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Schellnhuber hofft auf möglichst konkretes Bali-Abkommen

Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, wagt unmittelbar vor Ende der Weltklimakonferenz auf Bali keine Prognose über deren Ergebnis. Es gebe Teilfortschritte, aber der große Durchbruch sei noch nicht zu erkennen, sagte der deutsche Regierungsberater. Die Frage werde sein, "ob wir in diesem Jahr schon die richtigen Zielkorridore bekommen".

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Die Verhandlungen der UNO-Klimakonferenz auf Bali haben sich zugespitzt auf die Frage der Emissionsziele und auf einen ausdrücklichen Bezug auf die Erkenntnisse des Weltklimarates, hören wir aus Bali. Es gibt verschiedene Vorschläge, die der Europäischen Union, die wir kennen, inzwischen auch ein Kompromisspapier Indonesiens.

    Wir erreichen bei einem Zwischenstopp in Frankfurt am Main aus Bali kommend auf dem Weg nach Hause sozusagen den Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Berater der Bundesregierung, Professor Hans-Joachim Schellnhuber. Guten Morgen, Herr Schellnhuber!

    Hans-Joachim Schellnhuber: Guten Morgen.

    Durak: Wie kommen Sie denn heim aus Bali, zufrieden oder unzufrieden?

    Schellnhuber: Die Situation ist noch nicht geklärt, und die Situation ist auch sehr schwer zu lesen. Es gibt Teilfortschritte, aber der große Durchbruch, den der UN-Generalsekretär gefordert hat, der ist noch nicht zu erkennen.

    Durak: Woran liegt das?

    Schellnhuber: Zunächst einmal lassen Sie mich das Positive sagen. Es ist so, dass Deutschland ein ausgezeichnetes Bild abgibt, auch insbesondere der Minister. Die deutschen Vorschläge werden mit großem Interesse aufgenommen. Es gab großen Rückhalt, Beifall und so weiter. Aber es ist eben eine außerordentlich schwierige Lage, und da muss man auch wirklich die reale Situation anerkennen.

    Ich gebe Ihnen ein einziges Beispiel dazu: Wenn ein Zielkorridor, nämlich Industrieländer sollen bis 2020 ihre Emissionen um 25 bis 40 Prozent reduzieren, was die Wissenschaft fordert, wenn das zum Beispiel für die USA bindend werden sollte im Jahr 2009, wenn die Verhandlungen dann abgeschlossen sind, dann heißt das, dass die USA innerhalb von zehn Jahren etwa 50 Prozent reduzieren müssen, weil sie seit Kyoto schon wieder um 25 Prozent zugelegt haben. Das heißt, die Länder erkennen jetzt: Es geht ans Eingemachte, es wird wirklich ernst. Und Versprechungen, die man jetzt macht, die muss man einhalten, während 1997, wie das Kyoto-Protokoll verabschiedet wurde, hat man ein bisschen noch in einer Traumwelt gelebt. Man war sich nicht so ganz sicher, ob die Wissenschaft wirklich erhärten würde, dass der Klimawandel ein so großes Problem ist, wie wir das heute wissen.

    Durak: Wenn das so ist, Herr Professor Schellnhuber, haben die USA ja vielleicht sogar Recht mit ihrer Haltung, sich jetzt nicht festzulegen, sondern erst im Laufe der nächsten beiden Jahre, im Laufe von Verhandlungen?

    Schellnhuber: Auch in zwei Jahren wird die Situation für die nicht günstiger aussehen. Es ist eher so, dass man einfach noch ein wenig die Augen verschließen möchte vor der Dramatik, die auf einen zukommt. Auch in zwei Jahren wird sich nichts daran ändern, dass weltweit die Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um über 50 Prozent reduziert werden müssen, wenn wir einen wirklich gefährlichen unbeherrschbaren Klimawandel vermeiden wollen. Da kann natürlich der größte Verschmutzer der Erdatmosphäre, die USA, nicht daneben stehen. Die nächste Regierung wird sich damit auseinandersetzen müssen. Es ist ein wenig so, dass man eben aus dem Traum aufwacht, aber noch ein bisschen weiterträumen möchte. Es ist verständlich, dass jedes Land, das gilt nicht nur für die USA; das gilt auch für Japan etwa, dass man sagt, wir müssen jetzt einfach mal sehen, was können wir überhaupt schaffen, während die EU - das ist natürlich hervorzuheben -, die hat ihre Hausaufgaben dieses Jahr gemacht hat, und sie geht mit einem glaubwürdigen Paket in das Ganze hinein.

    Durak: Aber was nutzt das glaubwürdige Paket, wenn es mit den anderen gemeinsam nicht umsetzbar ist?

    Schellnhuber: Na ja, ich denke, dass ein Land nach dem anderen sich anschließen wird. Wir haben ja Australien, die auch noch relativ behutsam verhandeln, aber doch wissen - und das weiß ich aus besten Quellen -, die sich einem ehrgeizigen Klimaschutzregime anschließen werden. Es gibt andere Länder wie Norwegen, die jetzt sehr stark auftreten. Übrigens auch viele Entwicklungsländer unterstützen die europäische Position. Früher noch haben die sich hinter China versteckt. Inzwischen sprechen die selbstbewusst für sich selbst.

    Also ich sehe schon eine große Dynamik. Die Frage wird aber sein, ob wir in diesem Jahr, also bei diesem Bali-Fahrplan, schon die richtigen Zielkorridore bekommen. Die Welt geht nicht unter, wenn wir das dieses Jahr nicht bekommen, aber die Wissenschaft hat so stark agiert und die Erkenntnisse sind so überzeugend, dass man natürlich sich wünschen würde, den Schwung dieses Jahres jetzt schon mitzunehmen. Jedes Jahr an Verhandlungszeit, das wir verlieren, macht die Sache nicht einfacher.

    Durak: Herr Professor Schellnhuber, Entwicklungsländer haben Sie genannt. Indien insbesondere hat gestern schon darauf hingewiesen, dass man unterscheiden müsse bei den Emissionszielen zwischen Industrienationen und den übrigen Ländern, die Nachholbedarf hätten. Ist das ein Weg, den man gehen kann?

    Schellnhuber: Das ist eine alte Forderung. Ich meine, die Bundeskanzlerin selbst hat ja im Grunde genommen hier die Brücke gefunden, übrigens im Gespräch mit Singh, dem indischen Premier, dass man nämlich langfristig gleiche Emissionsrechte für jeden Menschen auf diesem Planeten anstreben will. Dann wäre Indien ziemlich gut bedient. Das ist die Brücke, über die man gehen kann. Das wird im Augenblick nur nicht diskutiert auf Bali, wenn dann nur sozusagen in Unterströmungen. Es gibt sehr wohl die Möglichkeit, die Entwicklungsländer mit an Bord zu nehmen. Wir haben das sogar durchgerechnet, wie das konkret aussehen würde. Es ist nur so, dass im Augenblick noch die Industrieländer eine sehr viel größere Leistung erbringen müssen, weil sie die Atmosphäre seit langer Zeit als Mülldeponie verwendet haben.

    Und wissen Sie, da wird dann immer gesprochen von der Vorleistung der Industrieländer. Es ist eine Nachleistung. Wir müssen jetzt endlich der Verantwortung gerecht werden, die wir uns aufgeladen haben. Insofern habe ich eine gewisse Sympathie für den indischen Standpunkt, aber es gibt sehr wohl über den Vorschlag der Kanzlerin eine Brücke, über die man sie an unsere Ufer holen kann.

    Durak: Über Russland haben wir noch nicht gesprochen. Russland hat keine nationale Klimastrategie. Wie kann das Land dann einer internationalen zustimmen?

    Schellnhuber: Russland ist schwer zu durchschauen, und ich glaube auch, dass man in Russland selbst sich nicht im Klaren ist, wohin man eigentlich will. Man ist in einer Sondersituation. Man verfügt über große fossile Brennstoffreserven, insbesondere Gas. Wir hängen ja in Deutschland weitgehend vom russischen Gas ab. Man hat Erdöl, man hat Kohle. Und man erwartet, dass man vom Klimawandel im beschränkten Umfang sogar profitieren wird. Was die Russen allerdings auch wissen, ist, dass, wenn man deutlich über die Zwei-Grad-Marke hinausschießt, die die Europäische Union vorgegeben hat, dann wird man auch selber leiden. Insofern ist man unschlüssig in Russland, wie man sich positionieren will. Es gibt zum Teil konstruktive Vorschläge, zum Teil destruktive, und es wird jetzt notwendig sein, das Konstruktive besonders herauszuholen.

    Durak: Herr Professor Schellnhuber, Sie haben eingangs unseres Gespräches Bundesumweltminister Gabriel gelobt, das, was er dort tut auf Bali. Ich habe da dennoch eine Frage: Er hat gesagt, wenn es kein Bali-Mandat mit Zielen gebe, werde die EU an dem von Washington initiierten Klimatreffen der großen Volkswirtschaften nicht teilnehmen. Ist das wirklich so klug, sich einem solchen Gespräch zu verweigern?

    Schellnhuber: Was heißt "einem Gespräch verweigern"? Ich meine, es ist völlig klar, dass diese Initiative der Amerikaner zunächst einmal der Versuch ist, selbst wieder die Initiative zu ergreifen. Aber es ist gleichzeitig auch ein Versuch, den Prozess im Rahmen der Vereinten Nationen zu schwächen. Es kann nicht im Interesse Deutschlands sein, die Vereinten Nationen zu schwächen. Und wenn es darum geht zu entscheiden, ist der Prozess unter dem Dach der Vereinten Nationen der entscheidende oder der außerhalb, dann liegt es doch nahe, dass man sagt, dann entscheiden wir uns für das erstere in diesem Fall. Ich denke, man kann darüber diskutieren, wie konziliant man sich ausdrückt, aber ich glaube auch: In diesem Jahr stehen wir wirklich an einem historischen Wendepunkt. Das kann ich als Wissenschaftler nur betonen in diesem Fall. Wir haben ja nun Studien über Studien vorgelegt. Da ist es vielleicht auch mal notwendig, nicht nur mit Sanftstimme zu sprechen, sondern mal auch eine klare Botschaft zu formulieren. Deutschland kann wirklich mit Selbstvertrauen herangehen, und es ist auch so, dass Deutschland im Rahmen der EU, die übrigens hervorragend funktioniert, auch die Koordinierung, dass Deutschland natürlich eine leitende Stimme hat. Insofern habe ich persönlich Sympathie für Gabriel. Ob das Ganze dann diplomatisch der beste Weg war, das sieht man immer erst hinterher.

    Durak: Professor Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Regierungsberater, auf dem Weg von Bali nach Hause, nach Potsdam. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Professor Schellnhuber.

    Schellnhuber: Bitteschön.