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Scheitern an der Philosophie

Bevor er Schriftsteller wurde, war David Foster Wallace Tennisprofi – und schaffte es bis auf Platz 16 der US-Rangliste. Anschließend studierte er Logik und Mathematik. Seine Abschlussarbeit wurde mit Bestnote bewertet und ausgezeichnet. Aus ihr erfahren wir viel über seine philosophische Weltsicht.

Von Martin Becker | 03.05.2013
    In seinem letzten Jahr am College arbeitete der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace an zwei Abschlussarbeiten zugleich: Mit noch nicht einmal Mitte 20 schrieb er an einem Prosatext im Fach "Creative Writing". Ein Roman wuchs heran mit dem Titel "Der Besen im System". Wallace selbst vermerkte, dass der Text während der Niederschrift außer Kontrolle geraten sei - am Ende hatte er einen Umfang von fast 500 Seiten. Zugleich kämpfte der amerikanische Schriftsteller mit einem philosophischen Essay unter der Überschrift "Richard Taylors "Fatalismus" und die Semantik physikalischer Modalitäten". Dass David Foster Wallace über eine außerordentliche, philosophische Begabung verfügte, darüber sind sich seine Lehrer von damals einig:

    "In meinen Augen war er ein sehr begabter Philosoph, der in seiner Freizeit Romane schrieb; mir war nicht klar, dass er in Wahrheit einer der begabtesten Romanciers seiner Generation war, der nebenbei philosophierte."

    So beschreibt es der Philosoph Jay Garfield, einer der Betreuer der Arbeit von David Foster Wallace. Garfield hat einen der Aufsätze im Band über den jungen Philosophen Foster Wallace beigesteuert – und sah ihn aufgrund seiner Fähigkeiten eher als Kollegen denn als Studenten an. Vor allem die Begleittexte der Weggefährten von David Foster Wallace sind es, von denen dieser Band lebt. Fast bis zur Hälfte des Buches muss man sich gedulden, bis der amerikanische Schriftsteller selbst zu Wort kommt. Doch ist diese Vorbereitung auch dringend notwendig – denn schließlich wird sich das, was zu Beginn bereits angedeutet wird, als maßlose Untertreibung herausstellen:

    "Der im ursprünglichen Typoskript 76 Seiten umfassende Aufsatz über Logik, Semantik und Metaphysik ist nichts für Leser, denen beim philosophischen Räsonieren leicht schwindlig wird."

    So James Ryerson in seiner erhellenden Einführung in das Leben und Schaffen des jungen Philosophen David Foster Wallace. Dieser konnte sich, erfährt man, manisch mit philosophischen Zusammenhängen beschäftigen, sich an ihnen erfreuen oder sich über sie empören. So war der Roman "Der Besen im System" das Resultat einer obsessiven Lektüre der "Philosophischen Untersuchungen" von Ludwig Wittgenstein. Ein Werk, aus dem Foster Wallace einen Sieg über den Solipsismus herauslas, um dann diesem triumphalen Gefühl in Prosaform Ausdruck zu verleihen. Ähnlich verhält es sich im Grunde mit seiner philosophischen Abschlussarbeit – auch, wenn hier die Empörung eine entscheidende Triebfeder war: Empörung über die philosophische Weltsicht des Fatalismus, in welcher "lediglich Tatsachen, aber keinerlei Möglichkeiten" existieren – James Ryerson fasst den fatalistischen Grundsatz, der David Foster Wallace auf die Palme brachte, so zusammen:

    "Die Ausführung einer Tat, die allein meiner freien Entscheidung zu unterliegen scheint – etwa, ob ich den Abzug meiner Pistole betätige oder nicht –, ist in Wahrheit entweder von vornherein ausgeschlossen oder unvermeidlich. Wir können nicht mehr tun, als dem kosmischen Fluss der Dinge zu folgen."

    Ganz konkret ging es David Foster Wallace um einen ebenso berühmten wie berüchtigten Aufsatz des Philosophen Richard Taylor: An seiner Fatalismus-Theorie hatten sich vor Foster Wallace schon viele, renommierte Geisteswissenschaftler die Zähne ausgebissen. Anhand eines simplen Beispiels untersuchte Taylor die komplexe Frage nach der Freiheit unseres Handelns: Hat der Befehl eines Admirals wirklich Auswirkung auf das Stattfinden – oder eben auch das Ausbleiben – einer Seeschlacht? Auf Grundlage von wenigen, feststehenden, philosophischen Voraussetzungen und mit einigen, logischen Winkelzügen kam Taylor zu dem Schluss, dass dem nicht so sei. Dass unsere Handlung keine Wirkung auf die Zukunft habe – dass die Seeschlacht also mit oder ohne den Befehl des Admirals stattfinden würde oder nicht. David Foster Wallace schaffte es mit seiner College-Abschlussarbeit, die taylorsche Fatalismus-Theorie zu widerlegen. Hierzu war allerdings ein Kraftakt notwendig: Er musste spezielle Symbole, Notationsweisen und logische Operatoren ganz neu definieren, weil die vorhandenen, philosophischen Werkzeuge nicht ausreichten.

    "Da die Philosophie bislang nicht über das semantische Instrumentarium zur Bearbeitung solcher Modalitäten verfügt, werde ich ein solches anhand seiner aus meiner Sicht notwendigen Eigenschaften einzuführen und zu formalisieren suchen, und zwar unter intuitiver Verwendung der Modalsemantik Saul Kripkes und ihrer Erweiterung durch Richard Montagues Überlegungen zur intensionalen Logik. Bei der Formulierung der temporalen Operatoren bediene ich mich der von Robert McArthur (nach A. N. Prior) entwickelten Terminologie".

    Der junge Philosoph Foster Wallace spürte mit tatkräftiger Unterstützung von Mitstudenten und Lehrern die entscheidende Schwäche in Taylors Fatalismus-Aufsatz auf: Taylor hatte zwei Aussagen gleichgesetzt, die in Wahrheit nicht gleichzusetzen sind. Mit einem komplexen Verfahren zerlegte David Foster Wallace das Beispiel von Taylors Seeschlacht und dem vermeintlich machtlosen Admiral in immer kleinere Teile. So entdeckte er schließlich Unklarheiten in den zeitlichen Bezügen und einen Mangel an Genauigkeit in der verwendeten, formalen Sprache. Im noch relativ harmlosen Teil seiner Beweisführung beschreibt Foster Wallace Taylors Trugschluss so:

    "Taylors Fehler beruht auf einer ebenso komplizierten wie interessanten Verwechslung inäquivalenter Aussagen. Sie verweist auf die semantischen Relationen, die zwischen temporalen Operatoren/Zeitindizes und physikalisch-modalen Operatoren bestehen, ein Gebiet, auf dem praktisch noch niemand gearbeitet hat. Das Verhältnis von Zeitpunkten und physikalischen Modalitäten ist deshalb so interessant, weil (…) situative physikalische Modalitäten von Zeitpunkten und äußeren Bedingungen abhängig sind und sich mit ihnen ändern, was logische Modalitäten nicht tun."

    Auf den ersten Seiten kann man den Überlegungen von Wallace noch folgen, dann aber droht man die Übersicht zu verlieren zwischen vertrackten Gleichungen, Schaubildern und Schlussfolgerungen. Natürlich ist der Band eine ausgewogen komponierte Textsammlung über eine wichtige Phase im Leben des David Foster Wallace – schließlich markieren die Jahre seines College-Abschlusses den Übergang des Philosophen zum Prosaschriftsteller. Dennoch bleibt man nach der Lektüre von "Schicksal, Zeit und Sprache" ratlos zurück: Man versteht die Methode, mit der David Foster Wallace dem Fatalismus entgegenarbeitet, bis er ihn gewissermaßen knackt. Man versteht die Virtuosität, mit der er dies tut – nur an der philosophischen Arbeit an sich scheitert man. Aber vielleicht ist es genau dieses Scheitern, durch das man vollends versteht, was der Philosoph James Ryerson in seiner Einführung über den College-Studenten David Foster Wallace formuliert: "Die Welt war ihm zu viel. Das Denken zu wenig." In einem Interview über seine Zeit als Student bemerkte Foster Wallace viele Jahre später: "Ich glaube, ich hatte eine Art Midlife-Crisis mit zwanzig, was vermutlich kein gutes Omen für meine Lebenserwartung ist." 2008 nahm er sich, immer wieder heimgesucht von Depressionen, im Alter von 46 Jahren das Leben.


    David Foster Wallace: "Schicksal, Zeit und Sprache. Über Willensfreiheit". Herausgegeben von Steven M. Cahn und Maureen Eckert.
    Aus dem Englischen von Frank Jakubzik.
    Suhrkamp Verlag, 207 Seiten, 15 €.