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Schäuble: EU-Erweiterung nicht schuld an Wirtschaftskrise

Der Europa-Experte der Union, Wolfgang Schäuble, hat davor gewarnt, die EU-Erweiterung für die derzeitige Wirtschaftsschwäche in Deutschland verantwortlich zu machen. "Die Probleme liegen im eigenen Land und da müssen sie auch gelöst werden", sagte Schäuble. Deutschland müsse wieder wettbewerbsfähiger werden, wenn es in der globalisierten Welt den Wohlstand und die soziale Sicherheit bewahren wolle.

Moderatio: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Es gibt derzeit etliche Baustellen der Europäischen Union: die noch nicht verkraftete Erweiterung, die Probleme unter dem Stichwort Lohn-Dumping, Dienstleistungsfreiheit, ungeklärte Finanzfragen, die Legitimität der EU angesichts ihres Demokratiedefizits, über das heute die Verfassungsrichter in Karlsruhe verhandeln, und schließlich die keineswegs bestandenen Abstimmungen über die EU-Verfassung. Die Bürger werden, so scheint es, immer EU-skeptischer ob des gesamten Projekts. Davon unbeeindruckt und trotz noch immensen Reformbedarfs in Rumänien, aber auch in Bulgarien wird das Europaparlament heute in Straßburg voraussichtlich der in zwei Jahren geplanten Aufnahme beider Staaten zustimmen. Die EU bestünde dann aus 27 Staaten und vor der Tür stehen außerdem noch Kroatien und Serbien. Trotz mangelnder Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal machen die EU-Instanzen den Balkanstaaten Hoffnung. Am Telefon begrüße ich Wolfgang Schäuble, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Schäuble.

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen Herr Spengler.

    Spengler: Herr Schäuble, teilen Sie die Skepsis Ihrer Landsleute, oder sagen Sie uneingeschränkt ja zu Rumänien und Bulgarien?

    Schäuble: Also Rumänien und Bulgarien sind natürlich ein bisschen früh und insbesondere Rumänien. Bulgarien ist weniger das Problem. Dort gibt es noch einen erheblichen Zweifel, ob sie die Voraussetzungen wirklich erfüllen, um 2007 schon Mitglied zu werden. Deswegen ist es in der Tat problematisch, dass im Grunde die Entwicklung so vorangeschritten ist, dass es jetzt schwer ist, sie noch anzuhalten. Deswegen wird ja auch das Europäische Parlament vermutlich dem zustimmen, allerdings sagen, man wird noch eine Überprüfungsklausel weiterhin beachten, damit ein gewisser Druck auf Rumänien erhalten bleibt. Aber das zeigt, dass man eben die Fehler in der Regel am Beginn der Verhandlungen macht - das war ja auch die schwierige Debatte bei der Türkei - und dass es, wenn man solche Prozesse einmal in Gang gesetzt hat, schwierig ist, sie aufzuhalten.

    Spengler: Ist das nicht überhaupt ein grundsätzliches Problem der EU, dass sie Prozesse in Gang setzt, die dann immer nicht mehr aufzuhalten sind? Das ist ja nicht nur bei der Erweiterung so; das war beim Euro so, das ist bei der Binnenmarktfreiheit so.

    Schäuble: Na ja gut, ich meine das Problem ist eigentlich auch ein bisschen, dass die verantwortlichen Politiker im Moment die Probleme, die sie im eigenen Land nicht lösen, auf Europa schieben. Das ist beim Stabilitätspakt so, weil Sie den Euro erwähnen. Der Stabilitätspakt und der Euro ist ja nicht das Problem, sondern das Problem sind die nationalen Regierungen, insbesondere die deutsche Bundesregierung - wir sind ja die schlimmsten mit dem schwächsten Wachstum und mit einer hohen Verschuldung -, die trotz gegebener Zusage für den Stabilitätspakt massiv dagegen verstoßen haben und jetzt den Stabilitätspakt mutwillig zerstören, obwohl wenn wir etwas nicht zu wenig haben, dann sind es Staatsverschuldungen in Europa. Es ist ja wirklich Unfug, den Eindruck zu erwecken, als hätten wir die Probleme der Arbeitslosigkeit, weil wir zu wenig Schulden machen. Es ist ganz gegenteilig, weil wir zu viel Schulden machen. Unter anderem auch deswegen haben wir zu wenig Wachstum und deswegen zu viel Arbeitslosigkeit.

    Spengler: Herr Schäuble, um vor der eigenen Parteitür zu kehren. Wenn der CSU-Generalsekretär Söder ziemlich populistisch fordert, man müsse nun über die Binnenmarktfreiheit, also die Niederlassungsfreiheit, neu verhandeln, die Bundesregierung hätte dort schlecht verhandelt, dann müssen Sie sich als seriöser EU-Politiker doch mit Grausen abwenden?

    Schäuble: Wir haben bei den Verhandlungen für die Mitgliedschaft der neuen Länder ja damals schon gefordert, dass man eben Übergangsregelungen nicht nur für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern auch bei den Dienstleistungen machen soll. Insofern hat Herr Söder durchaus einen Punkt, wo die Regierung unseren Forderungen nicht gerecht geworden ist. Aber in der Tat muss man klar sagen: das Problem unserer Wirtschaftsschwäche und das Problem unserer Sorgen am Arbeitsmarkt, die Ursache ist nicht die Erweiterung der Europäischen Union, sondern die Ursache ist, dass wir auf die veränderte Situation in der globalen Wirtschaft zu langsam mit nicht hinreichenden Anpassungen reagieren und dass wir wettbewerbsfähiger werden müssen, wenn wir in dieser globalisierten Welt unseren Wohlstand und unsere soziale Sicherheit bewahren wollen. Da ist die Europäische Union, auch die Erweiterung nicht die Ursache. Deswegen ist es gefährlich, wenn man immer den Eindruck erweckt, als sei das die Ursache der Probleme. Nein: die Probleme liegen im eigenen Land und da müssen sie auch gelöst werden.

    Spengler: Zumal man nicht ernsthaft neue Verhandlungen fordern kann, weil so etwas wird es nicht geben oder?

    Schäuble: Nein. Die Verhandlungen sind abgeschlossen und man könnte sie ja nur gewissermaßen gemeinsam lösen. Also das ist wahr. Der entscheidende Punkt ist: wir müssen unsere Arbeitsmarkt-, unsere sozialen Sicherungssysteme, unser Steuersystem, unsere Überregulierung, unser Übermaß an Bürokratie so verändern, dass wir wieder dynamischer werden. Wir sind ja auch innerhalb der Europäischen Union das Land mit dem geringsten Wirtschaftswachstum und das zeigt ja, dass nicht die Europäische Union Schuld ist, sondern die Politik der deutschen Regierung. Das muss geändert werden! Und wenn wir die EU zum Sündenbock machen, dann schaden wir erstens der Zustimmung für die europäische Einigung, aber zweitens wer die Ursachen der Probleme nicht richtig erkennt, ist ja auch nicht in der Lage, die Ursachen zu beheben. Deswegen: die Fehler liegen im eigenen Land und da müssen sie auch geändert werden.

    Spengler: Wir wollen dennoch nicht jetzt über das eigene Land so sehr sprechen, sondern tatsächlich über die Europäische Union. Ist es legitim, wenn das Bundesverfassungsgericht prüft, und zwar heute prüft, ob das EU-Recht eigentlich mit unserer Verfassung vereinbar ist?

    Schäuble: Das ist auch ein problematischer Punkt. Allerdings muss man hinzufügen, das europäische Recht erscheint in ein paar Punkten ein bisschen fragwürdig, ob wir wirklich hinreichende verfassungsrechtliche Garantien haben. Es geht ja um den europäischen Haftbefehl. Aber generell ist es klar: wir müssen uns darüber in Deutschland verständigen, dass wir natürlich, wenn wir bestimmte Kompetenzen an die Europäische Union abgeben, weil wir glauben, das wird besser gemeinsam in Europa geregelt, hinterher nicht mehr sagen können, das wollen wir aber selbst in Deutschland entscheiden. Also man kann nicht sagen wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

    Spengler: Aber was wäre, wenn die Richter sagen nein, das ist nicht miteinander vereinbar, das Grundgesetz und das europäische Recht?

    Schäuble: Dann haben wir ein Problem, das man dann eben durch sorgfältige Verhandlungen in Europa lösen muss. Ich glaube überhaupt, das ist ja auch die Frage beim Verfassungsvertrag. Wir werden in Europa mit oder ohne Zustimmung im französischen Referendum über eine genauere Abgrenzung in der Frage wofür ist Europa zuständig und wofür bleiben die Nationalstaaten zuständig uns noch ein bisschen präziser verständigen müssen. Die Frage der Kompetenzabgrenzung ist noch nicht hinreichend gelöst und insofern kann eine Entscheidung des Verfassungsgerichts den Druck auf eine bessere Kompetenzabgrenzung auch verstärken.

    Spengler: Das Problem ist ja, dass diese Frage, wie viel Kompetenzen für Europa, wie viel für die Nationalstaaten, in den Nationalstaaten völlig unterschiedlich beantwortet wird. Wird man auf Dauer daran vorbei kommen, dass aus dieser großen EU mit 27 Mitgliedsstaaten sich vielleicht doch so eine Art Kern herausschält, was Sie ja schon vor etlichen Jahren angestoßen haben?

    Schäuble: Das kann durchaus der Fall sein. Wir brauchen jedenfalls Flexibilität, weil die Bereitschaft, Teile staatlicher Zuständigkeit auf Europa zu übertragen, in den einzelnen Teilen der Europäischen Union unterschiedlich hoch entwickelt ist. Aber das Problem, Herr Spengler, ist auch, dass wir heute eine Situation haben, wo in zu vielen Fragen sowohl Europa als auch die Mitgliedsstaaten zuständig sind, genau wie wir übrigens in unserer Bundesrepublik das Problem zwischen Bund und Ländern haben. Diese Mischzuständigkeiten, die sind eine der Quellen für Überregulierung, für Überbürokratisierung. Deswegen ist der entscheidende Punkt, dass man klarer unterscheidet: wofür ist Europa zuständig und wofür die Mitgliedsstaaten. Wenn wir das sauber gelöst haben, werden wir auch diese Entwicklung zu immer mehr Regulierung besser bekämpft haben.

    Spengler: Ja, aber wenn wir das noch nicht mal schaffen, im eigenen Land zu lösen, wie soll das dann in Europa funktionieren?

    Schäuble: Ja, wir müssen es auch im eigenen Land schaffen. Manchmal muss man einfach eine gewisse Zuspitzung von Krisen erst haben, um den nötigen Druck zu Stande zu bringen, dass Probleme, die bisher unlösbar erscheinen, auch gelöst werden. Das gilt in der Bundesrepublik und das gilt noch mehr in der Europäischen Union.

    Spengler: Das heißt Sie haben keine Angst vor einer Krise, in die die EU möglicherweise steuern könnte, wenn, wie Sie schon angesprochen haben, das Verfassungsreferendum in Frankreich durchfallen sollte?

    Schäuble: Das wäre natürlich eine höchst bedauerliche Entwicklung, aber die Welt wird nicht untergehen. Und deswegen: man muss immer weitermachen. Jetzt muss man sich darauf konzentrieren, dass man vielleicht doch die Ratifizierung des Verfassungsvertrags schafft. Sollte es gegen alle Hoffnung schief gehen - damit muss man realistischerweise auch rechnen -, dann muss man weiterarbeiten. Wir haben keine bessere Alternative, als mit allen Schwierigkeiten gegen alle Widerstände die europäische Einigung so zu Stande zu bringen, dass in dieser enger zusammenrückenden Welt Europa in der Lage ist, die Interessen der Menschen in Europa gemeinsam zu vertreten, auch besser zu schützen, besser durchzusetzen. Dazu braucht Europa übrigens vor allen Dingen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und dazu muss Europa begreifen, dass es einen stärkeren Beitrag zu atlantischer Partnerschaft leisten muss. Diese Achsenbildung, die wir insbesondere durch die deutsch-französische Politik haben, und diese wechselnden Koalitionen und diese Sonderbeziehungen zu Russland und China, das ist alles Gift für die Herausbildung eines gemeinsamen europäischen Bewusstseins.

    Spengler: Alles in allem ist das noch die Europäische Union, die Sie wollen?

    Schäuble: Wir haben im Moment eine Reihe von Problemen und Baustellen, wie Sie gesagt haben, aber wir können und müssen nun daran arbeiten und ich glaube auch, dass man eine bessere Politik für Europa machen kann. Dann wird sich auch zeigen, dass das Prinzip und der Grundgedanke der europäischen Einigung im Grunde nahezu alternativlos ist, jedenfalls die beste Wahrnehmung im deutschen Interesse.

    Spengler: Ich danke Ihnen für das Gespräch. - Das war Wolfgang Schäuble, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.