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Schäubles Schwarze Null
"Der Schuldenberg bleibt weiter hoch"

Insgesamt hätten wir noch über zwei Billionen Euro Substanzschulden, sagte Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler im DLF. Er kritisierte, dass der Bundestag keine Schuldentilgung beschließe. Irgendwann würden die Zinsen wieder steigen: "Dann kommt auch der Zahltag", so Holznagel.

Reiner Holznagel im Gespräch mit Daniel Heinrich | 06.09.2016
    Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel
    Reiner Holznagel fordert eine "Steuerbremse" (picture-alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler. Herr Holznagel, will sich Wolfgang Schäuble eine schwarze Null-Urkunde über sein Bett hängen?
    Reiner Holznagel: Ja das kann er auf jeden Fall. Aber das hat nichts mit Verteidigen zu tun, was er da macht, sondern die Steuerzahler bieten ihm eine hervorragende Rahmenbedingung. Und dazu sind die Zinsen so niedrig wie noch nie. Insofern muss er gar nicht viel tun, um die schwarze Null wirklich zu verteidigen. Das ist eher ein Geschenk von uns Steuerzahlern.
    Heinrich: Was machen wir denn jetzt mit dem ganzen Geld?
    Holznagel: Auf jeden Fall finde ich die Diskussion richtig, dass endlich über Steuerentlastungen gesprochen wird. Allerdings finde ich, dass das recht halbherzig ist. Schäuble selber stellt nur 15 Milliarden in Aussicht. Wann, das ist sehr ungewiss: Ab 2017? Kommen sie erst 2018 oder erst 2019? Er könnte jetzt schon Steuerentlastungen durchbringen, indem er schlicht und ergreifend den Soli abbaut, und das würde gerade auch mittleren Verdienern gut ins Portemonnaie passen. Hier wäre jetzt schon eine Handlungsmöglichkeit, aber das tut er nicht. Er spricht eher von Steuerentlastungen, aber er setzt sie nicht um.
    Heinrich: Wo würden Sie denn wieviel investieren wollen?
    "Auch dieser Bundestag beschließt keine Schuldentilgung"
    Holznagel: Wir haben natürlich Probleme im Haushalt, wo auch investiert werden muss. Aber was auch überhaupt gar keine Rolle spielt in letzter Zeit, das ist die Schuldentilgung. Aktiv beschließt auch dieser Bundestag keine Schuldentilgung. Das heißt, der Schuldenberg bleibt weiter hoch. Auf der anderen Seite müssen wir investieren in Infrastruktur. Wir müssen investieren auch in Bildung. Aber das muss natürlich durchaus auch geschickt gemacht werden und auch mit Intelligenz. Und was auch nicht vergessen werden darf: Wir müssen auch sparen.
    Das viele Geld verleitet letzten Endes die Politik dazu, auch unnütze Ausgaben zu tätigen, wie beispielsweise die Kaufpreisprämie für Elektroautomobilität. Das sind 600 Millionen Euro. Ich glaube, das können wir uns wirklich sparen. Aber die vollen Kassen machen gerade solche Ausgaben möglich, und deswegen tut es weh, dass nicht Steuerentlastungen jetzt schon beschlossen werden.
    Heinrich: Warum ist man Ihrer Meinung nach nicht interessiert am Schuldenabbau?
    Holznagel: Weil es von alleine geht zurzeit. Wir haben sehr niedrige Zinsen, der Bund verschuldet sich ja zu Rahmenbedingungen, wo er sogar noch Geld bekommt. Aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen. Das ist eine temporäre Situation. Insgesamt haben wir noch über zwei Billionen Euro Substanzschulden und irgendwann werden mal die Zinsen wieder steigen, und dann kommt auch der Zahltag.
    Deswegen wäre es richtig, einen Teil der Mehreinnahmen jetzt auch in die Schuldentilgung zu stecken. Dann wird auch die zukünftige Generation entlastet, dann hat man auch zukünftig mehr Spielraum in den Haushalten. Deswegen darf man neben Investitionen und Steuerentlastungen die Schuldentilgung auf gar keinen Fall vergessen.
    Heinrich: Welche Summe stellen Sie sich da vor?
    "Wir haben noch keinen konsolidierten Haushalt auf weite Sicht"
    Holznagel: Wir könnten durchaus 10 bis 15 Milliarden tilgen, auf Bundesebene. Auch die Länder. Die tun das ja teilweise. Selbst das Land Berlin, hoch verschuldet, tilgt. Hier könnte man wesentlich mehr machen. Allerdings begleitet auch durch Sparmaßnahmen. Wir dürfen nicht diese Situation jetzt sozusagen falsch interpretieren. Wir haben noch keinen konsolidierten Haushalt auf weite Sicht.
    Der Bund hat gerade Ausgaben beschlossen, die für die Länder sind, die ihn strukturell sehr belasten. Sie haben arbeitsmarktpolitische Ausgaben beschlossen, die in der Zukunft wirken. Aber auch sozialpolitische Ausgaben wirken in der Zukunft. Deswegen müssen jetzt Prioritäten gesetzt werden und es müssen Sparmaßnahmen eingeleitet werden.
    Heinrich: Wo wollen Sie sparen?
    Holznagel: Wir haben einen Katalog vorgelegt von fast 20 Milliarden Euro. Wir setzen überall an, auch bei der Bildung, auch bei der Investition, weil wir auch hier Ausgaben erleben, die aus unserer Sicht sinnlos sind, die nicht prioritär sind, die auch nicht ihr Ziel bewirken.
    Heinrich: Zum Beispiel?
    Holznagel: Zum Beispiel bekommt ein großer Autokonzern Subventionen dafür, dass er Hybridmotoren entwickelt, aber auf der anderen Seite macht der große Autokonzern Milliarden Gewinne, und das wird unter Bildungsausgaben verbucht. Zum Beispiel investieren wir in Kultur, indem wir Hollywood-Produktionen Subventionen bereitstellen, die die eigentlich gar nicht brauchen.
    Es gibt viele kleine Beispiele, die deutlich machen, dass nicht wirklich alle Ausgaben mit Sinn und Verstand gemacht werden, dass wirklich ein großes Sparpotenzial da ist und dass gerade die Bundestagsabgeordneten in den Haushaltsplenen doch aufmerksamer aufpassen müssen, was mit dem Geld am Ende passiert.
    Mir sagen oft die Politiker, das habe ich ja gar nicht gewollt. Deswegen muss man jetzt in den Haushaltsberatungen auch wirklich sehr in das Detail gehen. Man muss sehr konstruktiv diskutieren. Und man muss definieren, was man genau will. Nur dann wird auch zielgerichtete Subvention das bewirken, was man will, und nichts anderes.
    Heinrich: Der Haushalt der Bundesregierung ist keine Antwort auf die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft. Das sagt die Opposition. Was sagen Sie denn dazu?
    "Die Mitte ist in den letzten Jahren extrem stark belastet worden"
    Holznagel: Na ja. Wenn die Opposition damit Steuersenkungen gerade für die Mitte meint, dann gebe ich ihr Recht. Wir brauchen hier Entlastungen, weil die Mitte ist in den letzten Jahren extrem stark belastet worden. Kaum eine Steuerentlastung, ob das jetzt Schröder war, auch am Anfang Merkel als Antwort auf die Krisen, hat die Mitte mehr oder weniger vergessen.
    Deswegen müssen wir jetzt endlich eine Tarifreform durchführen, die die Mitte unserer Gesellschaft entlastet, die vor allen Dingen auch eine Antwort darauf findet, wie man den Menschen mehr Freiraum dafür bietet, dass sie fürs Alter vorsorgen, dass sie auch Eigentum schaffen, dass sie all das machen, was die Politik eigentlich will.
    Aber dazu braucht man sprichwörtlich auch Luft zum Atmen. Bei einer durchschnittlichen Steuerbelastung und Abgabenbelastung von weit über 50 Prozent ist das heute nicht mehr möglich. Deswegen brauchen wir hier eine deutliche Entlastung, damit die Mitte gewinnt, und nur darum geht es.
    Heinrich: Herr Holznagel, wer ist denn für Sie die Mitte?
    Mindestlohn ohne Steuerentlastung funktioniere nicht
    Holznagel: Das ist relativ einfach zu definieren. Wenn wir uns heute den Spitzensteuersatz im Tarif anschauen, dann beträgt der das 1,2-fache vom Durchschnittsverdienst. Das heißt, dass natürlich schon die Mitte, der Durchschnittsverdiener, am Ende seines Arbeitslebens mit dem Spitzensteuersatz konfrontiert wird, und das darf auf gar keinen Fall sein. Deswegen müssen wir Tarifreformen durchführen.
    Wir müssen den sogenannten Mittelschichts-Bauch abflachen. Ich finde das auch immer eine wahnsinnige Diskussion um den Mindestlohn. Da hat die SPD sich total verbissen und wir haben jetzt den Mindestlohn, aber am Tarif wurde nichts gemacht. Das heißt, die Leute verdienen auf der einen Seite mehr Geld und auf der anderen Seite schlägt die Steuerkeule voll zu. Das macht keinen Sinn. Deswegen brauchen wir hier eine ausgewogene Politik.
    Heinrich: Das sagt Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler. Vielen Dank für das Gespräch.
    Holznagel: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.