Simon: Was halten Sie von der Idee einer solchen diplomatischen Offensive?
Schäuble: Ich glaube, dass es in die richtige Richtung geht. Das ist ja immer der Punkt gewesen, dass wir gesagt haben, den Krieg können die Amerikaner vielleicht alleine gewinnen, aber den Frieden eben nicht, da muss die internationale Staatengemeinschaft eine stärkere Rolle übernehmen, damit auch für die Menschen im Irak sichtbar wird, dass es darum geht, ihnen zu helfen und eine Basis zu schaffen, dass die miteinander leben können, dass sich Schiiten, Sunniten und Kurden nicht gegenseitig umbringen. Und das kann eben besser durch die internationale Staatengemeinschaft getan werden als durch die Amerikaner alleine.
Simon: Haben Sie den Eindruck, dass man in den USA jetzt auch so weit ist, das anzugehen?
Schäuble: Ich hoffe es. Die Amerikaner sind ja entschlossen, die Autorität Mitte des Jahres auf irakische Stellen zu übergeben, auf die Übergangsregierung. Das ist ja auch ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings wird es alleine nicht Stabilität und Sicherheit im Irak schaffen, deswegen müssen die Vereinten Nationen eine größere Rolle spielen. Auch dazu sind die Amerikaner, wenn ich es richtig sehe, inzwischen mehr bereit. Aber entscheidend ist eben, dass auch die Europäer eine gemeinsame Politik entwickeln. Die Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen war ja auch durch die Uneinigkeit der Europäer mitverursacht. Sie müssen eine gemeinsame Politik gemeinsam mit den Amerikanern entwickeln, sie werden auch mehr Verantwortung übernehmen müssen und das ist ja das, was Tony Blair will, wenn ich es richtig interpretiere.
Simon: Wie könnte denn diese gewachsene Verantwortung der Europäer aus Ihrer Sicht aussehen?
Schäuble: Das Entscheidende ist, dass ein geschlossener Weltsicherheitsrat, in dem Europäer, Amerikaner und auch die Russen an einem Strang ziehen, wahrscheinlich auch die arabische, die islamische Staatengemeinschaft zu stärkerem Engagement im Irak veranlassen kann. Das ist ganz wichtig, dass die Menschen im Irak nicht das Gefühl haben, hier wollen andere ihnen ihre Lebensart aufzwingen, sondern dass es darum geht, dass wir gemeinsam für eine Welt mit mehr Stabilität arbeiten. Und dazu müssen dann alle auch bereit sein, an der Umsetzung der Beschlüsse der Vereinten Nationen mitzuwirken und es eben nicht so zu machen, wie die deutsche Bundesregierung, die sagte, wir sind dafür, dass die Vereinten Nationen eine größere Rolle übernehmen, aber wir werden uns in jedem Fall nicht daran beteiligen. Das macht keinen Sinn. Jeder muss das beitragen, was er kann.
Simon: Wenn Sie sagen an einem Strang ziehen und Europäer, Amerikaner, Russen und auch die arabischen Staaten nennen - in der Vergangenheit hat man das in Washington immer so interpretiert, dass es der amerikanische Strang sein musste und das ging ja nicht von allen anderen, die sie genannt haben. Glauben Sie, dass sich in der Richtung auch etwas verändert?
Schäuble: Ich hoffe es. Es ist in der Tat richtig, dass die Amerikaner gesagt haben wenn ihr nicht mitmacht, machen wir es notfalls auch alleine. Das war so falsch wie die Uneinigkeit der Europäer falsch gewesen ist. Aber man kann ja durch Schaden wenigstens klug werden und die Lage im Irak ist so trostlos wie Sie das beschrieben haben. Es ist höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft, Amerikaner und Europäer und die arabischen Staaten auch, sieht: das darf so nicht weitergehen, denn die Lage ist höchst gefährlich.
Simon: Die US-Truppen sind derzeit in Kämpfe sowohl mit sunnitischen Aufständen als auch mit schiitischen Radikalen verwickelt und haben bislang bis auf dieses Wochenende auf eine militärische Lösung gesetzt. Das allerdings bringt mehr Probleme, das sehen auch die Amerikaner. Sie könne zwar von ihrer militärischen Macht aus gegen die Aufständischen vorgehen, aber das würde wahrscheinlich die Unterstützung für die Aufständischen noch verbreiten. Sehen Sie eine Möglichkeit ohne dass jemand sein Gesicht verliert, sich aus dieser militärischen Konfrontation zurückzuziehen?
Schäuble: Es wird ja nicht so sein, dass man auf eine militärische Absicherung des Aufbauprozesses im Irak wird verzichten können. Das Entscheidende wird sein dass je stärker das Mandat der Vereinten Nationen abgesichert werden muss und dass dies auch klar wird für alle Menschen im Irak, dass das eine Hilfe ist und nicht eine Dominanz. Auf militärische Präsenz wird man unter keinen Umständen verzichten können, aber es kommt darauf an, dass klargemacht wird, dass es eine Hilfe für den Irak ist und das geht eben nicht mehr nur, indem man sagt, wir setzen uns auf jeden Fall mit unserer militärischen Überlegenheit durch, sondern man muss es eben durch ein stärkeres internationales Engagement klarmachen, was gemeint ist.
Simon: Seit letzter Woche sind zwischen 30 und 40 Ausländer im Irak verschleppt worden. Sie haben Erfahrung aus der Vergangenheit, es gab unter anderem im Libanon deutsche Geiseln. Wie sehr verkomplizieren diese Geiselnahmen die angespannte Situation im Irak?
Schäuble: Ich glaube, dass die Erfahrungen, die wir damals im Libanon machen mussten mit dieser schrecklichen Kriegssituation, mit dem Irak nicht zu vergleichen sind. Aber es ist natürlich absurd. Alle Menschen haben gesagt man muss uns helfen, das Land wieder aufzubauen, die Wasser- und Stromversorgung wieder herzustellen und mehr. Da kommen nun Menschen aus aller Herren Ländern, helfen, den Irak aufzubauen und dann gibt es irgendwelche Banden, die diese Leute entführten und als Geiseln nehmen. Das muss klar sein, das müssen die Menschen im Irak selber wissen: wenn man ihnen helfen soll, dann darf es ja nicht so sein, dass die, die gekommen sind, um ihnen zu helfen - es geht ja immerhin um zivile Aufbauhelfer - dann zu Geiseln genommen werden. Da muss man schon auch klarmachen, dass die Menschen im Irak selber ein Interesse daran haben, dass diejenigen, die zu ihnen kommen um ihnen zu helfen unversehrt bleiben.
Simon: Das Problem scheint aber zu sein, dass die Bevölkerung sich immer mehr, wenn auch nur schrittweise, entfremdet von denen, die einmal gekommen sind, um sie zu befreien. Sehen Sie Chancen, diesen Entfremdungsprozess zu stoppen?
Schäuble: Das ist genau die dramatische Lage, die wir im Augenblick haben und die kann nur beendet werden, indem ein stärkeres internationales Engagement klarmacht, dass es nicht um Besatzung geht, sondern um Aufbauhilfe. Das ist eine ganz schwierige Situation, es sind viele Fehler gemacht worden und es ist höchste Zeit, dass es jetzt besser gemacht wird, aber es ist ganz klar: wenn es schief geht, ist es nicht nur eine Niederlage für die Amerikaner sondern für die ganze Welt und es macht die Welt weniger friedlich. Deswegen müssen alle das dazu beitragen, was sie können, damit die Lage im Irak besser wird und nicht noch schlechter.
Simon: Wenn wir das stärkere internationale Engagement, das Sie fordern, ganz konkret anschauen, wenn zum Beispiel auch deutsche Truppen in den Irak gehen würden, besteht dann nicht die große Gefahr, dass in der derzeitigen Situation die nicht auch, wie die Amerikaner auch, nur Futter für die Aufständischen werden?
Schäuble: Es geht jetzt nicht darum, deutsche Truppen in den Irak zu schicken. Die deutsche Bundeswehr ist mit ihrem Engagement in Afghanistan, wo die Lage auch nicht besser wird, ja schon ungeheuer stark belastet. Das Entscheidende ist, dass die Iraker auch den Eindruck gewinnen müssen, dass alle Regierungen an einem Strang ziehen und dass nicht die einen gegen die anderen ausgespielt werden. Die Italiener gegen die Spanier und die Polen gegen die Japaner und was weiß ich sondern dass die internationale Gemeinschaft, die UNO, die NATO, die Europäer, die Amerikaner und möglichst auch die arabischen Staaten zusammenwirken, dass sie alle einen stabilen demokratischen freiheitlichen Irak wünschen und dass sie alle miteinander nicht dulden werden, dass der Krieg weiter eskaliert.
Simon: Für wie beunruhigend halten Sie die Ankündigung eines afghanischen Extremisten, die internationale Schutztruppe in Afghanistan aus dem Lande zu jagen, so wie das die Taliban schon länger versuchen?
Schäuble: Es zeigt jedenfalls, dass wir auch in Afghanistan lange nicht über den Berg sind und dass wir auch da weitere große Anstrengungen unternehmen müssen, um diesen schwierigen Prozess einer Stabilisierung zu erreichen, wobei man sich übrigens klarmachen muss: Afghanistan ist ja in vielerlei Hinsicht ein ganz anderes Land als der Irak, in manchem auch sehr viel rückständiger und es ist dort noch schwieriger, diese Stammesherrschaft mit einer Stabilität und einer freiheitlichen Entwicklung des ganzen Landes in einer vernünftigen Weise zu entwickeln. Dann kommt das Drogenanbauproblem ganz dramatisch hinzu. Wir dürfen uns nicht nur auf den Irak konzentrieren sondern müssen auch die gefährliche Entwicklung in Afghanistan sehen und müssen natürlich bedenken, dass die Terroristen dieser Welt das Feuer, das da und dort glüht, gerne zu einem Flächenbrand verbinden wollen.
Simon: Gerade in Afghanistan wird immer deutlicher, wie sehr die Regierung Karsai abhängig ist von der internationalen Schutztruppe. Ist eine weitere Aufstockung auch des deutschen Kontingents noch zu umgehen um den Zerfall des Landes nicht zu verhindern?
Schäuble: Deutschland leistet ja bis jetzt einen überverhältnismäßig großen Anteil, da müssen jetzt zunächst einmal andere auch mehr machen. Wir sind ja bisher die einzigen, die ein solches Aufbauteam in Kundus gemacht haben. Da müssen jetzt andere nachziehen, das kann nicht Deutschland alleine machen. Aber das Beispiel Afghanistan zeigt ja im Übrigen: Ohne die internationale militärische Präsenz ist der Aufbau des Landes nicht zu erreichen und was für Afghanistan gilt, gilt dann unter veränderten Rahmenbedingungen eben im Prinzip auch für den Irak.
Simon: Das war Wolfgang Schäuble, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.
Schäuble: Bittesehr, auf Wiederhören, Frau Simon.