Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich jetzt Wolfgang Schäuble, den Bundesinnenminister, der auch der Verfassungsminister ist. Einen schönen guten Morgen.
Wolfgang Schäuble: Guten Morgen!
Barenberg: Herr Schäuble, als verfassungswidrig hat Karlsruhe das sogenannte Begleitgesetz kassiert, das die Rechte des Parlaments bei europäischen Fragen regelt. In einem neuen Gesetz muss die Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat nun deutlich verbessert werden. Können Sie sich darüber freuen?
Schäuble: Ja. Ich glaube, dass das auch keine allzu großen Schwierigkeiten beinhaltet. Es geht ja darum: Der Lissabon-Vertrag beinhaltet zum ersten Mal ein sogenanntes vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren, wo nicht mehr wie bisher bei der Übertragung neuer Kompetenzen auf die Europäische Union ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen allen Mitgliedsstaaten abgeschlossen werden muss, sondern wo in einem vereinfachten Verfahren bei bestimmten Bereichen das geht. Das ist die sogenannte Brückenklausel oder das vereinfachte Änderungsverfahren und in diesem Fall hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass hier der Gesetzgeber, also Bundestag und Bundesrat, genauso beteiligt werden muss bei der staatlichen Entscheidungsfindung wie bei der Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages. Ansonsten: Das Entscheidende ist ja, dass das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat, dass der Lissabon-Vertrag auf Punkt und Komma nicht gegen das Grundgesetz verstößt, sondern dem Auftrag des Grundgesetzes seit 1949 entspricht, nämlich dass Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen soll.
Barenberg: Das Gericht verpflichtet allerdings die Regierung künftig zu mehr Konsultation - Sie haben ein Beispiel genannt – und das Parlament anders herum zu mehr Mitwirkung an der europäischen Einigung. Ist das nicht auch ein schlechtes Zeugnis, ausgestellt für Ihre Politik?
Schäuble: Nein, das glaube ich nicht, dass das ein schlechtes Zeugnis ist, sondern ich sage noch einmal, das Gericht bestätigt ja, der Lissabon-Vertrag ist richtig. Das Gericht hat in diesem speziellen Punkt des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens gesagt, da muss der deutsche Gesetzgeber, der nationale Gesetzgeber beteiligt werden wie bisher. Da kann man natürlich darüber diskutieren, ob das ein Stück weit dem entspricht, was der Lissabon-Vertrag sich gedacht hat mit dem vereinfachten Vertragsänderungsverfahren, aber das ist, glaube ich, schon eine richtige Entscheidung und ich kann auch nicht erkennen, dass das den Alltag der europäischen Entscheidung so sehr betrifft, denn normalerweise werden ja die Entscheidungen in Europa im Rahmen der vertraglichen Kompetenzen der Europäischen Union getroffen, in den Räten, im Europäischen Parlament. Das Gericht sagt ja auch ausdrücklich, der Lissabon-Vertrag stärkt die Rolle des Europäischen Parlaments, stärkt also auch die demokratische Legitimation europäischer Entscheidungen durch das Europäische Parlament. Allerdings sagt das Verfassungsgericht richtigerweise auch, dass die Rolle des Europäischen Parlaments noch nicht die ist, die nationale Parlamente oder der Bundestag nach unserer Verfassung bei der Gesetzgebung hat, weil beispielsweise ja das Europäische Parlament kein Initiativrecht hat.
Barenberg: Ich möchte jetzt trotzdem noch mal bei dem Punkt bleiben, welche Rechte der Bundestag in Zukunft erhalten wird, weil ich noch nicht so ganz verstanden habe, warum Sie sagen, das spielt für den Alltag keine Rolle, denn das Gericht hat Ihnen ja aufgegeben, bei wichtigen Entscheidungen die Zustimmung des Bundestages einzuholen. Wird damit nicht der Handlungsspielraum der Bundesregierung künftig enger?
Schäuble: Nein. So weit in der Europäischen Union Entscheidungen getroffen werden, die sich innerhalb der vertraglich geregelten Kompetenzen der Europäischen Union betreffen, bleibt es bei dem, was der Lissabon-Vertrag regelt und was wir ja auch in Artikel 23 des Grundgesetzes sehr präzise geregelt haben. Wir beteiligen ja den Bundestag vor und nach Entscheidungen in den Räten an diesen Beratungen. Es geht nur in den Fällen, in denen in einem vereinfachten Verfahren gegenüber dem bisherigen, dass man einen neuen Vertrag macht in Europa, neue Zuständigkeiten auf die Europäische Union übertragen werden sollen. In diesen Fällen muss der nationale Gesetzgeber beteiligt werden wie bisher, aber der Alltag der europäischen Entscheidungen ist ja nicht die Übertragung neuer Kompetenzen auf die Europäische Union.
Barenberg: Sie sagen "wie bisher" und ich lese daraus, alles bleibt wie bisher.
Schäuble: Nein!
Barenberg: Dann verstehe ich aber nicht, warum heute die Kommentarspalten voll sind von dem Urteil, dass die Rechte des Parlamentes in bisher beispielloser Weise gestärkt werden.
Schäuble: Weil bei Vertragsänderungen das Parlament wie bisher behandelt werden muss. Das vereinfachte Verfahren, das der Lissabon-Vertrag vorsieht, muss eben weiterhin so national ausgestaltet werden, als wäre es ein völkerrechtlicher Vertrag. Wir haben ja nicht allzu oft völkerrechtliche Verträge in der Europäischen Union, weil das sehr kompliziert ist. Wir haben den Lissabon-Vertrag, der ist immer noch nicht in Kraft; wir hatten zuvor den Maastricht-Vertrag, wir hatten dazwischen den Nizzaer Vertrag, um ein paar zu nennen. Und jetzt sieht der Lissabon-Vertrag vor, dass in bestimmten Fällen – das ist genau geregelt – bestimmte Zuständigkeiten auf die Europäische Union übertragen werden können, ohne einen neuen völkerrechtlichen Vertrag zu schließen, und da sagt das Verfassungsgericht, aber auch in diesen Fällen muss der nationale deutsche Gesetzgeber an der Entscheidung beteiligt werden oder er muss sie treffen genau wie bei der Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages.
Barenberg: Wie erklären Sie sich eigentlich, dass die Bundestagsabgeordneten selber ihre Rechte nicht derart eingefordert haben, wie es jetzt das Bundesverfassungsgericht getan hat? Mit anderen Worten: Warum musste das Gericht in Karlsruhe uns auf die Sprünge helfen in diesem Punkt?
Schäuble: Wissen Sie, ich finde, dass bei der Dreiteilung der verfassungsrechtlichen Gewalten, zwischen Exekutive, Legislative und richterlicher Gewalt, es eigentlich falsch ist, wenn man es immer so als auf die Sprünge helfen betrachtet. Es ist ja genau der von der Verfassung gewollte Zustand, dass die drei unabhängigen verfassungsrechtlichen Gewalten - Exekutive und Legislative sind nicht völlig voneinander unabhängig, aber die richterliche Gewalt ist unabhängig – das prüfen. Es hat übrigens bei dieser Frage, über die wir jetzt reden, die ein bisschen kompliziert ist – das haben Sie ja selber schon gesagt; das Urteil ist ja auch 150 Seiten lang, man muss es genau studieren und begreifen – zuvor im parlamentarischen Raum durchaus eine Diskussion gegeben, ob man es nicht so regeln sollte, wie es das Verfassungsgericht entschieden hat, und die Mehrheitsauffassung war damals gewesen, dass man gesagt hat, nein, dem vereinfachten Verfahren im Lissabon-Vertrag entspricht eigentlich eine andere parlamentarische Beteiligung. Da hat das Gericht nun gesagt – und das gilt, das ist verbindlich -, nein. Weil das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung im europäischen Vertrag gelten muss, muss es auch bei dem vereinfachten Änderungsverfahren, also bei der sogenannten Brückenklausel, bei der Beteiligung des nationalen Gesetzgebers wie bei einer Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages bleiben. Aber noch einmal: der Alltag der Entscheidungen in den europäischen Räten, der ist davon nicht betroffen.
Barenberg: Es heißt ja immer oder es wird ja immer gesagt, die Europäische Union leide unter einem Demokratiedefizit. Ist das mit diesem Urteil entkräftet, hinfällig?
Schäuble: Nein! Das Urteil beschreibt ja gerade, dass die Europäische Union eben nicht ein Bundesstaat ist wie unsere Bundesrepublik Deutschland, sondern etwas Neues, was es so in der Verfassungsgeschichte ja gar nicht gegeben hat, nämlich es ist doch nicht mehr einfach nur ein Staatenbund, sondern es ist schon eine Einheit, die Teile staatlicher Souveränität zunehmend übernimmt. Aber weil es eben so ein inkomplettes oder inperfektes Gebilde ist, muss eine sorgfältige Abwägung zwischen europäischer demokratischer Legitimation (insbesondere durch das Parlament) und durch die Beteiligung der nationalen Parlamente geschaffen werden. Das ist ein schwieriger Prozess. Man muss im Übrigen sehen: Der Prozess des Aushandelns von Entscheidungen in einem Europa von 27 Mitgliedsstaaten, mit sehr unterschiedlichen Traditionen, auch mit sehr unterschiedlichem wirtschaftlichen Leistungsstand, mit sehr unterschiedlichen demokratischen, kulturellen Erfahrungen, ist ja kein einfacher. Dennoch ist dieser europäische Weg unumkehrbar richtig und er wird ja auch sehr ausführlich vom Verfassungsgericht gewürdigt, denn das Verfassungsgericht bekennt sich ja ausdrücklich in dem Urteil – und deswegen ist das ein guter Tag für Europa gewesen, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat – zu diesem Prozess der europäischen Einigung.
Barenberg: Macht der Vertrag die EU denn tatsächlich transparenter, demokratischer, effizienter?
Schäuble: Ein bisschen schon gegenüber dem heutigen Zustand, aber natürlich ist der Vertrag – das hat auch niemand behauptet – nicht das Ende aller Überlegungen und er ist auch alles andere als ideal. Aber ideale Lösungen sind in der freiheitlichen Demokratie immer auch ein Stück weit problematisch. Die Entwicklung, das Ringen um weitere Fortschritte, um den Ausbau eines starken, demokratischen, handlungsfähigen Europas wird weitergehen, aber der Lissabon-Vertrag hilft, stärkt die europäische Entwicklung und er stärkt vor allen Dingen alle Menschen in Europa, vor allen Dingen auch in Deutschland, weil ja für unsere Zukunft ein handlungsfähiges, effizientes Europa die allerbeste Voraussetzung ist.
Barenberg: Nach diesem manchmal ja quälend langen Reformstreit, Herr Schäuble, beurteilen manche die Lage so, dass die Helden der Reformen in Europa müde geworden sind. Wo ist das große Projekt nach Einführung des Euro, nach der Erweiterung, das uns alle noch von Europa und für Europa begeistern soll?
Schäuble: Wir müssen diesen gemeinsamen Raum Europa – wir haben ein Europa ohne Grenzkontrollen, das ist wirklich ein zusammenwachsender Raum mit einer gemeinsamen Wirtschaft, einer gemeinsamen Währung. Schauen Sie mal an: die derzeitige Krise der Finanzmärkte und der Wirtschaft, wenn wir nicht eine gemeinsame Währung hätten, wäre noch viel schlimmer. Wir brauchen eine gemeinsame Rolle Europas in der Welt. Die Welt hat demnächst sieben Milliarden Menschen Bevölkerung, die Europäer sind nicht einmal ein Zehntel mehr. Wir werden unserer europäischen Verantwortung und unseren europäischen Interessen nur gerecht werden, wenn wir das gemeinsam tun. Alleine zählt kein europäisches Land mehr hinreichend auf der weltpolitischen Bühne. Gemeinsam können wir viel im Sinne unserer Verantwortung für die Zukunft tun.
Barenberg: Der Bundesinnenminister heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Vielen Dank, Wolfgang Schäuble.
Schäuble: Bitte sehr!
Wolfgang Schäuble: Guten Morgen!
Barenberg: Herr Schäuble, als verfassungswidrig hat Karlsruhe das sogenannte Begleitgesetz kassiert, das die Rechte des Parlaments bei europäischen Fragen regelt. In einem neuen Gesetz muss die Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat nun deutlich verbessert werden. Können Sie sich darüber freuen?
Schäuble: Ja. Ich glaube, dass das auch keine allzu großen Schwierigkeiten beinhaltet. Es geht ja darum: Der Lissabon-Vertrag beinhaltet zum ersten Mal ein sogenanntes vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren, wo nicht mehr wie bisher bei der Übertragung neuer Kompetenzen auf die Europäische Union ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen allen Mitgliedsstaaten abgeschlossen werden muss, sondern wo in einem vereinfachten Verfahren bei bestimmten Bereichen das geht. Das ist die sogenannte Brückenklausel oder das vereinfachte Änderungsverfahren und in diesem Fall hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass hier der Gesetzgeber, also Bundestag und Bundesrat, genauso beteiligt werden muss bei der staatlichen Entscheidungsfindung wie bei der Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages. Ansonsten: Das Entscheidende ist ja, dass das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat, dass der Lissabon-Vertrag auf Punkt und Komma nicht gegen das Grundgesetz verstößt, sondern dem Auftrag des Grundgesetzes seit 1949 entspricht, nämlich dass Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen soll.
Barenberg: Das Gericht verpflichtet allerdings die Regierung künftig zu mehr Konsultation - Sie haben ein Beispiel genannt – und das Parlament anders herum zu mehr Mitwirkung an der europäischen Einigung. Ist das nicht auch ein schlechtes Zeugnis, ausgestellt für Ihre Politik?
Schäuble: Nein, das glaube ich nicht, dass das ein schlechtes Zeugnis ist, sondern ich sage noch einmal, das Gericht bestätigt ja, der Lissabon-Vertrag ist richtig. Das Gericht hat in diesem speziellen Punkt des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens gesagt, da muss der deutsche Gesetzgeber, der nationale Gesetzgeber beteiligt werden wie bisher. Da kann man natürlich darüber diskutieren, ob das ein Stück weit dem entspricht, was der Lissabon-Vertrag sich gedacht hat mit dem vereinfachten Vertragsänderungsverfahren, aber das ist, glaube ich, schon eine richtige Entscheidung und ich kann auch nicht erkennen, dass das den Alltag der europäischen Entscheidung so sehr betrifft, denn normalerweise werden ja die Entscheidungen in Europa im Rahmen der vertraglichen Kompetenzen der Europäischen Union getroffen, in den Räten, im Europäischen Parlament. Das Gericht sagt ja auch ausdrücklich, der Lissabon-Vertrag stärkt die Rolle des Europäischen Parlaments, stärkt also auch die demokratische Legitimation europäischer Entscheidungen durch das Europäische Parlament. Allerdings sagt das Verfassungsgericht richtigerweise auch, dass die Rolle des Europäischen Parlaments noch nicht die ist, die nationale Parlamente oder der Bundestag nach unserer Verfassung bei der Gesetzgebung hat, weil beispielsweise ja das Europäische Parlament kein Initiativrecht hat.
Barenberg: Ich möchte jetzt trotzdem noch mal bei dem Punkt bleiben, welche Rechte der Bundestag in Zukunft erhalten wird, weil ich noch nicht so ganz verstanden habe, warum Sie sagen, das spielt für den Alltag keine Rolle, denn das Gericht hat Ihnen ja aufgegeben, bei wichtigen Entscheidungen die Zustimmung des Bundestages einzuholen. Wird damit nicht der Handlungsspielraum der Bundesregierung künftig enger?
Schäuble: Nein. So weit in der Europäischen Union Entscheidungen getroffen werden, die sich innerhalb der vertraglich geregelten Kompetenzen der Europäischen Union betreffen, bleibt es bei dem, was der Lissabon-Vertrag regelt und was wir ja auch in Artikel 23 des Grundgesetzes sehr präzise geregelt haben. Wir beteiligen ja den Bundestag vor und nach Entscheidungen in den Räten an diesen Beratungen. Es geht nur in den Fällen, in denen in einem vereinfachten Verfahren gegenüber dem bisherigen, dass man einen neuen Vertrag macht in Europa, neue Zuständigkeiten auf die Europäische Union übertragen werden sollen. In diesen Fällen muss der nationale Gesetzgeber beteiligt werden wie bisher, aber der Alltag der europäischen Entscheidungen ist ja nicht die Übertragung neuer Kompetenzen auf die Europäische Union.
Barenberg: Sie sagen "wie bisher" und ich lese daraus, alles bleibt wie bisher.
Schäuble: Nein!
Barenberg: Dann verstehe ich aber nicht, warum heute die Kommentarspalten voll sind von dem Urteil, dass die Rechte des Parlamentes in bisher beispielloser Weise gestärkt werden.
Schäuble: Weil bei Vertragsänderungen das Parlament wie bisher behandelt werden muss. Das vereinfachte Verfahren, das der Lissabon-Vertrag vorsieht, muss eben weiterhin so national ausgestaltet werden, als wäre es ein völkerrechtlicher Vertrag. Wir haben ja nicht allzu oft völkerrechtliche Verträge in der Europäischen Union, weil das sehr kompliziert ist. Wir haben den Lissabon-Vertrag, der ist immer noch nicht in Kraft; wir hatten zuvor den Maastricht-Vertrag, wir hatten dazwischen den Nizzaer Vertrag, um ein paar zu nennen. Und jetzt sieht der Lissabon-Vertrag vor, dass in bestimmten Fällen – das ist genau geregelt – bestimmte Zuständigkeiten auf die Europäische Union übertragen werden können, ohne einen neuen völkerrechtlichen Vertrag zu schließen, und da sagt das Verfassungsgericht, aber auch in diesen Fällen muss der nationale deutsche Gesetzgeber an der Entscheidung beteiligt werden oder er muss sie treffen genau wie bei der Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages.
Barenberg: Wie erklären Sie sich eigentlich, dass die Bundestagsabgeordneten selber ihre Rechte nicht derart eingefordert haben, wie es jetzt das Bundesverfassungsgericht getan hat? Mit anderen Worten: Warum musste das Gericht in Karlsruhe uns auf die Sprünge helfen in diesem Punkt?
Schäuble: Wissen Sie, ich finde, dass bei der Dreiteilung der verfassungsrechtlichen Gewalten, zwischen Exekutive, Legislative und richterlicher Gewalt, es eigentlich falsch ist, wenn man es immer so als auf die Sprünge helfen betrachtet. Es ist ja genau der von der Verfassung gewollte Zustand, dass die drei unabhängigen verfassungsrechtlichen Gewalten - Exekutive und Legislative sind nicht völlig voneinander unabhängig, aber die richterliche Gewalt ist unabhängig – das prüfen. Es hat übrigens bei dieser Frage, über die wir jetzt reden, die ein bisschen kompliziert ist – das haben Sie ja selber schon gesagt; das Urteil ist ja auch 150 Seiten lang, man muss es genau studieren und begreifen – zuvor im parlamentarischen Raum durchaus eine Diskussion gegeben, ob man es nicht so regeln sollte, wie es das Verfassungsgericht entschieden hat, und die Mehrheitsauffassung war damals gewesen, dass man gesagt hat, nein, dem vereinfachten Verfahren im Lissabon-Vertrag entspricht eigentlich eine andere parlamentarische Beteiligung. Da hat das Gericht nun gesagt – und das gilt, das ist verbindlich -, nein. Weil das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung im europäischen Vertrag gelten muss, muss es auch bei dem vereinfachten Änderungsverfahren, also bei der sogenannten Brückenklausel, bei der Beteiligung des nationalen Gesetzgebers wie bei einer Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages bleiben. Aber noch einmal: der Alltag der Entscheidungen in den europäischen Räten, der ist davon nicht betroffen.
Barenberg: Es heißt ja immer oder es wird ja immer gesagt, die Europäische Union leide unter einem Demokratiedefizit. Ist das mit diesem Urteil entkräftet, hinfällig?
Schäuble: Nein! Das Urteil beschreibt ja gerade, dass die Europäische Union eben nicht ein Bundesstaat ist wie unsere Bundesrepublik Deutschland, sondern etwas Neues, was es so in der Verfassungsgeschichte ja gar nicht gegeben hat, nämlich es ist doch nicht mehr einfach nur ein Staatenbund, sondern es ist schon eine Einheit, die Teile staatlicher Souveränität zunehmend übernimmt. Aber weil es eben so ein inkomplettes oder inperfektes Gebilde ist, muss eine sorgfältige Abwägung zwischen europäischer demokratischer Legitimation (insbesondere durch das Parlament) und durch die Beteiligung der nationalen Parlamente geschaffen werden. Das ist ein schwieriger Prozess. Man muss im Übrigen sehen: Der Prozess des Aushandelns von Entscheidungen in einem Europa von 27 Mitgliedsstaaten, mit sehr unterschiedlichen Traditionen, auch mit sehr unterschiedlichem wirtschaftlichen Leistungsstand, mit sehr unterschiedlichen demokratischen, kulturellen Erfahrungen, ist ja kein einfacher. Dennoch ist dieser europäische Weg unumkehrbar richtig und er wird ja auch sehr ausführlich vom Verfassungsgericht gewürdigt, denn das Verfassungsgericht bekennt sich ja ausdrücklich in dem Urteil – und deswegen ist das ein guter Tag für Europa gewesen, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat – zu diesem Prozess der europäischen Einigung.
Barenberg: Macht der Vertrag die EU denn tatsächlich transparenter, demokratischer, effizienter?
Schäuble: Ein bisschen schon gegenüber dem heutigen Zustand, aber natürlich ist der Vertrag – das hat auch niemand behauptet – nicht das Ende aller Überlegungen und er ist auch alles andere als ideal. Aber ideale Lösungen sind in der freiheitlichen Demokratie immer auch ein Stück weit problematisch. Die Entwicklung, das Ringen um weitere Fortschritte, um den Ausbau eines starken, demokratischen, handlungsfähigen Europas wird weitergehen, aber der Lissabon-Vertrag hilft, stärkt die europäische Entwicklung und er stärkt vor allen Dingen alle Menschen in Europa, vor allen Dingen auch in Deutschland, weil ja für unsere Zukunft ein handlungsfähiges, effizientes Europa die allerbeste Voraussetzung ist.
Barenberg: Nach diesem manchmal ja quälend langen Reformstreit, Herr Schäuble, beurteilen manche die Lage so, dass die Helden der Reformen in Europa müde geworden sind. Wo ist das große Projekt nach Einführung des Euro, nach der Erweiterung, das uns alle noch von Europa und für Europa begeistern soll?
Schäuble: Wir müssen diesen gemeinsamen Raum Europa – wir haben ein Europa ohne Grenzkontrollen, das ist wirklich ein zusammenwachsender Raum mit einer gemeinsamen Wirtschaft, einer gemeinsamen Währung. Schauen Sie mal an: die derzeitige Krise der Finanzmärkte und der Wirtschaft, wenn wir nicht eine gemeinsame Währung hätten, wäre noch viel schlimmer. Wir brauchen eine gemeinsame Rolle Europas in der Welt. Die Welt hat demnächst sieben Milliarden Menschen Bevölkerung, die Europäer sind nicht einmal ein Zehntel mehr. Wir werden unserer europäischen Verantwortung und unseren europäischen Interessen nur gerecht werden, wenn wir das gemeinsam tun. Alleine zählt kein europäisches Land mehr hinreichend auf der weltpolitischen Bühne. Gemeinsam können wir viel im Sinne unserer Verantwortung für die Zukunft tun.
Barenberg: Der Bundesinnenminister heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Vielen Dank, Wolfgang Schäuble.
Schäuble: Bitte sehr!