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Schäuble: "Zuständigkeit der Kommunen bei Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe"

Wolfgang Koczian: Harz III, Harz IV, Agenda 2010, Haushaltsbegleitgesetzempfehlungen, Herzog-Kommission – es scheint, als wähle die Politik mit Absicht Kürzel, um zu verunsichern, warum es eigentlich geht, nämlich um die Reform des Arbeitsmarktes und des Sozialsystems. Gestern hat Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Mehrheit im Bundestag zusammengebracht, doch die Verfassungsväter hielten viel von Gewaltenteilung, erklärten weite Bereiche für zustimmungspflichtig durch den Bundesrat und dort hat die Union die Mehrheit. Und am Telefon in Berlin begrüße ich das CDU-Präsidiumsmitglied Wolfgang Schäuble, zugleich stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Guten Morgen, Herr Schäuble!

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Koczian!

    Koczian: Die Union hat bereits für den zustimmungspflichtigen Bereich Nein gesagt. Wie wollen Sie dem Vorwurf der Blockade entgehen?

    Schäuble: Na ja, wir haben gesagt, dass wir so, wie die Gesetze im Bundestag von der Mehrheit durchgesetzt worden sind, ihnen nicht zustimmen werden. Aber das hat die Regierung ja auch gar nicht erwartet, sondern jetzt kommt der Durchgang im Bundesrat. Das ist, Sie haben es eben gesagt in der Anmoderation, vom Grundgesetz so gewollt. Im Bundesrat gibt es eine Mehrheit von Unions-geführten Ländern, die ist genauso durch demokratische Wahlen zu Stande gekommen wie die Mehrheit im Bundestag. Dann wird es ein Vermittlungsverfahren geben, und da wird man sich vermutlich einigen, denn wir haben ja gesagt, wir wollen nicht blockieren, wir wollen nur bessere Lösungen. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass die Regierung, manche in der Regierung, selber darauf hoffen, dass die Union korrigiert, was die Regierung an Zugeständnissen gegenüber der Linken in der SPD gegen ihre eigene Überzeugung machen musste.

    Koczian: Gibt es denn Punkte, wo es für Sie schwer vorstellbar ist, dass sie verhandelt werden, und andererseits Bereiche, wo Sie sagen, wir müssen einen Kompromiss finden?

    Schäuble: Ja gut, wir müssen bei der Reform des Arbeitsmarktes einen Kompromiss finden bzw. eine bessere Lösung, denn die jetzige Lage in Deutschland ist ja so schlecht, dass sie niemand verantworten kann. Das hat ja die Union auch immer klar gesagt, das haben die Parteivorsitzende Frau Merkel und Herr Stoiber ganz klar zum Ausdruck gebracht. Wir wollen nicht blockieren, wir werden nicht blockieren, wir setzen bessere Lösungen durch. Ich sage ein Beispiel: Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist ja richtig, das ist eine alte Forderung der Union, die jetzt endlich auch die Zustimmung von Rot-Grün gefunden hat. Aber das nun zentral in der Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit, die ohnedies schon überfordert ist, zusammenzulegen, ist genau der falsche Weg. Deswegen sagen wir, lasst uns das in der Zuständigkeit der Kommunen zusammenlegen. Die können das besser, die sind näher an den Menschen dran. Es geht ja darum, dass jedem Menschen, der Leistungen bezieht, wenn er in einer entsprechenden gesundheitlichen Verfassung ist, ein Arbeitsplatz angeboten wird. Und wenn kein Arbeitsplatz angeboten werden kann, dass er dann zumindest gemeinnützige Arbeit leistet, damit der Unterschied für die Menschen, wenn sie arbeiten, spürbar ist, dass sie mehr haben, als wenn sie nicht arbeiten. Das ist der entscheidende Punkt, den wir durchsetzen müssen, damit der Arbeitsmarkt besser funktioniert.

    Koczian: Aber steckt da nicht mehr dahinter bei diesen Plänen für den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit? Mit einer Behörde ändere ich doch nicht zugleich den Arbeitsmarkt. Verrät sich hier nicht sozusagen professioneller Aberglaube von Parlamentariern, die größtenteils dem öffentlichen Dienst entstammen?

    Schäuble: Ja, aber das ist ja nun der Vorschlag, den gestern die Regierungsmehrheit durchgesetzt hat. Die hat nämlich gesagt, man soll die Bundesanstalt für Arbeit umbenennen in Agentur. Mit dem andern Namen geschieht gar nichts. Wir wollen ja gerade etwas ganz Anderes, wir wollen nämlich nicht die zentrale Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit, sondern wir wollen es in die Verantwortung der kommunalen Selbstverwaltung geben. Allerdings, natürlich brauchen die Kommunen dann die entsprechenden Mittel, die ihnen aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden müssen. Ich bin ganz sicher, dass dezentrale Lösungen sehr viel bessere Ergebnisse erzielen als noch mehr bürokratischer Zentralismus. Wir haben ja ohnedies zuviel Bürokratie in Deutschland, ersticken beinahe daran, und deswegen ist unsere grundsätzliche Alternative mehr Freiräume, damit vor Ort bessere Lösungen erzielt werden.

    Koczian: Sie sprechen für die CDU, aber auch für die CDU-regierten Länder. Der Kanzler erwies sich ja schon einmal sehr findig bei der Gewinnung von Länderstimmen.

    Schäuble: Also, in der Frage, über die wir jetzt gerade reden, sind sich die Unions-regierten Länder alle einig. Natürlich gibt es auch Situationen, wenn es um Maßnahmen geht, die finanzielle Auswirkungen haben, wo die Bundesregierung immer gelegentlich Möglichkeiten hat. Das hat man in den vergangenen Jahren erlebt, das wird man im Einzelnen sehen müssen, das wird insbesondere bei manchen Steuergesetzen eine gewisse Rolle spielen können. Das ist ja auch legitim, Landesregierungen haben eben immer in erster Linie auch die Interessen ihres Landes wahrzunehmen. Trotzdem, in den grundsätzlichen Fragen ist sich die Union in Bund und Ländern einig, und wir werden versuchen, im Rahmen unserer Möglichkeiten bessere Lösungen zu erreichen als die rot-grüne Mehrheit gestern im Bundestag durchgesetzt hat.

    Koczian: Nun muss man in diesem Zusammenhang die CSU nennen. Bislang galt die CDU ja als an der Mitte orientiert, die CSU war stolz, die demokratische Rechte abzudecken. Nun argumentiert zum Beispiel in Sachen Herzog Edmund Stoiber mit seinen Wählern aus den Gewerkschaften und Angela Merkel wiederum gerät in Liberalismusverdacht. Verschieben sich die Gewichte innerhalb der Union?

    Schäuble: Nein, das glaube ich nicht. Im Übrigen, wissen Sie, diese Links-rechts-Bezeichnungen, die sind immer zumindest grob vereinfachend, wenn nicht gar irreführend. Die CSU war immer eine Partei, sonst hätte sie ja auch nicht die phänomenalen Erfolge in 40 Jahren erzielt, die sehr darauf geachtet hat, dass sie wirtschaftliche Effizienz mit sozialer Gerechtigkeit verbindet. Schon Franz Josef Strauß hat gesagt, wir sind nicht in der Champagner-Etage zu Hause, sondern in der Bier-und-Leberkäs-Etage. Das heißt, die CSU hat immer das Ohr sehr nahe am kleinen Mann, beim Volk gehabt, das macht ihre Stärke aus. Die CDU bemüht sich genauso darum. Wir sind da unterschiedlich erfolgreich. In Baden-Württemberg zu Beispiel, meinem Heimatland, sind wir ja seit vielen Jahren ähnlich erfolgreich, und das ist auch für eine Volkspartei ganz notwendig. In der Sache selber, Vorschläge der Herzog-Kommission und ähnliches mehr, geht es ja nicht um eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit. Wir alle wollen soziale Gerechtigkeit. Das ist im Übrigen ja zwischen den Parteien unumstritten. Es geht um die Frage, wie wir angesichts der großen Herausforderungen, die sich unserem Lande stellen, die Globalisierung, die schwierige Lage am Arbeitsmarkt, die Stagnation unserer Wirtschaft und vor allen Dingen eine demographische Entwicklung, in der immer mehr Ältere immer weniger Jüngeren gegenüberstehen, wie wir diese Herausforderungen so bewältigen, dass wir Wohlstand und soziale Sicherheit auch für die Zukunft erhalten können. Darum geht es. Über die Maßnahmen im Einzelnen kann man, muss man in einer Volkspartei und in einer pluralistischen Öffentlichkeit ja auch ein Stück weit diskutieren können. Das machen wir mit großem Mut und wir werden zu gemeinsamen Lösungen kommen in der CDU und in der CDU/CSU, da bin ich ganz zuversichtlich.

    Koczian: Aber die gestrigen Zahlen verlangen doch fast eine Feuerwehraktion in Sachen Rentenbeiträgen?


    Schäuble: Ja gut, die Bundesregierung will ja über das Wochenende in einer Rentenklausur nun endlich Vorschläge machen. Sie müssen immer bei der Debatte um die Rente in Erinnerung haben: Wir waren in der Regierungszeit von Helmut Kohl, auch dem jetzt soviel gescholtenen, zu Unrecht viel gescholtenen Arbeitsminister Norbert Blüm, in der Rentenreform schon viel weiter. Wir hatten den demographischen Faktor, den hat die rot-grüne Regierung nach der Bundestagswahl 1998 zurückgenommen. Und jetzt müssen sie das mühsam und verspätet wieder einführen, was 1998 schon im Gesetzblatt stand. Insofern ist die Regierung jetzt in der Pflicht, Vorschläge zu machen. Das haben wir abzuwarten, was in der Klausurtagung der Regierung herauskommt.

    Koczian: Der Bundesrat ist demokratisch gewählt zu Stande gekommen, Sie haben darauf hingewiesen, aber er ist natürlich auch Objekt der Föderalismusdebatte. Man hat sich auf einen Reformdiskurs geeinigt. Kann diese nach allen Erfahrungen anders ausgehen als das Hornberger Schießen?

    Schäuble: Ich stamme aus Hornberg, das ist meine Heimat, und will deswegen zur Ehrenrettung von Hornberg zunächst einmal sagen, das Hornberger Schießen war ja so etwas wie die erste Abrüstungsinitiative in der Weltgeschichte. Die haben nämlich statt geschossen nur Piffpfaff gerufen. Wenn das alle täten, müssten weniger Menschen sterben, also lassen Sie mir mein Hornberg nicht schlecht machen. Jetzt aber zur Föderalismuskommission. Ich glaube, es hat sich in allen Bereichen der politischen Debatte, in allen politischen Lagern bei Bund und Ländern, die Einsicht durchgesetzt, dass wir eine gewisse Schieflage in den letzten Jahrzehnten in unserem föderalen System dadurch erreicht haben, dass auf der einen Seite der Raum für die Länder zu eigener Gestaltung immer geringer geworden ist, weil der Bund die konkurrierende Gesetzgebung immer stärker ausgeschöpft hat. Und dass auf der anderen Seite die Zustimmungspflichtigkeit von Gesetzen durch den Bundesrat zugenommen hat. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes waren davon ausgegangen, etwa zehn Prozent aller Bundesgesetze seien zustimmungspflichtig, heute sind es weit mehr als die Hälfte. Deswegen besteht im Grundsatz, das hat auch die Debatte am Donnerstag im Bundestag gezeigt, eine gewisse Übereinstimmung, dass wir eigentlich versuchen müssen, mehr Raum für eigene Gestaltung der Länder, aber dafür weniger Zustimmungspflicht von Bundesgesetzen im Bundesrat. In der Grundlinie gibt es Übereinstimmung, aber natürlich ist es bis zur Konkretisierung im Einzelnen noch ein weiter Weg, da wird es auch Schwierigkeiten geben. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass man Ergebnisse erzielen wird. Alle wissen übrigens auch, dass wir Ergebnisse erzielen müssen, denn die jetzige Lage ist ja zu schwerfällig in den politischen Entscheidungsprozessen.

    Koczian: Die gestrige Debatte hatte auch dazu geführt, dass Gerhard Schröder sich wegen der Anwesenheit in Berlin in Brüssel vom französischen Präsidenten Jacques Chirac vertreten ließ. Einige Ihrer Freunde übten heftige Kritik wegen Vernachlässigung Europas, aus der Distanz heraus aber erscheint es doch als historischer Vorgang im Sinne Konrad Adenauers und Charles de Gaulles, Helmut Kohls und Francois Mitterrands als Ausweis der Coopération franco-allemande. Erwarten Sie für Deutschland auch einmal, dass es Frankreich vertritt?

    Schäuble: Also, wenn man es so sieht, dann hat es natürlich schon eine symbolische Wirkung, die man auch nicht gering schätzen darf. Insofern ist da durchaus an dem Gedanken etwas Richtiges. Das Problem ist, dass die deutsch-französische Politik in den letzten Monaten so missverständlich angelegt worden ist, dass die anderen in Europa diese deutsch-französische Zusammenarbeit als etwas empfinden, was gegen die anderen europäischen Partner gerichtet ist. Und dann bringt natürlich die deutsch-französische Zusammenarbeit Europa nicht voran, sondern führt eher zur Spaltung. Das war in den letzten Monaten das Problem. Dieses Missverständnis muss vermieden werden und deswegen ist diese Ansicht so ganz symbolisch ganz interessant, die Initiative in ein etwas schwieriges Umfeld geraten.

    Koczian: Ein anderes außenpolitisches Thema zum Schluss: Deutschland, Frankreich und Russland sitzen jetzt auch im Irakboot der USA, maulten jedoch schon mal vorsorglich und stellten klar, rudern müssten die anderen. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, von Anfang an bei der Kursbestimmung mitzureden?

    Schäuble: Ja, es wäre natürlich besser gewesen, man hätte von Anfang an den Weltsicherheitsrat nicht blockiert, sondern gemeinsam gehandelt. Im Übrigen ist ja schon bemerkenswert, es war der russische Präsident gewesen, der Deutschland und Frankreich dazu bewegt hat, dem amerikanischen Resolutionsentwurf im Weltsicherheitsrat zuzustimmen. Also, Russland hat Frankreich und Deutschland dazu gebracht, einer amerikanischen Initiative zuzustimmen. Das ist ja schon auch ganz bemerkenswert, da kann man seine Anmerkungen dazu machen, wie weit wir es gebracht haben. Im Übrigen ist noch etwas interessant: Der deutsche Vertreter im Weltsicherheitsrat hat ja anlässlich der Verabschiedung der Resolution eine Erklärung abgegeben, warum Deutschland zustimmt, obwohl Deutschland noch weitergehende Vorstellungen gehabt hat und hat dann gesagt, man hoffe, dass diese weitergehenden Vorstellungen noch verwirklicht werden können. Und dann hat er den interessanten Satz hinzugefügt, dass man deshalb sich derzeit nicht an militärischen Maßnahmen beteiligen werde. Dahinter steckt ja wohl eine Korrektur der Erklärung der Bundesregierung, die bisher gesagt hat, sie werde sich auf gar keinen Fall an irgendwelchen militärischen Maßnahmen im Irak beteiligen.

    Koczian: In den Informationen am Morgen hörten Sie Wolfgang Schäuble, CDU-Präsidiumsmitglied und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Danke nach Berlin!

    Schäuble: Bitte sehr, einen schönen Tag!