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Scharia-Polizei
"Der mediale Aufschlag ist groß"

Als "gelungenen Coup" bezeichnet Florian Endres vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Auftreten der sogenannten Scharia-Polizei in Wuppertal. Immer wieder verschaffe sich die salafistische Szene durch besondere Aktionen Aufmerksamkeit, sagte er im DLF. Besonders anfällig für die Szene seien Jugendliche mit einem wenig gefestigten Weltbild.

Florian Endres im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.09.2014
    Ein Mann blickt auf einen Computer-Bildschirm, auf dem selbst ernannte "Scharia-Polizisten" zu sehen sind.
    Die selbst ernannte "Scharia-Polizei" in Wuppertal sorgt für Aufregung. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Friedbert Meurer: In Wuppertal sind Ende letzter Woche fünf bekennende Islamisten durch die Stadt gezogen. Sie trugen orangefarbene Westen wie vom ADAC, auf denen allerdings stand „Sharia Police", Scharia-Polizei. Dieser Spuk beschäftigt seitdem das halbe Land, umso mehr, wenn man sich überlegt, dass gestern vor dem Oberlandesgericht ein Prozess begonnen hat gegen vier Salafisten, und da ging es nicht nur um einen Spuk, sondern da geht es um ein gescheitertes Bombenattentat und um Pläne, führende rechtsradikale Politiker zu ermorden.
    Florian Endres arbeitet beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kennt die Salafisten-Szene recht gut. Tobias Armbrüster hat ihn gestern Abend gefragt: Lachen sich die Scharia-Polizisten jetzt vielleicht ins Fäustchen?
    Florian Endres: Das kann durchaus sein. Der mediale Aufschlag ist natürlich entsprechend groß. Dieser PR-Coup ist sicherlich gelungen. Da muss man einfach mal sehen, wie sich das entwickelt. Aber auf jeden Fall: Die Publicity ist da und vielleicht der eine oder andere, der sich jetzt dann auch interessiert für diese Gruppe, die da in dem Sinne unterwegs ist, wie es jetzt die Akteure der sogenannten Scharia-Polizei waren.
    Tobias Armbrüster: Halten Sie es für möglich, dass das von Anfang an das Kalkül war, möglichst einen PR-Coup zu landen und gar nicht so sehr in Wuppertal selbst sozusagen für Ruhe zu sorgen?
    Endres: Sicherlich ist es so, dass gerade auch aus der salafistischen Szene doch teilweise ein bisschen öffentlichkeitswirksame Aktionen gefahren werden. Natürlich auch, wenn man sich zurückerinnert, die erste Berichterstattung zum Thema Koran-Verteilungsaktion, Lesekampagne und so weiter, das hat ja auch große Wellen geschlagen, und jetzt haben wir hier mit diesem Projekt natürlich auch wieder entsprechende Aufmerksamkeit generiert.
    Armbrüster: Wenn wir das jetzt alles hören, Herr Endres, was da passiert ist, die Scharia-Polizei in Wuppertal, auch der Islamisten-Prozess in Düsseldorf, dann die Festnahmen am Flughafen in Frankfurt, können wir dann sagen, die Zahl der radikalen Islamisten in Deutschland, die wächst?
    Endres: Das ist natürlich immer schwierig, in Zahlen zu bemessen. Es ist nach wie vor so, dass natürlich die insgesamt salafistische Bewegung, wo ja man schon in gewisser Weise ein Band um diese ganzen Vorkommnisse ziehen kann, das alles mit salafistischer Ideologie irgendwie verbinden kann, nach wie vor sehr dynamisch ist. Es gibt immer mehr Zuwächse auch in dem Bereich des Salafismus, natürlich auch im Bereich des gewaltbereiten Salafismus, des sogenannten Dschihadismus, was aber natürlich dann auch beispielsweise durch externe Konflikte wie jetzt in Syrien, Irak oder jetzt auch aktuell, wenn Sie das jetzt mit dieser Festnahme in Frankfurt verbinden, beispielsweise in Somalia verbunden ist, wo es dann auch Leute gibt, die sich vor einigen Jahren vielleicht dazu entschlossen haben, sich dort unten den Al-Shabaab-Milizen anzuschließen, sicherlich auch aus salafistischen Ideologien heraus motiviert.
    Vor allem Sinnkrisen treiben Jugendliche zu den Salafisten
    Armbrüster: Wie rutschen denn junge Muslime in Deutschland ab in diese Bewegung, in den Salafismus?
    Endres: Das ist sehr unterschiedlich. Wir können aus unserer Arbeit mit der Beratungsstelle eigentlich erzählen und sagen aus den Erfahrungen heraus, dass Jugendliche vor allem in Berührung mit salafistischen Ideologien kommen, wenn sie gewisse Sinnkrisen haben, Lebenskrisen haben oder irgendwelche alterstypischen Entwicklungsaufgaben nicht meistern können, Probleme in der Schule, im familiären Umfeld haben. Da sprechen dann salafistische Strukturen sehr gut an, um diesen Jugendlichen dann ganz einfache, simple Problemlösungsstrategien an die Hand zu geben und natürlich alles dann entsprechend auch begründen und den Jugendlichen dann wieder ganz schnell ein gewisses Raster an Halt und festen Bindungen geben.
    Armbrüster: Können Sie uns ein Beispiel geben? Was ist so ein sehr einfacher Lösungsvorschlag für eine Sinnkrise?
    Endres: Das ist, wenn der Jugendliche beispielsweise irgendwelche Probleme im Bereich der Arbeitsfindung hat. Das ist was, was wir oft mitkriegen. Der Jugendliche sucht sehr lange nach einem Arbeitsplatz beispielsweise und wenn er dann auch noch vielleicht einen Migrationshintergrund hat und dann vielleicht auch noch einen muslimischen Background hat, dann kommen salafistische Akteure gern mit dem Argumentationsmuster, Du kriegst keine Ausbildungsstelle, nicht, weil Du vielleicht keinen richtigen Schulabschluss hast, oder was auch immer, sondern weil Du Muslim bist. Das ist quasi ein Problem, und wenn Du Dich dann auch Deiner Religion wieder mehr zuwendest, dann spielen auch weltliche Sachen wie vielleicht ein Beruf nicht mehr die zentrale Rolle, sondern es geht wirklich darum, dann sich mehr oder weniger schon auf das Jenseits vorzubereiten und wie man sich möglichst konform nach deren Islam-Auslegung verhält, um letztendlich dann ins Paradies zu kommen, was ja eine wesentliche Zielsetzung der salafistischen Strukturen ist. Das kriegen wir auch sehr oft gespiegelt an den Beratungstelefonen, wo dann die Eltern sagen, seine größte Sorge ist beispielsweise, dass er sich möglichst so gut verhält, dass er ins Paradies kommt.
    Jugendliche mit einem relativ wenig gefestigten religiösen Weltbild
    Armbrüster: Jetzt haben Sie gerade gesagt, Herr Endres, dass hier möglicherweise auch die muslimische Religion, die derjenige hat, eine Rolle spielt. Heißt das, dass es auch viele junge Menschen gibt, die in diese Bewegung abrutschen, die eigentlich gar keinen Migrationshintergrund haben, die möglicherweise Christen sind, christliche Eltern haben, aus einem christlichen Elternhaus kommen und dann direkt in diesen militanten Islamismus abgleiten?
    Endres: Das kommt durchaus vor. Was wir sagen können, auch wenn wir uns die Fälle anschauen – das sind ja mehr als 300 mittlerweile bundesweit -, ist es sehr oft so, dass das Jugendliche sind, die ein relativ wenig gefestigtes religiöses Weltbild haben. Dann tun sich natürlich auch salafistische Rekrutierer relativ leicht, diese Jugendlichen anzusprechen, weil einfach kein religiöses Wissen da ist, und sie kriegen innerhalb dieser salafistischen Szene ganz viel religiöses Wissen und ganz einfaches religiöses Wissen beigebracht, und das kann natürlich dann dazu beitragen, dass sie sich dann entsprechend radikalisieren. Wenn sie sich dann auch noch mit politischen Themen weiter befassen, dann kann es zu einem entsprechenden Radikalisierungsschub kommen. Aber wie gesagt, wir haben festgestellt, dass es eigentlich Leute sind, die religiös sich nicht großartig bislang aktiv gezeigt haben.
    Meurer: Florian Endres vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über die Salafisten-Szene in Deutschland. Die Fragen hat mein Kollege Tobias Armbrüster gestellt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.