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Schäuble zieht positive Bilanz des Irak-Krieges

Das Interview führte Margarete Limberg.

    Limberg: Herr Dr. Schäuble, vor einem Jahr begann der Irak-Krieg; ein Jahr später fällt die Bilanz eher düster aus. Zwar wurde der Diktator Saddam Hussein gestürzt, aber der Friede ist keineswegs gesichert. Die Sicherheitslage ist prekär, der Irak zum Aktionsfeld von Terroristen geworden, die sich gegen die Soldaten der Koalition ebenso wie gegen Iraker und ausländische Helfer richten. Ein Bürgerkrieg ist nicht auszuschließen, ebenso wenig wie die Spaltung des Landes. Dazu haben sich die Gründe für den Krieg als eine Mischung aus bewusster Täuschung und Vermutungen erwiesen. Es sind keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden, und Verbindungen Saddam Husseins zur Al Kaida konnten nicht nachgewiesen werden. War der Krieg ein katastrophaler Fehler, oder rechtfertigt der Sturz des Regimes ihn im Nachhinein?

    Schäuble: Ich denke, wenn man alles zusammen nimmt, dann spricht doch mehr dafür, dass die Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein alles in allem auch die Nachteile, die wir ja nicht bestreiten können, überwiegt. Die Lage der Menschen hat sich doch in vieler Beziehung, auch wirtschaftlich, verbessert, auch wenn die Entwicklung nicht stabil ist. Vor allen Dingen ist Gott sei Dank ausgeblieben, was viele Experten oder selbsternannte Experten befürchtet hatten, dass die ganze Region in Flammen stehen würde. Natürlich, die terroristische Gefahr ist nicht kleiner geworden, das ist wahr. Und der Aufbau demokratischer Strukturen im Lande wird durch viele Anschläge gefährdet, und das Engagement muss fortgesetzt werden. Aber alles in allem glaube ich, dass die Lage heute besser ist, als sie zu Zeiten war, als Saddam Hussein noch sein verbrecherisches Regime im Irak ausüben konnte.

    Limberg: Also, dann lagen diejenigen, die den Krieg abgelehnt haben, weil sie eben befürchtet haben, was Sie gerade gesagt haben - einen Brand in der ganzen Region - falsch?

    Schäuble: So würde ich es dann auch nicht sagen. Ich will einmal auf unsere eigene Position zurückkommen. Wir haben damals gesagt, und ich glaube das heute auch noch, dass das die bessere Lösung gewesen wäre: Man hätte alles daransetzen müssen, dass es nicht zu einer unilateralen Entscheidung gekommen ist, sondern dass man auf der Grundlage von Entscheidungen des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen gehandelt hätte. Das ist verhindert worden, weil der Westen sich nicht einig war.

    Es war nicht Moskau oder Peking, die mit Vetos blockiert haben, sondern es war die Uneinigkeit der Partner der Atlantischen Allianz, die ein gemeinsames Handeln unmöglich gemacht haben und das hat letzten Endes dazu geführt, dass unilateral entschieden worden ist. Und mit der unilateralen Entscheidung sind Chancen für eine friedliche, stabile Entwicklung nach der Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein natürlich nicht verbessert, sondern verschlechtert worden. Insofern wäre es besser gewesen, man hätte es damals anders erreicht. Das ist nicht möglich gewesen. Nun muss man das Beste daraus machen.

    Übrigens: Die Information mit den Massenvernichtungswaffen – ich weiß nicht, ob es eine bewusste Täuschung war. Es haben ja alle Nachrichtendienste damals, auch der deutsche, gesagt, Saddam Hussein hat Massenvernichtungswaffen gehabt. Er hat ja im Übrigen chemische Waffen angewandt, und er strebte auch nach Atomwaffen. Da waren sich alle Dienste einig. Ich unterstelle dem Bundesnachrichtendienst überhaupt nicht, dass er da manipuliert hat oder so, vielleicht hat er sich getäuscht, vielleicht hat man es auch nicht richtig gefunden. Aber dass es alles nur bewusste Täuschungsmanöver gewesen seien, das glaube ich nicht. Also, wir sollten es jetzt nicht zu einseitig – weder in die eine noch in die andere Richtung – beurteilen.

    Limberg: Herr Schäuble, Präsident Bush scheint ja durch die recht düstere Gegenwart im Irak nicht sonderlich beeindruckt. Er spricht von einem "Sieg über den Terrorismus", die Welt sei sicherer geworden. Malt er da nicht ein sehr rosiges Bild, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat?

    Schäuble: Ich glaube, dass, wenn wir Äußerungen des amerikanischen Präsidenten interpretieren müssen, immer auch ein bisschen bedenken müssen, dass er natürlich auch ein Stück weit Führungskraft ausüben muss. Der Kampf gegen den Terrorismus ist nicht gewonnen, das ist wahr, aber das sagt Präsident Bush ja auch immer sehr klar. Aber es sind Fortschritte im Kampf gegen den Terrorismus gemacht worden.

    Es gibt allerdings auch fürchterliche Rückschläge, der letzte und schlimmste war mitten in Europa, in Spanien gewesen. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass jetzt der Eindruck entsteht, die Europäer würden vor dem Terrorismus zurückschrecken, würden sich einschüchtern lassen. Das wäre ja der größte Erfolg, den die Terroristen haben könnten. Und ich glaube, wir dürfen auch gar keinen Zweifel darüber zulassen.

    Es ist ein gefährlicher Kampf, wir alle sind vom Terrorismus bedroht. Wir müssen jede mögliche Vorsorge treffen, die Innenminister von Bund, Ländern – auch in Europa, versuchen das. Aber es gibt keinen hundertprozentigen Schutz, und wir müssen klar sagen: Es kann zu jeder Zeit auch uns in Deutschland treffen. Aber es darf nicht dazu führen und es macht keinen Sinn, dass wir jetzt gewissermaßen versuchen, uns in eine Nische zurückzuziehen. Wir dürfen nicht zurückweichen vor dieser Bedrohung, sondern wir müssen ihr mit Geschlossenheit und Entschlossenheit begegnen.

    Limberg: Weicht denn Spanien zurück vor dieser Bedrohung, wenn es jetzt ankündigt, seine Truppen abzuziehen? Ist das ein Appeasement?

    Schäuble: Wenn es so wäre, wäre es ein ganz gefährliches Zeichen. Allerdings muss man ja hinzufügen: Der zukünftige spanische Ministerpräsident hat ja vor dem Anschlag in Madrid die Politik der bisherigen spanischen Regierung kritisiert und gesagt, ohne ein Mandat der Vereinten Nationen werde er im Falle eines Wahlsieges Ende Juni die spanischen Truppen zurückziehen. Nun bin ich eigentlich ganz zuversichtlich, dass wir bis Ende Juni ein Mandat der Vereinten Nationen haben werden.

    Und ich bin eigentlich auch zuversichtlich, dass die künftige spanische Regierung dann veranlassen wird oder es ihr ermöglichen wird, dass Spanien weiterhin im Irak engagiert bleibt. Denn das Gegenteil wäre nun wirklich der Eindruck eines Zurückweichens vor dem Terrorismus. Das hoffe ich, dass das die spanische Regierung nicht will. Und ich hoffe auch, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst ist. Wer zurückweicht vor terroristischer Erpressung, der ermuntert die Terroristen. Und das will ganz sicher auch die künftige spanische Regierung nicht.

    Limberg: Aber man hat ja schon den Eindruck, dass die Koalition der Willigen bröckelt. Es hat aus Polen Äußerungen gegeben, die man so interpretieren kann. Südkorea will nicht, wie ursprünglich versprochen, Truppen im Norden des Irak zur Verfügung stellen. Sehen Sie diese Entwicklung?

    Schäuble: Das muss man doch verstehen, dass Polen in einer übrigens auch innenpolitisch sehr schwierigen Situation – dort ist ja auch der Regierungschef vom Amt des Parteivorsitzenden zurückgetreten, was ja immer Ausdruck einer Krise in der jeweiligen Regierung ist, wir kennen das in Deutschland auch, am heutigen Tag darf man daran erinnern, dass in Polen natürlich auch Stimmen laut werden, die sagen: "Wenn es in Spanien diskutiert wird, dann wollen wir auch nicht". Das ist auch klar.

    In Südkorea ist noch einmal eine besondere Situation. Dort muss man die schwierigen Verhandlungen mit Nordkorea und dessen Streben nach Atomwaffen mit berücksichtigen. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass es gelingt – und da sind ja die Aussichten gar nicht schlecht –, dass in der Tat die Verantwortung im Irak zur Jahresmitte, also zum 1. Juli, auf eine irakische Übergangsregierung übertragen wird, dass dieses durch ein Mandat der Vereinten Nationen abgesichert oder flankiert und unterstützt wird und dass dann zugleich zwischen den irakischen Autoritäten und den jetzigen Inhabern der staatlichen Autorität, also im wesentlichen der Koalition, geführt von den Vereinigten Staaten von Amerika und den Vereinten Nationen ein Einvernehmen darüber entsteht, wie man den Prozess des demokratischen Aufbaus im Irak von außen absichern kann.

    Der Bedarf der Abstützung und der Unterstützung durch militärischen Schutz, auch in der Zukunft – da kann es sein, dass ein Ersuchen auf die NATO zukommt, das hat der deutsche Bundeskanzler schon vor Monaten gesagt, dass dann die Bundesregierung dem nicht entgegentreten würde...

    Limberg: ...aber sie will keine Kampftruppen stellen, hat er gesagt. Kann sie dabei bleiben?

    Schäuble: Um Kampftruppen geht es ja auch gar nicht. Es geht ja darum, den Friedensprozess im Irak und den demokratischen Aufbau abzusichern. Die deutsche Bundeswehr ist ja in Afghanistan stark engagiert. Jetzt hat der Verteidigungsminister kurzfristig – richtigerweise – angesichts der Schwierigkeiten im Kosovo angekündigt, noch zusätzlich 600 Soldaten in den Kosovo zu entsenden. Die Bundeswehr ist am Rande ihrer Möglichkeiten angelangt.

    Aber wenn beispielsweise das NATO-Hauptquartier von Mönchengladbach in den Irak verlegt werden sollte, dann wäre es natürlich ganz fatal, wenn etwa die Bundesregierung die deutschen Offiziere, die in diesem Hauptquartier Dienst tun, daraus zurückziehen würde.

    Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Es kommt nicht darauf an, wie viele Soldaten wir entsenden, es geht schon gar nicht um die Entsendung von deutschen Kampftruppen in den Irak. Dass Schröder versucht, sein Wahlversprechen nicht zu offenkundig zu brechen, das ist auch in Ordnung, das will ich jetzt gar nicht kritisieren. Aber es kann eben nicht sein, dass wir sagen: Die UNO muss entscheiden, die NATO soll sich engagieren, aber wir beteiligen uns nicht! So macht man weder das Atlantische Bündnis partnerschaftsfähig noch die Vereinten Nationen handlungsfähig.

    Limberg: So hat es aber die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, gesagt: Weder vor noch nach einem Beschluss der UNO werde es deutsche Soldaten im Irak geben.

    Schäuble: Sie ist glücklicherweise dafür nicht zuständig in der Regierung. Und das Elend der deutschen Politik im vergangenen Jahr war ja gewesen, dass die deutsche Bundesregierung gesagt hat – genau wie wir, was die CDU/CSU-Opposition sagte: Wir wünschen uns Entscheidungen der Vereinten Nationen. Aber die Bundesregierung hat weiter gesagt: Auch wenn die Vereinten Nationen entscheiden, werden wir uns nicht beteiligen. Und ich finde, diese zwei Dinge gehen nicht zusammen, und das muss auch Frau Wieczorek-Zeul noch einmal überlegen.

    Wer dafür eintritt, dass die Vereinten Nationen entscheiden, der muss grundsätzlich auch bereit sein, einen fairen Anteil an der Umsetzung solcher Beschlüsse der Vereinten Nationen zu tragen - denn zu sagen: Wir wollen alle gemeinsam entscheiden, was die Amerikaner tun müssen, das geht natürlich nicht. Da würden die Amerikaner sagen: Wenn wir es doch alleine tun müssen, dann entscheiden wir es auch alleine. Wer multilaterale Entscheidungen will, der muss auch bereit sein, multilateral seinen Anteil an Verantwortung zu übernehmen. Das war der Widerspruch in der deutschen Politik. Das hat Frau Wieczorek-Zeul offenbar noch nicht begriffen. Aber ich sage noch einmal: Sie ist glücklicherweise dafür nicht zuständig.

    Limberg: Herr Schäuble, die transatlantische Partnerschaft ist durch den Krieg und seine Vorgeschichte einer ihrer größten Krisen ausgesetzt gewesen, die sie in ihrer Geschichte erlebt hat. Zwischen Bundeskanzler Schröder und dem amerikanischen Präsidenten herrschte lange Sprachlosigkeit. Die ist jetzt überwunden, man redet wieder miteinander, man geht wieder aufeinander zu. Wie nachhaltig ist dieser Schaden?

    Schäuble: Die Erfahrung ist ja gewesen: Wer glaubt, er könne Europa gegen die Vereinigten Staaten von Amerika einen, der spaltet am Ende nur Europa. Das war ja der erste große Schaden. Europa selber ist ja geradezu marginalisiert worden durch diesen tiefen Streit, der ja auch noch nicht beseitigt ist. Die Schwierigkeiten in der europäischen Verfassungsdebatte bis zum Gipfel in Brüssel haben ja auch mit zerstörtem Vertrauen in Europa eine ganze Menge zu tun. Es ist gut, dass die Bundesregierung versucht, das zu reparieren. Es ist gut, dass zwischen der amerikanischen Regierung und der deutschen Regierung wieder einigermaßen vernünftige Beziehungen sind. Und man sollte alles daransetzen, in dieser Richtung weiter voranzugehen. Wir unterstützen das. Aber es kann natürlich überhaupt kein Zweifel sein: Es war eine schwere Beschädigung, und sie war nicht in unserem Interesse.

    Limberg: Wir haben schon die jüngsten terroristischen Attacken in Madrid angesprochen. Seither herrscht eine enorme Betriebsamkeit, sowohl in Deutschland wie auch auf europäischer Ebene. Im Blick darauf: Wie kann man sich vor solchen Anschlägen schützen, wie kann man ihnen begegnen? Was kann man tun? Da wird nun heftig beklagt der Kompetenzsalat bei der inneren Sicherheit, ein Gegen- und Nebeneinander der Institutionen wird beklagt. Und alle versprechen, dass der Informationsaustausch besser werden muss. Es gibt den Vorschlag "Unterordnung der Landeskriminalämter und der Verfassungsschutzämter der Länder unter das Bundeskriminalamt beziehungsweise das Bundesamt für Verfassungsschutz" – oder wenigstens eine Fusion kleinerer Verfassungsschutzämter. Halten Sie dergleichen für sinnvoll und für machbar?


    Schäuble: Also, ich meine, wir müssen ganz sicher den Informationsaustausch, den Informationsfluss verbessern. Das ist immer noch lange nicht optimal, und wir sollten da alle Potentiale an Verbesserungsmöglichkeiten nutzen, um Informationen zu beschaffen. Denn wenn man die Informationen rechtzeitig hat, kann man die Anschläge verhindern. Wenn die Anschläge schon passiert sind, liegt das Kind immer schon im Brunnen. Also, was immer man da tun kann, ist richtig.

    Ich glaube nicht, dass der Zentralismus das bessere Organisationsprinzip ist, das will ich gleich auch hinzufügen. Wir haben ja in vielen Feldern eben eher schlechte Ergebnisse. Wenn wir nur unseren Arbeitsmarkt anschauen: Mit immer mehr Übertragung von Befugnissen auf die Bundesagentur für Arbeit, die frühere Bundesanstalt für Arbeit, wird ja die Effizienz nicht besser. Und deswegen bin ich ein wenig skeptisch, ob nun die Übertragung von Kompetenzen auf den Bund die Lösung des Problems ist, die Zusammenarbeit zu verbessern.

    Von mir aus braucht auch nicht jedes kleine Bundesland ein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz, das ist auch richtig. Aber Nordrhein-Westfalen und Bayern haben ja schon gesagt, sie wollen das nicht aufgeben. Also, da ist die richtige Kombination das Wichtigere.

    Im Übrigen brauchen wir den Austausch von Informationen nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern wir brauchen ihn innerhalb Europas und möglichst darüber hinaus. Und da hat sich ja gezeigt, da ist ja auch der Bundesinnenminister bei der Konferenz der Innenminister in Brüssel am vergangenen Freitag dafür eingetreten, und offenbar ist man nicht sehr weit gekommen: Es müssen alle begreifen, dass nur der vollständige und zeitnahe Austausch aller Informationen und eine gemeinsame Bewertung eine verbesserte Chance bietet, diese Anschläge, von denen wir alle bedroht sind, zu verhindern. Aber, wie gesagt, mit neuen Bürokratien und noch mehr Zentralisierung glaube ich nicht, dass das der richtige Ansatz ist.

    Limberg: Also, wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind Sie auch skeptisch im Blick auf das, was die EU-Innenminister am Freitag beschlossen haben: Sie wollen einen Koordinator installieren, der sich speziell mit dieser besseren Zusammenarbeit der Geheimdienste, mit besserem Informationsaustausch beschäftigen soll. Aber es hat ja auch schon nach dem 11. September derartige Aktivitäten, Versprechungen und Beschlüsse gegeben. Vieles ist nicht in die Tat umgesetzt worden, obwohl man die Möglichkeit gehabt hätte.

    Schäuble: Das ist genau mein Punkt. Ein Koordinator mag richtig sein, aber wenn der Wille nicht vorhanden ist, dass man wirklich vollständig die Informationen austauscht, dann nutzt auch ein Koordinator nichts. Dann ist das nur wieder so eine Geschäftigkeit – Sie haben das gesagt – nach einem solchen furchtbaren Ereignis, eine Art Beruhigungsstrategie, aber im Ergebnis ändert sich nichts. Entscheidend ist, dass man sich wirklich darüber im Klaren ist, und dass die politische Führung auch den Mitarbeiten und den nachgeordneten Dienststellen ganz klar macht: Wir wollen, dass ihr wirklich alle Informationen austauscht. Und das setzt eben voraus, dass man in den politischen Zielen, in der politischen Analyse klar ist.

    Ich glaube, manches hat eben damit zu tun, wenn die Europäer eben insgeheim doch eine unterschiedliche Politik im Verhältnis zur atlantischen Partnerschaft, im Verhältnis zu der Beziehung zum Irak führen – wenn Europa so gespalten und zerstritten war, wie es vor einem Jahr der Fall war, dann ist doch völlig klar, dass die Nachrichtendienste eben auch ihre eigenen Interessen haben.

    Das heißt, die politische Führung muss wirklich überzeugend in allen Ländern klar machen: Wir haben ein gemeinsames Interesse, wir wollen und verlangen, dass wirklich zusammengearbeitet wird. Und wenn dieser politische Wille vorhanden ist, dann braucht man keinen neuen Koordinator, dann muss man vielleicht die technischen Systeme entsprechend kompatibel machen, vernetzen, aber dann funktioniert es auch.

    Limberg: Es gibt in Deutschland die Diskussion um einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren über die Möglichkeiten hinaus, die bisher schon im Grundgesetz erlaubt sind. Ihre Partei fordert dies, Sie gehören auch zu jenen, die das für notwendig halten. Ist das aber nicht ein Nebenschauplatz im Grunde in dieser Diskussion? Ist es nicht die Polizei, die gefragt ist? Muss sie nicht entsprechend ausgestattet werden, ausgerüstet werden, zahlenmäßig, auch mit ihren Instrumentarien, mit ihrer Technologie?

    Schäuble: Doch. Die Frage einer Grundgesetzergänzung, um die Bundeswehr, wie es notwendig und möglich ist, zur Gefahrenabwehr im eigenen Lande einsetzen zu können ist nicht anstelle einer Ausstattung der Polizei. Das ist völlig klar. Die Bundeswehr soll auch nicht Hilfstruppe der Polizei werden. Das will gar niemand.

    Es geht im Grunde um zwei Punkte, bei denen auch kaum ein normaler Mensch wirklich versteht, dass wir damit ein Problem haben, nämlich: Wenn wir eine bestimmte Gefahrensituation in Deutschland haben sollten - und damit muss man leider rechnen –, bei der die vorhandenen Kräfte der Polizeien von Bund und Ländern nicht ausreichen würden – das ist vorstellbar –dann kann es doch nicht wahr sein, dass wir sagen, wir hätten zwar die Bundeswehr, wir dürfen die aber nicht einsetzen. Das kann nicht richtig sein. Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz, aber den möglichen Schutz dürfen wir doch nicht verweigern.

    Und das zweite ist: Wenn ich höre, was die Bundeswehr auf dem Balkan macht, oder was sie in Afghanistan macht, oder wo sie sonst im Einsatz ist, dann wird ja immer von der Bundesregierung selbst gesagt, das ist auch richtig, das wird auch international sehr gelobt: Wir machen hier eine sehr enge Zusammenarbeit zivil-militärisch, Soldaten und Polizisten arbeiten zusammen, um Gefahren abzuwenden und die Sicherheit zu garantieren. Das geschieht überall auf der Welt, auch durch die Soldaten der deutschen Bundeswehr, nur in Deutschland selber soll diese zivil-militärische Zusammenarbeit zum Schutz der Bevölkerung nicht möglich sein dürfen.

    Also ich finde, wir sollten wirklich aufhören, den möglichen Schutz zu verweigern. Wir sollten das, was alle Länder der Welt unter klaren verfassungsrechtlichen Grundlagen und Grenzen machen, was die Bundeswehr überall auf der Welt, wo sie eingesetzt wird, auch tut, diesen Schutz sollten wir unserem eigenen Land und den Menschen in unserem eigenen Land nicht verweigern.

    Limberg: Sehen Sie denn überhaupt eine Chance für die nötige Zweidrittelmehrheit, die ja eine solche Grundgesetzänderung erfordert?

    Schäuble: Na, im Augenblick wird das von der derzeitigen Mehrheit im Bundestag abgelehnt. Aber ich bin ganz sicher, wenn die Öffentlichkeit noch ein bisschen genauer sieht, worum es da geht, dann wird der Druck auf diejenigen, die sich der notwendigen Grundgesetzanpassung verweigern, groß werden. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir das in absehbarer Zeit haben werden. Ich hoffe nur, dass wir nicht erst eine große Katastrophe brauchen. Ich finde, wir sollten das Notwendige in einer verfassungsrechtlich einwandfreien Weise mit den engen Grenzen, wie immer man sie will, aber eben verfassungsrechtlich klargestellt machen. Das ist verantwortliche Politik. Das andere ist aus innerparteilichen, taktischen Rücksichtnahmen das Verweigern von Verantwortung.

    Limberg: Es gibt noch ein anderes Thema, das nun auch unter dem Eindruck der Terroranschläge eine neue Aktualität oder Brisanz erlangt hat: Das Zuwanderungsgesetz. Es wird heute Abend darüber weiter verhandelt. Hier fordert die Union Verschärfungen bei der Ausweisung von verdächtigen Ausländern. Das hat sie schon vor den Anschlägen getan, aber diese Forderungen werden doch jetzt praktisch als eine Art Junktim gehandelt. Muss man erwarten, dass dieses Gesetz scheitert?

    Schäuble: Nein, ich hoffe, dass es zustande kommt. Mein Eindruck ist, dass etwa der Bundesinnenminister immer gesagt hat, mit der CDU/CSU wäre er sich in den Verhandlungen im Wesentlichen einig. Das Problem ist mehr innerhalb der Koalition, vor allen Dingen in dem Fall die Rücksichtnahme auf den kleineren Koalitionspartner, die Grünen. Und die Auseinandersetzungen gehen ja mehr zwischen Herrn Schily und den Grünen als zwischen Herrn Schily und der CDU/CSU. Und die Tatsache, dass die Union diese Forderungen schon vor den Anschlägen in Madrid vertreten hat, zeigt ja, dass wir nicht opportunistisch auf irgendein schreckliches Ereignis reagieren, sondern dass wir langfristig eine vernünftige Politik vertreten, die eben die Belange der inneren Sicherheit ernst nimmt.

    Ich glaube, dass das übrigens gerade auch in dem Sinne wichtig ist. Wir sind ein ausländerfreundliches Land. Wir müssen alles tun, dass wir es bleiben, dass die Offenheit, die Toleranz in unserem Lande und in unserer Gesellschaft erhalten bleibt. Aber wir müssen natürlich die Integration der Menschen, die zu uns gekommen sind, die bei uns leben, verbessern. Das sind die entscheidenden Anliegen. Und es muss auch klar sein, dass Offenheit und Toleranz keine Gegensätze zu innerer Sicherheit sind. Das dürfen keine Gegensätze sein, und das muss dieses Gesetz leisten. Ich hoffe, dass das jetzt bald möglich wird.

    Limberg: Es hat sich ein neuer Konfliktherd ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückgemeldet, der fast vergessen war: Kosovo. Es gibt dort Unruhen. Hat Sie diese Entwicklung überrascht, und wer hat da versagt?

    Schäuble: Die meisten, die sich auskennen, haben ja gewarnt, dass diese Entwicklung kommen könnte, dass wir uns keinen Illusionen hingeben dürften, dass die Hoffnung, dass ein multiethnisches Zusammenleben im Kosovo möglich ist, auf absehbare Zeit eine eitle Hoffnung ist. Und das hat sich nun schrecklich bestätigt. Ich finde übrigens, dass die NATO, auch die deutsche Bundesregierung, das Verteidigungsministerium, richtig und schnell und entschlossen reagiert hat. Das ist ein Zeichen, dass auf eine schlimme Entwicklung auch die Reaktion richtig war. Nur helfen diese schnellen Reaktionen natürlich nicht zur Lösung des Problems.

    Ich glaube, wir müssen in dem internationalen Dialog innerhalb er atlantischen Partnerschaft mit allen Beteiligten auf dem Balkan noch einmal die Frage genauer anschauen, ob wir nicht eben zur Kenntnis nehmen müssen, dass das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Gruppen, zwischen Albanern und Serben durch die fürchterlichen Ereignisse der letzten zehn bis fünfzehn Jahre so sehr belastet ist, dass wir zu neuen Lösungen kommen müssen.

    Limberg: Das hieße Unabhängigkeit des Kosovo dann?

    Schäuble: Nein, das heißt wahrscheinlich eine stärkere regionale Trennung. Ich bin am Wochenende bei einer Konferenz von deutsch–britischen Offizieren gewesen, und da hat mir der verantwortliche Offizier aus der NATO gesagt: "Wir müssen im Grunde jede serbische Siedlung im Kosovo mit mindestens einer Kompanie Soldaten schützen", und soviel Soldaten kann auch die NATO auf Dauer im Kosovo nicht dislozieren. Das heißt, es muss da vermutlich in der politischen Struktur - es ist traurig, dass es so ist, aber manchmal muss man auch traurige Realitäten zur Kenntnis nehmen und die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen.

    Limberg: Zum Schluss noch ein Blick auf Ihre Partei – CDU/CSU, Herr Dr. Schäuble. Obwohl sie angesichts der Schwierigkeiten der Regierung eigentlich die Hände sich reiben könnte, sind die Nachrichten aus ihren Reihen auch nicht immer so erheiternd. Da wird von Streit gesprochen, wie die "Kesselflicker" gehe man miteinander um, ob es Steuerreform ist oder Kündigungsschutz. Einige CSU-Politiker haben angedroht, bei der Wahl des Bundespräsidenten einen Denkzettel insofern zu erteilen, als sie ihre Stimme zumindest im ersten Durchgang Horst Köhler nicht geben wollen. Könnte da am 23. Mai bei der Bundespräsidentenwahl noch etwas schief gehen?

    Schäuble: Also, dass es in der Union Debatten gibt über Steuerpolitik und ähnliches, ist ja eigentlich ein Zeichen – erstens, dass wir uns nicht die Hände reiben über die Schwierigkeiten der Koalition, das wäre ja auch ganz falsch. Die Schwierigkeiten der Regierung und der Koalition haben ja etwas damit zu tun, dass es unserem Land schlecht geht. Und darüber kann sich niemand die Hände reiben. Wir legen aber auch die Hände nicht in den Schoß, sondern wir ringen um bessere Lösungen. Und angesichts der Schwierigkeiten unseres Landes gibt es keinen bequemen Weg, und deswegen ist es ganz klar: Eine Opposition, die sachliche Alternativen auf den Tisch legt, entwickelt, sich auch vorbereitet für den Fall der Regierungsübernahme nach der nächsten Wahl, die muss Konzepte haben. Die muss miteinander diskutieren.

    In einer großen Volkspartei gibt es immer unterschiedliche Meinungen. Das klingt dann auch ein bisschen nach Streit, da ist manches manchmal auch überflüssig und überzogen, das ist schon wahr. Aber im Kern ist das ja nur eine produktive Unruhe. Eine Volkspartei muss um den richtigen Weg diskutieren. Das machen wir. Und deswegen glaube ich, die Union bereitet sich darauf vor, dass sie sobald wie möglich - aber es wird halt bis zu den nächsten Wahlen dauern - die Verantwortung für unser Land übernimmt und dass sie dann unser Land aus dieser schwierigen und ja eher depressiven Phase, nicht nur wirtschaftlich und in den sozialen Sicherungssystemen, wieder auf einen aufwärts gerichteten Pfad führen kann. Das wird ein anstrengender Weg, aber ich glaube, die Union wird das leisten können.

    Limberg: Und die Wahl Horst Köhlers zum Bundespräsidenten? Es gibt ja auch Unmut über die Art und Weise, wie das gelaufen ist, auch in Ihren Reihen.

    Schäuble: Ja, schauen Sie: Ich habe mich an der ganzen Debatte aus Gründen, die ich jetzt fast schon vergessen habe, nicht beteiligt, auch nicht beteiligen können, und ich möchte es jetzt dabei bewenden lassen.