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"Schiller ist in der ganzen Stadt"

"Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Getreu ihrem Motto werden die heute beginnenden Schillertage in Mannheim "Spielertage" sein, verspricht die Generalintendantin des Mannheimer Nationaltheaters, Regula Gerber. Schillers Texte böten immer wieder eine überraschende Sicht auf die heutige Welt. Und das Theater habe bis heute eine Kraft und Authentizität wie kein anderes Medium, so Gerber.

Regula Gerber im Gespräch mit Christoph Heinemann | 19.06.2009
    Christoph Heinemann: In Mannheim heißt es also ab heute "alles Schiller" und am Telefon ist Regula Gerber, die Generalintendantin des Nationaltheaters. Guten Morgen!

    Regula Gerber: Guten Morgen.

    Heinemann: Frau Gerber, internationale Schillertage. "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Dies ist der Wahlspruch dieser Veranstaltung. Was will uns dieses Zitat sagen?

    Gerber: Ich glaube, es geht darum, dass Schiller ja die These entwickelt hat, dass der Mensch sich eigentlich seiner selbst und vor allem seiner ganzen Widersprüchlichkeit am besten oder fast nur im Spiel bewusst wird, und zwar in allen vielfältigen Formen des Spiels, und dass er vielleicht seine Widersprüchlichkeit auch im Spiel überwinden kann. Deswegen haben wir ja auch dieses Plakatmotiv gewählt, was viele auch etwas schlucken lässt, aber wir zeigen dieses frisch geborene Kind, was ja von uns eigentlich immer verbunden wird nur mit Poesie und Schönheit, aber es hat eben auch den ganz natürlichen Schleim der Geburt an sich und sieht auf den ersten Blick auch fast ein bisschen hässlich aus, obwohl wir wissen, dass es schön ist. Wir versuchen damit, diese Widersprüchlichkeit auch zu wissen, in unserer ganzen Existenzform als Mensch steckt sie schließlich drin, das heißt im Spiel nicht nur als Lieblichkeit, als Amüsement, sondern Spiel eben auch als Bewusstwerdung über eigene Existenz. Für uns sind die internationalen Schillertage im 15. Jahr auch fast, könnte man formulieren, internationale Spielertage, denn wir widmen uns dem ästhetischen Spiel in ganz vielfältiger Form. Wir gehen in die Stadt hinein, wir lassen auch zum Beispiel die Menschen in Mannheim selber zu Spielern werden, die selber die Regeln bestimmen können, sowohl auf wie neben der Bühne, und wir versuchen, sehr, sehr unterschiedliche kreative Bühnenhandschriften auf dem Theater zu zeigen und auch Gegen- oder Nebenpositionen aus der bildenden Kunst, der Performance und der Musik zu stellen, und es gibt übrigens auch eine eigene Währung: den Schiller, mit der sie dann bezahlen können.

    Heinemann: Was kann man dafür zum Beispiel bezahlen?

    Gerber: Zum Beispiel den Eintritt oder sie können tauschen.

    Heinemann: Über Schiller sind inzwischen nun Bibliotheken geschrieben. Seine Werke sind rauf und runter inszeniert. Welchem Zweck dienen internationale Schillertage?

    Gerber: Das ist natürlich mittlerweile eine große Tradition geworden. Schließlich ist Mannheim auch die Schiller-Bühne und das zu Recht. Hier sind ja auch die Räuber uraufgeführt worden. Schiller hat hier auch eine biografisch wichtige Station. Wir richten die Schillertage auch sehr international aus. Wir sind ein produzierendes Festival, anders als viele andere Festivals, die eigentlich schwerpunktmäßig einfach Gastspiele einladen. Wir haben letztes Mal sehr stark mit Südamerika zusammen, also mit südamerikanischen Truppen, produziert. Jetzt ist es zum Beispiel mit Caristo Pietro und seiner Barcelona-Truppe aus Spanien, mit Kathrin Wiedemann aus Kopenhagen. Wir vergeben viele Auftragsproduktionen. Das ist uns ganz wichtig, dass wir produzieren und dass wir wirklich die Internationalität auch im produzierenden Moment thematisieren und in den daraus sichtbar werdenden ganz verschiedenen Bühnenhandschriften.

    Heinemann: Internationalität, Frau Gerber. Internet, Handy, Fernsehen, Kino, heute werden Dramen in schnellen Bildern und beim Twittern sogar in 140 Zeichen erzählt. Wie inszeniert man vor dem Hintergrund dieser Informationsgewohnheiten Schinken - das ist nicht abwertend gemeint - Schinken wie "Maria Stuart" oder "Die Jungfrau von Orléans"?

    Gerber: Ich glaube, erst mal ist es wichtig, Theater braucht dem nicht hinterherzuhecheln und quasi nur noch im Internet stattzufinden, sondern Theater steht, glaube ich, dem gegenüber mit großartigen, ganz lebendigen Dingen, die über einen Grad an Authentizität verfügen, wie es einfach kein anderes Medium hat, die aber durchaus sich auch im Theater herauswagen können und die Schwellenängste, die natürlich auch vorhanden sind, auf vielfältige Weise überwinden kann, aber ich glaube, das Theater ist einfach, je mehr wir aus dritter Hand leben, umso stärker in seiner direkten Kraft, die es hat.

    Heinemann: Sie haben eben erwähnt, "Die Räuber" wurden 1782 in Mannheim uraufgeführt. Damals entfachte das Stück Jubelstürme vor allem unter dem jungen Publikum. Heute eher schwer vorstellbar, oder haben Sie es schon mal erlebt, dass man junge Menschen mit Schiller packen kann?

    Gerber: Ja, wir erleben das bei den Schillertagen eigentlich sehr stark immer wieder. Nun haben wir natürlich, was soll ich sagen, die Bevorzugung, dass wir ja lange Zeit davor herumreisen und wirklich die interessantesten Schiller-Sachen holen, und wir erleben immer wieder, oft auch zu unserem eigenen Erstaunen, welche enorme Sprengkraft in diesen Texten ist, gerade indem ja auch zeitgenössische Regisseure selber sich bewusst sind, dass diese Stücke als "Schinken" wahrgenommen werden können, wenn man sie nur von ihrer Sprachlast her zeigt. Man kann dem einen Grad an Lebendigkeit und ich glaube auch eine Sicht auf die heutige Welt geben, die wirklich überraschend ist und nach wie vor tolle Kraft hat.

    Heinemann: Probe aufs Exempel, Sicht auf die heutige Welt. Wie inszeniert man "Die Räuber" während des Sturms und Drangs einer internationalen Bankenkrise?

    Gerber: Ich glaube, Sie und ich sind uns einig, dass wir Inszenierungen vielleicht Gott sei Dank nicht am grünen Tisch entwerfen können, sondern dass sie Konzepte sind, ein langer Prozess eines Suchvorganges, und es wäre vielleicht ein bisschen banal, sie jetzt einfach vor die Tore der internationalen Finanzkrise zu stellen, aber wenn man sich lange damit beschäftigt, fände man sicher einen spannenden Angang dazu.

    Heinemann: Frau Gerber, man hört es kaum: Sie sind gebürtige Schweizerin. Darf ich daraus schließen, dass Ihnen Schillers "Wilhelm Tell" besonders am Herzen liegt?

    Gerber: Ich muss daran arbeiten, dass man wieder etwas deutlicher hört, dass ich Schweizerin bin. Das verwäscht sich mit der Zeit. - Gut, Wilhelm Tell ist für einen Schweizer natürlich bereits die Grundschulerfahrung. Wir sind mit diesem Mythos verbunden, mehr mit dem Mythos selbst und der Örtlichkeit des Mythos in der Schweiz als jetzt mit dem Schiller-Stück. Es wäre eine schwierige Frage heute. Der Aufstand des kleinen Mannes gegen die Obrigkeit ist sicher immer noch interessant. Man müsste mal überprüfen, inwieweit man ihn vielleicht rüberbuchstabieren könnte in eine gegenwärtige, auch sehr stark für die Menschen spürbare Ohnmacht als kleiner Mann vor einer großen neuen Unübersichtlichkeit.

    Heinemann: Das war das, was Sie eben mit der Sprengkraft meinten?

    Gerber: Sicher, sicher.

    Heinemann: Frau Gerber, Schiller hat zwar in Mannheim gelebt, aber Marbach und Weimar stehen geografisch für den Anfang und das Ende seines Lebens. Versucht Ihre Stadt, versucht Mannheim, das Theater, ein paar Strahlen dieses Sonnenhauptes auf sich zu ziehen?

    Gerber: Gut, Marbach und Weimar, das sehen wir nicht gegeneinander mit Mannheim, sondern sehr stark miteinander. In diesem Jahr sind mit Marbach zwei Koproduktionen mit am Start in den Schillertagen. Das Deutsche Literaturarchiv Marbach sendet Experten für unseren "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nichtwissen", übrigens eine sehr tolle Sache. 100 Experten aus Wissenschaft und Alltag beantworten Fragen zum Thema Spiel, unter anderem auch unser OB und andere Leute. Das wird sehr spannend. Und Yorgos Sapountzis macht in Marbach selbst mit Schülern am Schiller-Denkmal eine Performance, die er dann wiederum in Mannheim wiederholt. Und mit Weimar stehen wir in Kontakt für die nächsten Schillertage.

    Heinemann: Worauf freuen Sie sich vor allem?

    Gerber: Ich glaube, ich freue mich irgendwie auf diese große geistige Reise, dass man jeden Tag eine andere Farbe von Schiller erleben wird und jeden Tag, glaube ich, wirklich - und das ohne Werbeflunkerei - diese vorhandene Sprengkraft in diesem Theateralltag erleben wird. Und was eben schön ist: Mannheim lebt während der Schillertage wirklich mit Schiller. Schiller ist in der ganzen Stadt und es ist ein Festival, was einen von morgens bis Mitternacht nicht mehr loslässt.

    Heinemann: Wir wünschen Ihnen, dass Sie möglichst viele Gesslerhüte ausreißen werden können in den nächsten Tagen. Regula Gerber, die Generalintendantin des Nationaltheaters in Mannheim. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gerber: Danke auch, tschüss!