung trägt – in Sachsen-Anhalt toleriert sie ja eine Minderheitenregierung der SPD sein 1994, und dort hat sich die soziale Lage nun schlechter als in allen anderen ostdeutschen Ländern entwickelt; in Mecklenburg-Vorpommern wird es, seit Herr Ringstorff zusammen mit der PDS eine Koalition macht, ja auch ganz offensichtlich schlechter. Und wenn man im übrigen sich noch daran erinnert – das wird ja noch erlaubt sein –, was die PDS noch unter dem Namen SED an sozialer Wirklichkeit zu Zeiten der deutschen Teilung zu verantworten hat – die PDS hat sich ja von ihrer Vergangenheit niemals klar distanziert –, dann war das in einem solchen Maße sozial ungerecht, dass eigentlich die PDS das Wort 'soziale Gerechtigkeit‘ gar nicht im Munde führen dürfte. Wer sich noch an Einrichtungen, etwa zur Betreuung von Schwerbehinderten in der ehemaligen DDR erinnert, oder an Altenheime und dergleichen mehr, wer weiß, wie die Privilegien für die Privilegierten im SED-Staat gewesen sind und wie die Menschen insgesamt unterdrückt worden sind und bespitzelt und wie im Grunde, wenn überhaupt, Gleichheit nur darin bestand, dass alle gleich arm waren, von den Privilegierten abgesehen, der sollte eigentlich einer solchen Partei nicht so leicht durchgehen lassen, wenn sie jetzt manche Probleme, die auf einem viel höheren Niveau heute sind, so ausbeutet und so tut, als wäre sie die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Nein, sie ist die Partei, die sich nicht wirklich von ihrer Vergangenheit gelöst hat. Und ihre Lösungsrezepte sind noch immer die einer überwundenen Vergangenheit.

    DLF: Das Ganze ist für die CDU ja auch eine strategische Frage. Grüne und F.D.P. sind nahezu völlig aus der ostdeutschen Landschaft verschwunden, und die Liberalen müssen dieses Schicksal auch in einigen alten Ländern fürchten. Kommen Ihnen langsam die Koalitionspartner abhanden?

    Schäuble: Wir hoffen schon, dass die F.D.P. in der Lage ist, ihre aktuellen Probleme gut zu meistern. Wir sind auch ganz überwiegend der Überzeugung, dass eigentlich für unser Parteiensystem das Überleben der F.D.P. und eine ihre Funktion wahrnehmende F.D.P. durchaus von Vorteil ist. Aber in der parlamentarischen Demokratie ist es wie in der sozialen Marktwirtschaft. Das Prinzip, wie man das organisiert, ist der Wettbewerb. Und im Wettbewerb muss jeder seine eigene Leistung so gut wie möglich bringen. Auch im Sport kann ja eine Mannschaft nicht aus Sympathie mit dem Gegner plötzlich schlechter spielen als sie könnte. Deswegen muss die F.D.P. schon für sich selber sorgen. Im übrigen war es ja so gewesen vor einem Jahr bei der Bundestagswahl: Wir haben die Regierungsverantwortung verloren nicht wegen des schlechten Abschneidens der F.D.P., sondern weil die Union nicht stark genug war. Und deswegen war meine Schlussfolgerung aus dem Wahlergebnis im vergangenen Jahr: Wir als Union müssen stark genug werden. Wenn wir stark genug sind, werden wir auch die nötigen Partner finden. Das hat sich übrigens in Hessen gezeigt und in den anderen Landtagswahlen in diesem Jahr auch.

    DLF: Ein Zeitungsbericht wurde umgehend von allen Beteiligten dementiert, nach dem Arbeitsminister Riester den Kanzler aufgefordert haben soll, die für die kommenden zwei Jahre geplante Erhöhung der Renten nach der Inflationsrate aufzugeben. Sehen Sie eine Bewegung in dieser Frage - eine Bewegung, an deren Ende auch Gespräche und schließlich die Zustimmung der Union stehen könnte?

    Schäuble: Nun, also zunächst einmal: Mich interessieren diese angeblichen oder tatsächlichen internen Diskussionen innerhalb der Regierung relativ wenig. Das ist ja bekannt: Die allermeisten Menschen – auch innerhalb der SPD, auch innerhalb der Gewerkschaften beispielsweise – halten die von Herrn Riester und von Bundeskanzler Schröder vorgeschlagene und vertretene kurzfristige Manipulation der Rentenanpassung, die ja auch ein Betrug an der Öffentlichkeit, an den Wählern, an den Rentnern ist, für inakzeptabel. Dazu brauche ich keine internen Papiere, das ist ja bekannt. Wir werden diese Manipulation nicht unterstützen. Wir haben aber immer gesagt: Wir sind bereit und wir halten auch für richtig und notwendig, dass sich die großen politischen Gruppierungen, also Mehrheit und Minderheit, Regierung und Opposition, zusammensetzen über die Frage: Wie kann man langfristig unser Alterssicherungssystem stabilisieren? Denn dass da Reformbedarf besteht, das kann ja nicht zweifelhaft sein. Unser Konzept zur Rentensicherung liegt ja auf dem Tisch. Das hat ja diese Regierung zurückgenommen, es war ja Gesetz – nämlich die Veränderung im Altersaufbau der Bevölkerung in der Rentenformel zu berücksichtigen. Das hat die Regierung Schröder – wie ich glaube – unsinniger weise zurückgenommen. Die Regierung Schröder hat bisher keine Alternative außer der kurzfristigen Manipulation der Rentenanpassung vorgelegt. Ein langfristiges Rentenkonzept gibt es nicht. Ich habe dennoch der Regierung gesagt: Wir sind zu jedem Zeitpunkt auch ohne Vorbedingungen bereit, über eine langfristige Konzeption zur Rentensicherung oder zur Sanierung unserer Alterssicherungssysteme mit der Regierung zu reden. Aber die Regierung hat bisher dieses Angebot abgelehnt.

    DLF: In wichtigen Strukturfragen, in der privaten Altersvorsorge etwa, sind ja die Parteien gar nicht so weit auseinander. Und die Grünen haben ja auch sogar Ihren demografischen Faktor wieder ins Gespräch gebracht. Sehen Sie da ein bisschen Licht am Ende des Tunnels?

    Schäuble: In manchen Fragen der strukturellen Reformen von Renten- oder auch von Steuersystemen gibt’s ja manche bei den Grünen, die begriffen haben, dass unser Weg der bessere ist. Das nützt mich nur relativ wenig, weil die Grünen das innerhalb ihrer Koalition, manchmal auch schon in der eigenen Partei und Fraktion mehrheitlich nicht durchsetzen. Und deswegen ist mir mit Interviews ja auch wenig geholfen. Es gibt sicherlich eine gewisse Übereinstimmung, dass man private Vorsorge verstärken muss. Aber das ist auch so wie mit der sozialen Gerechtigkeit vorher. Es geht um die Frage: Wie erreicht man das? Herr Riester wollte es zunächst einmal mit einer Zwangsabgabe; das haben sie dann aber selber wieder aufgegeben. Jetzt schwanken sie so ein wenig hin und her. Das halte ich für falsch: Private Vorsorge muss freiwillig sein. Aber dann muss man den Menschen den Spielraum geben, dass sie die Möglichkeit haben, mehr für private Vorsorge zu tun. Und das heißt dann vor allen Dingen natürlich, eine Steuerreform zu machen, wo der Spielraum für die Menschen für private Vorsorge verstärkt wird. Aber da sind wir beim nächsten Punkt: Diese Regierung macht eben ständig Steuererhöhungen, redet zwar von Steuerreformen, bleibt aber jedes Konzept für eine wirkliche durchgreifende Senkung aller Steuersätze bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer bis auf den heutigen Tag schuldig.

    DLF: Einerseits verweigern Sie konkrete Vorschläge, wenn es ums Sparen geht, etwa mit dem Hinweis, das sei Sache der Regierung. Andererseits kritisieren Sie den Finanzminister – je nach Bedarf, er spare zu wenig oder er spare zu viel, jedenfalls an der falschen Stelle. Noch mal konkret gefragt: Spart Eichel nun zu viel oder spart er zu wenig?

    Schäuble: Es gibt so Alternativen, die kann man so nicht akzeptieren. Wissen Sie, das eigentliche Problem der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung Schröder liegt darin, dass sie ein Zickzackkurs steuert. In diesem Jahr 99 hat man die Ausgaben im Bundeshaushalt um 30 Milliarden erhöht. Wir hatten von 93 bis 98 – Bundeskanzler Kohl, Finanzminister Waigel – überhaupt keine Steigerung bei den Bundesausgaben. 99 – im ersten Jahr Schröder – 30 Milliarden Erhöhung, und jetzt soll das teilweise wieder zurückgenommen werden. Die Folge dieses Zickzackkurses ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland so deutlich eingebrochen ist. Wir hatten im vergangenen Jahr 2,3 Prozent reales Wachstum, im ersten Halbjahr 99 noch klägliche 0,8 Prozent. Wir sind am Tabellenende in Europa – in der Europäischen Union, in der Euro-Zone. Wir haben keinen Rückgang mehr der Arbeitslosigkeit, was wir im vergangenen Jahr hatten. Und dadurch verschlechtern sich natürlich die strukturellen Daten. Deswegen sagen wir: Man kann nicht nur sparen, sondern man muss die Investitionen verstärken. Wir brauchen zunächst einmal mehr Wachstum und gleichzeitig sparsame Ausgabenpolitik. Das ist das Erste. Das Zweite ist: Es gibt auch in dem Eichelschen Haushalt Positionen, die überzogen sind. Unsere Experten sagen alle, der Ansatz für den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ist überzogen. Da gibt es Möglichkeiten, zu Einsparungen zu kommen, und wir werden deswegen auch im Zuge der Haushaltsberatungen Deckungsvorschläge für Anträge vorlegen, die eine Verstärkung der Investitionen, etwa bei der Landwirtschaft, auch bei der Bundeswehr, aber vor allen Dingen auch im Straßenbau vorsehen, ohne dass wir zu höheren Gesamtausgaben kommen. Aber das Ganze – um es zu wiederholen – nützt am Ende alles nichts, wenn es nicht verbunden ist mit einer Steuerpolitik, die die Steuern deutlich senkt, damit wir mehr Wachstum bekommen, mit einer Sozialpolitik, die die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltiger bekämpft, damit wir mehr Beschäftigung erzielen. Man muss ja auch daran erinnern: Wir hatten ja Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt durchgesetzt, die Regierung Schröder hat es unsinniger weise wieder zurückgenommen. Und die OECD, also die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit – die große Vereinigung aller Industrieländer – hat uns ja bescheinigt, wir hätten die stärkste Regulierung auf dem Arbeitsmarkt, und das sei der Grund für die zu hohe Arbeitslosigkeit für Deutschland. Deswegen brauchen wir Regelungen auf dem Arbeitsmarkt, die den Arbeitsmarkt dynamischer, flexibler, beweglicher machen lassen, und wie gesagt, eine Rückführung der Steuerbelastung und eine Begrenzung der Abgabenbelastung. Aber dazu muss man dann bei den sozialen Sicherungssystemen auf der Ausgabenseite Einsparungen machen und nicht nur immer neuer Finanzierungsverteilungen – Verschiebebahnhöfe -, wie das die Regierung Schröder vorlegt.

    DLF: Sie wollen den Steuerzahler um 30 Milliarden entlasten, die CSU sogar um 50 Milliarden Mark. Wie soll das denn finanziert werden? Steigende Staatsverschuldung kann doch wohl nicht die richtige Antwort sein?

    Schäuble: Nein, das ist auch eher nicht der Ansatz der Union bei der Steuerpolitik, sondern wir sagen: Wenn wir jetzt die Weichen stellen für eine Steuerreform, die im Laufe von mehreren Jahren – also sagen wir einmal bis zum Jahr 2003 – in Stufen eine Nettoentlastung vorsieht, mit einer Senkung aller Steuersätze, und zwar einer deutlichen Senkung – nicht nur bei der Körperschaftssteuer, wie das Herr Eichel vor hat für die Großen, die er entlasten will, sondern eben auch bei der Einkommenssteuer, um den Mittelstand zu entlasten – dann werden wir mehr Wachstum haben. Mehr Wachstum bedeutet mehr Einnahmen – für die Steuern wie für die Sozialversicherung. Und deswegen können wir eine Steuerreform finanzieren ohne höhere Neuverschuldung, wenn sie richtig angelegt die Wachstumskräfte stärkt. Wie und in welchen Schritten das genau ist, darüber kann man trefflich streiten. Deswegen habe ich ja auch der Regierung angeboten: Lasst uns doch miteinander reden; für die Steuerpolitik braucht die Regierung ja die Zustimmung im Bundesrat. Wenn wir jetzt verabreden, in welchen Stufen wir Nettoentlastungen in den kommenden Jahren in der Einkommenssteuer vorsehen, dann werden wir den Vorteil haben einer wachsenden Volkswirtschaft mit wachsenden Steuereinnahmen, übrigens auch mit wachsenden Einnahmen für die Sozialversicherung. Und daraus können wir dann Netto-Steuerentlastungen in der Zeitachse finanzieren.

    DLF: Die dritte große Reform, die ansteht, betrifft die Gesundheit. Sie haben angekündigt, die Pläne Frau Fischers im Bundesrat scheitern zu lassen. Gibt es hier überhaupt keinen Raum für Gemeinsamkeiten?

    Schäuble: Der Weg der Regierung Schröder, in der Gesundheitspolitik durch Budgetierung zu einer Rationierung von Gesundheitsleistungen zu kommen, ist falsch. Keine bürokratische Zentralinstanz kann ja vorhersehen, wie viel Bedarf an Gesundheitsleistungen im kommenden Jahr notwendig ist. Werden wir eine, zwei oder drei Grippewellen haben? - um es ganz trivial zu sagen. Wenn man es budgetiert, das heißt, von vornherein vorher bestimmte Ausgabenansätze festlegt und sagt: 'Was darüber ist, geht nicht‘, dann führt das zu einer Rationierung von Gesundheitsleistungen, und das Ergebnis wird sein, dass sich in einem solchen Falle diejenigen Menschen, die es sich leisten können, dann eben auf eigene Kosten die Gesundheitsleistungen kaufen. Diejenigen, die sozial schwächer sind, können das nicht. Das heißt, es führt zu einer Zweiklassenmedizin - und das ist völlig klar: Das macht die Union niemals mit. Deswegen haben wir gesagt: Diesen grundsätzlichen Weg, der wird unsere Unterstützung nicht finden. Wenn die Regierung eine vernünftige, den modernen Anforderungen entsprechende Gesundheitsreform machen will, sind wir auch da gesprächsbereit. Unsere Konzepte liegen noch da auf dem Tisch. Wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen mehr Wahlfreiheit für die Versicherten, wir brauchen noch ein größeres Maß an Eigenverantwortung. Wir haben das ja alles in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht, und die Regierung Schröder hat es zurückgenommen. Über eine Gesundheitsreform sind wir auch bereit, mit der Regierung zu sprechen. Nur der Weg der Budgetierung – der wird unsere Zustimmung nicht finden. Das haben wir klar besprochen, da sind wir uns alle einig. Und deswegen sagen wir es, damit die Regierung heute schon weiß, welches Schicksal ihrer Gesundheitsreform im Bundesrat droht.

    DLF: Man hat den Eindruck, der CSU-Vorsitzende Stoiber sei nach der Affäre um die LWS und seinem ehemaligen Justizminister Sauter etwas angeschlagen. Wenn dieser Eindruck nicht täuscht, macht dies die Arbeit des CDU-Vorsitzenden etwas leichter?

    Schäuble: Also, der Eindruck täuscht. Ich sehe überhaupt nicht, dass Edmund Stoiber angeschlagen ist. Er ist ein ausgesprochen erfolgreicher Ministerpräsident in Bayern und ein führungsstarker und erfolgreicher CSU-Vorsitzender. Ich wünsche mir auch, dass Edmund Stoiber stark ist, denn wir haben ja gemeinsam die Erfolge auch in diesem Jahr errungen. Und das wird auch in Zukunft so bleiben. Wir betrachten uns nicht als Rivalen, sondern wir sehen unsere gemeinsame Verantwortung für die Union, aber letzten Endes für unser Land. Und unser Land braucht eine bessere Regierung, und das kann nur durch die Gemeinsamkeit von CDU und CSU gelingen.

    DLF: Und ich vermute, Sie und Stoiber werden dann rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl auch bekannt geben, wer das Rennen gegen Schröder dann aufnehmen wird?

    Schäuble: Ja natürlich, wir werden vor jeder Wahl rechtzeitig auch unsere Personalentscheidungen treffen. Aber das ist dann etwas, was wir Anfang 2002 machen.