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Schatten über dem Friedensnobelpreis
Erst verliehen, dann bereut

Jassir Arafat, Barack Obama und Aung San Suu Kyi: Immer wieder wird das Nobel-Kommitee für seine Entscheidungen bei der Vergabe des Friedensnoblepreises kritisiert. Doch auch wenn sich ein Preisträger im Nachhinein als unwürdig erweist: Eine Rücknahme ist nicht möglich.

Von Carsten Schmiester |
    Myanmars De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi hält am 19. September 2017 in der Hauptstadt Naypyidaw eine Rede zur Lage der Rohingya-Minderheit.
    Aung San Suu Kyi bekam 1991 als Oppositionspolitikerin von Myanmar den Friedensnobelpreis. Heute macht man ihr als Regierungschefin des Landes schwerste Vorwürfe wegen der brutalen Unterdrückung und Vertreibung der muslimischen Rohingya. (AFP / Ye Aung Thu)
    Fünf vom norwegischen Parlament auf Zeit gewählte Mitglieder sitzen im Nobel-Komitee und entscheiden über einen der wichtigsten Preise der Welt, darunter Ex-Politiker und Friedensforscher. Ein ziemlich kleiner Kreis, der sich in diesem Jahr erst einmal zu rechtfertigen hatte - für eine Preisvergabe, die lange zurück liegt: 1991 an die damalige Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi aus Myanmar.
    Rücknahme des Preises nicht möglich
    Heute ist sie De-Facto-Regierungschefin des Landes. Man macht ihr wegen der brutalen Unterdrückung und Vertreibung der muslimischen Rohingya-Minderheit schwerste Vorwürfe, es gibt die Forderung, ihr den Friedenspreis abzuerkennen. Keine Chance, sagt Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobelkomitees:
    "Eine Rücknahme des Preises ist praktisch unmöglich, das wäre ein Verstoß gegen die Statuen. Wir zeichnen eine Person oder eine Organisation für das aus, was sie bis zum Zeitpunkt der Preisvergabe geleistet hat."
    Kritik gab es schon öfter
    Der "Fall Aung San Suu Kyi" hat auch ältere Kritik an der Vergabe des Preises in Erinnerung gerufen. 1973 hatte ihn US-Außenminister Henry Kissinger zusammen mit dem nordvietnamesischen Politiker Le Duc Tho für den Waffenstillstand in Vietnam bekommen. Kritiker hatten Kissinger Mitverantwortung für die vorherige Eskalation der US-Bombenangriffe gegeben und Le Duc Tho für Menschenrechtsverletzungen nach dem Abzug der Amerikaner. Der hatte den Preis allerdings nicht angenommen.
    Heftig kritisiert wurde das Nobelkomitee auch für die Preisverleihung 1994 an Palästinenserführer Jassir Arafat, Israels Premier Jizhak Rabin und Außenminister Schimon Peres. Die Kritik damals: Peres sei einer der Väter des israelischen Atomwaffenprogramms, Arafat ein Terrorist. 2009 bekam US-Präsident Barack Obama den Preis und das Komitee neuen Ärger. Obama war noch kein Jahr im Weißen Haus, hatte große Ziele, aber nicht allzu viel erreicht und wurde später wegen amerikanischer Drohnenangriffe kritisiert, bei denen viele Zivilisten ums Leben gekommen sind. Dazu jetzt Aung San Suu Kyi. Komiteechefin Reiss-Andersen gibt offen zu:
    "Ja, das diskreditiert den Preis, aber es ist nicht die Aufgabe des Nobelkomitees, solches Handeln zu zensieren oder zu beanstanden."
    Viele Entscheidungen unumstritten
    Wir sollten nicht vergessen, dass es auch viele unumstrittene Entscheidungen gegeben hat, sagt Henrik Urdal, Direktor des Osloer Friedensforschungsinstituts PRIO: die Kinderrechtlerin Malala Yousafzai, die Internationale Atomenergie-Organisation oder Ärzte ohne Grenzen.
    "Viele Entscheidungen waren wirklich gut, auch wenn die Auszeichnung des Dialogquartetts in Tunesien vor zwei Jahren überrascht hat. Aber: Man war gewissenhaft bei der Wahl der Kandidaten, die einen extrem wichtigen Beitrag zum Frieden leisten."
    Vielleicht gelingt dem Komitee heute der Befreiungsschlag. Als Favoriten für den Preis gelten die beiden Architekten des Atomabkommens mit dem Iran, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Teherans Außenminister Mohammad Jawad Zarif, aber auch die syrischen Weißhelme, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, die türkische Zeitung "Cumhuriyet", der Papst oder - erneut und deshalb mit schwinden Chancen - Bundeskanzlerin Angela Merkel.