Heuer: Womit genau wollen Sie es denn schaffen, am Ende die Nase vorne zu haben?
Schartau: Wir kommen aus einem tiefen Keller der Verunsicherung der Bevölkerung, über tief greifende Veränderungen gerade in den sozialen Bereichen. Deshalb ist Schleswig-Holstein eine wichtige Etappe gewesen, weil wir dort jetzt endlich wieder auf Augenhöhe mit dem politischen Gegner sind. Und wir werden in Nordrhein-Westfalen drei Dinge brauchen: Wir haben einen exzellenten Spitzenkandidaten, wir haben ein gerade beschlossenes Wahlprogramm, mit dem wir glauben, die wichtigsten zu lösenden Probleme in Nordrhein-Westfalen richtig benannt zu haben und wir haben eine Partei, die während der Kommunalwahlen in unserem Land wieder gelernt hat zu kämpfen. Wenn das zusammen kommt, bin ich zumindest zuversichtlich, dass wir in dieses Kopf-an-Kopf Rennen gut reingehen.
Heuer: Probleme zu benennen ist ja eine gute Sache, aber man muss sie ja auch lösen. Und die Wirtschaftlage ist auch in Nordrhein-Westfalen desolat. Demnächst werden ein Fünftel aller Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen leben.
Schartau: Ja, auch ein Fünftel der Bevölkerung lebt in Nordrhein-Westfalen. Das ist eben bei der Größe des Landes so. Aber die Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung sind sicherlich ganz zentrale Themen auch im Wahlkampf. Und wir werden mit unseren Vorstellungen, wie wir in diesen Bereichen weitermachen, also nicht nur das Abwarten auf das Einsetzen der Wirkung der Hartz-Reformen, sondern insbesondere in den Wirtschaftsbereichen sind wir schon aufgerufen durch Abbau von Hürden, beispielsweise für Bürger die sich selbständig machen wollen, durch andere Finanzierungsinstrumente für die mittelständische Wirtschaft und durch allgemeinen Bürokratieabbau doch alles zu tun, damit mehr Beschäftigung entsteht und somit die andere Medaillenseite zu der die Arbeitsmarkt Reform gehört, eben auch zu bedienen.
Heuer: Aber all dies hätte die SPD ja längst tun und schaffen können. Schließlich kann sich kaum noch einer an die Zeiten erinnern, in denen die Sozialdemokraten in NRW nicht regiert hätten.
Schartau: Ja, wir können in Nordrhein-Westfalen viel machen. Wir können nicht alles machen. Wir können nicht die Weltkonjunktur umkippen. Wir können nicht strukturelle Probleme von heute auf morgen lösen, sondern wir müssen das, was wir mit den Mitteln der Landespolitik machen können anpacken und den Bürgern auch zeigen, dass wir an den richtigen Stellen drehen. Und wenn ich mit Blick auf die wirtschaftliche Lage das sehe, was wir beispielsweise machen, damit die traditionellen Branchen hier nach vorne kommen, Neue eine Chance erhalten und auch im Strukturwandel die Leute nicht ins Nirgendwo verschoben werden, dann bin ich zumindest zuversichtlich, dass unsere Bemühungen anerkannt werden.
Heuer: Bisher ist das aber nicht der Fall und Sie hatten, ich sage das noch einmal, viele Jahre Zeit, die Bürger zu überzeugen. Das Ergebnis ist, das nur ein Drittel der Wähler in Nordrhein-Westfalen mit der Rot-Grünen Regierungspolitik zufrieden ist.
Schartau: Ja, das steigt aber und Ihre Frage deutet ja darauf hin, dass irgendjemand der Auffassung ist, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Entwicklung: das ist etwas, was man irgendwann mal so im Griff hat, dass man es immer mit politischen Mitteln steuert. Das ist in diesen Bereichen nicht so.
Heuer: Also ist die Politik hilflos?
Schartau: Nein, die Politik ist nicht hilflos, ganz im Gegenteil. Die Politik ist nur in der Lage, in der jeweiligen Situation die Instrumente zu finden. Beispielsweise, wenn wir eine Stahlkrise haben: die kommt weltweit und wir müssen sie anpacken, wenn plötzlich im Textilbereich sich wieder Hoffnungen ergeben, dass wir auch in Nordrhein-Westfalen eine Chance ergreifen können. Dann müssen wir sie anpacken, oder wenn wir sehen, auf dem Arbeitsmarkt bauen sich Vorurteile gegen Ältere auf - dann müssen wir dagegen angehen und gleichzeitig nicht aus dem Auge verlieren, dass Jugendliche nach der Schule erst mal eine Ausbildung wollen. Das heißt, Probleme verändern sich, man muss sie zur jeweiligen Zeit anpacken. Man muss selbst dann, wenn man sie nicht von heute auf morgen lösen kann, zumindest ganz nachhaltig auch Lösungen suchen und sie dann auch versuchen durchzusetzen.
Heuer: Was Sie da sagen, sind ja Dinge, für die sich auch die Bundesregierung verantwortlich zeichnet. Sie fordern, die Agenda 2010 mit mehr Leben zu füllen. Tut der Bund nicht genug?
Schartau: Ich glaube, das sind zwei ganz wichtige Sachen. Mit der Agenda ist ja im Prinzip in Deutschland der Versuch unternommen worden, zu neuen Ufern zu kommen, weil im Stillstand keine Entwicklung mehr möglich ist. Die Bundesregierung hat wichtige Reformen auf den Weg geschoben, aber mit dem Verabschieden der Gesetze sind gerade Reformen, die ganz tief in soziale Gewohnheiten und Gepflogenheiten reingehen nicht umgesetzt. Die müssen im Erfolg erlebt werden. Da muss viel vor Ort gearbeitet werden. Aber vor allen Dingen müssen auch in die wirtschaftliche Bereichen neue Impulse kommen, weil wir im konjunkturellen Bereich ja nach wie vor mehr oder weniger auf der Stelle treten und ohne, dass die Wirtschaftspolitik einen Rahmen schafft, in dem neue Arbeitsplätze entstehen können, wird die Arbeitsmarktpolitik auch keinen Erfolg haben.
Heuer: Schadet also Rot-Grün im Bund Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen?
Schartau: Nein, wir arbeiten mit den Berlinern immer besser zusammen, weil es nichts nützt, auf Länderebene so zu tun, als wenn man den Stein der Weisen hat und den Berlinern gegenüber Urteile auszustellen, die sie nicht verdient haben. Da muss schon Hand in Hand gearbeitet werden. Und so langsam kommt das Schiff auch in Fahrt.
Heuer: Schaden vielleicht die Grünen Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen, Stichwort Visa-Affäre? Haben Sie Befürchtungen in dieser Richtung?
Schartau: Ich glaube, dass es für die breite Öffentlichkeit sehr wichtig ist, dass die aus vielen Ecken erhobenen Vorwürfe möglichst schnell auch einer Erklärung zugeführt werden. Deshalb glaube ich, dass es auch wichtig ist, dass der Untersuchungsausschuss in Berlin mit großer Zügigkeit arbeitet. Denn je länger die Vorwürfe ungeklärt bleiben, je länger auch mit dicken Kugeln auf unseren Koalitionspartner, zunehmend ja auch auf die SPD, geschossen wird, um so wichtiger ist es, die Dinge auf den Tisch zu legen und zu gucken: Was war denn da eigentlich wirklich im Verhältnis von einer liberalen Zuwanderungspolitik zu unverantwortlichen Vorgängen vor Ort?
Heuer: Die Frage war aber, ob die Visa-Affäre der SPD oder Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen wohl schaden wird?
Schartau: Sie würde erst dann schaden, wenn es sich länger ins Feld zieht, wenn Platz gemacht wird für alle möglichen Vermutungen und Vorwürfe, ohne dass es aufgeklärt wird. Bei solchen Dingen ist die Bevölkerung außerordentlich sensibel - wenn Vorwürfe erhoben wurden, dass eben ermöglicht wurde, dass Schlepper-Banden hier arbeiten konnten. Deshalb muss nicht nur gegen gehalten werden, sondern der Untersuchungsausschuss muss schnell aufklären.
Schartau: Wie steht es eigentlich um Ihren Spitzenkandidaten, um seine Beliebtheit in Nordrhein-Westfalen? Wie steht es um Peer Steinbrück? Selbst in Schleswig-Holstein, wo Heide Simonis ja ausgesprochen beliebt ist, hat der Personalwahlkampf nicht wirklich funktioniert.
Heuer: Ja, wir werden in Nordrhein-Westfalen mit Peer Steinbrück in die Wahl ziehen. Die Partei hat sich da fast einstimmig zu entschlossen, weil wir mit ihm auch einen exzellenten Spitzenkandidaten haben. Aber es muss natürlich dahinter auch ein inhaltlicher Wahlkampf stehen, um Themen, bei denen die Bevölkerung eben entscheiden kann, ob wir die Probleme auf den Punkt benannt haben, ob wir Lösungen anbieten, die auch akzeptiert werden. Aber letztlich muss die Bevölkerung auch merken, dass diese Partei in Nordrhein-Westfalen kämpfen kann, sich engagiert, sich Auseinandersetzungen stellt und dass sie es damit auch verdient hat, weiter zu regieren.