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Schartau warnt vor zu viel Bürokratie

Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen über das Antidiskriminierungsgesetz hat der nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Harald Schartau davor gewarnt, durch übermäßige Bürokratie und Auflagen auch für Kleinunternehmen die Chance auf neue Arbeitsplätze zunichte zu machen. Das Gesetz sei "an sich ist ja erforderlich", weil europäisches Recht umgesetzt werden müsse. Es komme aber darauf an, das Gesetz so umzusetzen, dass man nicht über die europäischen Vorgaben hinausgehe.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Auch die Demokratie braucht Unterschiede. Sonst zerstört sie sich selbst. Das Prinzip der Demokratie wird nicht nur korrumpiert, wenn man den Geist der Gleichheit verliert, sondern auch wenn man einen extremen Geist der Gleichheit übernimmt. Manche Bürger befürchten nun, im Gesetz gegen Diskriminierung stecke dieser extreme Geist der Gleichheit, und Politiker fürchten, die bürokratischen Hürden, die durch dieses Gesetz aufgebaut werden könnten, würden auch die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindern. In diesem Sinne äußerte sich auch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen am Wochenende und sein Arbeits- und Wirtschaftsminister Harald Schartau, gleichzeitig auch SPD-Parteichef im bevölkerungsreichsten Bundesland, ist jetzt mit uns verbunden. Guten Morgen Herr Schartau.

    Harald Schartau: Schönen guten Morgen!

    Liminski: Herr Schartau, der Widerstand vor allem in der SPD gegen das Antidiskriminierungsgesetz schwillt an, fast möchte man sagen wie ein Boxgesang. Was haben Sie gegen das Gesetz? Es soll doch Chancengleichheit bringen.

    Schartau: Das Gesetz an sich ist ja erforderlich, weil wir europäisches Recht umsetzen müssen. Es kommt uns deshalb darauf an, das Gesetz so umzusetzen, dass wir nicht über die europäischen Vorgaben noch hinausgehen. Dann kommt es darauf an, dass wir in einer Situation, wo bei uns Arbeitsplätze zurückgehen und viele kleine und mittelständische Unternehmen außerordentlich verunsichert sind über die Lage, über ihre Finanzierungsmöglichkeiten, nicht weitere Barrieren aufbauen bei einer Entscheidung für neue Arbeitsplätze. Und wir wollen vor allen Dingen auch, dass ein Gesetz zu Stande kommt, das die Möglichkeit, gegen Diskriminierung zu klagen, nicht von den Personen, die es betrifft, überträgt auf Verbände, die damit Politik machen.

    Liminski: Das heißt dieses Gesetz muss Ihrer Meinung nach noch ziemlich verändert werden?

    Schartau: Ja. Die Regelungen, die verändert werden müssen, sind eigentlich ziemlich klar. Einerseits haben wir uns letzte Woche in Nordrhein-Westfalen mit dem Handwerk, mit den Mietern und Vermietern, mit der Industrie zusammengesetzt, um genau auf den Punkt bezogen zu wissen, an welchen Paragraphen entsprechende Änderungen kommen müssen. Der Bundestag hat das gestern auch gemacht und deshalb ist meine Empfehlung auch an die Mitstreiter in Berlin, dass die beiden Politikziele, auf der einen Seite eine aufgeklärte Antidiskriminierungsrechtsetzung zu machen und auf der anderen Seite im Augenblick unter keinen Umständen das Ziel, dass wir neue Beschäftigungsmöglichkeiten kriegen, dabei aus dem Auge zu verlieren.

    Liminski: Unter keinen Umständen sagen Sie. Ihr Ministerpräsident hat mit Nein im Bundesrat gedroht. Nun ist das Gesetz aber nicht zustimmungspflichtig. Ein Nein im Bundesrat dürfte es also nicht verhindern. Werden Sie also die Abgeordneten im Bundestag, wenigstens die aus Nordrhein-Westfalen, gegen das Gesetz in Stellung bringen?

    Schartau: Ja. Wir sind da in einer ganz direkten Kommunikation und selbst die, die der Auffassung sind, dieses Gesetz müsste in dieser Form umgesetzt werden, kommen ja dann vor Ort wieder in eine Situation, wo sehr schnell erkennbar wird, dass die Hauptsorge der Menschen im Augenblick ist die Unsicherheit ihrer Arbeitsplätze, die Chance, wieder eine neue Beschäftigung zu finden. Das hängt natürlich mit der Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit zusammen. Das ist eine existenzielle Frage, die sehr tief in die Gefühlslage der Bevölkerung reingeht. Wer die nicht richtig aufnimmt oder genau zu diesem Zeitpunkt weitere Verunsicherungen schürt, der wird sich nicht wundern müssen, wenn ihm der Wähler dabei die rote Karte zeigt.

    Liminski: Auch aus den Kirchen ertönt Kritik, und zwar noch vor den Wirtschaftsverbänden. Dort fürchtet man den Tugendterror der Gutmenschen, wie es heißt. Ist das ein ideologisches Gesetz?

    Schartau: Nein. Ich glaube, dass sich ja aus vielen Bereichen in den letzten Jahren auch aufgrund internationaler Rechtsetzung die Frage eines solchen Antidiskriminierungsgesetzes einfach auf die Tagesordnung begeben hat. Trotz alledem glaube ich, dass man, wenn man diesen Politikbereich mit Leben erfüllen will, nicht andere Politikbereiche vergessen und die Prioritäten vergessen darf. Es geht nicht gegen das Antidiskriminierungsgesetz, sondern es geht darum, dass in einer Zeit zurückgehender Arbeitsplätze, großer Sorgen der Menschen in Deutschland um ihre Beschäftigung, möglichst nichts gemacht wird, was die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindert und was Hürden aufbaut auf dem Weg, die Arbeitslosigkeit abzubauen.

    Liminski: Soll man da nicht einfach die Richtlinien der EU übernehmen, statt am deutschen Wesen die Welt genesen zu lassen?

    Schartau: Ja, es ist richtig. Wir haben in Düsseldorf auch mit unserem Koalitionspartner eine ganz klare Vereinbarung, was die Umsetzung von EU-Recht angeht. Wir wollen EU-Recht eins zu eins umsetzen und insofern haben wir in unserer Koalition dafür einen ganz klaren Beurteilungsmechanismus und den werden wir auch bei diesem Gesetz anwenden.

    Liminski: Das Gesetz wird mit den Grünen weitgehend identifiziert. Schadet es der SPD im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen?

    Schartau: Die Befürchtung, dass durch Bürokratie, durch die Auflagen, die selbst kleinste Unternehmen erfüllen müssen, die Chancen, zu neuen Arbeitsplätzen zu kommen, nach unten Gefahren werden, diese Befürchtung wird uns im Wahlkampf nicht helfen. Sie wird uns schaden. Deshalb setzen sich angefangen beim Ministerpräsidenten über mich alle Leute, die an dem Ziel arbeiten, neue Arbeitsplätze zu kriegen, auch vehement gegen ein Überziehen in diesem Gesetz ein.

    Liminski: Bleiben wir bei Nordrhein-Westfalen. Die Zahlen haben sich wieder gedreht. Im Moment sieht es so aus als würde schwarz/gelb gewinnen. Es scheint eine Art Wechselstimmung aufgekommen zu sein. Wie wollen Sie das Ruder noch herumreißen?

    Schartau: Die erste Erkenntnis ist, dass diese Veränderung in den Zahlen nicht aufgrund irgendwelcher spektakulärer Leistungen, Vorschläge oder Ideen der Oppositionsparteien zu Stande gekommen ist, sondern ich glaube, dass die Menschen mit Blick auf die Arbeitslosenzahlen, selbst wenn sie eine Summe aus schon arbeitslosen Sozialhilfeempfängern und bisher gezählten Arbeitslosen sind, Angst haben und sie erteilen dann natürlich als erstes denen, die die politische Verantwortung haben, eine entsprechende Note. Das heißt nicht die Opposition ist gut geworden, sondern die Lage hat dazu geführt, dass die Leute eher kritisch auf die Regierenden gucken.
    Wir haben die Aufgabe, in den nächsten Wochen und Monaten auf der einen Seite in der Anlage unserer Politik zu zeigen, dass diese existenzielle Frage bei uns auf Platz 1 der Tagesordnung steht, dass wir für mehr Beschäftigung sorgen müssen, dass wir die Reformen auf dem Arbeitsmarkt, die jetzt erst begonnen haben, konsequent weiter führen, aber dass wir uns konzentrieren: wir wollen, dass die Jugendlichen unter 25 in den nächsten Wochen auch merken, dass diese Reformen ihnen neue Beschäftigungsperspektiven eröffnen, und wir wollen auf der anderen Seite, dass insbesondere Ältere, die heute, wenn sie mit 50 arbeitslos werden, plötzlich merken, dass sie gar nicht mehr hinsichtlich ihres Könnens beurteilt werden, sondern dass sie vor einer fast unüberwindbaren Hürde von Vorurteilen stehen, neue Beschäftigungsperspektiven erhalten.

    Liminski: DGB-Chef Sommer hat sich gesprächsbereit gezeigt zum Thema Reform der Unternehmenssteuern. Sind Steuersenkungen für Unternehmen ein Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit?

    Schartau: Wir haben in den vergangenen Jahren ja auf der Bundesebene erhebliche Steuerveränderungen gemacht. Die Steuern sind gesenkt worden in allen Bereichen. Das ist in eine Zeit hinein passiert, in der die Konjunktur auf der Stelle tritt und wo es Verunsicherungen hinsichtlich der Zukunft insbesondere in allen Sozialversicherungsbereichen gibt. Die Leute legen das Geld zur Seite, sind eher auf Sparen eingerichtet, was natürlich dazu geführt hat: der Staat hat weniger Geld und die Steuersenkung hat sich nicht refinanziert. Deshalb sollte man nicht mit allzu großer Freude auf Steuersenkungen zugehen. Worum es hier geht ist die einfache Entscheidung. Ein Unternehmen, das einen Euro Gewinn in den Betrieb zurückinvestiert, damit auch nachweisbar Arbeitsplätze schafft, soll die Möglichkeit haben, dass man diesen Euro steuerlich bevorzugt gegen einen Euro-Gewinn, der aus dem Unternehmen entzogen wird und verbraucht wird. Diese Grundposition ist richtig. Sie wird auch in die Steuergesetzgebung über kurz oder lang einfließen. Wann das passiert, ob man diesen Bereich der Steuerveränderung losgelöst von einer grundsätzlichen Veränderung im Unternehmenssteuerbereich, die für 2006 angedacht ist, machen kann, das sollte schon im Augenblick intensiv diskutiert werden, denn alles was dazu beiträgt, neue Arbeitsplätze zu schaffen, kann im Augenblick nicht vom Tisch genommen werden.

    Liminski: Soll das auch diskutiert werden beim Treffen zwischen der Unionsspitze und dem Bundeskanzler?

    Schartau: Ich nehme an das wird eines der Themen sein. Das ist von allen Seiten angekündigt. Insofern würde das bei mir keine Verwunderung auslösen.

    Liminski: Noch mal Nordrhein-Westfalen. Sie sprachen eben von der Jugend unter 25 und der Suche nach Arbeitsplätzen. Der Parteitag der CDU am Wochenende hat gezeigt, dass die CDU vor allem auf die Generation 60+ setzt. Im Vorstand sind kaum junge Gesichter zu sehen. Sind solche Klientelstrategien eigentlich sinnvoll? Gehen sie nicht an der Wirklichkeit vorbei, denn die älteren Menschen haben Enkel, denen sie eine gute Familienpolitik gönnen würden, selbst wenn es Opfer brächte? Auf wen setzen Sie im Wahlkampf?

    Schartau: Ich habe im Wahlkampf natürlich die Breite der Bevölkerung im Kopf. Man kann nicht nur auf eine Personengruppe setzen. Aber was die Breite der Bevölkerung eben möchte ist, dass die Jugend eine Zukunft hat. Jugend muss Zukunft haben, weil das die Zukunft der Gesellschaft an sich ist. Da wird auch jeder Ältere sagen, das ist richtig, macht das. Auf der anderen Seite müssen wir gerade mit Blick auf den Arbeitsmarkt sagen, da wird gegenüber einer bestimmten Altersgruppe eine Hürde aufgebaut aus Vorurteilen in einer Gesellschaft, die immer älter werden kann, nämlich der Begriff des Älteren ist auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile abgesackt auf Menschen, die 50 sind. In manchen Fällen fängt das schon Mitte 40 an. Das kann sich unsere Gesellschaft nicht erlauben gegenüber den Menschen selbst. Es ist aber auch überhaupt nicht finanzierbar. Eine solche Systematik, dass Menschen quasi mit 50 15 Jahre arbeitslos bleiben und dann in die Rente wechseln, eine solche Gesellschaft möchte niemand, ich auch nicht und deshalb möchte ich daran etwas verändern.

    Liminski: Die Breite der Bevölkerung. - Das war Harald Schartau, SPD-Chef in Nordrhein-Westfalen und im Kabinett Steinbrück auch Wirtschafts- und Arbeitsminister. Besten Dank für das Gespräch, Herr Schartau!

    Schartau: Danke auch!