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Schiedrichterobmann: Fußball ist ein Spiegelbild der Gesellschaft

Helmut Friebertz, Schiedsrichterobmann im Fußballkreis Köln, hat das Niveau auf deutschen Fußballplätzen beklagt. Übergriffe und Beleidigungen seien bis in den Jugendbereich an der Tagesordnung. Immer wieder müsste die Polizei einschreiten, um Schiedsrichter zu schützen, beklagte Friebertz.

Helmut Friebertz im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.11.2008
    Meurer: Am Wochenende hat die Fußball-Bundesliga unter besonderer Beobachtung gestanden. Es ging natürlich auch um Tore, wer siegt, wer spielt unentschieden, aber auch um die Frage, wer verhält sich wie gegenüber dem Schiedsrichter. In den letzten Wochen sind Trainer wie Spieler häufiger ausgerastet und haben den Schiedsrichter attackiert, und zwar so sehr, dass heute in München auf allerhöchster Ebene der Bundesliga ein Runder Tisch zusammenkommt – mit Bayern-Manager Uli Hoeness, Matthias Sammer vom DFB, mit Bundesliga-Trainern und eben auch mit Schiedsrichtern.
    18 Mannschaften gibt es in der ersten Bundesliga, Tausende aber im Amateur- und Jugendbereich. Helmut Friebertz ist Schiedsrichterobmann des Fußballkreises Köln. Guten Morgen, Herr Friebertz.

    Friebertz: Einen wunderschönen guten Morgen!

    Meurer: Wenn Sie mit am Runden Tisch sitzen dürften, was würden Sie denen sagen?

    Friebertz: Was würde ich den Herrschaften sagen? Dass man erst man den Ball flach halten sollte, dass natürlich das Verhalten der Trainer der ersten und zweiten Bundesliga eine Vorbildfunktion ganz nach unten hat und es damit auch nicht zum besten bestellt ist.

    Meurer: Wir erleben hier in Köln, dass es seit Jahr und Tag brutaler auf den Plätzen zugehen soll. Gewalt gegen Schiedsrichter, Attacken gegen Schiedsrichter. Was spielt sich ab auf den Amateur- und Jugendplätzen?

    Friebertz: Ja, das gehört eigentlich fast schon traurigerweise zur Tagesordnung: Übergriffe verbaler Art oder auch tätlicher Art gegenüber Schiedsrichtern. Mit diesem Problem haben wir eigentlich jedes Wochenende zu kämpfen.

    Meurer: Haben Sie Beispiele aus den letzten Tagen und Wochen?

    Friebertz: Ja, da gibt es Beispiele ohne Ende bis zur Kreisliga A, hinunter bis zum Jugendbereich. Es gab relativ zu Beginn der Spielzeit ein Spiel in der Kreisliga A; da ist der Schiedsrichter auch unter Polizeischutz nach Hause begleitet worden, weil eine Mannschaft einfach nicht verlieren konnte. Der Schiedsrichter – das war ein türkischer Schiedsrichter – hat eine deutsche gegen eine türkische Mannschaft in der Kreisliga A gepfiffen und was der sich da alles anhören musste, das ging von "ehrenloser" über "Türkenverräter", dass er den Deutschen in den A. gekrochen wäre, bis über "Hurensohn", "Ehrenloser", was man da alles zu hören bekommt.

    Meurer: Da blieb es bei Beleidigungen. Geht es auch noch schlimmer?

    Friebertz: Da blieb es bei Beleidigungen, weil genügend Polizei vor Ort war. Man hat dem Schiedsrichter aber in der Tat gedroht, dass man ihn nach dem Spiel abstechen würde. Bei einem anderen Spiel ist es so weit gegangen, dass sich ein Spieler nach dem Spiel in die Hand gespuckt hat und anschließend freudestrahlend auf den Schiedsrichter zugegangen ist - der Schiedsrichter hat das nicht mitbekommen – und dann ihm die Hand gegeben hat. Ein anderer Spieler hat ihn noch bedroht oder versucht, nach dem Spiel mit dem Ball abzuschießen, dass er in die Cafeteria geflüchtet ist und der Schiedsrichter die Polizei zur Hilfe gerufen hat. Das geht aber hinunter bis in den Jugendbereich. Es gibt ein Spiel im C-Juniorenbereich, da laufen Strafanzeigen von beiden Mannschaften, wo Spieler noch nach dem Spiel von Elternteilen sogar geschlagen worden sein sollen. Da gibt es sogar Atteste. Also das ist alles nicht so lustig.

    Meurer: Beobachten Sie, Herr Friebertz, dass das in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen hat? Wie sehr hat das zugenommen?

    Friebertz: Das ist in den letzten Jahren auf einem konstant hohen Niveau. Man kann sogar sagen, in den letzten zehn Jahren ist es mal etwas weniger geworden, dann wieder etwas mehr geworden, aber das ist schon entschieden zu viel. Die Qualität der Übergriffe gegenüber Schiedsrichtern, aber auch gegenüber den Mannschaften untereinander ist schon ziemlich alarmierend. Ich sage es immer wieder: Was auf den Fußballplätzen abgeht, ist irgendwo ein Spiegelbild der Gesellschaft.

    Meurer: Die Schiedsrichter in der Bundesliga haben Fernsehkameras, haben 30-, 40-, 50.000 Zuschauer um sich herum. Ist das ein Vorteil für sie? Geht es denen besser als den Amateurschiris?

    Friebertz: Besser geht es denen auf jeden Fall, nicht nur von dem her, was die Schiedsrichter dort verdienen, natürlich auch von den Möglichkeiten, auch von dem Schutz. In einem Stadion wird einem Schiedsrichter in der Regel nichts passieren. Auf einem normalen Platz im Kreis-, im Amateurfußball sind die Schiedsrichter den Zuschauern direkt ausgesetzt und da ist manchmal der schnellste Weg in die Kabine der beste.

    Meurer: Das heißt, ärgert Sie das ein bisschen, dass so viel Wirbel gemacht wird über die Bundesligaschiedsrichter im Vergleich zu dem, was sich alltäglich auf den Hart- und Sandplätzen abspielt?

    Friebertz: In der Bundesliga geht es um das große Geschäft, da geht es um das große Geld und der Amateurfußball ist letzten Endes nur noch ein Anhängsel des großen Fußballs. Leider, obwohl man natürlich viel mehr in die Basis investieren müsste, die Basis wesentlich mehr unterstützen müsste.

    Meurer: Wie unterstützen? Was meinen Sie damit?

    Friebertz: Unterstützen sowohl personell wie auch finanziell. Wenn man sich die Spielzeiten der Bundesliga in der zweiten Bundesliga anschaut: die nehmen eigentlich auf den Amateurfußball gar keine Rücksicht mehr. Da kommen meistens nur noch ein paar Zuschauer, es sei denn es sind irgendwelche Derbies. Viele Vereine sind froh, wenn sie irgendjemanden von der Straße bekommen, der das Amt eines Betreuers oder Trainers ausübt. Das heißt, da fehlt es einfach an der qualifizierten Ausbildung und das wirkt sich natürlich dort auch entsprechend aus.

    Meurer: Ist das eine Frage des Geldes? Wäre es besser, wenn mehr Zuschauer da wären?

    Friebertz: Ja. Natürlich kann ein Verein von den Eintrittsgeldern der Zuschauer überhaupt nicht mehr leben. Man müsste aber viel mehr in diese Ausbildung, die Trainerausbildung, in die Kleinvereine reininvestieren.

    Meurer: In die Trainerausbildung investieren heißt auch den Trainern klar machen, wie man sich gegenüber den Schiedsrichtern benimmt und was man seinen Spielern zu sagen hat?

    Friebertz: Ja, auf alle Fälle. Das ist natürlich ein Ansatzpunkt bei einer entsprechenden Ausbildung der Trainer. Die Trainer sind ja meistens auch diejenigen, die ihre Spieler aufputschen, die über die Schiedsrichter herfallen. Das ist natürlich dann auch eine Vorbildfunktion für die Spieler, wo die Spieler dann auch drauf los dreschen.

    Meurer: Was erleben Sie da bei den Trainern?

    Friebertz: Das Niveau der Trainer ist natürlich in diesen Klassen ein sehr niedriges und die sind häufig froh, wenn sie noch irgendjemanden haben, der diese Funktion überhaupt ausübt.

    Meurer: Wie helfen Sie den Schiedsrichtern?

    Friebertz: Wie helfen wir den Schiedsrichtern? – Ich bin quasi jeden Sonntagabend oder auch Samstagabend Anlaufstation, wo dann die ersten Schiedsrichter bei mir anrufen, und es ist in der Tat so, dass wie auch letztes Wochenende ein Schiedsrichter sich fast eine halbe Stunde bei mir am Telefon ausgeheult hat, wie man ihm zugesetzt hat. Er ist nach dem Spiel so attackiert worden, dass er nach dem Spiel zusammengebrochen ist. Der musste eine Stunde auf der Anlage verweilen, bevor er einigermaßen sicher den Platz verlassen konnte. Das heißt, unsere Aufgabe ist also nicht nur, die Schiedsrichter auszubilden, weiterzubilden, sondern schon mehr eine Art Psychologe für die Schiedsrichter zu sein.

    Meurer: Wird dieser Schiedsrichter, der eine halbe Stunde lang bei Ihnen am Telefon fast geweint hat, weiter pfeifen?

    Friebertz: Ja. Natürlich versucht man, ihn irgendwo zu trösten, auf ihn einzureden, dass er doch etwas Gutes tut. Das ist unwahrscheinlich schwierig, denn man sieht: wir haben dieses Jahr schon über 100 Schiedsrichter verloren im Kreis Köln. Wir bilden die gleiche Anzahl an Schiedsrichtern wieder aus. Der gute alte Schiedsrichter ist ohnehin nicht mehr dabei. Das heißt, das sind nur noch junge Schiedsrichter im Alter von 12, 13, 14 Jahren, die erst mal entsprechend ausgebildet werden müssen, herangeführt werden müssen an diese Aufgabe, und auf diesem Weg gehen natürlich innerhalb des ersten Jahres schon wieder sehr viele verloren, weil sie einfach den Belastungen auf den Plätzen, diesen Anfeindungen nicht mehr gewachsen sind.

    Meurer: Ganz kurz. Ist das überhaupt zu verantworten, so junge Leute auf den Platz zu stellen?

    Friebertz: Manchmal stelle ich mir diese Frage auch. Die jungen Leute gehen mit sehr viel Ehrgeiz an ihre Sache heran. Es ist nach wie vor eine auch sehr sinnvolle Aufgabe für diese Leute, für ihre spätere Ausbildung, für ihren weiteren Lebensweg. Sie lernen, sich durchzusetzen, Selbstbewusstsein. Man sollte natürlich auch die positiven Dinge dabei nicht außer Acht lassen.

    Meurer: Helmut Friebertz, Schiedsrichterobmann im Fußballkreis Köln. Heute ein Runder Tisch zu den Schiedsrichtern der Fußballbundesliga. Danke, Herr Friebertz, und auf Wiederhören.

    Friebertz: Bitte schön. Tschüß!