Simon: Gehen Sie denn davon aus, dass es Strafen geben wird?
Scheel: Ich gehe davon aus, dass im Rat darüber diskutiert wird, dass die Lage insgesamt in verschiedenen Ländern sehr schwierig ist, dass wir wirtschaftliche Rahmenbedingungen haben, die ja nicht nur Deutschland betreffen, sondern auch andere Länder, und dass es hier zu einer breiten Interpretation kommt, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt auch hergibt.
Simon: Und was heißt das in der Sache? Glauben Sie an Strafen oder nicht?
Scheel: Ich glaube schon, dass man sehr ernsthaft weiter dafür sorgt, dass der Druck aufrechterhalten wird auf die einzelnen Länder, dass das strukturelle Defizit abgebaut werden muss, dass auch Haushaltseinsparungen vorgenommen werden müssen und dass dieser Druck natürlich auch von den Ländern beantwortet wird, indem man genau diese Vorschläge auch aufnimmt und sagt, wir bauen das strukturelle Defizit ab. Deutschland ist auf einem guten Weg, was das anbelangt. Allerdings brauchen wir hier auch die Unterstützung der Länder, nicht nur im Bundesrat, sondern die Länder selbst haben ja gemeinsam mit den Kommunen einen großen Anteil am Defizit. Auch die Sozialkassen haben einen großen Anteil. Beides zusammengenommen ist höher als der Bundeshaushaltsanteil. Deswegen sitzen wir in Deutschland alle im Boot, und da macht es auch keinen Sinn, wenn aus verschiedenen parteipolitischen Ecken mit dem Finger auf die anderen gezeigt wird und man sagt, man hätte hier irgendwie Mist gebaut oder etwas versäumt. Wir sind alle in der Verantwortung, die Regierung, die Opposition und auch die Länder, und ich kann nur appellieren, dass man hier der Verantwortung insgesamt dann auch nachkommt und mit diesen Schuldzuweisungen aufhört.
Simon: Sie empfinden das Ganze nicht als eine Ohrfeige für die Regierung, wie es die Opposition gestern getan hat?
Scheel: Ich halte das für völlig übertrieben. Das ist wieder die klassische Reaktion, wenn einem nichts einfällt in der Sache, dann haut man erst mal auf die Regierung ein. Aber letztendlich ist es doch auch so, dass die Regierung seit Jahren Vorschläge gemacht hat zum Subventionsabbau, die die Union im Bundesrat im Vermittlungsverfahren nie mitgetragen hat in dieser Größenordnung. Wenn sie das getan hätte, hätten wir diese Probleme heute nicht. Das muss man einfach ehrlicherweise auch von Seiten der Opposition - so hoffe ich - doch anerkennen und nicht immer sagen, der Finanzminister soll zurücktreten und so einen Quatsch. Außerdem ist es auch so, dass Hans Eichel die Entscheidung nicht alleine getroffen hat. Es war der EU-Finanzministerrat in seiner gesamten Verantwortung, und das ist natürlich auch eine Verantwortung, die auf der europäischen Ebene auch gegeben war. Es war ja kein Alleingang von Hans Eichel.
Simon: Sie sagten vorhin, der Druck auf die EU-Länder zum Sparen muss aufrechterhalten werden. Es gibt aber einige in Europa, die das eigentliche Problem nicht in den Verletzern des Stabilitätspaktes sehen, sondern im Pakt selber, weil er in der derzeitigen Form - so die Argumentation - in vielen Ländern Wachstum und Entwicklung verhindere. Wie beurteilen Sie eigentlich dieses strenge 3-Prozent-Verschuldungskriterium?
Scheel: Es ist selbstverständlich so, dass in den letzten Monaten viel darüber diskutiert wurde, dass man den Wachstums- und Stabilitätspakt so nicht aufrechterhalten will. Es gibt einige Stimmen, die sich in diese Richtung geäußert haben. Ich halte die Zielvorgaben, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat, für völlig richtig. Es gibt so viele Spielräume in diesem Pakt. Es gibt Interpretationsmöglichkeiten und vieles mehr, die auch von den Ländern genutzt werden. Aber wir müssen doch auch unserer Verantwortung für die kommenden Generationen nachkommen. Das heißt doch für uns, wir haben als Bundesregierung auch in den letzten Jahren investiert. Natürlich will sich niemand tot sparen. Darum geht es ja gar nicht. Es wird, wo es sinnvoll ist, investiert, und es wird, wo es notwendig ist, auch gespart. Diese Gratwanderung muss man in aller Verantwortung gehen für die Wahrung der Haushaltsdisziplin, für die Wahrung der Aufrechterhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, aber auch gegenüber den kommenden Generationen. Ich glaube, es ist ein Dreiklang, der hier gut passt und den man auch für die Zukunft für die finanzpolitischen Entscheidungen auch gut nutzen kann.
Simon: Wenn Sie aber im Zusammenhang vom Stabilitätspakt vom Spielraum sprechen, verstehe ich Sie dann richtig, dass Sie meinen, als allgemeine Leitlinie ist der Pakt ganz gut, nur eben mit so engen Auslegungen, so hohen Strafen, wie sie zuletzt in Frankreich und Deutschland drohten, das ist nicht in Ihrem Sinne?
Scheel: Es ist doch letztendlich eine große Verantwortung, die der Finanzministerrat auch haben kann. Er hat die klaren Vorgaben. Die Kommission hat die Möglichkeit, hier Vorschläge zu machen. Deswegen ist das Urteil auch so gekommen, weil der Rat eben eine andere Entscheidung getroffen hat. Es waren eigentlich formale Geschichten, keine Inhalte. Es ging ja jetzt gar nicht darum, dass der Wachstums- und Stabilitätspakt geändert wird, und jetzt geht es letztendlich als nächsten Schritt um den Punkt, was empfiehlt jetzt die Kommission dem Rat beziehungsweise was sagt der Rat, wie das Verfahren bei jetzt übermäßigem Defizit bei mehreren Ländern weiter zu beurteilen ist. Es wird mit Sicherheit nicht so sein, dass die Bundesrepublik im nächsten Jahr 10 Milliarden Euro Strafe bezahlen muss.
Simon: Vielen Dank für das Gespräch.