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Schartau rechnet mit großer Zustimmung für Agenda 2010

Engels: Der SPD-Parteitag in Bochum war bislang wahrlich kein Jubelparteitag. Der alte und neue SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder wurde vorgestern mit einem schlechten Ergebnis von nur 80% der Delegiertenstimmen wieder gewählt, Generalsekretär Olaf Scholz gar nur mit gut 52% Zustimmung regelrecht abgestraft. Gestern wurde es ruhiger. Die außenpolitischen Leitlinien der Parteispitze fanden breite Zustimmung. Über die Reformpolitik rund um die Agenda 2010 gab es noch keine Entscheidung.

    Eben war schon die Rede davon: die Vorstandswahlen gestern liefen für einige glatt, für andere weniger glatt. Einer, der den Einzug in dieses Gremium direkt im ersten Wahlgang geschafft hat, war Harald Schartau, SPD-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen und dort Arbeitsminister. Guten Morgen Herr Schartau und herzlichen Glückwunsch!

    Schartau: Danke und einen schönen guten Morgen.

    Engels: Auffällig war ja – eben klang es an -, dass bei diesen Bundesvorstandswahlen gestern einige der prominentesten Kritiker des Kurses von Gerhard Schröder, nämlich Ottmar Schreiner und Andrea Nahles, zwei Anläufe brauchten, bis sie gewählt wurden. Eine prominente Linke, nämlich Sigrid Skarpelis-Sperk, hat es gar nicht geschafft. Ist die Linke auf diesem Parteitag weiter geschwächt worden?

    Schartau: Nein. Es ist meines Erachtens die politische Breite, die in der SPD vorhanden ist, auch bei den Vorstandswahlen wieder findbar. Dass im ersten Wahlgang nur einige sofort durchkamen, das hat mehr mit dem Wahlverhalten der unterschiedlichen Landesverbände und Bezirke zu tun, dass man im ersten Wahlgang versucht, seine eigenen Leute zunächst nach vorne zu schieben, und dann zum zweiten Wahlgang hin eben auch Absprachen über die Bezirksgrenzen hinweg getroffen werden.

    Engels: Kommen wir auf die Inhalte zu sprechen. Heute soll über den zentralen Leitantrag zu den inneren Reformen abgestimmt werden. Es geht um die Sozialeinschnitte, die im Wesentlichen in der Agenda 2010 stehen. Wird dieser Antrag heute glatt durchgehen?

    Schartau: Der Antrag wird eine überwältigende Mehrheit bekommen, weil in ihm der gute Versuch gemacht worden ist, das was an bitterer Medizin in den letzten Wochen und Monaten von der Bundesregierung auch verabreicht werden musste, mit der Perspektive zu verbinden, die damit erreicht werden soll. Das heißt der Antrag geht weit über das Tagesgeschäft hinaus und entwickelt ein Bild der Bundesrepublik, zu der aber auch im Augenblick diese Einschnitte gehören, weil wir sonst bewegungslos geworden wären.

    Engels: Erbschaftssteuererhöhung ja, Vermögenssteuer nein. So steht es im Entwurf. So gab Generalsekretär Scholz gestern die Linie vor. Sie hatten ja im Vorfeld beides gefordert, also auch Einschnitte möglicherweise bei den Vermögen von Wohlhabenden. Ist das nun eine Niederlage, dass sich davon im Leitantrag nichts wieder findet?

    Schartau: Nein, weil die Absicht, die dahinter stand, kann man in drei Punkten zusammenfassen. Erstens: Es war der Eindruck entstanden, dass die SPD während ihrer Reformtätigkeit der letzten Wochen und Monate die Breite der Schultern, also die Leistungsfähigkeit der Bürger bei der Finanzierung auch von Einschnitten oder von Umstellungen aus dem Auge verloren hat. Dazu gibt es ein klares Votum, dass beispielsweise hohe Vermögen auch herangezogen werden zu Zukunftsinvestitionen.

    Engels: Aber nicht konkret per Steuer?

    Schartau: Doch. Auch dazu werden Aussagen gemacht, nämlich Veräußerungsgewinne und ähnliches mehr. Das heißt es muss sich ja irgendwo konkretisieren, was hinter so einem Schlagwort steckt.
    Ein zweiter Punkt ist nämlich, dass über solche Themen nicht gesprochen wird, um irgendwelche Löcher zu stopfen, sondern dass es eine klare Entscheidung gibt. Wir wollen selbst in einer Situation, wo Steuern im Allgemeinen gesenkt werden, Zukunftsinvestitionen tätigen insbesondere in die Bereiche Familie, Kinder, Schule und Bildung. Zur Finanzierung solcher Dinge werden genau erhöhte Erbschaftssteuern oder das Heranziehen hoher Vermögen auch verwandt.
    Der dritte Punkt ist, dass bei diesen Steuern mit Argusaugen darauf geachtet wird, dass laufende Betriebe davon nicht behindert oder betroffen sind. Beispiel: Es soll keine Vererbung geben, wo die Erbschaftssteuer quasi dazu führt, dass der Betrieb hinterher nicht weitergeführt werden kann. Das wäre kontraproduktiv und das genau ist aber auch Position innerhalb der SPD.

    Engels: Parteitagsbeschlüsse haben ja die dumme Eigenschaft, dass sie nicht bindend sind. Für eine Erbschaftssteuererhöhung oder eine Veränderung bräuchte man zum Beispiel eine Bundesratszustimmung. Der es bekanntlich unionsdominiert. Ist das dann nicht einfach ein unrealistischer Beschluss, so etwas zu fordern?

    Schartau: Trotzdem muss eine Partei sagen was sie selbst will, weil ansonsten kann sie überhaupt keine Mehrheiten organisieren. Mehrheiten verändern sich. Mehrheiten entstehen auch durch Kompromisse, durch politische Absprachen. Insofern muss jeder bei der SPD wissen, wo er dran ist, um mit uns eben auch in ein Gespräch über Veränderungen eintreten zu können.

    Engels: Ein Teil des Leitantrages ist ja auch die Ausbildungsplatzabgabe. Danach sollen nicht ausbildende Unternehmen in einen Fonds einzahlen. Soll die denn nun wirklich konkret kommen oder nicht?

    Schartau: Die Bundestagsfraktion ist da fest entschlossen. Sie hat jetzt ein Eckpunktepapier dazu auf den Tisch gelegt, mit dem das erreicht werden soll. Das ist zwar noch nicht weiter auskonkretisiert, aber der Wille der Partei, auf der einen Seite Jugendliche unabhängig von der Konjunktur das Schicksal der Arbeitslosigkeit zu ersparen und ihnen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, dieses Wollen ist genau so klar zum Ausdruck gekommen wie die Position, dass Unternehmen, die nicht ausbilden, an der Finanzierung dieser Ausbildung beteiligt werden sollen. Dieser Weg wird auf der Bundesebene beschritten. Wir aus Nordrhein-Westfalen haben dazu immer wieder vehement darauf hingewiesen, dass wir einen freiwilligen Weg organisiert haben mit dem nordrhein-westfälischen Ausbildungskonsens und wir, egal wie ein Gesetz auf Bundesebene aussieht, auch darauf pochen, dass ein solcher freiwilliger Weg, so er zum Erfolg führt, auch weiter gemacht werden kann.

    Engels: Also hoffen Sie vielleicht doch darauf, dass diese Ausbildungsplatzabgabe, die ja im Eckpunktepapier jetzt vorliegt, wieder in der Schublade verschwindet, sobald der Parteitag vorbei ist?

    Schartau: Nein. Im Eckpunktepapier selbst sind schon an mehreren Stellen Hinweise darauf, dass jeder dafür ist, wenn es auf einer freiwilligen Ebene passiert, dass man dann nicht zu einer gesetzlichen Erhebung kommen muss. Der nordrhein-westfälische Ausbildungskonsens genauso wie beispielsweise die Aktivitäten von Kurt Beck in Rheinland-Pfalz führt dazu, dass die Leute mit Engagement auch aus der Wirtschaft für mehr Ausbildungsplätze werben. Wir wollen, dass zukünftig diese Freiwilligkeit immer Vorzug hat vor einer gesetzlichen Regelung.

    Engels: Das wird DGB-Chef Sommer zum Beispiel nicht passen, der ja gestern sagte, statt der offiziell gemeldeten Lücke von rund 24- bis 25.000 Ausbildungsplätzen fehlten in Wirklichkeit 200.000 Plätze. Stimmt das auch für Nordrhein-Westfalen?

    Schartau: Ich meine da hat Michael Sommer wirklich alles zusammengezählt, was irgendwie zusammenzählbar ist. In Nordrhein-Westfalen ist die Situation im Augenblick so, dass wir Ende Oktober noch 5000 Jugendliche hatten, die keinen Ausbildungsplatz haben. Wir haben noch etwa 2500 freie Ausbildungsplätze und allein im Verlaufe des Oktobers ist den Partnern aus Industrie und Handwerk, Politik und Gewerkschaften in Nordrhein-Westfalen gelungen, dass wir über 400 Jugendlichen zusätzlich einen Ausbildungsplatz besorgen konnten. Das wird bis zum Jahresende weitergehen und die, die zum Jahresende keinen Ausbildungsplatz haben, werden dann in partnerschaftlicher oder in kooperativer Ausbildung eine berufliche Ausbildung erfahren.

    Engels: Das heißt Nordrhein-Westfalen braucht keine gesetzlich konkrete Ausbildungsplatzabgabe?

    Schartau: Wir sind der Anwalt einer freiwilligen Lösung, weil sie hier funktioniert, und wir sind nicht die Kronzeugen gegen eine Abgabe, weil die bundesrepublikanischen Verhältnisse können wir insgesamt aus Nordrhein-Westfalen nicht lösen.

    Engels: Besten Dank! – Das war der Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen und dort SPD-Vorsitzender Harald Schartau. Ich bedanke mich für das Gespräch.