Donnerstag, 28. März 2024

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Schäuble: Wir wollen nicht jedermanns Computer kontrollieren

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat seine Vorschläge zur inneren Sicherheit verteidigt. Die Rechtsordnung müsse den aktuellen Bedrohungen angepasst werden, sagte der CDU-Politiker. So sei die heimliche Online-Durchsuchung eine angemessene Reaktion auf die neuen technischen Möglichkeiten, die sich Extremisten böten. Schäuble betonte, es werde sichergestellt, dass das Grundrecht auf Datenschutz unangetastet bleibe.

Moderation: Christiane Kaess | 15.08.2007
    Christiane Kaess: Nach der Sommerpause läutet die Große Koalition in den kommenden Tagen die zweite Halbzeit ein. Und schon schlussfolgern Kommentatoren, nachdem die außenpolitischen Erfolge der Regierung und insbesondere der Kanzlerin abgehakt sind, komme nun die Zeit des Streits oder noch schlimmer des Stillstands. Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden großen Parteien seien aufgebraucht, so wird gemutmaßt. Der Wahlkampf für 2009 beginne und nervös werde auf die anstehenden Landeswahlkämpfe geblickt.

    Am Telefon ist jetzt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Guten Morgen!

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen Frau Kaess!

    Kaess: Herr Schäuble, steht die Koalition vor zwei Jahren Stillstand?

    Schäuble: Nein, sicher nicht. Wir haben uns ja vor zwei Jahren ein Programm für vier Jahre gegeben. Da sind viele grundsätzliche Weichenstellungen ja auf den Weg gebracht, auch mit gutem Erfolg. Das Land ist ja in einer insgesamt guten Verfassung. Das muss aber in vielen Fragen fortgesetzt werden. Dazu sind wir auch entschlossen. Grundlage ist der Koalitionsvertrag.
    Natürlich sind Wahlkämpfe und das näher rückende Ende der Legislaturperiode für eine Große Koalition immer schwierig, weil wir ja eigentlich diese Große Koalition dann auch wieder beenden wollen. Aber wir haben den Auftrag, in diesen vier Jahren gute Politik zu machen. Das haben wir bisher gut getan und ich bin zuversichtlich, das werden wir auch in den kommenden zwei Jahren machen.

    Kaess: Bei den Wahlkämpfen geht es auch um Themen. In den vergangenen zwei Jahren hat die Union mit Themen der SPD gepunktet, zum Beispiel bei der Familienpolitik. Jetzt kam die Forderung einiger CDU-Politiker nach mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger. Das hat Arbeitsminister Franz Müntefering mit der Forderung nach einem bundesweiten Mindestlohn verknüpft. Wir hören mal rein, was er dazu bei uns im Programm gesagt hat.

    Franz Müntefering: " Dieselben Leute bei der Union, die das jetzt fordern, dass mehr Geld ausgegeben wird, 500 Millionen, eine Milliarde, die fordern ja auch, dass ich weniger Geld ausgebe für Arbeitslosengeld II. Wer das senken will, der muss sehen, wie er denn da sparen kann. Also jetzt bitte ein bisschen mehr Ehrlichkeit bei der Union und dann kann man das gemeinsam auch gut machen."

    Kaess: Franz Müntefering. - Im Grunde, Herr Schäuble, wirft er der Union Unehrlichkeit vor?

    Schäuble: Na ja. Das ist so die übliche Diskussionslage, die wir in den letzten Wochen hatten. Wir haben ja, was den Mindestlohn anbetrifft, innerhalb der Koalitionsführung vor wenigen Wochen auch eine gemeinsame Lösung gefunden, die nicht den Vorstellungen der Sozialdemokraten entspricht.

    Kaess: Deshalb ist das Thema offensichtlich für Franz Müntefering auch noch nicht vorbei.

    Schäuble: Das kann man ja verstehen. Das war bei der Gesundheitsreform auch nicht anders. Die Große Koalition ist eine Partnerschaft, die beide Partner vor der Wahl ja nicht angestrebt hatten - auch das hat Müntefering ja einmal sehr deutlich und drastisch gesagt -, aber die der Wähler so entschieden hat. Deswegen muss man Kompromisse machen und zu diesen Kompromissen muss man dann auch stehen. Dazu ist die Union bereit und dazu wird auch die SPD und dazu wird insbesondere Franz Müntefering, den ich schätze, bereit sein.

    Kaess: Im Moment ist er das offensichtlich nicht. Warum denken Sie denn tritt Franz Müntefering da so provozierend auf?

    Schäuble: Wir haben nun in der kommenden Woche die Klausurtagung, wo wir das Programm für die nächsten zwei Jahre noch einmal im Einzelnen besprechen wollen. Wir haben ja heute auch Kabinettssitzung. Da werden wir miteinander reden. Ich habe ihn auch so verstanden, dass er gesagt hat, dass er genauso zuversichtlich ist. Wir werden in diesen zwei Jahren miteinander vernünftige Kompromisse finden und gute Arbeit für unser Land machen. Das ist ja unsere vorrangige Pflicht. Man darf ja nie vergessen, dass wir den Auftrag haben, gemeinsam gut für unser Land zu arbeiten. dass wir dann danach auch wieder Wahlkampf machen, das ist auch wahr, aber zunächst einmal haben wir eine gemeinsame Verpflichtung für unser Land.

    Kaess: Herr Schäuble, wird der Ton denn angesichts der schwindenden Gemeinsamkeiten härter?

    Schäuble: Das kommt gelegentlich vor. Das haben wir auch in den letzten Monaten so gehabt. Ich hoffe, dass alle Beteiligten, denn das gilt dann immer für alle, jetzt auch in der Sommerpause ein bisschen wieder gedacht haben, eigentlich tun wir uns, jedem von uns und uns gemeinsam und dem Land einen Gefallen, wenn wir im Ton berücksichtigen, dass wir schließlich gemeinsam Partner einer Regierung sind.

    Kaess: Ist denn der Vorschlag, Hartz IV zu erhöhen, der ausgerechnet aus der CDU kommt, schon die erste Positionierung mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen, denn populär ist der Vorschlag ja?

    Schäuble: Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, kam der Vorschlag ja nicht so unmittelbar aus der Regierung, sondern er kam natürlich von Kollegen aus den Ländern, die dafür vielfältige Gesichtspunkte haben. Das ist aber in einer pluralistischen Volkspartei immer so, dass es da viele Gesichtspunkte gibt. In der Tat gibt es ja auch ein paar Argumente und die SPD hätte ja nicht so nervös reagiert, wenn sie nicht gespürt hätte, dass das in der Sache ein ernst zu nehmender Vorschlag ist. Aber da muss man nun eben in der Regierung und in der Koalition gemeinsam darüber reden. Wir haben ja die Klausurtagung nächste Woche. Lassen Sie uns erst einmal miteinander reden und es ist besser wir reden miteinander und danach wieder, wenn nötig, auch übereinander.

    Kaess: Hat die CDU keine eigenen Themen?

    Schäuble: Oh doch! Was heißt eigene Themen? Die Familienpolitik, die haben Sie vorhin als SPD-Thema genannt.

    Kaess: Ist ein klassisches SPD-Thema!

    Schäuble: Na, ich bitte Sie herzlich! Die CDU ist die Partei, die für die Familie steht und für die gleichen Lebenschancen für Frauen mit und ohne Kinder und mit und ohne Berufstätigkeit, für die Institution Ehe und Familie. Also da streiten wir natürlich. Da sind wir Wettbewerber. Wir haben das Thema äußere Sicherheit, wir haben das Thema europäische Einigung, wir haben das Thema innere Sicherheit, wir haben das Thema Wirtschaftswachstum, Beschäftigung. Schauen Sie mal, welche tollen Erfolge wir in der Wirtschaft, in den Finanzen, am Arbeitsmarkt erzielt haben. Wir arbeiten gemeinsam daran, dass wir die Sicherungssysteme übrigens auch für die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst auf die demographische Entwicklung vorbereiten, damit sie da auch in der Zukunft stabil sind. Das sind alles große Aufgaben, keine einfachen Themen, aber wir haben da viel erreicht. Wir sind nicht am Ende unserer Arbeit. Deswegen haben wir eine Menge Dinge, die wir in diesen zwei Jahren zum Wohle unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger tun werden.

    Kaess: Sie sprechen andere Themen an. Konflikte gibt es ja auch in anderen Bereichen. Sie sind in der ersten Halbzeit der Legislaturperiode immer wieder scharf kritisiert worden wegen verschiedener Vorschläge zur inneren Sicherheit. Werden Sie denn in Zukunft sanfter vorgehen?

    Schäuble: Ich werde natürlich das Menschenmögliche tun, damit die Menschen in unserem Lande in Sicherheit leben können. Wir leben in einer Zeit voller Gefahren. Wir haben übrigens in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode eine Menge erreicht, Dinge die jahrelang blockiert waren. Denken Sie an die gemeinsame Anti-Terror-Datei. Wir haben beispielsweise eine Reform der Bundespolizei auf den Weg gebracht, die uns darauf vorbereitet, mit der Erweiterung des Schengen-Raumes, also mit dem Wegfall der Grenzkontrollen an unseren Grenzen gegenüber Tschechien und Polen sicherzustellen, dass wir nicht weniger, sondern mehr Sicherheit haben. Viele andere Dinge haben wir auf den Weg gebracht und natürlich gibt es auch immer - das ist im Übrigen auch ein objektives Problem - die Situation, wie können wir angesichts der dramatisch schnellen Entwicklung der Kommunikationstechnologie auf der einen Seite sicherstellen, dass für die Menschen ihr Grundrecht auf Datenschutz, auf informationelle Selbstbestimmung erhalten bleibt, auch unter den neuen Möglichkeiten moderner Kommunikationstechnologien. Denken Sie daran, was allein das Internet für die Menschen, die ja ihre Daten dort ganz arglos zur Verfügung stellen, an Gefahren bedeutet. Andererseits nutzen natürlich auch diejenigen, die die innere Sicherheit bedrohen wollen, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten und darauf müssen die für die Sicherheit Verantwortlichen auch reagieren können.

    Kaess: Herr Schäuble, die Online-Durchsuchung empfinden viele als Provokation.

    Schäuble: Die Online-Durchsuchung ist eigentlich nur eine Reaktion auf die technische Entwicklung. Es war in der Menschheitsgeschichte immer so: Wenn es neue Kommunikationsmöglichkeiten gegeben hat, dann müssen die für die Sicherheit Verantwortlichen auch eine Möglichkeit haben, darauf gegebenenfalls, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, Einblick nehmen zu können. Das ist ja nichts Neues. Deswegen hat es ja die rot-grüne Regierung auch ohne ausdrückliche Gesetzgebung, ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage gemacht. Ich habe ja lediglich, nachdem der Bundesgerichtshof gesagt hat, man braucht dafür eine gesetzliche Grundlage, gesagt, wir müssen diese gesetzliche Grundlage schaffen für etwas, was man bisher ohne gesetzliche Grundlage geschaffen hat. Dass da viele Menschen Ängste haben, das ist wahr. Deswegen muss man den Menschen erklären, worum es geht, dass es ja nicht darum geht, jedermanns Computer zu kontrollieren, sondern dass es darum geht, wie bisher auch, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, unter bestimmten Voraussetzungen, unter richterlicher Kontrolle und unter all den Anforderungen modernen Datenschutzes den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit zu geben, schwere Anschläge gegen unser Land zu verhindern.

    Kaess: Verunsichert hat viele Bürger auch Ihr Vorschlag zur gezielten Tötung von Terroristen. Haben Sie da etwas falsch erklärt?

    Schäuble: Den Vorschlag habe ich nie gemacht. Ich bitte Sie herzlich! Den habe ich nun wirklich nie gemacht. Das ist eines der Phantome in der öffentlichen Debatte. Ich habe gesagt, die internationale Rechtsordnung passt auf die neuen terroristischen Bedrohungen, auf die asymmetrische Kriegsführung nicht, und habe den Fall angesprochen, dass in einem Fall, der ja von den Vereinten Nationen selbst als ein Verteidigungsfall nach der Charta der Vereinten Nationen beschlossen worden ist, selbst dann die Frage des Kombattanten-Status international nach den bisherigen Rechtsordnungen nicht mehr passt. Mit einem gezielten Tötungsschuss in unserem Land hat das nun überhaupt nichts zu tun. Da ist eine wirkliche Phantomdebatte aufgemacht worden. Man baut sich einen Pappkameraden, um auf ihn draufschlagen zu können.

    Kaess: Herr Schäuble, "Die Zeit" hat in der vergangenen Woche ein Buch analysiert, dessen Lektüre Sie empfohlen haben. Es ist die Selbstbehauptung des Rechtsstaates von Otto Depenheuer. Darin finden sich Aussagen wie Guantanamo sei eine verfassungstheoretisch mögliche Antwort im Kampf der rechtsstaatlichen Zivilisation gegen die Barbarei des Terrorismus. Stimmen Sie dem zu?

    Schäuble: Ich habe in einem bestimmten Zusammenhang das Buch von Herrn Depenheuer genannt. Im Übrigen wissen Sie: Sie müssen ein solches Buch erst einmal lesen und dann müssen sie den Gesamtzusammenhang mit dem Autor diskutieren. Das ist ein ernst zu nehmender Verfassungsrechtler. Der hat es einfach nicht verdient, dass man ihn in einer solchen Weise verkürzt und missverständlich darstellt. Das ist eine ähnliche Debatte, wie Sie es jetzt gerade mit dem angeblich gezielten Todesschuss gemacht haben. Also man muss schon sehen: Es ist eben so - und das wird von keinem ernst zu nehmenden im In- und Ausland bestritten -, die Rechtsordnung, die hergebrachte Rechtsordnung passt auf die klassische Unterscheidung nicht mehr mit der asymmetrischen Kriegsführung und den terroristischen Bedrohungen.

    Kaess: Blicken wir zum Schluss noch mal auf die kommenden zwei Jahre. Der Mindestlohn und die innere Sicherheit sind zwei Themen. In der kommenden Zeit wird sich die Regierung aber mit den Reformen der Erbschaftssteuer, Pflegeversicherung und den Plänen zum Klimaschutz beschäftigen, alles umstrittene Themen. Mit welchen Ergebnissen rechnen Sie denn?

    Schäuble: Ich hoffe, dass wir uns bei all diesen Fragen im Rahmen der unterschiedlichen Grundeinstellungen, die Sozialdemokraten und Christdemokraten in vielen Fragen haben, auf gemeinsame Lösungen einigen können. Genau dem zielt ja auch die Klausurtagung in der kommenden Woche.

    Kaess: Der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble war das. Vielen Dank für das Gespräch.

    Schäuble: Bitte sehr. Auf Wiederhören!