"Wie Sie sehen, können Sie hier auf der unteren Ebene im Zug einfach durchlaufen. Die Achse, die beide Räder miteinander verbindet, die gibt es hier nicht mehr."
Stuttgart, das Institut für Fahrzeugkonzepte am DLR, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Ingenieur Christian Wachter zeigt auf das Modell eines futuristisch anmutenden Zuges. Es ist deutlich aerodynamischer als ein ICE und soll mit einem ganz neuen Antrieb bestückt werden.
"Jedes Rad hat für sich einen Antriebsmotor. Sie haben dadurch gewisse Vorteile: Sie haben weniger Verschleiß am Rad und an der Schiene. Weniger Geräuschentwicklung bei der Kurvenfahrt. Es hat auch einen Gewichtsvorteil: Diese Konstruktion ist 20 Prozent leichter als ein herkömmliches Drehgestell – und das, obwohl wir hier den Antrieb schon integrieren."
Güter mit 400 Kilometer auf der Schiene
Next Generation Train, so heißt das Projekt. Es umfasst zwei Typen von Personenzügen, aber auch ein neues Konzept für den Güterverkehr. Das nämlich ist dringend nötig, sagt Projektleiter Joachim Winter. Denn eine Ware auf der Schiene von A nach B zu transportieren, dauert derzeit ziemlich lange.
"Heute ist es so, dass die Wagen für die verschiedenen Züge umrangiert werden müssen, auf dem Rangierwerk in die Richtungsgleise sortiert werden und dann wieder mit Lokomotiven in die verschiedenen Richtungen fahren. Das führt letzten Endes dazu, dass man im Gesamtsystem eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 20 Stundenkilometern erreicht."
Das soll beim DLR-Konzept deutlich beschleunigt werden. Etwa durch die aerodynamischen Güterzüge mit den neuen Einzelradmotoren. Sie sollen ohne Lokführer unterwegs sein und auf Hochgeschwindigkeitstrassen bis zu 400 Stundenkilometer fahren, auf normalen Strecken immerhin noch 150 Stundenkilometer. Auch das Rangieren wollen die Fachleute beschleunigen – indem sie auf eine Rangierlok verzichten, sagt Winters Kollege Tjark Siefkes.
"Die braucht man nicht. Weil die Wagen batteriebetrieben autonom fahren können. Wir stellen uns vor, dass sie 25 Kilometer weit alleine fahren können, bevor sie sich zum gesamten Zugverband zusammenstellen und dann unterwegs sind über die längeren Magistralen. Und sich an den Bestimmungsregionen wieder auseinanderflügeln und ihre eigentlichen Zielbestimmungen selbstständig erreichen."
Roboter laden die Waren auf
Mit den heutigen Waggons wäre so etwas nicht einmal im Ansatz machbar. In der Regel verfügen sie nicht einmal über Strom für Sensoren oder GPS-Empfänger. Beim Next Generation Train wären zudem neuartige Kupplungen und spezielle Weichen nötig. Anders als heute soll auch das Be- und Entladen laufen – und zwar vollautomatisch durch Roboter, sagt Joachim Winter.
"Das wird gemacht über einen Spezial-Umschlagbahnhof, der vergleichbar ist mit einem Hochregallager, das Sie aus der Industrie kennen. Wo automatisch die Paletten in dem Regallager gefahren werden, über die Stockwerke zwischengelagert werden, vorsortiert werden und dann in wenigen Minuten umgeladen werden."
Das Ziel: Ein 250 Meter langer Güterzug soll in einer Stunde komplett abfertigt werden. Für Container aber, wie sie heute gang und gäbe sind, ist im DLR-Konzept kein Platz.
"Jeder Container wiegt viereinhalb Tonnen – eine Stabilität, die wir in der Eisenbahn im Transport eigentlich gar nicht brauchen. Weshalb wir diese Container ausgeschlossen haben."
Ein kompletter Systemwechsel
Ein Hochgeschwindigkeitszug ohne Lokführer, Waggons, die sich von alleine zu einem Zug zusammenstellen und ein vollautomatisiertes Be- und Entladen – was die Fachleute im Sinn haben, ist nichts anderes als ein Systemwechsel, nur bedingt kompatibel mit dem heutigen Güterverkehr. Seit 2007 arbeiten die Forscher daran. Seitdem haben sie die Basiskomponenten entwickelt und getestet, zum Beispiel neuartige Kupplungen und Weichen. In ein paar Jahren soll ein Prototyp in Originalgröße beweisen, dass der neue Einzelradantrieb wie geplant funktioniert. Manche Details aber sind noch offen, sagt Tjark Siefkes – etwa beim autonomen Rangieren der Waggons.
"Sensorik muss da sein, allein schon um positionsgenau zu bestimmen, auf welchem Gleis der Wagen ist. Wir müssen ungefähr auf plus-minus 80 Zentimeter genau feststellen können, wo sich der Wagen befindet. Das ist schon sportlich mit dem heutigen GPS-Systemen. Aber mit Zusatzsensoren kriegen wir das hin."
Eine weitere Baustelle: die automatisierten Bahnhöfe. Hier hofft das Team, sein Konzept irgendwann im Großmaßstab testen zu können, etwa am brachliegenden Güterbahnhof Kornwestheim bei Stuttgart. Einen ersten Einsatz des Next Generation Train möchte sich Joachim Winter aber lieber auf deutlich größerer Bühne vorstellen.
"Das Ziel, das wir uns gesetzt haben, ist im Interkontinental-Verkehr. Zwischen Europa und Asien wird das ja als neue Seidenstraße propagiert. Die Strecken werden zum Teil schon für Hochgeschwindigkeit ausgebaut. Mit unserem Konzept könnte man dort eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 150 Stundenkilometern erreichen. Damit würde ein Zug über die 12.000 Kilometer zirka in drei Tagen in Europa sein und anschließend wieder drei Tage zurück."
Eine langfristige Planung also. Innovationen im Bahnbereich kommen eher langsam – kein Wunder bei einem Verkehrsmittel, das mehr als 150 Jahre auf dem Buckel hat. In dieser Zeit ist schon manch ein Zukunftskonzept gescheitert, etwa in den 90er-Jahren der CargoSprinter. Er sollte die Transportgüter direkt per Gleisanschluss von den Kunden abholen, sie zu größeren Zügen koppeln und dann zum Zielort bringen. Doch technische Probleme und hohe Kosten ließen das Projekt 2004 sterben. Ein Schicksal, dass sich Tjark Siefkes und seine Leute für ihren Next Generation Train natürlich nicht erhoffen. Zumindest bleibt ihnen noch einige Zeit, ihre Vision des künftigen Güterverkehrs weiterzuentwickeln.
"EU-weit ist definiert, dass ab 2050 50 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene und auf See abgewickelt werden muss. Um dahin zu kommen, müssen wir 2030 soweit sein und die gesamte Implementierung definiert und bewilligt haben."