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Schäuble kritisiert die EU-Kommission
"So züchtet man Euroskepsis"

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat der EU-Kommission eine Mitschuld an der Vertrauenskrise in der EU gegeben. Bei einer Podiumsdiskussion des Deutschlandfunks warf er ihr vor, verschuldete Staaten nicht zur Verantwortung zu ziehen und damit die europäische Solidarität zu untergraben.

29.06.2016
    Wolfgang Schäuble spricht auf dem Podium
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble machte der EU-Kommission schwere Vorwürfe. (Deutschlandradio / Christian Kruppa)
    Schäuble äußerte sich bei der Podiumsdiskussion anlässlich der Verleihung des Deutsch-Französischen Journalistenpreises. Nach dem Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich diskutierte er mit Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn darüber, wie man den Europäern wieder Vertrauen in die Europäische Union vermitteln könnte.
    In diesem Zusammenhang kritisierte der CDU-Politiker die EU-Kommission, gegen verschuldete EU-Staaten nicht nach dem Maastrichter Vertrag Strafmaßnahmen einzuleiten. "Dafür ist die Europäische Kommission zuständig, und sie soll verdammt noch mal die Verträge anwenden", so Schäuble wörtlich. Europäische Solidarität gebe es nur, wenn sich alle an die Regeln hielten. Wenn wieder und wieder nicht eingehalten werde, was vereinbart worden sei, "schafft man nicht Grundlage für Vertrauen, sondern züchtet man Euroskepsis".
    Die entsprechenden EU-Regeln sehen unter anderem vor, dass ein Staat nicht mehr Schulden machen darf als 60 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts entsprechen.
    Schäuble sieht Großbritannien am Zug
    Angesprochen auf den im Referendum verlangten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU sagte Schäuble, wie das Land mit diesem Ergebnis umgehe, sei allein seine Sache. Die Briten hätten durch das Referendum jetzt einige Aufmerksamkeit erzielt und einige Unruhe gestiftet, deswegen wäre es ganz fair, wenn sie in absehbarer Zeit entscheiden würden.
    Gespräche über die Bedingungen des Austritts, bevor das Land diesen offiziell beantragt habe, schloss Schäuble aus. "Europa muss sich selber ernst nehmen", sagte Schäuble, man müsse sich an die Regeln halten. "Natürlich werden wir alles daran setzen, dass der Schaden aus dieser Entscheidung nicht noch größer wird", etwa in der Wirtschaft, aber auch in der Politik. Aus der britischen Entscheidung dürfe kein Dominoeffekt werden.
    Brexit-Ergebnis überraschend, Referendum aber nicht
    Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, zweiter Teilnehmer der Podiumsdiskussion, will nicht darauf setzen, dass sich die Briten die Sache noch mal anders überlegen. Er findet, dass die Europäer das Ergebnis des Referendums nun anerkennen müssten. Seiner Ansicht nach waren die Briten am Freitag zwar noch zögerlich, hätten aber inzwischen eingesehen, dass es nicht in ihrem Interesse sei, bei der Entscheidung Zeit zu verlieren.
    Jean Asselborn spricht bei der Podiumsdiskussion
    Jean Asselborn sieht eine Gefahr für die EU weniger von Rechtspopulisten, sondern vielmehr von den nationalen Regierungen. (Deutschlandradio / Christian Kruppa)
    Schäuble erklärte sich das Ergebnis des Brexit-Referendums im Vereinigten Königreich auch als Reaktion auf Veränderungsprozesse im Leben der Menschen. Wenn sich alles schnell verändere, suche man fast instinktiv Halt und Geborgenheit in dem, mit dem man vertraut sei: der Nation oder der Region, in der man lebe. Es sei jetzt ganz wichtig, dass die nationale Bindung der Menschen, soweit sie sie hätten, nicht in einen Gegensatz zum europäischen Engagement zu stellen, "sondern wir müssen das richtig verbinden", so Schäuble.
    Schäuble: Europäer dürfen nicht arrogant sein
    Er verwies auf seine Erfahrungen als Bundesinnenminister zur Zeit der Wiedervereinigung von Bundesrepublik Deutschland und DDR. Er wisse, wie Gesellschaften zusammenzuführen seien, die lange nicht gemeinsam unter einer gemeinsamen Gesellschaftsordnung gelebt hätten. "Für die Jüngeren ist das heute kein Problem", in der neuen Realität Europas zu leben, sagte Schäuble. Die Älteren seien dagegen noch ein ganzes Stück von ihrem Leben in nationalen oder regionalen Zusammenhängen geprägt, "die kommen davon nicht los".
    So wie es damals nicht hilfreich gewesen sei, dass Westdeutsche gegenüber Ostdeutschen arrogant aufgetreten seien, so solle man heute auch nicht zum Beispiel als Westeuropäer den Polen gegenüber auftreten. Schäuble bezog sich auf Kritik an den Bestrebungen der konservativen Regierung in Polen, Justiz und Presse einzuschränken. Vorwürfe, die Polen wüssten nicht, was Demokratie und Freiheit seien, nannte er unsinnig. "Europa muss auch seine Werte so vertreten, dass diejenigen, die da andere Erfahrungen haben, das nicht ganz schnell als arrogant empfinden."
    Jean Asselborn (Medienpreis DFJP), Chefredakteur SR Norbert Klein, Chefredakteurin DLF, Birgit Wentzien und Wolfgang Schäuble, bei der Podiumsdiskussion rund um die Veranstaltung "Deutsch-Französischer Journalistenpreis" in der Akademie der Künste am 29.06.2016 in Berlin. Photo by Deutschlandradio/Semmer Die Nutzungsrechte gehen vollständig für alle Verwendungsarten an den Auftraggeber
    Jean Asselborn (Medienpreis DFJP), Chefredakteur SR Norbert Klein, Chefredakteurin DLF, Birgit Wentzien und Wolfgang Schäuble, bei der Podiumsdiskussion rund um die Veranstaltung "Deutsch-Französischer Journalistenpreis" (Deutschlandradio / Semmer)
    "Es gibt Probleme in dieser Welt im Jahr 2016, die kein europäisches Land alleine lösen kann", sagte Schäuble und verwies als Beispiel auf die Ukraine-Krise, in der die EU-Länder gemeinsam Sanktionen gegen Russland verhängt hätten. Dieses gemeinsame Handeln müsse man den Menschen stärker vermitteln, so Schäuble. Außerdem würden die USA den Europäern inzwischen nicht mehr so viel Krisenbewältigung abnehmen wie in der Vergangenheit.
    Asselborn hält nationale Regierungen für gefährlicher als Populisten
    Auch innerhalb der Union sieht der CDU-Politiker Verbesserungsbedarf. "Europa kann besser werden, wennn es weniger regelt, aber das, was es regelt, schneller und effizienter regelt", sagte Schäuble in Berlin, etwa in der Flüchtlingsfrage und der Sicherheitsfrage. "Lass uns einfach mal einen Teil davon machen und nicht nur drüber reden."
    Asselborn hält die europäische Demokratie für imstande, Argumente gegen Populisten und Rechtsdemagogen aufzubringen, so dass "wir es schaffen können, dass die nicht zu hoch kommen". Auch Marine Le Pen in Frankreich, Christian Strache in Österreich und Geert Wilders in den Niederlanden seien so einzuhegen. Das Problem sieht Asselborn eher darin, wenn nationale Regierungen die Sache Europas schlecht machten, um nationale Wahlen zu gewinnen. Das könne Europa in der nächsten Zeit viel eher erschüttern.
    (stfr/nin)