Lüders: Schönen guten Tag.
Birke: Herr Lüders, Moscheen als Zielpunkte der Gefechte, muss man das jetzt als ganz bewusste Provokation werten?
Lüders: Darüber können wir im Augenblick nur spekulieren. Ich denke, dass der Beschuss der Moschee in Kufa eher ein Versehen als Absicht war. Aber man muss wohl davon ausgehen, dass der Beschuss der Demonstranten in Kufa, die eigentlich teilnehmen wollte an dem Sistani-Friedensmarsch in Richtung Nadschaf, dieser gezielte Beschuss war mit Sicherheit ausgelöst durch, ich sage mal, enttäuschte, frustrierte Truppen der irakischen Übergangsregierung. Denn man muss sagen, egal wie sich die sehr unübersichtliche Lage weiterentwickelt, die großen Verlierer in dieser Auseinandersetzung um Nadschaf im Konflikt mit Muktada El Sadr, das sind die irakische Übergangsregierung in Bagdad und die mit ihnen verbündeten Amerikaner. Sie sind politisch diejenigen, die hier großen Schaden genommen haben, während sowohl Sistani als auch Muktada El Sadr sich jetzt als die Friedensstifter und Helden der schiitischen Straße darstellen können.
Birke: Herr Lüders, Ali Sistani, der Großayatollah rückt also so zur entscheidenden Machtfigur auf. Er befindet sich ja nach seiner Rückkehr aus London auf dem Weg von Basra ins 360 Kilometer entfernte Nadschaf, dem Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen den Aufständischen um den radikalen Prediger Muktada El Sadr und US-, sowie irakischen Regierungskräften. Verfügt denn Sistani über genügend Autorität, um die überhitzen Gemüter zu beruhigen?
Lüders: Er ist die wichtigste religiöse und politische Instanz im Irak, er ist diejenige Führungsperson, die nicht nur Schiiten sondern auch viele Sunniten als seriös, als glaubwürdig und als moralisch integer akzeptieren. An ihm können weder die Amerikaner noch die Übergangsregierung in Bagdad vorbei handeln und Sistani hat sich ja eigentlich einen sehr cleveren Schachzug überlegt. Er macht diesen so genannten Friedensmarsch in Richtung auf Nadschaf und nimmt dadurch Muktada El Sadr, das ist jedenfalls seine Hoffnung, den Nimbus, den Heiligenschein des Widerstandskämpfers gegen die Amerikaner und umgekehrt verhindert er auf diese Weise, dass die Übergangsregierung und die Amerikaner gewaltsam die Moschee stürmen, das heißt, er ist sozusagen derjenige, der hier erfolgreich vermittelt hat, so wird es am Ende dann aussehen. Damit hat er natürlich seine Stellung innerhalb der schiitischen Gemeinde noch einmal massiv gestärkt. Aber auch Muktada El Sadr kann sich sagen, ich habe erfolgreich Widerstand geleistet gegen die Amerikaner. Viele, vor allem Schiiten aus der unteren Bevölkerungsschicht, verehren ihn in einem Maße, dass es für Sistani sehr schwer macht, Muktada El Sadr einfach an den Rand zu drängen, er muss sehr aufpassen, dass die Sympathien nicht von ihm übergehen auf Muktada El Sadr, den Sistani selber hasst wie die Pest, wenn ich so sagen darf, denn Sistani möchte, dass sich die Kleriker aus der Politik im Irak heraushalten und genau das Gegenteil praktiziert Muktada El Sadr.
Birke: Herr Lüders, Sie haben gesagt, man muss Muktada El Sadr den Heiligenschein nehmen, wird dieses Unterfangen gelingen können? Muss man ihn nicht in seiner Machtsphäre eliminieren?
Lüders: Ich fürchte, es ist zu spät, ihn jetzt zu eliminieren. Selbst wenn er einem Anschlag zum Opfer fiele oder gefangen genommen würde, wäre er für die schiitische Straße noch immer ein großer Held, er wäre im Zweifel ein Märtyrer und somit sehr glaubensmächtig für seine radikalen Anhänger. Ich glaube, es wäre geschickter gewesen, aber der Zug ist jetzt abgefahren, ihn einzubeziehen in den politischen Prozess im Irak, um ihn auf diese Art und Weise auf eine intelligente Form zu neutralisieren, politisch in die Bedeutungslosigkeit abzuschieben. Jetzt ist er der Held, der Held der Straße und mit diesem Nimbus wird Muktada El Sadr auch weiterhin Politik machen können. Er ist der einflussreichste Kopf des irakischen Widerstandes gegen die Besatzung und dazu haben diese Ereignisse in Nadschaf jetzt beigetragen, dass sie ihn zum Helden gemacht haben.
Birke: Welche Mittel und Möglichkeiten hat denn Sistani, um eben Muktada El Sadr und den Widerstand zu neutralisieren?
Lüders: Den Widerstand kann er nicht neutralisieren, er kann lediglich versuchen, die Gefühle der schiitischen Straße zu mäßigen, nach dem Motto, gebt der Übergangsregierung ein bisschen Zeit um sich zu bewähren und dann urteilen wir, ob wir diese Regierung wollen oder eine andere, denn im Januar sind ja die Wahlen vorgesehen im Irak. Gegenwärtig ist aber in den schiitischen Gebieten im Süden des Landes eine Situation eingetreten, die nicht mehr kontrollierbar erscheint. Wir wissen nicht, was in den nächsten Tagen oder Wochen dort passiert und vor allem gibt es eben eine besorgniserregende Entwicklung, dass die radikalen Schiiten, die Anhänger von Muktada El Sadr und radikale Sunniten im sunnitischen Dreieck nordwestlich von Bagdad mehr und mehr zusammenarbeiten, obwohl sie sich in der Vergangenheit eher gegenseitig umgebracht haben und das ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung für die Amerikaner und für die Übergangsregierung, weil sich die Radikalen auf beiden Seiten verbünden und damit natürlich die Möglichkeit haben, noch sehr viel mehr Schaden anzurichten, als es in den letzten Wochen und Monaten schon geschehen ist.
Birke: Wird hier also eine unheilige Allianz zwischen schiitischen und sunnitischen radikalen Kräften geschmiedet?
Lüders: Es sieht so aus, als ob es in diese Richtung ginge und man muss ganz klar sagen, dass die Stimmung in der irakischen Bevölkerung nicht sehr positiv ist mit Blick auf die irakische Übergangsregierung. Sie gilt mehr und mehr als eine reine Marionettenregierung, die amerikanische Befehle ausführt. Es ist dabei gar nicht mal entscheidend, ob dieser Eindruck stimmt, aber er wird von den meisten Irakern geteilt und das ist eine sehr gefährliche Situation, dass wir eine Regierung haben in Bagdad, die mehr und mehr zu einer virtuellen Regierung wird, die zwar die Unterstützung der Amerikaner und von ganz kleinen Teilen der Bevölkerung hat, vor allem von den Kurden noch, aber der Rest der Bevölkerung denkt schon in eine andere Richtung und zwar zunehmend in Richtung eines islamischen Staates im Irak.
Birke: Das war der Nahostexperte Michaels Lüders zur Situation im Irak, recht herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Birke: Herr Lüders, Moscheen als Zielpunkte der Gefechte, muss man das jetzt als ganz bewusste Provokation werten?
Lüders: Darüber können wir im Augenblick nur spekulieren. Ich denke, dass der Beschuss der Moschee in Kufa eher ein Versehen als Absicht war. Aber man muss wohl davon ausgehen, dass der Beschuss der Demonstranten in Kufa, die eigentlich teilnehmen wollte an dem Sistani-Friedensmarsch in Richtung Nadschaf, dieser gezielte Beschuss war mit Sicherheit ausgelöst durch, ich sage mal, enttäuschte, frustrierte Truppen der irakischen Übergangsregierung. Denn man muss sagen, egal wie sich die sehr unübersichtliche Lage weiterentwickelt, die großen Verlierer in dieser Auseinandersetzung um Nadschaf im Konflikt mit Muktada El Sadr, das sind die irakische Übergangsregierung in Bagdad und die mit ihnen verbündeten Amerikaner. Sie sind politisch diejenigen, die hier großen Schaden genommen haben, während sowohl Sistani als auch Muktada El Sadr sich jetzt als die Friedensstifter und Helden der schiitischen Straße darstellen können.
Birke: Herr Lüders, Ali Sistani, der Großayatollah rückt also so zur entscheidenden Machtfigur auf. Er befindet sich ja nach seiner Rückkehr aus London auf dem Weg von Basra ins 360 Kilometer entfernte Nadschaf, dem Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen den Aufständischen um den radikalen Prediger Muktada El Sadr und US-, sowie irakischen Regierungskräften. Verfügt denn Sistani über genügend Autorität, um die überhitzen Gemüter zu beruhigen?
Lüders: Er ist die wichtigste religiöse und politische Instanz im Irak, er ist diejenige Führungsperson, die nicht nur Schiiten sondern auch viele Sunniten als seriös, als glaubwürdig und als moralisch integer akzeptieren. An ihm können weder die Amerikaner noch die Übergangsregierung in Bagdad vorbei handeln und Sistani hat sich ja eigentlich einen sehr cleveren Schachzug überlegt. Er macht diesen so genannten Friedensmarsch in Richtung auf Nadschaf und nimmt dadurch Muktada El Sadr, das ist jedenfalls seine Hoffnung, den Nimbus, den Heiligenschein des Widerstandskämpfers gegen die Amerikaner und umgekehrt verhindert er auf diese Weise, dass die Übergangsregierung und die Amerikaner gewaltsam die Moschee stürmen, das heißt, er ist sozusagen derjenige, der hier erfolgreich vermittelt hat, so wird es am Ende dann aussehen. Damit hat er natürlich seine Stellung innerhalb der schiitischen Gemeinde noch einmal massiv gestärkt. Aber auch Muktada El Sadr kann sich sagen, ich habe erfolgreich Widerstand geleistet gegen die Amerikaner. Viele, vor allem Schiiten aus der unteren Bevölkerungsschicht, verehren ihn in einem Maße, dass es für Sistani sehr schwer macht, Muktada El Sadr einfach an den Rand zu drängen, er muss sehr aufpassen, dass die Sympathien nicht von ihm übergehen auf Muktada El Sadr, den Sistani selber hasst wie die Pest, wenn ich so sagen darf, denn Sistani möchte, dass sich die Kleriker aus der Politik im Irak heraushalten und genau das Gegenteil praktiziert Muktada El Sadr.
Birke: Herr Lüders, Sie haben gesagt, man muss Muktada El Sadr den Heiligenschein nehmen, wird dieses Unterfangen gelingen können? Muss man ihn nicht in seiner Machtsphäre eliminieren?
Lüders: Ich fürchte, es ist zu spät, ihn jetzt zu eliminieren. Selbst wenn er einem Anschlag zum Opfer fiele oder gefangen genommen würde, wäre er für die schiitische Straße noch immer ein großer Held, er wäre im Zweifel ein Märtyrer und somit sehr glaubensmächtig für seine radikalen Anhänger. Ich glaube, es wäre geschickter gewesen, aber der Zug ist jetzt abgefahren, ihn einzubeziehen in den politischen Prozess im Irak, um ihn auf diese Art und Weise auf eine intelligente Form zu neutralisieren, politisch in die Bedeutungslosigkeit abzuschieben. Jetzt ist er der Held, der Held der Straße und mit diesem Nimbus wird Muktada El Sadr auch weiterhin Politik machen können. Er ist der einflussreichste Kopf des irakischen Widerstandes gegen die Besatzung und dazu haben diese Ereignisse in Nadschaf jetzt beigetragen, dass sie ihn zum Helden gemacht haben.
Birke: Welche Mittel und Möglichkeiten hat denn Sistani, um eben Muktada El Sadr und den Widerstand zu neutralisieren?
Lüders: Den Widerstand kann er nicht neutralisieren, er kann lediglich versuchen, die Gefühle der schiitischen Straße zu mäßigen, nach dem Motto, gebt der Übergangsregierung ein bisschen Zeit um sich zu bewähren und dann urteilen wir, ob wir diese Regierung wollen oder eine andere, denn im Januar sind ja die Wahlen vorgesehen im Irak. Gegenwärtig ist aber in den schiitischen Gebieten im Süden des Landes eine Situation eingetreten, die nicht mehr kontrollierbar erscheint. Wir wissen nicht, was in den nächsten Tagen oder Wochen dort passiert und vor allem gibt es eben eine besorgniserregende Entwicklung, dass die radikalen Schiiten, die Anhänger von Muktada El Sadr und radikale Sunniten im sunnitischen Dreieck nordwestlich von Bagdad mehr und mehr zusammenarbeiten, obwohl sie sich in der Vergangenheit eher gegenseitig umgebracht haben und das ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung für die Amerikaner und für die Übergangsregierung, weil sich die Radikalen auf beiden Seiten verbünden und damit natürlich die Möglichkeit haben, noch sehr viel mehr Schaden anzurichten, als es in den letzten Wochen und Monaten schon geschehen ist.
Birke: Wird hier also eine unheilige Allianz zwischen schiitischen und sunnitischen radikalen Kräften geschmiedet?
Lüders: Es sieht so aus, als ob es in diese Richtung ginge und man muss ganz klar sagen, dass die Stimmung in der irakischen Bevölkerung nicht sehr positiv ist mit Blick auf die irakische Übergangsregierung. Sie gilt mehr und mehr als eine reine Marionettenregierung, die amerikanische Befehle ausführt. Es ist dabei gar nicht mal entscheidend, ob dieser Eindruck stimmt, aber er wird von den meisten Irakern geteilt und das ist eine sehr gefährliche Situation, dass wir eine Regierung haben in Bagdad, die mehr und mehr zu einer virtuellen Regierung wird, die zwar die Unterstützung der Amerikaner und von ganz kleinen Teilen der Bevölkerung hat, vor allem von den Kurden noch, aber der Rest der Bevölkerung denkt schon in eine andere Richtung und zwar zunehmend in Richtung eines islamischen Staates im Irak.
Birke: Das war der Nahostexperte Michaels Lüders zur Situation im Irak, recht herzlichen Dank für dieses Gespräch.