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Scharfer Blick auf das Geschoss

Technik. – Ganz so einfach wie es die Fernsehserien suggerieren ist die Schusswaffenidentifizierung anhand sichergestellter Kugeln im kriminalistischen Alltag nicht. Ein neuartiges Mikroskop, das deutsche und kanadische Ingenieure gemeinsam entwickelt haben, kann jetzt die ballistische Untersuchung entscheidend verbessern.

Von Mark Bernet | 19.01.2006
    Die Polizei kann bei den herkömmlichen Untersuchungsmethoden nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent ein abgefeuertes Geschoss der entsprechenden Waffe zuordnen. Die Experten verwenden bei ihren Spurenanalysen ein sogenanntes Vergleichsmikroskop, das aus zwei gängigen Mikroskopen zu einem Gesamtgerät zusammen gebaut ist. Dieses Mikroskop kann aber nur das reflektierte Licht der Geschossoberfläche erfassen, außerdem können bereits winzige Schmutzpartikel an der Kugel das Ergebnis verfälschen. Dieses alte Problem ist mit der neu entwickelten Technik gelöst. Jürgen Valentin, Entwicklungschef der Nano Focus AG in Oberhausen:

    "Also bei dem Verfahren wird die Probe zunächst wie bei einem normalen Mikroskop abgebildet, das heißt man kann entweder manuell oder automatisch scharf stellen, und anschließend scannt das Mikroskop alle Bildebenen des Objekts ab, das heißt, das Bild wird optisch in Scheiben geschnitten und anschließend dreidimensional rekonstruiert"

    Das neue Mikroskop verwendet im Vergleich zur herkömmlichen Technik kein normales Tageslicht, sondern ein sehr helles Xenonlicht, wie man es von Autoscheinwerfern kennt. Bei der Vergrößerung wird dieses Licht über speziell entwickelte Linsen gebündelt und dann in Form eines dünnen Strahls berührungslos über die Oberfläche des Untersuchungsobjektes geführt. Das Mikroskop tastet auf diese Weise die Oberflächenstruktur des Objektes in allen Bereichen ab und kann dadurch auch kleinste Details exakt erfassen. Mit Hilfe eines Computerprogramms werden die gewonnenen Daten innerhalb weniger Sekunden in ein scharfes dreidimensionales Bild verwandelt. Valentin:
    "Die Anzahl der Messungen oder die Anzahl der Bildschnitte ist festgelegt, ist im System praktisch abgespeichert. Das System ermittelt diese Zahl automatisch, das heißt der Anwender braucht lediglich einzugeben, welchen Höhenbereich er abscannen will."

    Die Genauigkeit des Gerätes geht bis in den Nanobereich, das bedeutet das Mikroskop kann einzelne Details bis auf einen Millionstel Millimeter vergrößern. Diese Präzision ist für die Polizei von entscheidender Bedeutung, denn sie sucht bei ihren Analysen stets nach den typischen Schleifspuren, die eine Waffe an den Geschossen hinterlässt. Jürgen Valentin:
    "Die Abdrücke resultieren von dem Lauf der Waffe, das heißt beim Schuss selbst wird dieses Muster abgedrückt auf die Patronenkugel und bleibt nach dem Schuss erhalten, das heißt, wenn ich hundert mal eine Kugel abfeuere, haben alle 100 Kugeln ein identisches Muster."

    Die charakteristischen Spuren bleiben auch bei einem eingedrückten oder völlig zerplatzten Geschoss erhalten. Mit dem neuen Mikroskop können diese Merkmale aufgespürt und eindeutig nachgewiesen werden. Auf dem Computerbildschirm sehen die extrem vergrößerten Details wie eine von oben fotografierte Gebirgslandschaft aus. Verschiedene Farben verdeutlichen außerdem die unterschiedliche Tiefenstruktur der genau vermessenen Kugeloberfläche. Valentin:

    "Die Messdaten können mit bereits gespeicherten Messdaten verglichen werden. Man kann charakteristische Merkmale dieser Messdaten herausfiltern, das sind einige wenige, und diese werden praktisch wie mit einer Schablone über bereits gespeicherte Messdaten drübergelegt, und per Musteranalyse kann ich anschließend quantitativ sehr genau sagen, ob die Proben übereinstimmen."

    Nach Firmenangaben sind die ersten Geräte unter anderem bei Scotland Yard, dem New York Police Department und der spanischen Polizei im Einsatz, in Deutschland habe unter anderem das Bundeskriminalamt an dem neuen Mikroskop starkes Interesse gezeigt. Auf Anfrage teilte die Behörde mit, dass man das Gerät noch teste, ein abschließendes Urteil sei daher zur Zeit nicht möglich.