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Schallende Ohrfeige des Volkes für Berlusconi

95 Prozent der Italiener haben in einem Volksentscheid neue Atomkraftwerke, die Privatisierung des Trinkwassers und ein Immunitätsgesetz für Berlusconi abgelehnt. Seine Gegner triumphieren.

Von Stefan Troendle |
    "Meiner Meinung nach war das eine Abstimmung über eine Scheidung, über die zwischen Regierung und Land. Die außergewöhnlich hohe Beteiligung hat klar gezeigt, dass die Regierung auf einem anderen Weg ist als das restliche Land","

    … so die Stellungnahme von Pier Luigi Bersani, dem Vorsitzenden der demokratischen Partei PD zum Ausgang des Referendums. Ganz unpassend ist sein Vergleich nicht, denn das Ergebnis der Volksabstimmung ist eine Ohrfeige für Regierungschef Berlusconi - und zwar eine mit Anlauf.

    Zum ersten Mal seit 16 Jahren wurde bei einer Volksabstimmung die nötige Wahlbeteiligung nicht nur erreicht, sondern sogar weit übertroffen. Rund 57 Prozent aller Wahlberechtigten gaben ihre Stimmzettel ab. Das Ergebnis war bei allen vier Punkten absolut eindeutig und fast identisch: Etwa 95 Prozent der Wähler stimmten gegen die Vorhaben der Regierung, gegen Atomkraft, gegen die Privatisierung des Trinkwassers und gegen Berlusconis Immunitätsgesetz. Sogar die italienische Bischofskonferenz sprach von einer Botschaft an die Regierung.

    So konnte Antonio di Pietro, Chef der oppositionellen Wertepartei IdV sehr befriedigt feststellen: "Das war eine Abstimmung aller Bürger - egal aus welchem politischen Lager, weil der überwiegende Teil der Bevölkerung abgestimmt hat." Di Pietros Partei hatte die Abstimmung über einen der vier Punkte initiiert. Es ist jener Punkt, der Berlusconi persönlich am härtesten trifft: Sein Ad-Personam-Gesetz über die sogenannte "rechtmäßige Verhinderung". Es hätte ihm das Fernbleiben von Gerichtsterminen ermöglicht - mit der Ausrede, er habe Verpflichtungen als Regierungschef. Dieses Gesetz war vom obersten italienischen Gericht bereits stark gestutzt worden. Nun fegten die Wähler auch dessen Reste hinweg: Ein eindeutiges Signal, dass die Italiener von Berlusconis Gebaren die Nase ziemlich voll haben.

    Pierferdinando Casini von der Zentrumspartei UdC:

    ""Italien braucht einen kompletten Wechsel. Die Kommunalwahlen, das Referendum, die Ergebnisse der Stichwahlen in Sizilien - all dies zeigt, dass ein Wechsel möglich ist. Wir als dritter Pol haben entscheidend dazu beigetragen, dass der Baum geschüttelt wird."

    Der also Geschüttelte gab sich jedoch recht unbeeindruckt. Er riss bei einer offiziellen Regierungspressekonferenz mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu erneut Bunga-Bunga-Witze und äußerte sich bereits vor der Schließung der Wahllokale:

    "In Folge einer Entscheidung, über die das italienische Volk gerade in diesen Stunden abstimmt, müssen wir uns von der Option Atomkraft verabschieden."

    Dies war der wichtigste Abstimmungspunkt des Referendums, der auch für die hohe Wahlbeteiligung gesorgt haben dürfte: der Wiedereinstieg in die Atomenergie, den Berlusconi vor zwei Jahren verkündet hatte. Ursprünglich wollte Italiens Regierungschef im seit 1990 AKW-freien Italien neue Kernkraftwerke bauen lassen. 1987 hatten die Italiener nämlich unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Tschernobyl für den Ausstieg gestimmt. Es war eine Entscheidung, die Berlusconi rückgängig machen wollte. Allerdings hatte er seine Pläne nach der Katastrophe in Japan vorerst auf Eis gelegt. Dort werden sie dem Wählerwillen zufolge auch bleiben. Der Japan-Effekt habe den Ausgang der Wahl bestimmt, hieß es aus Berlusconis Partei.

    ""Das Referendum war ja nicht dazu da, die Regierung zu maßregeln, sondern um sich zu wichtigen Projekten zu äußern. Es gab eine hohe Beteiligung und einen deutlich ausgedrückten Willen. Jetzt müssen Regierung und Parlament das Ergebnis zur Kenntnis nehmen"," erklärt Parlamentsvize Maurizio Lupi.

    Erstmal zur Kenntnis nimmt dies übrigens auch Berlusconis Koalitionspartner, die Lega Nord. Allerdings dürften den Rechtspopulisten nach der Kommunalwahlschlappe vor zwei Wochen allmählich die Geduldsfäden reißen. Minister Roberto Calderoli ließ verlauten, es reiche jetzt mit den Ohrfeigen. Ansonsten meldete sich kein relevanter Lega-Politiker mehr zu Wort, mit Ausnahme des mühsam beherrschten Regionalpräsidenten des Piemont, Roberto Cota: "Das Ergebnis des Referendums ist natürlich ein Signal. Jetzt geht es um einen geordneten Neubeginn. Unser Parteiführer Umberto Bossi wird uns die Linie vorgeben." So wie Cota dies sagte, klang es wie eine Drohung in Richtung Berlusconi.