Christoph Heinemann: Ralph Brinkhaus hat es gestern bereits eingeräumt: Wenn die Unions-Bundestagsfraktion morgen zusammentritt, wird der Fraktionsvorsitzende einige Kolleginnen und Kollegen von der Sinnhaftigkeit des Grundrentenkompromisses überzeugen müssen. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD auf eine Prüfung der Bedürftigkeit geeinigt. Dies hat die SPD erfolgreich herausverhandelt. Übrig geblieben ist eine Überprüfung der Einkommensverhältnisse.
Am Telefon ist Jana Schimke. Sie ist Mitglied des Bundestagsausschusses Arbeit und Soziales, Wahlkreis Spreewald-Teltow-Lausitz eins und stellvertretende Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU. Guten Tag!
Jana Schimke: Guten Tag, Herr Heinemann.
Heinemann: Frau Schimke, welches Adjektiv verdient der Kompromiss?
Schimke: Schwierig, würde ich sagen. Schwierig zum derzeitigen Zeitpunkt.
Heinemann: Warum?
Schimke: Na ja, weil es kein guter Kompromiss ist. Es gibt einige Punkte, die reinverhandelt wurden, die auch Wunsch des Wirtschaftsflügels immer waren – ohne Frage -, zum Beispiel die Entlastung der Betriebsrentner von der Doppelverbeitragung. Auf der anderen Seite macht das ja die Grundrente nicht besser. Sie verfügt weiterhin über die zentralen Fehler und Schwächen, die sie schon immer in der ganzen Debatte hatte.
"Gefahr, einen Präzedenzfall zu schaffen"
Heinemann: Nämlich welche?
Schimke: Ja, vier Punkte sind das im Wesentlichen. Erstens: Es werden durch die Grundrente eigentlich neue Ungerechtigkeiten geschaffen, weil wir faktisch einen Renteneintritt mit 35 Beitragsjahren haben und alle anderen, die 45 Jahre gearbeitet haben, die mehr gearbeitet haben, leer ausgehen.
Es findet faktisch keine Vermögensprüfung statt. Damit besteht die Gefahr, dass Nicht-Bedürftige gefördert werden. Wir schaffen damit oder wir laufen Gefahr, damit einen Präzedenzfall auch für andere Sozialleistungen zu schaffen. Bedürftigkeit ist in Deutschland ja klar definiert und dazu zählt nun mal alles, was man hat. Und da wird hier eine große Ausnahme gemacht, die in der Tat auch Diskussionen in anderen Sozialbereichen hervorrufen kann. Die Einkommensprüfung halten wir nach wie vor für nicht administrierbar.
Es ist die Frage, wie soll die Rentenversicherung das schaffen, wie soll das zwischen Finanzamt und Rentenversicherung administriert werden, und letztendlich auch die Finanzierung ist nach meiner Einschätzung noch nicht geklärt.
"Gefahr zu fördern, wo Förderung nicht notwendig ist"
Heinemann: Frau Schimke, als Argument für die Bedürftigkeitsprüfung – fangen wir damit mal an – wird immer die Ehefrau eines gut verdienenden Mediziners genannt. Wie hoch schätzen Sie die Anzahl der künftigen Grundrenten beziehenden Zahnarztgattinnen ein?
Schimke: Das kann man nicht sagen. Das wussten wir bei der Rente mit 63 auch nicht. Es gibt immer eine Prognose. Es gibt immer eine Schätzung vom Ministerium und von diversen Forschungsinstituten. Die gehen mitunter erheblich auseinander. Die Realität zeigt es dann am Ende, wenn das Gesetz gemacht ist und man dann tatsächlich die Fallstricke sieht.
Heinemann: Also ist die Zahnarztgattin eine Schimäre?
Schimke: Nein, nicht unbedingt. Das sind sicherlich Konstellationen, die auch eintreten können, aber nicht nur die Zahnarztgattin. Es gibt unglaublich viele Lebensentwürfe, die man möglicherweise in so einem Gesetzgebungsverfahren noch gar nicht abschätzen kann. Und deswegen haben wir ja so ein ausgeklügeltes Sozialversicherungsrecht, wo wir sagen, wir haben hier diverse Stellschrauben, wo wir sicherstellen, dass wirklich auch Bedürftigkeit unterstützt wird. Indem wir hier so viel Freiraum lassen, laufen wir wirklich Gefahr zu fördern, wo Förderung nicht notwendig ist.
Heinemann: Aber den Missbrauch oder den möglichen Missbrauch können Sie überhaupt nicht beziffern.
Schimke: Im Moment noch nicht. Das kann niemand, wohl gemerkt. Das kann niemand, auch nicht der Arbeitsminister.
Heinemann: Damit wurde ja ständig gedroht.
"Bisheriges Sicherungsnetz hat sich immer bewährt"
Schimke: Ja, weil es eine realistische Gefahr ist. Das ist eine realistische Gefahr, weil wir wissen, wie Lebensentwürfe aussehen können. Und nur weil wir sie nicht de facto beziffern können, heißt das doch nicht, dass es sie nicht gibt. Unser bisheriges Sicherungsnetz, das wir haben, das gesamte Regelwerk, das wir haben, war gut und richtig und hat sich immer bewährt, und ich finde es sehr, sehr schade und problematisch, dass wir jetzt davon abweichen.
Heinemann: Frau Schimke, die Koalition hat jüngst Prämien für den Kauf von Elektroautos beschlossen, auch für sehr teure Marken. Wie begründen Sie diese Subventionen für Besserverdienende ohne jede Bedürftigkeitsprüfung?
Schimke: Ja – manchmal ist der politische Wille der, dass am Ende solche Entscheidungen zustandekommen. In der Tat: Man kann die Frage immer aufwerfen, wo setzen wir politische Prioritäten, wo wollen wir investieren, wo wollen wir es nicht. Ich habe ja nichts gegen Investitionen. Ich habe auch nichts gegen Subventionen und Unterstützung. Aber man muss am Ende sich schon entscheiden, was möchte man, und man kann nicht alles leisten. Es gilt, Prioritäten zu setzen.
Heinemann: Und die Priorität sieht so aus bei der CDU: Wer hat, dem wird gegeben; wer wenig hat, soll als Bittsteller vorsprechen. Ist das christdemokratisch?
Schimke: Nein, auf keinen Fall. Christdemokratisch ist, dass derjenige, der nichts hat, dass dem auch geholfen wird. Das war immer so, das ist auch noch so. Wir müssen nur stärker darum kämpfen, weil natürlich die politischen Rahmenbedingungen, unsere politischen Mitbewerber es uns auch nicht leicht machen, und unser Koalitionspartner schon gar nicht.
"Finanzierung beruht auf Willensbekundungen"
Heinemann: Frau Schimke, wann wird die Finanztransaktionssteuer in Kraft treten?
Schimke: Ja, das ist eine gute Frage. Das frage ich mich, ehrlich gesagt, auch. Es dürfte schwierig werden. Wir haben ja bei diesem Instrument das Einstimmigkeitsprinzip in der Europäischen Union. Bisher sah es nicht danach aus, dass die Staaten sich darauf verständigen können, und ich wüsste nicht, warum das jetzt innerhalb des nächsten Jahres geschehen sollte. Also ein großes Fragezeichen.
Heinemann: Das heißt, die Grundrente ist überhaupt nicht finanziert, denn dazu sollte ja die Finanztransaktionssteuer dienen?
Schimke: Ja, ja! Die Finanzierung beruht ja auf Willensbekundungen. Das sind ja Instrumente, die es noch nicht gibt. Und ob es die geben wird, das kann zum derzeitigen Zeitpunkt niemand sagen. Zumindest nach meiner Einschätzung, was ich höre, wüsste ich nicht, warum jetzt auf einmal innerhalb der Europäischen Union der gemeinschaftliche Wille da sein sollte, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, wo er bisher nicht vorhanden war. Weil wir in Deutschland die Grundrente einführen? – Ich glaube, nicht.
Heinemann: Heißt, Stand heute: Die Grundrente ist nicht finanziert?
Schimke: Nach meiner Einschätzung nicht. Nein!
Heinemann: Die Finanztransaktionssteuer, wenn sie denn käme, würden ja vor allem Kleinanleger zahlen, die an der Börse ihre Alterssicherung aufbessern möchten.
Schimke: Ja.
Heinemann: Warum sollen ausgerechnet diese Leute die Grundrente finanzieren?
Schimke: Das frage ich mich auch. Vielleicht bin ich da nicht die richtige Ansprechpartnerin für Sie, wenn Sie jemanden suchen, der das verteidigt. Ich halte das ebenfalls für sehr kritisch. Wir müssen schon wissen, was wir wollen, und wenn wir Kleinanleger unterstützen wollen und wenn wir private Vorsorge unterstützen wollen, dann darf natürlich den Leuten nicht zusätzlich in die Tasche gegriffen werden. Das ist doch klar!
Heinemann: Frau Schimke, sind Sie in der richtigen Partei?
Schimke: Ich denke, schon. Auf jeden Fall! Mit voller Überzeugung!
Zustimmung nur bei "wirklicher Bedürftigkeitsprüfung"
Heinemann: Hat sich die CDU-Vorsitzende, hat sich Frau Kramp-Karrenbauer bei dem Thema über den Tisch ziehen lassen?
Schimke: Es saß ja nicht nur Frau Kramp-Karrenbauer am Tisch; es saßen ja viele Kollegen am Tisch. Ich war selbst bei den Verhandlungen nicht dabei. Ich hätte mir selbst ein anderes Verhandlungsergebnis gewünscht. Allerdings das, was dort vereinbart wurde, ist ja noch nicht beschlossen und zum Glück gibt es ein Parlament mit vielen Fachpolitikern, die noch mal eine ganz andere Brille aufhaben, die sich auch in die Diskussion einbringen werden und die natürlich auch ihre Stimme haben dann bei der Abstimmung im Parlament. Und ich denke, da ist noch viel Gesprächsbedarf.
Heinemann: Wie kann Ralph Brinkhaus, der CDU/CSU-Fraktionschef, Sie morgen überzeugen?
Schimke: Das weiß ich nicht. – Das weiß ich nicht. – Ich bin Fachpolitikerin, ich habe mich mit der Grundrente auseinandergesetzt. Ich kenne natürlich auch die Eckpfeiler unseres sozialen Sicherungsnetzes und ich habe die Grundrente schon immer kritisch gesehen und ich wüsste nicht, was dazu führen sollte, dem am Ende zuzustimmen. Es sei denn, es gäbe eine wahre wirkliche Bedürftigkeitsprüfung. Das wäre ein anderer Grund.
Heinemann: Sehen Sie da noch eine Chance?
Schimke: Warum nicht! Natürlich! Wenn man Diskussion, wenn man Debatte zulässt, wenn man bereit ist, Kritik auch entgegenzunehmen, Kompromisse auch zu machen - das gilt natürlich auch für unseren Koalitionspartner, vornehmlich für den -, dann wüsste ich nicht, warum man das nicht machen sollte.
Heinemann: Herr Brinkhaus hat jetzt gesagt, dass man auch Maßnahmen für die Wirtschaft beschlossen habe, wie etwa die Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung sowie einen Fonds für Wachstumsunternehmen. Wiegt das die Nachteile, die Sie beschrieben haben bei der Grundrente, auf?
Schimke: Zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht, weil wir gar nicht wissen, was Gegenstand dieses Wachstumsfonds sein soll. Wer wird davon profitieren? Wie ist das finanziert? Das ist alles völlig offen.
Zum Arbeitslosenbeitrag muss ich sagen: Die Arbeitslosenversicherung hat 26 Milliarden Euro Rücklagen. Wir machen jetzt 0,1 Prozentpunkte Entlastung. Das entspricht bei einem Einkommen von etwa 3.000 Euro einer Entlastung von 1,50 Euro. Das kann nicht ernst gemeint sein.
Heinemann: Richtig begeistert sind Sie nicht. Rechnen Sie für morgen mit einer stürmischen Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion?
Schimke: Wir sind sachlich. Wir führen Diskussionen und Debatten immer sachlich und immer am Thema orientiert und immer vor allen Dingen auch mit einer Lösung im Blick. Und ich denke, da wird sicherlich morgen intensiv diskutiert werden, aber immer auf der Grundlage einer sachlichen Auseinandersetzung. Natürlich!
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