Merkel: Die Flut hat als erstes natürlich über viele Menschen auch sehr großes Leid gebracht, und es hat sich aber in diesen schweren Stunden für die Menschen gezeigt, dass wir zusammenstehen, dass wir zusammenhalten. Wir hatten ein solches Erlebnis auch im Zusammenhang mit dem Oderhochwasser im Jahre 1997, aber diesmal waren die Schäden noch sehr viel größer und damit auch die Hilfsbereitschaft sehr viel spontaner, sehr viel breiter. Und ich glaube, es ist neben all dem Leid eine sehr, sehr gute Erfahrung, auf die die Menschen in Deutschland miteinander auch stolz sein können.
Birke: Nun hat Sachsens Ministerpräsident Milbradt den Schaden auf 15 Milliarden Euro vorläufig beziffert. Die Rede ist da von 750 km Straßen zerstört, 180 Brücken, 60.000 Jobs in Sachsen-Anhalt und in Sachsen seien bedroht. Reicht dann das Finanzierungspaket – 10 Milliarden – da überhaupt aus? Hätte man nicht von vornherein jetzt schon denken müssen, dass man den Bundesbankgewinn dafür benutzt, um etwas 'draufzusatteln'?
Merkel: Also, die ersten Schritte sind, glaube ich, jetzt erst einmal richtig ergriffen, und dies Milliardenprogramm muss ja denn auch erst einmal umgesetzt werden. Ich sehe die Aufgabe der nächsten Zeit vor allen Dingen darin, dass die Menschen schnell die Hilfe bekommen. Gerade bei den Betrieben, wo ich glaube, dass man wirklich sagen soll: 'Keiner soll schlechter dastehen, als vor der Flutkatastrophe', da ist es jetzt eine Frage der Zeit, auch ein Wettlauf mit der Zeit, denn Marktanteile gehen verloren. Ich habe selber einen Betrieb besucht, bei dem jemand Türen hergestellt hat für Fertighäuser. Der kann sich einen langen Produktionsausfall überhaupt nicht leisten, dann gehen ihm Marktanteile verloren. Das heißt, er muss schnell die neuen Maschinen anschaffen können, er braucht sofort Geld. Da sehe ich die Hauptaufgabe drin. Ich würde jetzt nicht darüber sprechen, was in zwei oder drei Jahren ist. Und es werden ja auch nicht alle Schäden umgehend aus staatlichen Hilfen oder Unterstützungen bezahlt werden müssen. Es gibt Versicherungsrückzahlungen und vieles andere mehr, das heißt, der Gesamtschaden ist nicht identisch mit dem vom Staat aufzubringenden Leistungen.
Birke: Glaubt man den Meinungsforschern, so gibt es ja durchaus eine relativ große Akzeptanz für die Finanzierungsart der Bundesregierung. Ist es denn da klug, wenn die Union sagt: 'Wenn wir an die Macht kommen nach dem 22. September, werden wir wieder alles rückgängig machen und die Kosten der Flutkatastrophe anders finanzieren' ?
Merkel: Ich glaube, dass wir uns sehr klug verhalten, weil wir einerseits sagen: Die Menschen brauchen Gewissheit und jetzt kann man keinen Hick-Hack auf dem Rücken der Betroffenen machen. Das heißt also, wenn die Bundesregierung der Meinung ist, sie muss vor dem Wahltag diese Hilfen verabschieden, werden wir das nicht blockieren. Sie braucht Stimmen von der Union im Bundesrat. Auf der anderen Seite kann die Politik sich nicht nur nach den augenblicklichen Meinungsumfragen richten; dann brauchten wir auch gar keine Politiker mehr, sondern Politik muss schon vorausschauend handeln, und da ist die Aufgabe, schon zu fragen, was ist unter den gegebenen Bedingungen in Deutschland der wirksamste und der vernünftigste Weg. Und da wissen wir, dass sowohl unser Weg als auch der Weg der Bundesregierung beide auch Nachteile haben, aber in der Abwägung sagen wir eindeutig: Die Verwendung des Bundesbankgewinnes ist der weitaus günstigere Weg in bezug auf Ankurbelung des Wirtschaftswachstums, auf Konsummöglichkeiten der Bevölkerung, denn wir haben ja neben der Flutkatastrophe vor allen Dingen die Katastrophe der hohen Arbeitslosigkeit und des negativen Wirtschaftswachstums im ersten Halbjahr. Und insofern ist unsere Lage zum Beispiel auch eine ganz andere als in Österreich, die eben nicht den letzten Platz im Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr hatten.
Birke: Sie haben ja betont, es geht darum, vor allen Dingen den Menschen, den Betroffenen jetzt zu helfen. Nun hat der Bundeskanzler ja mit Richard von Weizsäcker auch eine namhafte Persönlichkeit aus Unionskreisen an die Spitze eines Kuratoriums gestellt, das sicherstellen soll, dass hier mit den Hilfen alles in Ordnung ist. Ist das mit Ihnen abgesprochen gewesen oder hat Sie dieser Schritt überrascht?
Merkel: Nein, das war nicht mit uns abgesprochen. Ich finde, das ist eine Möglichkeit, da auch ausgewiesene Persönlichkeiten einzusetzen. Und insofern ist das nicht weiter verwunderlich. Ich hoffe nur, dass der Bundeskanzler mehr auf Richard von Weizsäcker hört als bei der Arbeit in der Bundeswehrstrukturkommission und –reform. Damals hat der Bundeskanzler nicht auf Richard von Weizsäcker gehört, sondern parallel im Ministerium einen eigenen Entwurf erarbeiten lassen. Aber das lassen wir jetzt mal dahingestellt. Edmund Stoiber hat mit Kurt Biedenkopf ja auch eine Persönlichkeit benannt, die sich gerade um solche Aufbaufragen kümmern soll. Und wenn die Union gute Leute hat, ist doch das eine prima Sache.
Birke: Die Flutkatastrophe hat ja den Osten jetzt ganz hart getroffen. Befürchten Sie, dass die ohnehin schon hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern jetzt noch zunehmen wird – massiv?
Merkel: Es wird ja so sein, dass alles davon abhängt, ob die Hilfen, gerade für die Betriebe, schnell greifen. Und da hoffe ich, dass alles eingeleitet wird, um das sicherzustellen. Der sächsische Ministerpräsident Professor Milbradt hat das in den vergangenen Tagen auch sehr anschaulich dargelegt, was Sachsen dort an Maßnahmen unternommen hat. Es wird ja zwei Effekte geben. Das eine ist die Bedrohung von bestehenden Betrieben, die flutgeschädigt sind. Die müssen schnell wieder auf die Beine kommen. Und das Zweite ist natürlich ein Programm zum Wiederaufbau, was zum Beispiel auch der Bauindustrie der neuen Bundesländer natürlich zusätzliche Impulse geben wird. Das heißt, die Arbeitskräftebilanz ist aus meiner Sicht überhaupt noch nicht abzuschätzen; sie ist insgesamt leider in Deutschland so außerordentlich schlecht – mit über vier Millionen Arbeitslosen –, dass uns das mehr bedrücken muss als jetzt diese Frage.
Birke: Nun hat die Union, Frau Merkel, in dem am Freitag vorgestellten Sofortprogramm gerade den Hauptakzent auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gelegt. Da ist auch von Entbürokratisierung die Rede. Könnten Sie sich auch vorstellen, dass man im Osten insbesondere so weit geht, dass man ganze Regelsätze, ganze Gesetzesregelungen abschafft, die sonst gelten, um hier einfach mehr Wettbewerb, mehr Flexibilisierung reinzubringen und den Arbeitnehmern im Osten eine neue Chance zu geben?
Merkel: Wir haben ja zusätzlich zu den Entbürokratisierungsmaßnahmen für die Wirtschaft und insbesondere für den Mittelstand auch Maßnahmen für die neuen Bundesländer in ganz besonderer Weise genannt. Wir haben hier gesagt, dass wir zum Beispiel bei gerichtlichen Klagen gegen Planfeststellungsverfahren im emissionsschutzrechtlichen Bereich keine aufschiebende Wirkung haben wollen, das heißt, man kann die Investition weitermachen. Wir haben gesagt, dass wir steuerliche Erleichterungen noch einmal machen, dass wir bei Arbeitnehmerüberlassung schnellere Dinge machen, dass wir den Landtagen in den neuen Bundesländern die Möglichkeit geben wollen, auch bestimmte rahmengesetzliche Kompetenzen außer Kraft zu setzen, zum Beispiel im Baugesetzbuch. Wir wollen versuchen, Existenzgründern in den neuen Bundesländern mehr Vorteile zu geben. Das heißt also, wir haben ganz gezielt hier nochmal für die neuen Bundesländer Sonderregelungen in Aussicht gestellt. Auch beim Verkehrswegebau wird das Beschleunigungsgesetz, was praktisch weniger gerichtliche Instanzen bedeutet, wenn man einen Verkehrsweg aufbauen will, das soll bis 2004 verlängert werden – also spezielle Maßnahmen, um Beschleunigung zu erreichen, denn die Schere zwischen Ost und West, die muss wieder zugehen. Sie ist in den letzten vier Jahre sukzessive größer geworden, und das ist natürlich eine Katastrophe, weil das im Klartext heißt: Die Annäherung der Lebensbedingungen in Ost und West findet nicht statt.
Birke: In diesem Sinne hat der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt in einem Artikel in der ZEIT weitgehende Ausnahmeregeln für den Osten gefordert. Könnten Sie sich beispielsweise vorstellen, wenn Sie an die Regierung kämen als Union, dass man so weit ginge, auch Flächentarifverträge für den Osten auszusetzen?
Merkel: Nein, Flächentarifverträge generell nicht. Aber wir sagen sowieso in unserem Sofortprogramm oder Startprogramm, dass wir betriebliche Bündnisse für Arbeit wollen, das heißt zur Beschäftigungssicherung und Beschäftigungserhaltung, Ausnahmeregelungen von den Flächentarifverträgen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung sich darauf einigen, und den Gewerkschaften soll in diesen Fällen lediglich ein begründetes Einspruchsrecht bleiben. Wenn wir uns die Praxis in den neuen Bundesländern anschauen, dann wissen wir, dass dies an vielen Stellen auch geschieht. Das ist zum Beispiel auch einer der Vorwürfe, die ich zum Teil an die Tarifverhandlungsparteien mache, dass sehenden Auges eigentlich Betriebsverein-barungen geschlossen werden müssen – sofort, nachdem der Flächentarifvertrag verhandelt ist, weil viele Betriebe die versprochenen Leistungen gar nicht umsetzen können. Also, generelles Außerkraftsetzen nein, aber im Einzelfall wollen wir gerade hierfür verstärkte Möglichkeiten einführen, denn leider – und das muss man ganz deutlich sehen – ist in den neuen Bundesländern die Tendenz, aus dem Tarifbereich überhaupt rauszugehen, aus den Arbeitgeberverbänden auszutreten, keine Betriebsräte zu haben, viel zu hoch, weil man sich zum Teil gefesselt fühlt.
Birke: Frau Merkel, die Union will ja insbesondere bei der Konjunkturbelebung auf Steuersenkungen setzen, deshalb auch die von der Regierung jetzt ausgesetzte Steuererleichterung – zweite Steuerreformstufe – wieder praktisch einführen. Das mutet doch ein bisschen komisch an, weil es genau diese Steuerreform war, die Sie damals vehement auch bekämpft haben.
Merkel: Wir bleiben auch dabei, dass wir diese Steuerreform insgesamt für unausgewogen, relativ kompliziert und wenig transparent halten. Aber in diesem – aus unserer Sicht – schiefen Gebäude die Schieflage jetzt noch einmal zu erhöhen, indem man die zweite Stufe gar nicht erst in Kraft setzt, ist natürlich noch schlechter als das schiefe Gebäude in der schwächeren Schieflage dann ein Jahr noch zu erhalten. Und wir sagen ja, 2004 kommen wir mit einer neuen Steuerreform, die die ganzen Schieflagen beseitigt. Da müssen Sie aber die gesamte Statik der Steuerreform noch einmal verändern, und aus diesem Grunde heraus ist also die schlechte Konstruktion durch die Aussetzung jetzt noch verschlechtert worden. Und unser Inkrafthalten dieser zweiten Stufe der Eichelschen Steuerreform bedeutet nicht, dass wir sie für richtig erachten insgesamt, sondern wir wollen nur den Schaden mildern.
Birke: Sie schreiben ihr aber gewisse konjunkturbelebende Wirkungen zu, die Sie sich davon erhoffen?
Merkel: Steuersenkungen haben immer gewisse konjunkturbelebende Wirkungen, und das was jetzt doch die Dramatik ist, ist, dass die Körperschaften diese konjunkturbelebenden Wirkungen bereits über geraume Zeit haben . . .
Birke: . . . die jetzt aber auch mehr zur Kasse gebeten werden durch die Erhöhung der Körperschaftssteuer . . .
Merkel: . . . die Körperschaften, die diese Entlastung bereits eine ganze Weile haben und die Personengesellschaften und der normale Einkommensteuerzahler einfach nicht hinterherziehen können. Das heißt, ich verlängere die Ungerechtigkeit, wenn ich das tue, was die Bundesregierung tut. Und das Problem bei den Körperschaften ist, dass teilweise Körperschaftssteuern gezahlt werden, aber für viele auch Körperschaftssteuern wieder ausgezahlt werden. Und eine Körperschaftssteuer von Null, die gezahlt wird, wird natürlich auch durch eine steuerliche Erhöhung dadurch nicht mehr.
Birke: Nun pustet die deutsche Konjunkturlokomotive ja nicht allein, sondern im europäischen Konzert. Blicken wir mal auf andere Länder. Da haben auch Staaten wie Frankreich und Italien Probleme, überlegen sogar, bis an die Grenze der zulässigen Neuverschuldung nach den Maastricht-Kriterien zu gehen. Wäre denn hier nicht eine Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank das ideale Mittel, um hier auch Konjunkturimpulse zu schaffen?
Merkel: Zu den Konjunkturimpulsen, die wir für das Jahr 2003 setzen wollen, will ich unbedingt noch hinzufügen, dass wir vor allen Dingen auf Entschlackung der Bürokratie setzen, das heißt, Gesetze abschaffen wollen, die sich als unsinnig erwiesen haben – Scheinselbständigkeitsgesetz, das Gesetz über den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit für jedermann –, wir wollen den Kündigungsschutz für Ältere insofern verändern, als man Abfindungen vereinbaren kann, wir wollen Zeitarbeitsmöglichkeiten verbessern. Da liegt für 2003 erst mal der eigentliche Wachtumsimpuls. Was die Zinsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank anbelangt, so lernt jeder mit dem Eintritt in die Politik die Unabhängigkeit der Bundesbank zu schätzen und der Europäischen Zentralbank, und ich habe das volle Vertrauen, dass diejenigen, die dort Verantwortung tragen, das Richtige tun und auch mit Besonnenheit.
Birke: Frau Merkel, Sie setzen ja in dem Sofortprogramm insbesondere ja auf den Mittelstand. Sie wollen die Abschreibungsmöglichkeiten verbessern und andere Maßnahmen. Es gibt Experten, die schätzen dieses Volumen auf sieben Milliarden Euro. Ist das überhaupt finanzierbar?
Merkel: Wir gehen ja Schritt für Schritt vor. Ich glaube nicht, dass das alleine sieben Milliarden Euro ausmacht, aber insgesamt machen die Maßnahmen des ersten Jahres, auch was die Erziehungsfreibeträge anbelangt, was die Nichterhöhung der Ökosteuer anbelangt, etwa sieben Milliarden Euro aus. Das ist richtig. Wir wollen einen Teil aus Umschichtung im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit finanzieren, wir haben dort sehr große Ausgaben auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Gerade im Bereich der Weiterbildung kann manches effizienter gestaltet werden. Selbst die Hartz-Kommission oder der neue Chef der Bundesanstalt für Arbeit sehen ja hier erhebliche Finanzmöglichkeiten. Ein Teil wird sicherlich durch Haushaltseinsparungen auch erbracht werden müssen. Aber insgesamt haben wir uns auf einen sehr kleinen Anteil am Bundeshaushalt nächstes Jahr festgelegt, weil wir sagen: Weitere Schritte – siehe Steuerreform, siehe Familiengeld – können wir dann erst machen, wenn wir 2003 zum Jahr des Wachstums gemacht haben.
Birke: Sie haben ein wichtiges Stichwort genannt, Frau Merkel, und zwar Ökosteuer bzw. Aussetzung derselben, und Sie wollen dafür ja eine europaeinheitliche Regelung stellen. Nun hatten Sie ja die Möglichkeit als Umweltministerin damals noch in der Regierung Kohl, um sich dafür einzusetzen, haben das damals auch getan. Ist es denn realistisch anzunehmen, dass wir da schnell zu einer europäischen Lösung kommen? Brauchen wir denn nicht eine Ökosteuer auch im Alleingang, um diese Lenkungsfunktion, die ja nach der Flutkatastrophe notwendiger denn je erscheint, zu bekommen?
Merkel: Also ich glaube, dass auch die letzten Illusionen durch das Konstrukt der rot-grünen Ökosteuer zerstoben sind, dass man eine Ökosteuer mit einer wirklichen Lenkungswirkung national machen kann. Was ist der Tatbestand? Der Tatbestand ist so: Beim Flugbenzin können Sie ohne internationale Regelungen sowieso nichts machen. Wir haben jetzt die absurde Lage, dass praktisch das Flugbenzin weiter nicht besteuert wird, dafür aber die Deutsche Bahn Ökosteuer zahlen muss . . .
Birke: . . . wenn Sie für eine Besteuerung des Flugbenzins sind . . .
Merkel: . . . waren wir immer, aber das können Sie nur weltweit machen. Das ist eine hundertfache Forderung – einstimmig – des Deutschen Bundestages, eingebracht auf allen Umweltkonferenzen. Also, da gibt es überhaupt keinen Streit. Wenn Sie jetzt aber national die Bahn AG mit einer Ökosteuer belegen, verschlechtern Sie das Verhältnis von Fliegen zu Bahnfahren. Sie haben, damit sie keine Subventionstatbestände haben, von der Europäischen Union die Auflage bekommen, die regenerativen Energien auch mit einer Ökosteuer zu bedenken. Sie müssen, damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer großen energieverbrauchenden Wirtschaft – chemische Industrie – überhaupt gegeben ist, die Ökosteuer für diese Betriebe massiv senken gegenüber den kleineren Betrieben. Sie haben ähnliche Regelungen in der Landwirtschaft. Die Lenkungswirkung ist also vollkommen dahin und zum Teil sogar kontraproduktiv. Und deshalb habe ich mit Interesse jetzt verfolgt, dass es natürlich in den letzten Jahren auch Fortschritte in der Europäischen Union gab. Früher hat man an Steuerfragen sich überhaupt nicht herangewagt, inzwischen hat man gewisse Korridore definiert für die Mehrwertsteuern, man hat gewisse Korridore definiert für die Dieselsteuer. Und es gibt sehr interessante Dossiers, wo inzwischen die Bereitschaft europaweit auch über eine Energiebesteuerung im Ecofin-Rat nachzudenken, durchaus gewachsen ist und wo die Verhandlungen weitergeführt werden. Es hat keinen Sinn, so zu tun, als würde man was für die Umwelt tun, wenn man es nicht tut, und das Rasen für die Rente hat sich als Irrweg herausgestellt.
Birke: Bleiben wir noch ein bisschen beim Thema Umwelt. Es hat so den Anschein, als habe die Flut auch im letzten Moment noch ein bisschen das Thema Umweltpolitik in das Sofortprogramm gespült. Ist das jetzt so eine Art Aktionismus im Zuge der Katastrophe?
Merkel: Nein, das ist kein Aktionismus, sondern das ist die Reaktion natürlich auch auf unser Regierungsprogramm und natürlich auch zum Beispiel auf einen Gipfel, wie er jetzt in Johannesburg stattfindet, der nochmal ganz anders als zu Zeiten, wenn solche großen Konferenzen nicht stattfinden, das Augenmerk darauf legt. Wir befinden uns hier in einer sehr guten Kontinuität. Wir sagen Wärmedämmungsmaßnahmen, die gut sind für die Wirtschaft, weil sie natürlich das Baugeschehen ankurbeln und gleichzeitig Energie sparen helfen - Energiesparen ist zur Erreichung der Klimaschutzziele auf kurze Sicht überhaupt der effektivste Weg -, wir sagen des weiteren natürlich, dass wir zur internationalen Durchsetzung des Kyotoprotokolls allen Druck und alle Möglichkeiten ausüben werden. Und mir persönlich ist dann auch sehr wichtig, dass wir mit der deutschen Wirtschaft weiterkommen eben in den Selbstverpflichtungen, die sehr effizient und sehr gut zu Ergebnissen geführt haben, wie wir alle nicht gedacht haben. Und wir haben, weil da auch ein Verleumdungspotential von Rot-Grün ist, jetzt noch einmal deutlich gemacht, dass wir im Grundsatz zu dem 'Erneuerbare Energie – Gesetz' stehen, dass wir allerdings bestimmte Dinge verbessern wollen und effizienter das Geld einsetzen wollen, aber dass im Grundsatz von uns auch die Förderung regenerativer Energien unterstützt wird.
Birke: Frau Merkel, ich wollte noch ein bisschen auf die Außenpolitik zu sprechen kommen. Das Damoklesschwert des Krieges schwebt ja sozusagen über Saddam Husseins Haupt. Die USA scheinen bereit, womöglich sogar im Alleingang vorzugehen. Nun hat der britische Außenminister Jack Straw noch einmal angeregt, man möge ultimativ über die UNO dem Irak eine Bedingung stellen, dass er Waffeninspektoren ins Land ließe. Könnten Sie sich bei einer unionsgeführten Regierung vorstellen, wenn Saddam Hussein dieses Ultimatum nicht erfüllt, dass man mit der Bundeswehr zum Waffengang ginge?
Merkel: Also, ich kann mir Alleingänge, wie sie jetzt von dem Vizepräsidenten in den Vereinigten Staaten, von Herrn Cheney, genannt wurden, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir die gutheißen. Das haben wir auch in den letzten Tagen sehr deutlich gesagt. Das Handlungsmonopol, das Handlungsfeld liegt her bei der UNO. Wir sollten alles tun, um die Machtposition, auch die Druckposition in der UNO zu unterstützen. Deshalb finde ich diese Initiative des britischen Außenministers hilfreich, und es ist nicht besonders hilfreich, wenn der deutsche Bundeskanzler dauernd mit allen Ausschlussmöglichkeiten, was er alles nicht tun wird, im irakischen Fernsehen als Kronzeuge der Zerstrittenheit der westlichen Staaten zitiert werden kann. Die UNO hat bis jetzt eindeutige Resolutionen. Wir sollten alles tun, um diese Resolutionen auch wirklich durchzusetzen und umzusetzen. Und daran arbeiten wir mit, und ansonsten haben wir sehr deutlich gesagt, eine unionsgeführte Bundesregierung wird sich europäisch abstimmen. Wir halten nichts von einem deutschen Weg; das macht einen vollkommen falschen Eindruck.
Birke: Was ist mit den Spürpanzern? Würden Sie die dort lassen in jedem Fall?
Merkel: Die Spürpanzer sind dort im Zusammenhang mit einer klar definierten Mission – Enduring Freedom –, und damit haben sie ihren Bestimmungszweck. Und außerhalb dieses Bestimmungszweckes sehe ich genau so wenig wie andere, dass sie dort jetzt eingesetzt werden, ich sage es nochmal. Ich kann aber nicht allen Entwicklungen in der UNO in den nächsten Tagen und Wochen vorgreifen, das sollte man auch nicht tun. Das tut selbst der Bundesaußenminister nicht, und ich glaube, zu viele Spekulationen in dem Bereich hilft uns nicht weiter.
Birke: Frau Merkel, 21 Tage vor der Wahl rücken die beiden großen Parteien – den Meinungsforschern zufolge – enger zueinander. Nun hat Edmund Stoiber auch in einem Interview mit einer ostdeutschen Zeitung zugegeben, dass es ihm im Osten etwas schwerer fiele, das sei ein Auswärtsspiel. Für Sie müsste das doch ein Heimspiel sein im Osten. Weshalb mangelt es da wohl an Wählerunterstützung momentan im Osten?
Merkel: Ich glaube, meine Spiele – das sind Spiele in Deutschland, und Deutschland ist meine Heimat. Ich glaube, das gilt auch für Edmund Stoiber. Was die Frage anbelangt, wie ist dort die Parteienpräferenz, so müssen wir ja sehen, dass wir ein Lager haben von SPD- und PDS-Wählern. Die PDS nimmt zur Zeit ab, und wenn sie abnimmt, nimmt sie vor allen Dingen in den neuen Bundesländern in den Umfragen ab. Das sind erfahrungsgemäß jetzt nicht Wähler, die dann zu uns umschwenken, sondern es sind sehr häufig Wähler, die zu den Sozialdemokraten gehen. Dass die Abstände vor der Bundestagswahl noch einmal knapper werden würden, das war uns klar. Wir haben immer gesagt, wir müssen mit einem guten Abstand in die Sommerpause hineingehen, weil es dann hin zur Wahlentscheidung natürlich noch einmal spannender wird. Ich glaube, insbesondere auch die Medien haben ein gewisses Interesse, dass es nicht zu langweilig wird. Das ist auch gut für die Mobilisierung der eigenen Anhänger. Wir sind kampfbereit, wir sind bereit, da auch jetzt die letzten drei Wochen in die Schlacht zu ziehen. Und wir haben ja mit der Wahlkampferöffnung auch einen wirklichen Schwerpunkt jetzt nochmal. Ich bin trotzdem ganz fest überzeugt, dass sich das Grundmuster, das die Union plus die FDP vorne liegen vor Rot-Grün, dass dieses Grundmuster nicht in Gefahr gerät. Und ich bin im Übrigen auch davon überzeugt, dass natürlich jetzt die Zahl derer, die unentschlossen sind, immer weiter abnimmt und die Potentiale, die Menschen noch umzukehren und zu beeinflussen, natürlich damit auch immer enger werden. Und deshalb sehe ich den Dingen sehr optimistisch entgegen.
Birke: Sie sehen auch nicht, dass der Wähler sich vielleicht die Frage stellt, dass das Kompetenzteam doch zum Teil aus Persönlichkeiten besteht, die noch mit der Ära Kohl behaftet sind?
Merkel: Ich sehe darin keinen Makel, sondern wir haben ein Kompetenzteam, das aus einer guten Mischung aus Erfahrung und neuen Köpfen besteht. Wichtig ist auch, dass diejenigen, die in der Politik handeln, die Kraft haben, die notwendigen Entscheidungen durchzusetzen. Das geht im Übrigen in vielen Feldern ohne Erfahrung nicht. Auch bei den Sozialdemokraten ist es ja so, dass der Bundesfinanzminister, der in seiner eigenen Partei als erfolgreich gilt, doch immerhin erst eine Landtagswahl verloren hat, bevor er in der Bundespolitik dann angefangen hat. Ich glaube, es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass wir 1998 eine Wahl verloren haben, weil wir 4,1 Millionen Arbeitslose hatten – eine Bilanz, die die Bürger nicht zufrieden gestellt hat. Und wir haben aus dieser Bilanz die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, denn es wird jeder Regierung, und das gilt jetzt auch für die Regierung Schröder, so gehen, dass bei einer solchen Bilanz von über vier Millionen Arbeitslosen die Menschen einfach sagen: 'Die können es nicht'. Und diese Schlussfolgerung, diese Lehren gezogen zu haben, daraus ein Startprogramm gemacht zu haben, ein Regierungsprogramm gemacht zu haben, wo wir die richtigen Schritte für Deutschland einleiten, das ist das, was zählt. Und das ist von den Köpfen erarbeitet worden, die auch in dem Kompetenzteam sind, und die werden das auch durchsetzen können. Und ich glaube, damit werden wir die Menschen überzeugen im Lande.
Birke: Frau Merkel, wenn wir das Interview nach dem 22. September wiederholen, spreche ich Sie dann als die Fraktionsvorsitzende der Union, als Vizekanzlerin einer Großen Koalition oder als Ministerin an?
Merkel: Sie sprechen mich in jedem Falle – und insofern gehen Sie dann auf sicherem Grund – als Parteivorsitzende an. Und insofern ist das vielleicht dann auch ein Grund, ein weiteres Interview zu führen.
Birke: Nun hat Sachsens Ministerpräsident Milbradt den Schaden auf 15 Milliarden Euro vorläufig beziffert. Die Rede ist da von 750 km Straßen zerstört, 180 Brücken, 60.000 Jobs in Sachsen-Anhalt und in Sachsen seien bedroht. Reicht dann das Finanzierungspaket – 10 Milliarden – da überhaupt aus? Hätte man nicht von vornherein jetzt schon denken müssen, dass man den Bundesbankgewinn dafür benutzt, um etwas 'draufzusatteln'?
Merkel: Also, die ersten Schritte sind, glaube ich, jetzt erst einmal richtig ergriffen, und dies Milliardenprogramm muss ja denn auch erst einmal umgesetzt werden. Ich sehe die Aufgabe der nächsten Zeit vor allen Dingen darin, dass die Menschen schnell die Hilfe bekommen. Gerade bei den Betrieben, wo ich glaube, dass man wirklich sagen soll: 'Keiner soll schlechter dastehen, als vor der Flutkatastrophe', da ist es jetzt eine Frage der Zeit, auch ein Wettlauf mit der Zeit, denn Marktanteile gehen verloren. Ich habe selber einen Betrieb besucht, bei dem jemand Türen hergestellt hat für Fertighäuser. Der kann sich einen langen Produktionsausfall überhaupt nicht leisten, dann gehen ihm Marktanteile verloren. Das heißt, er muss schnell die neuen Maschinen anschaffen können, er braucht sofort Geld. Da sehe ich die Hauptaufgabe drin. Ich würde jetzt nicht darüber sprechen, was in zwei oder drei Jahren ist. Und es werden ja auch nicht alle Schäden umgehend aus staatlichen Hilfen oder Unterstützungen bezahlt werden müssen. Es gibt Versicherungsrückzahlungen und vieles andere mehr, das heißt, der Gesamtschaden ist nicht identisch mit dem vom Staat aufzubringenden Leistungen.
Birke: Glaubt man den Meinungsforschern, so gibt es ja durchaus eine relativ große Akzeptanz für die Finanzierungsart der Bundesregierung. Ist es denn da klug, wenn die Union sagt: 'Wenn wir an die Macht kommen nach dem 22. September, werden wir wieder alles rückgängig machen und die Kosten der Flutkatastrophe anders finanzieren' ?
Merkel: Ich glaube, dass wir uns sehr klug verhalten, weil wir einerseits sagen: Die Menschen brauchen Gewissheit und jetzt kann man keinen Hick-Hack auf dem Rücken der Betroffenen machen. Das heißt also, wenn die Bundesregierung der Meinung ist, sie muss vor dem Wahltag diese Hilfen verabschieden, werden wir das nicht blockieren. Sie braucht Stimmen von der Union im Bundesrat. Auf der anderen Seite kann die Politik sich nicht nur nach den augenblicklichen Meinungsumfragen richten; dann brauchten wir auch gar keine Politiker mehr, sondern Politik muss schon vorausschauend handeln, und da ist die Aufgabe, schon zu fragen, was ist unter den gegebenen Bedingungen in Deutschland der wirksamste und der vernünftigste Weg. Und da wissen wir, dass sowohl unser Weg als auch der Weg der Bundesregierung beide auch Nachteile haben, aber in der Abwägung sagen wir eindeutig: Die Verwendung des Bundesbankgewinnes ist der weitaus günstigere Weg in bezug auf Ankurbelung des Wirtschaftswachstums, auf Konsummöglichkeiten der Bevölkerung, denn wir haben ja neben der Flutkatastrophe vor allen Dingen die Katastrophe der hohen Arbeitslosigkeit und des negativen Wirtschaftswachstums im ersten Halbjahr. Und insofern ist unsere Lage zum Beispiel auch eine ganz andere als in Österreich, die eben nicht den letzten Platz im Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr hatten.
Birke: Sie haben ja betont, es geht darum, vor allen Dingen den Menschen, den Betroffenen jetzt zu helfen. Nun hat der Bundeskanzler ja mit Richard von Weizsäcker auch eine namhafte Persönlichkeit aus Unionskreisen an die Spitze eines Kuratoriums gestellt, das sicherstellen soll, dass hier mit den Hilfen alles in Ordnung ist. Ist das mit Ihnen abgesprochen gewesen oder hat Sie dieser Schritt überrascht?
Merkel: Nein, das war nicht mit uns abgesprochen. Ich finde, das ist eine Möglichkeit, da auch ausgewiesene Persönlichkeiten einzusetzen. Und insofern ist das nicht weiter verwunderlich. Ich hoffe nur, dass der Bundeskanzler mehr auf Richard von Weizsäcker hört als bei der Arbeit in der Bundeswehrstrukturkommission und –reform. Damals hat der Bundeskanzler nicht auf Richard von Weizsäcker gehört, sondern parallel im Ministerium einen eigenen Entwurf erarbeiten lassen. Aber das lassen wir jetzt mal dahingestellt. Edmund Stoiber hat mit Kurt Biedenkopf ja auch eine Persönlichkeit benannt, die sich gerade um solche Aufbaufragen kümmern soll. Und wenn die Union gute Leute hat, ist doch das eine prima Sache.
Birke: Die Flutkatastrophe hat ja den Osten jetzt ganz hart getroffen. Befürchten Sie, dass die ohnehin schon hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern jetzt noch zunehmen wird – massiv?
Merkel: Es wird ja so sein, dass alles davon abhängt, ob die Hilfen, gerade für die Betriebe, schnell greifen. Und da hoffe ich, dass alles eingeleitet wird, um das sicherzustellen. Der sächsische Ministerpräsident Professor Milbradt hat das in den vergangenen Tagen auch sehr anschaulich dargelegt, was Sachsen dort an Maßnahmen unternommen hat. Es wird ja zwei Effekte geben. Das eine ist die Bedrohung von bestehenden Betrieben, die flutgeschädigt sind. Die müssen schnell wieder auf die Beine kommen. Und das Zweite ist natürlich ein Programm zum Wiederaufbau, was zum Beispiel auch der Bauindustrie der neuen Bundesländer natürlich zusätzliche Impulse geben wird. Das heißt, die Arbeitskräftebilanz ist aus meiner Sicht überhaupt noch nicht abzuschätzen; sie ist insgesamt leider in Deutschland so außerordentlich schlecht – mit über vier Millionen Arbeitslosen –, dass uns das mehr bedrücken muss als jetzt diese Frage.
Birke: Nun hat die Union, Frau Merkel, in dem am Freitag vorgestellten Sofortprogramm gerade den Hauptakzent auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gelegt. Da ist auch von Entbürokratisierung die Rede. Könnten Sie sich auch vorstellen, dass man im Osten insbesondere so weit geht, dass man ganze Regelsätze, ganze Gesetzesregelungen abschafft, die sonst gelten, um hier einfach mehr Wettbewerb, mehr Flexibilisierung reinzubringen und den Arbeitnehmern im Osten eine neue Chance zu geben?
Merkel: Wir haben ja zusätzlich zu den Entbürokratisierungsmaßnahmen für die Wirtschaft und insbesondere für den Mittelstand auch Maßnahmen für die neuen Bundesländer in ganz besonderer Weise genannt. Wir haben hier gesagt, dass wir zum Beispiel bei gerichtlichen Klagen gegen Planfeststellungsverfahren im emissionsschutzrechtlichen Bereich keine aufschiebende Wirkung haben wollen, das heißt, man kann die Investition weitermachen. Wir haben gesagt, dass wir steuerliche Erleichterungen noch einmal machen, dass wir bei Arbeitnehmerüberlassung schnellere Dinge machen, dass wir den Landtagen in den neuen Bundesländern die Möglichkeit geben wollen, auch bestimmte rahmengesetzliche Kompetenzen außer Kraft zu setzen, zum Beispiel im Baugesetzbuch. Wir wollen versuchen, Existenzgründern in den neuen Bundesländern mehr Vorteile zu geben. Das heißt also, wir haben ganz gezielt hier nochmal für die neuen Bundesländer Sonderregelungen in Aussicht gestellt. Auch beim Verkehrswegebau wird das Beschleunigungsgesetz, was praktisch weniger gerichtliche Instanzen bedeutet, wenn man einen Verkehrsweg aufbauen will, das soll bis 2004 verlängert werden – also spezielle Maßnahmen, um Beschleunigung zu erreichen, denn die Schere zwischen Ost und West, die muss wieder zugehen. Sie ist in den letzten vier Jahre sukzessive größer geworden, und das ist natürlich eine Katastrophe, weil das im Klartext heißt: Die Annäherung der Lebensbedingungen in Ost und West findet nicht statt.
Birke: In diesem Sinne hat der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt in einem Artikel in der ZEIT weitgehende Ausnahmeregeln für den Osten gefordert. Könnten Sie sich beispielsweise vorstellen, wenn Sie an die Regierung kämen als Union, dass man so weit ginge, auch Flächentarifverträge für den Osten auszusetzen?
Merkel: Nein, Flächentarifverträge generell nicht. Aber wir sagen sowieso in unserem Sofortprogramm oder Startprogramm, dass wir betriebliche Bündnisse für Arbeit wollen, das heißt zur Beschäftigungssicherung und Beschäftigungserhaltung, Ausnahmeregelungen von den Flächentarifverträgen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung sich darauf einigen, und den Gewerkschaften soll in diesen Fällen lediglich ein begründetes Einspruchsrecht bleiben. Wenn wir uns die Praxis in den neuen Bundesländern anschauen, dann wissen wir, dass dies an vielen Stellen auch geschieht. Das ist zum Beispiel auch einer der Vorwürfe, die ich zum Teil an die Tarifverhandlungsparteien mache, dass sehenden Auges eigentlich Betriebsverein-barungen geschlossen werden müssen – sofort, nachdem der Flächentarifvertrag verhandelt ist, weil viele Betriebe die versprochenen Leistungen gar nicht umsetzen können. Also, generelles Außerkraftsetzen nein, aber im Einzelfall wollen wir gerade hierfür verstärkte Möglichkeiten einführen, denn leider – und das muss man ganz deutlich sehen – ist in den neuen Bundesländern die Tendenz, aus dem Tarifbereich überhaupt rauszugehen, aus den Arbeitgeberverbänden auszutreten, keine Betriebsräte zu haben, viel zu hoch, weil man sich zum Teil gefesselt fühlt.
Birke: Frau Merkel, die Union will ja insbesondere bei der Konjunkturbelebung auf Steuersenkungen setzen, deshalb auch die von der Regierung jetzt ausgesetzte Steuererleichterung – zweite Steuerreformstufe – wieder praktisch einführen. Das mutet doch ein bisschen komisch an, weil es genau diese Steuerreform war, die Sie damals vehement auch bekämpft haben.
Merkel: Wir bleiben auch dabei, dass wir diese Steuerreform insgesamt für unausgewogen, relativ kompliziert und wenig transparent halten. Aber in diesem – aus unserer Sicht – schiefen Gebäude die Schieflage jetzt noch einmal zu erhöhen, indem man die zweite Stufe gar nicht erst in Kraft setzt, ist natürlich noch schlechter als das schiefe Gebäude in der schwächeren Schieflage dann ein Jahr noch zu erhalten. Und wir sagen ja, 2004 kommen wir mit einer neuen Steuerreform, die die ganzen Schieflagen beseitigt. Da müssen Sie aber die gesamte Statik der Steuerreform noch einmal verändern, und aus diesem Grunde heraus ist also die schlechte Konstruktion durch die Aussetzung jetzt noch verschlechtert worden. Und unser Inkrafthalten dieser zweiten Stufe der Eichelschen Steuerreform bedeutet nicht, dass wir sie für richtig erachten insgesamt, sondern wir wollen nur den Schaden mildern.
Birke: Sie schreiben ihr aber gewisse konjunkturbelebende Wirkungen zu, die Sie sich davon erhoffen?
Merkel: Steuersenkungen haben immer gewisse konjunkturbelebende Wirkungen, und das was jetzt doch die Dramatik ist, ist, dass die Körperschaften diese konjunkturbelebenden Wirkungen bereits über geraume Zeit haben . . .
Birke: . . . die jetzt aber auch mehr zur Kasse gebeten werden durch die Erhöhung der Körperschaftssteuer . . .
Merkel: . . . die Körperschaften, die diese Entlastung bereits eine ganze Weile haben und die Personengesellschaften und der normale Einkommensteuerzahler einfach nicht hinterherziehen können. Das heißt, ich verlängere die Ungerechtigkeit, wenn ich das tue, was die Bundesregierung tut. Und das Problem bei den Körperschaften ist, dass teilweise Körperschaftssteuern gezahlt werden, aber für viele auch Körperschaftssteuern wieder ausgezahlt werden. Und eine Körperschaftssteuer von Null, die gezahlt wird, wird natürlich auch durch eine steuerliche Erhöhung dadurch nicht mehr.
Birke: Nun pustet die deutsche Konjunkturlokomotive ja nicht allein, sondern im europäischen Konzert. Blicken wir mal auf andere Länder. Da haben auch Staaten wie Frankreich und Italien Probleme, überlegen sogar, bis an die Grenze der zulässigen Neuverschuldung nach den Maastricht-Kriterien zu gehen. Wäre denn hier nicht eine Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank das ideale Mittel, um hier auch Konjunkturimpulse zu schaffen?
Merkel: Zu den Konjunkturimpulsen, die wir für das Jahr 2003 setzen wollen, will ich unbedingt noch hinzufügen, dass wir vor allen Dingen auf Entschlackung der Bürokratie setzen, das heißt, Gesetze abschaffen wollen, die sich als unsinnig erwiesen haben – Scheinselbständigkeitsgesetz, das Gesetz über den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit für jedermann –, wir wollen den Kündigungsschutz für Ältere insofern verändern, als man Abfindungen vereinbaren kann, wir wollen Zeitarbeitsmöglichkeiten verbessern. Da liegt für 2003 erst mal der eigentliche Wachtumsimpuls. Was die Zinsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank anbelangt, so lernt jeder mit dem Eintritt in die Politik die Unabhängigkeit der Bundesbank zu schätzen und der Europäischen Zentralbank, und ich habe das volle Vertrauen, dass diejenigen, die dort Verantwortung tragen, das Richtige tun und auch mit Besonnenheit.
Birke: Frau Merkel, Sie setzen ja in dem Sofortprogramm insbesondere ja auf den Mittelstand. Sie wollen die Abschreibungsmöglichkeiten verbessern und andere Maßnahmen. Es gibt Experten, die schätzen dieses Volumen auf sieben Milliarden Euro. Ist das überhaupt finanzierbar?
Merkel: Wir gehen ja Schritt für Schritt vor. Ich glaube nicht, dass das alleine sieben Milliarden Euro ausmacht, aber insgesamt machen die Maßnahmen des ersten Jahres, auch was die Erziehungsfreibeträge anbelangt, was die Nichterhöhung der Ökosteuer anbelangt, etwa sieben Milliarden Euro aus. Das ist richtig. Wir wollen einen Teil aus Umschichtung im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit finanzieren, wir haben dort sehr große Ausgaben auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Gerade im Bereich der Weiterbildung kann manches effizienter gestaltet werden. Selbst die Hartz-Kommission oder der neue Chef der Bundesanstalt für Arbeit sehen ja hier erhebliche Finanzmöglichkeiten. Ein Teil wird sicherlich durch Haushaltseinsparungen auch erbracht werden müssen. Aber insgesamt haben wir uns auf einen sehr kleinen Anteil am Bundeshaushalt nächstes Jahr festgelegt, weil wir sagen: Weitere Schritte – siehe Steuerreform, siehe Familiengeld – können wir dann erst machen, wenn wir 2003 zum Jahr des Wachstums gemacht haben.
Birke: Sie haben ein wichtiges Stichwort genannt, Frau Merkel, und zwar Ökosteuer bzw. Aussetzung derselben, und Sie wollen dafür ja eine europaeinheitliche Regelung stellen. Nun hatten Sie ja die Möglichkeit als Umweltministerin damals noch in der Regierung Kohl, um sich dafür einzusetzen, haben das damals auch getan. Ist es denn realistisch anzunehmen, dass wir da schnell zu einer europäischen Lösung kommen? Brauchen wir denn nicht eine Ökosteuer auch im Alleingang, um diese Lenkungsfunktion, die ja nach der Flutkatastrophe notwendiger denn je erscheint, zu bekommen?
Merkel: Also ich glaube, dass auch die letzten Illusionen durch das Konstrukt der rot-grünen Ökosteuer zerstoben sind, dass man eine Ökosteuer mit einer wirklichen Lenkungswirkung national machen kann. Was ist der Tatbestand? Der Tatbestand ist so: Beim Flugbenzin können Sie ohne internationale Regelungen sowieso nichts machen. Wir haben jetzt die absurde Lage, dass praktisch das Flugbenzin weiter nicht besteuert wird, dafür aber die Deutsche Bahn Ökosteuer zahlen muss . . .
Birke: . . . wenn Sie für eine Besteuerung des Flugbenzins sind . . .
Merkel: . . . waren wir immer, aber das können Sie nur weltweit machen. Das ist eine hundertfache Forderung – einstimmig – des Deutschen Bundestages, eingebracht auf allen Umweltkonferenzen. Also, da gibt es überhaupt keinen Streit. Wenn Sie jetzt aber national die Bahn AG mit einer Ökosteuer belegen, verschlechtern Sie das Verhältnis von Fliegen zu Bahnfahren. Sie haben, damit sie keine Subventionstatbestände haben, von der Europäischen Union die Auflage bekommen, die regenerativen Energien auch mit einer Ökosteuer zu bedenken. Sie müssen, damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer großen energieverbrauchenden Wirtschaft – chemische Industrie – überhaupt gegeben ist, die Ökosteuer für diese Betriebe massiv senken gegenüber den kleineren Betrieben. Sie haben ähnliche Regelungen in der Landwirtschaft. Die Lenkungswirkung ist also vollkommen dahin und zum Teil sogar kontraproduktiv. Und deshalb habe ich mit Interesse jetzt verfolgt, dass es natürlich in den letzten Jahren auch Fortschritte in der Europäischen Union gab. Früher hat man an Steuerfragen sich überhaupt nicht herangewagt, inzwischen hat man gewisse Korridore definiert für die Mehrwertsteuern, man hat gewisse Korridore definiert für die Dieselsteuer. Und es gibt sehr interessante Dossiers, wo inzwischen die Bereitschaft europaweit auch über eine Energiebesteuerung im Ecofin-Rat nachzudenken, durchaus gewachsen ist und wo die Verhandlungen weitergeführt werden. Es hat keinen Sinn, so zu tun, als würde man was für die Umwelt tun, wenn man es nicht tut, und das Rasen für die Rente hat sich als Irrweg herausgestellt.
Birke: Bleiben wir noch ein bisschen beim Thema Umwelt. Es hat so den Anschein, als habe die Flut auch im letzten Moment noch ein bisschen das Thema Umweltpolitik in das Sofortprogramm gespült. Ist das jetzt so eine Art Aktionismus im Zuge der Katastrophe?
Merkel: Nein, das ist kein Aktionismus, sondern das ist die Reaktion natürlich auch auf unser Regierungsprogramm und natürlich auch zum Beispiel auf einen Gipfel, wie er jetzt in Johannesburg stattfindet, der nochmal ganz anders als zu Zeiten, wenn solche großen Konferenzen nicht stattfinden, das Augenmerk darauf legt. Wir befinden uns hier in einer sehr guten Kontinuität. Wir sagen Wärmedämmungsmaßnahmen, die gut sind für die Wirtschaft, weil sie natürlich das Baugeschehen ankurbeln und gleichzeitig Energie sparen helfen - Energiesparen ist zur Erreichung der Klimaschutzziele auf kurze Sicht überhaupt der effektivste Weg -, wir sagen des weiteren natürlich, dass wir zur internationalen Durchsetzung des Kyotoprotokolls allen Druck und alle Möglichkeiten ausüben werden. Und mir persönlich ist dann auch sehr wichtig, dass wir mit der deutschen Wirtschaft weiterkommen eben in den Selbstverpflichtungen, die sehr effizient und sehr gut zu Ergebnissen geführt haben, wie wir alle nicht gedacht haben. Und wir haben, weil da auch ein Verleumdungspotential von Rot-Grün ist, jetzt noch einmal deutlich gemacht, dass wir im Grundsatz zu dem 'Erneuerbare Energie – Gesetz' stehen, dass wir allerdings bestimmte Dinge verbessern wollen und effizienter das Geld einsetzen wollen, aber dass im Grundsatz von uns auch die Förderung regenerativer Energien unterstützt wird.
Birke: Frau Merkel, ich wollte noch ein bisschen auf die Außenpolitik zu sprechen kommen. Das Damoklesschwert des Krieges schwebt ja sozusagen über Saddam Husseins Haupt. Die USA scheinen bereit, womöglich sogar im Alleingang vorzugehen. Nun hat der britische Außenminister Jack Straw noch einmal angeregt, man möge ultimativ über die UNO dem Irak eine Bedingung stellen, dass er Waffeninspektoren ins Land ließe. Könnten Sie sich bei einer unionsgeführten Regierung vorstellen, wenn Saddam Hussein dieses Ultimatum nicht erfüllt, dass man mit der Bundeswehr zum Waffengang ginge?
Merkel: Also, ich kann mir Alleingänge, wie sie jetzt von dem Vizepräsidenten in den Vereinigten Staaten, von Herrn Cheney, genannt wurden, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir die gutheißen. Das haben wir auch in den letzten Tagen sehr deutlich gesagt. Das Handlungsmonopol, das Handlungsfeld liegt her bei der UNO. Wir sollten alles tun, um die Machtposition, auch die Druckposition in der UNO zu unterstützen. Deshalb finde ich diese Initiative des britischen Außenministers hilfreich, und es ist nicht besonders hilfreich, wenn der deutsche Bundeskanzler dauernd mit allen Ausschlussmöglichkeiten, was er alles nicht tun wird, im irakischen Fernsehen als Kronzeuge der Zerstrittenheit der westlichen Staaten zitiert werden kann. Die UNO hat bis jetzt eindeutige Resolutionen. Wir sollten alles tun, um diese Resolutionen auch wirklich durchzusetzen und umzusetzen. Und daran arbeiten wir mit, und ansonsten haben wir sehr deutlich gesagt, eine unionsgeführte Bundesregierung wird sich europäisch abstimmen. Wir halten nichts von einem deutschen Weg; das macht einen vollkommen falschen Eindruck.
Birke: Was ist mit den Spürpanzern? Würden Sie die dort lassen in jedem Fall?
Merkel: Die Spürpanzer sind dort im Zusammenhang mit einer klar definierten Mission – Enduring Freedom –, und damit haben sie ihren Bestimmungszweck. Und außerhalb dieses Bestimmungszweckes sehe ich genau so wenig wie andere, dass sie dort jetzt eingesetzt werden, ich sage es nochmal. Ich kann aber nicht allen Entwicklungen in der UNO in den nächsten Tagen und Wochen vorgreifen, das sollte man auch nicht tun. Das tut selbst der Bundesaußenminister nicht, und ich glaube, zu viele Spekulationen in dem Bereich hilft uns nicht weiter.
Birke: Frau Merkel, 21 Tage vor der Wahl rücken die beiden großen Parteien – den Meinungsforschern zufolge – enger zueinander. Nun hat Edmund Stoiber auch in einem Interview mit einer ostdeutschen Zeitung zugegeben, dass es ihm im Osten etwas schwerer fiele, das sei ein Auswärtsspiel. Für Sie müsste das doch ein Heimspiel sein im Osten. Weshalb mangelt es da wohl an Wählerunterstützung momentan im Osten?
Merkel: Ich glaube, meine Spiele – das sind Spiele in Deutschland, und Deutschland ist meine Heimat. Ich glaube, das gilt auch für Edmund Stoiber. Was die Frage anbelangt, wie ist dort die Parteienpräferenz, so müssen wir ja sehen, dass wir ein Lager haben von SPD- und PDS-Wählern. Die PDS nimmt zur Zeit ab, und wenn sie abnimmt, nimmt sie vor allen Dingen in den neuen Bundesländern in den Umfragen ab. Das sind erfahrungsgemäß jetzt nicht Wähler, die dann zu uns umschwenken, sondern es sind sehr häufig Wähler, die zu den Sozialdemokraten gehen. Dass die Abstände vor der Bundestagswahl noch einmal knapper werden würden, das war uns klar. Wir haben immer gesagt, wir müssen mit einem guten Abstand in die Sommerpause hineingehen, weil es dann hin zur Wahlentscheidung natürlich noch einmal spannender wird. Ich glaube, insbesondere auch die Medien haben ein gewisses Interesse, dass es nicht zu langweilig wird. Das ist auch gut für die Mobilisierung der eigenen Anhänger. Wir sind kampfbereit, wir sind bereit, da auch jetzt die letzten drei Wochen in die Schlacht zu ziehen. Und wir haben ja mit der Wahlkampferöffnung auch einen wirklichen Schwerpunkt jetzt nochmal. Ich bin trotzdem ganz fest überzeugt, dass sich das Grundmuster, das die Union plus die FDP vorne liegen vor Rot-Grün, dass dieses Grundmuster nicht in Gefahr gerät. Und ich bin im Übrigen auch davon überzeugt, dass natürlich jetzt die Zahl derer, die unentschlossen sind, immer weiter abnimmt und die Potentiale, die Menschen noch umzukehren und zu beeinflussen, natürlich damit auch immer enger werden. Und deshalb sehe ich den Dingen sehr optimistisch entgegen.
Birke: Sie sehen auch nicht, dass der Wähler sich vielleicht die Frage stellt, dass das Kompetenzteam doch zum Teil aus Persönlichkeiten besteht, die noch mit der Ära Kohl behaftet sind?
Merkel: Ich sehe darin keinen Makel, sondern wir haben ein Kompetenzteam, das aus einer guten Mischung aus Erfahrung und neuen Köpfen besteht. Wichtig ist auch, dass diejenigen, die in der Politik handeln, die Kraft haben, die notwendigen Entscheidungen durchzusetzen. Das geht im Übrigen in vielen Feldern ohne Erfahrung nicht. Auch bei den Sozialdemokraten ist es ja so, dass der Bundesfinanzminister, der in seiner eigenen Partei als erfolgreich gilt, doch immerhin erst eine Landtagswahl verloren hat, bevor er in der Bundespolitik dann angefangen hat. Ich glaube, es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass wir 1998 eine Wahl verloren haben, weil wir 4,1 Millionen Arbeitslose hatten – eine Bilanz, die die Bürger nicht zufrieden gestellt hat. Und wir haben aus dieser Bilanz die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, denn es wird jeder Regierung, und das gilt jetzt auch für die Regierung Schröder, so gehen, dass bei einer solchen Bilanz von über vier Millionen Arbeitslosen die Menschen einfach sagen: 'Die können es nicht'. Und diese Schlussfolgerung, diese Lehren gezogen zu haben, daraus ein Startprogramm gemacht zu haben, ein Regierungsprogramm gemacht zu haben, wo wir die richtigen Schritte für Deutschland einleiten, das ist das, was zählt. Und das ist von den Köpfen erarbeitet worden, die auch in dem Kompetenzteam sind, und die werden das auch durchsetzen können. Und ich glaube, damit werden wir die Menschen überzeugen im Lande.
Birke: Frau Merkel, wenn wir das Interview nach dem 22. September wiederholen, spreche ich Sie dann als die Fraktionsvorsitzende der Union, als Vizekanzlerin einer Großen Koalition oder als Ministerin an?
Merkel: Sie sprechen mich in jedem Falle – und insofern gehen Sie dann auf sicherem Grund – als Parteivorsitzende an. Und insofern ist das vielleicht dann auch ein Grund, ein weiteres Interview zu führen.