Ensminger: Wegen Ehebruchs hat ein nigerianisches Scharia-Gericht sie im Oktober vergangenen Jahres zum Tode durch Steinigung verurteilt. Nach der Scheidung von ihrem Mann war sie schwanger geworden, was für das Scharia-Gericht im nordnigerianischen Bundesstaat Sokoto als Beweis galt, dass sie Ehebruch begangen hat. Geschiedene gelten nämlich teils weiterhin als verheiratet. Heute nun soll das Urteil in der Berufungsverhandlung gesprochen werden. Scheitert die 35-järhige Hussaini, dann muss sie sterben, sobald ihre inzwischen 13 Monate alte Tochter abgestillt ist. Vor der Sendung sprach ich mit Julia Antonakis, Mitarbeiterin der Koordinierungsgruppe Nigeria bei Amnesty International. Die erste Frage an sie, nach dem Berufungsverfahren: Wie schätzt sie nun die Chancen auf einen Freispruch ein?
Antonakis: Im Moment finden wir die Situation sehr schwierig einzuschätzen. Die Verhandlung ist ja vom 18. März nochmals vertragt worden, wo der Richter gesagt habe, er bräuchte mehr Zeit, ohne diese Angabe weiter zu begründen. Die Frage ist, ob er insofern ihrem letzten Vorbringen Rechnung trägt, dass das Kind von ihrem geschiedenen Mann stamme. Das wäre dann nämlich nach dem Scharia-Recht kein Straftatbestand mehr, weil es dann keinen Ehebruch mehr erfüllt - das gilt auch für Geschiedene -, dann wäre sie entsprechend freizusprechen. Es könnte genauso gut sein, dass sie verurteilt wird. Es könnte aber auch sein, dass er sie frei spricht, und auch dafür kann es diverse Gründe geben: entweder dass er sich darauf beruft, dass eben kein Straftatbestand gegeben ist, wenn das Kind von ihrem Mann stammt oder aber auch - was möglich ist -, dass es auf verfahrenstechnische Gründe basiert wird. Das heißt, im Moment ist es sehr unsicher, die Lage zu beurteilen.
Ensminger: Sie haben es gerade angesprochen: Der Anwalt beruft sich jetzt darauf, dass der frühere Ehemann der Vater des Kindes sei, wobei man ja sagen muss, dass die beiden schon länger geschieden sind. Wie kann das dann tatsächlich als Begründung noch anerkannt werden?
Antonakis: Das ist eine Besonderheit des Scharia-Rechts, das sagt, dass es kein Ehebruch darstellt, wenn das Kind von dem Exmann/Exfrau stammt, und das gilt auch noch bis zu sieben Jahre nach Auflösung der Ehe. Das ist wohl ein Konsensprinzip, wo man sagt: Wenn das insofern noch in irgendeiner Weise fortgeführt wird, stellt es insofern keinen Ehebruch dar, und damit wäre es dann eben nicht mehr als Straftatbestand gegeben.
Ensminger: Das erste Steinigungsurteil, das im Oktober gefallen ist, hat international ziemlich hohe Wellen geschlagen: Die EU hat die Entscheidung verurteilt, auch die nigerianische Regierung wollte der Frau helfen. Hat das alles was gebracht?
Antonakis: Ich denke schon, dass es zumindest einen hohen internationalen Druck, auch gerade auf die Bundesregierung, ausgeübt hat. Selbst der Bundesjustizminister in Nigeria sah sich genötigt, ein Schreiben an die Scharia-Gouverneure zu schicken, was die Anwendung von Scharia-Recht und insbesondere das Steinigungsurteil angeht. Insofern ist man sich sicherlich der Problematik bewusst. Es kann auch gemutmaßt werden, dass unter Umständen allein die Vertagung auch mit dem hohen Druck, der ausgeübt wurde, zusammen hängt.
Ensminger: Muss man denn jetzt weiter Druck machen?
Antonakis: Das ist eine sehr schwierige Frage. Sicherlich sind Appelle, das Leben von Safiya Hussaini zu schonen, sinnvoll. Aber auf der anderen Seite muss man sich auch des Risikos bewusst sein, dem die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, was Safiya Hussaini auch ist, auch ausgesetzt sind, dass eben auch zu große Öffentlichkeit und öffentlicher Druck auf die Scharia gerichtet direkt zu diesem falsch verstandenen Stolz führen könnte, eben auf der Ausführung ihrer Position auch zu bestehen und insofern zu großer öffentlicher Druck, jedenfalls auf die betreffenden Gerichte, eher problematisch ist.
Ensminger: Was tut Amnesty im Moment?
Antonakis: Amnesty ist im Moment sehr aktiv. Amnesty hat derzeit eine Delegation in Nigeria, die den Prozess sehr genau beobachtet. Amnesty hat auch Kontakte mit dem Anwalt vor Ort und wird dann, wenn etwas passiert, sicherlich in enger Zusammenarbeit mit nigerianischen Menschenrechts- und Frauenrechtsorganisationen den Prozess beobachten und ihn auch weiter verfolgen, wie auch immer dann der Ausgang ist, wobei es Amnesty auch ziemlich wichtig ist, sehr eng mit nigerianischen Organisationen zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass es eben nicht aufgefasst werden kann als eine Eingriff des "Westens" gegen andere Glaubens- und Rechtsformen.
Ensminger: Kommen wir noch mal zur Scharia generell: Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass dieses Islamrecht in 13 nigerianischen Bundesstaaten eingeführt worden ist. Fürchten Sie, dass es weitere Fälle wie diesen jetzt geben könnte?
Antonakis: Das fürchten wir auf jeden Fall und möchten sogar darauf hinweisen, dass es derzeit auch andere Fälle gibt. Über den nun spektakulärsten Fall von Safiya Hussaini darf nicht vergessen werden, dass es andere Fälle gibt, von grausamen, menschenunwürdigen Bestrafungen im Zusammenhang mit dem Scharia-Strafrecht , von anderen Fällen, wo Todesstrafen drohen, zum Glück aber auch noch nicht vollstreckt wurden, wo Amputationen als Strafkonsequenz durchgeführt wurden oder Stockhiebe und dergleichen. Also, da gibt es eine ganze Vielzahl von Fällen, die sehr genau unter Beobachtung stehen und die auch neben diesem einen Fall in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt werden müssen.
Ensminger: Es gibt in Sokoto nicht nur Muslime, sondern wahrscheinlich eben so viele Christen. Müssen die die Scharia auch fürchten?
Antonakis: Nein, das müssen sie bislang nicht. Bislang ist es so, dass die Scharia nur auf Muslime angewendet wird, weswegen Amnesty es insofern auch als eine Diskriminierung aufgrund religiöser Einstellung ansieht. Im Fall von Safiya Hussaini beispielsweise werden ja auch andere Rechtsgrundsätze und andere Straftatbestände und Strafkonsequenzen angewendet, weil sie Muslimin ist, als es bei einem Christen der Fall wäre. Nichtsdestotrotz ist es aufgrund der unruhigen Situation in Nigeria aber auch so, dass man nicht absehen kann, wie dort die weitere Entwicklung ist, ob nicht unter Umständen Bundesstaaten dann sogar dazu übergehen würden, einfach auf ihrem Bundesstaatsgebiet einheitlich das Scharia-Recht anzuwenden und insofern dann auch nicht mehr im Einklang mit dem nordnigerianischem weltlichen Strafrecht stehen.
Ensminger: Kann das für Unruhe sorgen?
Antonakis: Das tut es schon. Es gibt erhebliche Auseinandersetzungen mit zahlreichen Toten, die, seitdem diese Einführungen im Gange sind, in Nigeria passieren. Es gab sehr große, fast bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in den betreffenden Staaten, insbesondere in den Staaten, wo auch viele Christen sind, die sich nun entsprechend auch bedroht fühlen von der Einführung derartiger Strafrechtssysteme.
Ensminger: Ein Gespräch war das mit Julia Antonakis, Mitarbeiterin der Koordinierungsgruppe Nigeria bei Amnesty International.
Link: Interview als RealAudio
Antonakis: Im Moment finden wir die Situation sehr schwierig einzuschätzen. Die Verhandlung ist ja vom 18. März nochmals vertragt worden, wo der Richter gesagt habe, er bräuchte mehr Zeit, ohne diese Angabe weiter zu begründen. Die Frage ist, ob er insofern ihrem letzten Vorbringen Rechnung trägt, dass das Kind von ihrem geschiedenen Mann stamme. Das wäre dann nämlich nach dem Scharia-Recht kein Straftatbestand mehr, weil es dann keinen Ehebruch mehr erfüllt - das gilt auch für Geschiedene -, dann wäre sie entsprechend freizusprechen. Es könnte genauso gut sein, dass sie verurteilt wird. Es könnte aber auch sein, dass er sie frei spricht, und auch dafür kann es diverse Gründe geben: entweder dass er sich darauf beruft, dass eben kein Straftatbestand gegeben ist, wenn das Kind von ihrem Mann stammt oder aber auch - was möglich ist -, dass es auf verfahrenstechnische Gründe basiert wird. Das heißt, im Moment ist es sehr unsicher, die Lage zu beurteilen.
Ensminger: Sie haben es gerade angesprochen: Der Anwalt beruft sich jetzt darauf, dass der frühere Ehemann der Vater des Kindes sei, wobei man ja sagen muss, dass die beiden schon länger geschieden sind. Wie kann das dann tatsächlich als Begründung noch anerkannt werden?
Antonakis: Das ist eine Besonderheit des Scharia-Rechts, das sagt, dass es kein Ehebruch darstellt, wenn das Kind von dem Exmann/Exfrau stammt, und das gilt auch noch bis zu sieben Jahre nach Auflösung der Ehe. Das ist wohl ein Konsensprinzip, wo man sagt: Wenn das insofern noch in irgendeiner Weise fortgeführt wird, stellt es insofern keinen Ehebruch dar, und damit wäre es dann eben nicht mehr als Straftatbestand gegeben.
Ensminger: Das erste Steinigungsurteil, das im Oktober gefallen ist, hat international ziemlich hohe Wellen geschlagen: Die EU hat die Entscheidung verurteilt, auch die nigerianische Regierung wollte der Frau helfen. Hat das alles was gebracht?
Antonakis: Ich denke schon, dass es zumindest einen hohen internationalen Druck, auch gerade auf die Bundesregierung, ausgeübt hat. Selbst der Bundesjustizminister in Nigeria sah sich genötigt, ein Schreiben an die Scharia-Gouverneure zu schicken, was die Anwendung von Scharia-Recht und insbesondere das Steinigungsurteil angeht. Insofern ist man sich sicherlich der Problematik bewusst. Es kann auch gemutmaßt werden, dass unter Umständen allein die Vertagung auch mit dem hohen Druck, der ausgeübt wurde, zusammen hängt.
Ensminger: Muss man denn jetzt weiter Druck machen?
Antonakis: Das ist eine sehr schwierige Frage. Sicherlich sind Appelle, das Leben von Safiya Hussaini zu schonen, sinnvoll. Aber auf der anderen Seite muss man sich auch des Risikos bewusst sein, dem die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, was Safiya Hussaini auch ist, auch ausgesetzt sind, dass eben auch zu große Öffentlichkeit und öffentlicher Druck auf die Scharia gerichtet direkt zu diesem falsch verstandenen Stolz führen könnte, eben auf der Ausführung ihrer Position auch zu bestehen und insofern zu großer öffentlicher Druck, jedenfalls auf die betreffenden Gerichte, eher problematisch ist.
Ensminger: Was tut Amnesty im Moment?
Antonakis: Amnesty ist im Moment sehr aktiv. Amnesty hat derzeit eine Delegation in Nigeria, die den Prozess sehr genau beobachtet. Amnesty hat auch Kontakte mit dem Anwalt vor Ort und wird dann, wenn etwas passiert, sicherlich in enger Zusammenarbeit mit nigerianischen Menschenrechts- und Frauenrechtsorganisationen den Prozess beobachten und ihn auch weiter verfolgen, wie auch immer dann der Ausgang ist, wobei es Amnesty auch ziemlich wichtig ist, sehr eng mit nigerianischen Organisationen zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass es eben nicht aufgefasst werden kann als eine Eingriff des "Westens" gegen andere Glaubens- und Rechtsformen.
Ensminger: Kommen wir noch mal zur Scharia generell: Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass dieses Islamrecht in 13 nigerianischen Bundesstaaten eingeführt worden ist. Fürchten Sie, dass es weitere Fälle wie diesen jetzt geben könnte?
Antonakis: Das fürchten wir auf jeden Fall und möchten sogar darauf hinweisen, dass es derzeit auch andere Fälle gibt. Über den nun spektakulärsten Fall von Safiya Hussaini darf nicht vergessen werden, dass es andere Fälle gibt, von grausamen, menschenunwürdigen Bestrafungen im Zusammenhang mit dem Scharia-Strafrecht , von anderen Fällen, wo Todesstrafen drohen, zum Glück aber auch noch nicht vollstreckt wurden, wo Amputationen als Strafkonsequenz durchgeführt wurden oder Stockhiebe und dergleichen. Also, da gibt es eine ganze Vielzahl von Fällen, die sehr genau unter Beobachtung stehen und die auch neben diesem einen Fall in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt werden müssen.
Ensminger: Es gibt in Sokoto nicht nur Muslime, sondern wahrscheinlich eben so viele Christen. Müssen die die Scharia auch fürchten?
Antonakis: Nein, das müssen sie bislang nicht. Bislang ist es so, dass die Scharia nur auf Muslime angewendet wird, weswegen Amnesty es insofern auch als eine Diskriminierung aufgrund religiöser Einstellung ansieht. Im Fall von Safiya Hussaini beispielsweise werden ja auch andere Rechtsgrundsätze und andere Straftatbestände und Strafkonsequenzen angewendet, weil sie Muslimin ist, als es bei einem Christen der Fall wäre. Nichtsdestotrotz ist es aufgrund der unruhigen Situation in Nigeria aber auch so, dass man nicht absehen kann, wie dort die weitere Entwicklung ist, ob nicht unter Umständen Bundesstaaten dann sogar dazu übergehen würden, einfach auf ihrem Bundesstaatsgebiet einheitlich das Scharia-Recht anzuwenden und insofern dann auch nicht mehr im Einklang mit dem nordnigerianischem weltlichen Strafrecht stehen.
Ensminger: Kann das für Unruhe sorgen?
Antonakis: Das tut es schon. Es gibt erhebliche Auseinandersetzungen mit zahlreichen Toten, die, seitdem diese Einführungen im Gange sind, in Nigeria passieren. Es gab sehr große, fast bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in den betreffenden Staaten, insbesondere in den Staaten, wo auch viele Christen sind, die sich nun entsprechend auch bedroht fühlen von der Einführung derartiger Strafrechtssysteme.
Ensminger: Ein Gespräch war das mit Julia Antonakis, Mitarbeiterin der Koordinierungsgruppe Nigeria bei Amnesty International.
Link: Interview als RealAudio