Meurer: Wie sehr teilen Sie die Bedenken, Fuchs-Panzer an Israel zu liefern, weil sie gegen die Palästinenser eingesetzt werden könnten?
Schäuble: Ja gut, ich finde, so wie die Bundesregierung diese Debatte angefangen hat, führt sie eigentlich nur ins Elend, denn das Problem ist doch: wir können ja nicht isoliert nur über die Lieferung bestimmter Waffensysteme diskutieren. Man muss das doch einbinden in politische Bemühungen. Deswegen habe ich von Anfang an gesagt, eine solche Frage kann man nicht abstrakt isoliert diskutieren, sondern das muss man einbinden in die Politik der Bundesregierung, der Bundesrepublik, der Europäer. Wir treiben ja eine gemeinsame Politik auch mit den USA, der UNO, den Russen, um für Frieden und Stabilität im nahen Osten, für Sicherheit für Israel zu sorgen und Bestandteil dieser Politik muss die Frage sein, wer welche Waffensysteme an wen liefert. Wenn man das davon ablöst, kommt man immer nur ins Unterholz und führt dann jetzt eine solche Debatte, wie wir sie in Deutschland wieder führen, wo wir uns auch eher lächerlich machen.
Meurer: Aber die Frage ist ja nicht abstrakt, Herr Schäuble. Sie wird ganz konkret von Jerusalem an die Bundesregierung gerichtet. Wie würden Sie entscheiden?
Schäuble: Ich würde es in den politischen Bemühungen mit den Europäern und den anderen genannten – wir haben ja dieses Quartett – besprechen und dort gemeinsame Entscheidungen treffen, mich eben gerade nicht in eine solche Situation bringen. Im übrigen ist die Situation ja dadurch entstanden, dass der Bundeskanzler öffentlich verkündet hat, man werde eine Anfrage Israels genehmigen, wobei er allerdings dann gemeint hat, es sei ein ABC-Spürpanzer Fuchs, und noch gar nicht wusste, dass es Transportpanzer sind. So ist man in diese Debatte geradezu hineingestolpert.
Meurer: Das war die Informationspanne im Verteidigungsministerium?
Schäuble: Ja. Dann hat es zwei Wochen gedauert, bis der Verteidigungsminister festgestellt hat, man hätte gar keine Fuchs-Panzer übrig, man bräuchte sie alle selber. Wir machen uns geradezu lächerlich. Das weiß doch jeder: entweder weiß man sofort, wir haben keine übrig, oder man hat welche. Das heißt wir stolpern von einer Ausflucht in die andere, anstatt dass wir eine kohärente Politik machen. Im übrigen auch die Unterscheidung zwischen defensiven und offensiven Waffensystemen ist ja eher lächerlich. Das nützt uns alles nichts und deswegen sage ich noch einmal: wir brauchen endlich eine vernünftige Politik und nicht einen Außenminister, der im übrigen völlig wegtaucht. Von dem hört man gar nichts in dieser Frage. Das Lebensrecht Israels und die gefährliche Eskalation von Terror, Reaktion und wieder Reaktion ist ein brutaler Prozess und der muss unterbrochen werden durch politische Bemühungen. In diese politischen Bemühungen gehören auch Waffensysteme die helfen, den Frieden zu sichern.
Meurer: Herr Schäuble, ist das nicht auch wieder eine Ausflucht zu sagen, jetzt warten wir erst mal auf ein Gesamtkonzept und versuchen mal uns zu integrieren, was die anderen Europäer tun, anstatt jetzt klar die Frage zu beantworten ja oder nein?
Schäuble: Herr Meurer, das ist keine Ausflucht. Wir haben eine besondere Verantwortung für Israel. Das ist völlig klar. Es ist aber eben so: vernünftige Politik muss eben von einer Regierung zusammenhängend gemacht werden. Wenn man das Politische vom Militärischen trennt, dann kommt man nicht zu einer vernünftigen Debatte. Dass es in Deutschland jetzt darauf reduziert ist, Patriot-Systeme liefern wir, Fuchs-ABC-Panzer würden wir an Israel liefern, an die USA aber nicht, Transportpanzer würden wir vielleicht an die USA liefern, aber nicht an Israel, das zeigt, dass genau solch eine Politik keinen Sinn macht. Sicherheit besteht immer aus der Kombination von Politik, die notfalls auch auf die Anwendung militärischer Gewalt sich stützen muss, und zu der dann auch die Frage von Waffenlieferungen gehört. Ich bin nicht ein Vertreter der Regierung und deswegen kann ich nur sagen, die Reduzierung der öffentlichen Debatte auf die Frage Fuchs-Panzer ja oder nein, wobei hinterher gesagt wird, wir hätten gar keine übrig, das genau ist diese Art von Politik, mit der Deutschland nicht als ein berechenbarer und verlässlicher Partner erscheint.
Meurer: Ihre Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende Angela Merkel hat ja vor einigen Tagen gesagt, einen Wunsch von Israel dieser Art kann man nicht abschlagen. Bezogen war es eben auf die Fuchs-Panzer. Stehen Sie da im Widerspruch zu dieser Aussage?
Schäuble: Nein, wir stimmen völlig überein. Ich sagte ja, wir haben eine besondere Verantwortung.
Meurer: Aber Sie lassen die Erfüllung des Wunsches ja offen?
Schäuble: Nein. Ich sage, man darf die Frage nicht darauf reduzieren - das ist übrigens auch die Position der israelischen Regierung -, sondern man muss das mit Politik verbinden und kombinieren. Das ist der Punkt und da stimme ich mit der Parteivorsitzenden Angela Merkel völlig überein. Ich beklage, dass diese Debatte in Deutschland dann immer nur über ein Detail geführt wird, anstatt dass wir uns an einer kohärenten politischen Bemühung beteiligen, um den Frieden für Israel und für seine palästinensischen Nachbarn zu sichern. Darum geht es.
Meurer: Wie soll denn Ihrer Meinung nach die Politik gegenüber Israel und dem nahen Osten aussehen?
Schäuble: Wir haben ja oft genug von der Bundesregierung und vom Außenminister gehört, welche großen Bemühungen man unternimmt. Es gab Zeiten, da ist der Außenminister hingeflogen, war der große Vermittler. Dann gab es Zeiten, wo man in Madrid und bei ähnlichen Konferenzen gesagt hat, die EU gemeinsam, nur gemeinsam innerhalb der EU. Wenn wir nur gemeinsam innerhalb der EU handeln, was ich im übrigen im Zweifel für richtig halte, müssen wir auch die Frage von Waffenlieferungen an Israel gemeinsam innerhalb der EU entscheiden. Ich habe bisher von der Bundesregierung kein Wort gehört, was eigentlich die Haltung anderer Partner in der Europäischen Union zur Frage solcher Waffenlieferungen ist. Wir machen ja in Deutschland nur noch Alleingänge, und genau so kommt eine vernünftige Politik nicht zu Stande.
Meurer: Die israelische Regierung und auch der Staatspräsident Katzav bei seinem jetzigen Besuch in Deutschland erklären ja, die militärischen Maßnahmen gegen die Palästinenser seien notwendige Maßnahmen im Rahmen des Anti-Terror-Kampfs. Erlaubt der Anti-Terror-Kampf alles?
Meurer: Nein, der Anti-Terror-Kampf erlaubt natürlich auch nicht alles. Im übrigen wird es nur mit militärischen Maßnahmen ganz offensichtlich für Israel keinen Frieden geben. Die Israelis leben nun seit vielen Jahren unter einer wachsenden Bedrohung in jedem Punkt ihres Landes. Im übrigen sind sie seit den Anschlägen in Kenia auch außerhalb ihres Landes von terroristischen Anschlägen bedroht und noch so harte militärische Maßnahmen, auch noch so harte Maßnahmen in den Palästinenser-Gebieten haben ihnen ja nicht mehr Sicherheit, mehr Frieden gebracht. Deswegen muss eben nicht nur durch die abstrakte Diskussion über Fuchs-Panzer oder nicht, sondern durch stärkere, zusammenhängende politische Bemühungen ein besserer Beitrag geleistet werden, um diese Eskalation von Gewalt zu verhindern. Das ist genau das, was ich zur Zeit in der Politik vermisse.
Meurer: Was sollte Ihrer Meinung nach die israelische Regierung tun?
Schäuble: Die israelische Regierung muss im Zusammenhang mit der Unterstützung der Völkergemeinschaft agieren. Der Ansatz Europäische Union, UNO, Amerika, Russland zusammen ist ja ein wichtiger. Israel muss die notwendigen Sicherheitsgarantien erfahren. Der Druck auf beide Seiten, jetzt aus dieser Eskalation von Gewalt herauszukommen, muss verstärkt werden. Natürlich muss Israel seine Siedlungspolitik aufgeben. Natürlich muss man den Weg in einen Palästinenser-Staat entschlossener gehen. Es hat auch keinen Sinn zu sagen, wir verhandeln erst dann, wenn der Frieden schon ausgebrochen ist. Der Frieden braucht eben die Verhandlungen vorher. Es hat überhaupt keinen Sinn zu sagen, solange die Gewalt herrscht reden wir nicht miteinander. Um die Gewalt zu beenden, muss miteinander geredet werden. Wenn die so furchtbar zerstrittenen Partner in dieser Region alleine nicht in der Lage sind, miteinander zu reden, brauchen sie die Hilfe, die Unterstützung, die Garantie und den Druck der Völkergemeinschaft, damit sie in Gesprächen und Zusammenarbeit aus dieser Eskalation des Krieges einen Weg finden.
Meurer: Die aktuelle Diskussion, Herr Schäuble, hat natürlich zu tun mit der Möglichkeit eines Krieges der USA oder auch anderer Alliierter gegen den Irak. Was sollte Deutschland Ihrer Meinung nach tun, wenn es kein neues UNO-Mandat für einen solchen Krieg gibt und die Amerikaner trotzdem losschlagen?
Schäuble: Wir sollten dabei bleiben, dass das UNO-Mandat, die Resolution 1441 des Sicherheitsrats umgesetzt wird. Die Amerikaner und ihre Partner wollen ja nicht außerhalb des UNO-Mandats handeln, sondern sie wollen, dass dieses UNO-Mandat erfüllt wird. Das Ziel ist, dass sichergestellt ist, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen, keine atomaren, keine biologischen und keine chemischen hat. Dazu finden Inspektionen statt. Jetzt hat der Irak seinen Bericht abgeliefert und jetzt muss man das durchsetzen. Da man aus der Vergangenheit weiß, dass der Irak nur auf Druck reagiert, dass der Irak jeden versucht zu täuschen und doch um die Erfüllung der Resolution herumzukommen versucht, darf es gar keinen Zweifel geben an der Entschlossenheit der Völkergemeinschaft, dies alles durchzusetzen. Wir werden aber nur im Rahmen dieser UNO-Resolution handeln, auch die Amerikaner. Da bin ich ganz sicher. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Dann müssen aber auch alle Mitglieder der UNO und der NATO und der Europäischen Union an der Durchsetzung dieser Resolution sich beteiligen. Schon wieder haben wir das Problem, die deutsche Regierung hat gesagt, was immer geschehen wird, wir werden uns nicht beteiligen. Sie wird das nicht einlösen können, sie wird das nicht einhalten können. Das weiß inzwischen auch jeder, aber genau deswegen machen wir in dieser Frage inzwischen eine öffentliche Debatte, wo der Rest der Welt nur noch sagt, sind die Deutschen verrückt geworden, kann man sich gar nicht mehr auf sie verlassen. Das ist eine Gefahr für den Frieden in der Welt, aber natürlich auch für unsere Zukunft, denn wenn wir keine verlässlichen Partner sind, werden wir uns in der Zukunft auch schwerer tun, selbst verlässliche Partner zu haben. In der Vergangenheit haben wir gut damit gelebt, dass wir welche hatten.
Meurer: Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Schäuble heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. – Herr Schäuble, ich bedanke mich und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio