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Bartsch (Linke) zur Grundrente
"Es darf keine Respektlosrente werden"

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat der großen Koalition in der Diskussion um die Grundrente Handlungsunfähigkeit vorgeworfen. Union und SPD würden sich lächerlich machen, es hätte längst ein Beschluss vorgelegt werden müssen, sagte Bartsch im Dlf.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.11.2019
Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke, spricht bei der Generaldebatte im Deutschen Bundestag.
Hier hätte man lange agieren müssen, sagte Dietmar Bartsch im Dlf (dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld )
Dirk-Oliver Heckmann: Deutschland ist ja ein reiches Land, aber wahrlich nicht für jeden. Hierzulande leben Hunderttausende, die jahrzehntelang gearbeitet und in die Rente eingezahlt haben, im Alter aber trotzdem aufs Sozialamt müssen. Betroffen sind hier vor allem Frauen, viele davon im Osten. Auf Betreiben der SPD hat sich die schwarz-rote Koalition bereits im Koalitionsvertrag auf eine Grundrente geeinigt, die zehn Prozent höher ausfallen soll als die Grundsicherung. Seither aber haben sich Union und SPD verhakt – vor allem bei der Frage, ob die Bedürftigkeit geprüft werden soll oder nicht. Die Union besteht darauf; die SPD ist strikt dagegen. Heute sollte der Koalitionsausschuss in der Sache zusammenkommen, aber daraus wird nichts, denn das Treffen ist verschoben worden.
Am Telefon ist jetzt Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Bartsch.
Dietmar Bartsch: Guten Morgen! – Ich grüße Sie.
Heckmann: Union und SPD verschieben das entscheidende Treffen des Koalitionsausschusses. Zeigt das, die beiden Koalitionspartner kommen auf diesem Feld nicht mehr zusammen?
Bartsch: Ehrlich gesagt, die machen sich hier wirklich lächerlich und produzieren damit Politikverdrossenheit. Man muss mal daran erinnern: Hubertus Heil hat im Februar diesen Jahres das angekündigt. Dann wurde es vor der Europawahl untersetzt und jetzt wird auf einmal festgestellt, dass es noch offene Fragen gibt. Hier ist wiederum ein Zeichen, dass sich die beiden Wahlverlierer der letzten Bundestagswahl aneinanderketten, dass sie jetzt versuchen, die Halbzeitbilanz jeweils so hinzukriegen, dass es weitergeht. Ich bin da zutiefst unzufrieden. Es ist wirklich so, dass ich nur noch sagen kann, die mögen das Land von dieser Koalition erlösen.
"Man hätte lange agieren müssen"
Heckmann: Wenig überraschend, dass Sie das als Oppositionspolitiker sagen. Aber man scheint ja, doch relativ nahe dran zu sein. Ein CDU-Sprecher hat ja gestern gesagt, es seien noch einige Punkte offen, die geklärt werden müssen. Das sagt auch die SPD. Was ist denn falsch daran, die dann noch in Ruhe zu klären?
Bartsch: Entschuldigen Sie! Im Februar – ich wiederhole das. Das sind jetzt neun Monate her. Man hätte das lange klären können und müssen.
Heckmann: Ist ja auch ein großes Projekt!
Bartsch: Auch das ist völlig in Ordnung. Aber das steht schon im Koalitionsvertrag. Der ist jetzt zwei Jahre alt. Entschuldigen Sie! Hier hätte man lange agieren müssen.
Ich habe damals, als Hubertus Heil das gesagt hat, gesagt: Jawohl! Das ist endlich mal ein Projekt, wahrscheinlich das einzige dieser Koalition, was mal etwas über die normale Verwaltung hinausgeht. Ja, eine Grundrente ist vernünftig für Menschen, die lange gearbeitet haben. Dann hätte man darüber streiten können, ob das nach 35 Jahren ist oder, wie wir fordern, nach 25 Jahren. Aber dass man jetzt dieses Hin und Her hat, dass man das dann verbindet auf einmal mit Unternehmenssteuersenkung und und und, das hat doch nichts mehr mit Politik zu tun. Wenn man ein solches Projekt hat, dann muss man natürlich auch in der Sache streiten, aber dann etwas vorlegen. Diese Handlungsunfähigkeit, die lähmt inzwischen unser Land.
"Die armen Zahnarztgattinnen tun mir auch fast leid"
Heckmann: Wir werden mal sehen, was am Sonntag vorgelegt wird, und ob was vorgelegt wird, das ist jetzt noch nicht gesagt. Das Ganze hängt ja vor allem an der Frage, ob es eine Bedürftigkeitsprüfung geben soll oder nicht. Die SPD ist strikt dagegen, die Union dafür. Argument: Es könne nicht sein, dass die Friseurin in Ostdeutschland der Zahnarztgattin im Westen ein Zubrot bezahlt, das sie gar nicht braucht. Das müsse doch, Herr Bartsch, ganz in Ihrem Sinne sein, oder?
Bartsch: Wissen Sie, in meinem Sinne wäre, dass wir überhaupt nicht so eine Grundrente brauchen, dass wir endlich was gegen den Niedriglohnsektor tun, dass wir den Mindestlohn deutlich anheben, das Rentenniveau steigern. Wir fordern im Übrigen eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente von 1.050 Euro.
Aber um das mal klar zu sagen: Das was jetzt läuft und was die Union macht, das endet am Ende in einer Respektlosrente. Da bleiben dann nur noch 130.000 Betroffene. Das sollte ein großes Projekt sein. Und ehrlich gesagt: Wer nach so vielen Jahren im Alter dann in diese Region fällt, dem muss geholfen werden. Das ist staatliche Aufgabe. Und dieses nach vorne geschobene, als wenn jetzt die, die für die Solidarität stehen – die armen Zahnarztgattinnen tun mir auch fast leid -, dass die jetzt immer herhalten müssen, ich finde das falsch.
"Das ist auch eine Frage von Gerechtigkeit"
!Heckmann:!! Sie sind dafür, dass die Zahnarztgattin dann eine Grundrente bekommt, die sie gar nicht braucht und die dann finanziert wird von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Ostdeutschland, die selber wenig Geld haben?
Bartsch: Ich bin dagegen. Wie soll denn eigentlich die Bedürftigkeitsprüfung gehen? Da wird ja wiederum allgemein schwadroniert. Da wird über Vermögensprüfung und Ähnliches geredet. Im Übrigen: Wenn die Gattin dann vielleicht geschieden wird, dann hat die aber ein richtiges Problem. Auch das sollte man beachten. Also noch mal: Wenn diese Frau 35 Jahre gearbeitet hat und dann trotzdem keinen Anspruch hat, dann, finde ich, muss hier genauso geholfen werden. Das ist auch eine Frage von Gerechtigkeit.
Aber ehrlich gesagt: Man versucht hier jetzt, gerade seitens der Union, dass man sich hinstellt, dass man die Ärmsten der Armen schützt. Nein, was die Union vorhat, das wird dazu führen, dass nur ganz wenige betroffen sind. Mich würde mal interessieren, was denn Bedürftigkeitsprüfung, was denn Vermögensprüfung, was denn das konkret sein soll. Das ist doch der Punkt, wo ich seit Monaten warte. Was ist denn eigentlich gemeint.
Heckmann: Zu dem Punkt wollte ich gerade kommen, Herr Bartsch. Die SPD hat ja ganz offensichtlich durchgesetzt – nach dem, was am Freitag herausgedrungen ist aus den Verhandlungen -, dass nur noch das Einkommen geprüft wird und nicht alle Vermögenswerte wie beispielsweise Wohnungen oder Immobilien. Aus Ihrer Sicht müsste das doch ein Fortschritt sein, oder?
Bartsch: Na ja, wissen Sie, das ist ja nun ganz schräg, wenn ausgerechnet die großen Vermögen nicht geprüft werden sollten. Ehrlich gesagt, ich finde das alles keinen vernünftigen Kompromiss.
Einkommen und Vermögen prüfen
Heckmann: Das heißt, dann sind Sie eigentlich doch für eine Prüfung?
Bartsch: Nein! Nach unserem Modell, aber das ist ein anderes. Ich wiederhole: Da geht es um eine solidarische Mindestrente von 1.050 Euro. Ja, da wollen wir Einkommen und Vermögen prüfen. Das ist aber ein gänzlich anderes Modell. Mit diesem Modell, muss ich noch mal sagen, bewegt man sich in der Hartz-IV-Logik. Das ist die Agenda-2010-Logik, dass man über die Prüfungen die Leute letztlich in Armut behält. Da kommt am Ende so wenig raus, nach dem Modell, was die Union will, dann kann man es auch fast lassen.
Heckmann: Aber ist es nicht normal, Herr Bartsch, wenn Steuermittel, Abgaben verwendet werden, öffentliche Mittel, dass dann auch der Staat prüft, ob das wirklich gebraucht wird?
Bartsch: Wissen Sie, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Wie ist das denn eigentlich bei der Mütterrente gewesen? Haben wir da eine Prüfung gehabt? Haben wir auch nicht gehabt. Wissen Sie, das wird immer nach Bedarf seitens der Union gemacht, und ich sage ganz klar: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, der darf nicht in Armut fallen. Darum geht es! Es geht um die Menschen, die in Armut fallen. Das müssen wir verhindern und deswegen ganz klar: Es darf keine Respektlosrente werden. Die SPD ist hier gefordert, klare Haltung zu zeigen und sich nicht auf diesen Quatsch der Union einzulassen.
"Zweifele an den Vorschlägen von Jens Spahn"
Heckmann: Herr Bartsch, Gesundheitsminister Jens Spahn ist ja Mitglied dieser Arbeitsgruppe und hat am Wochenende klargemacht, geeinigt ist noch gar nichts. Das ist ja auch der Grund, warum das Treffen heute Abend verschoben worden ist. Und er hat Bedingungen genannt, unter anderem konkrete Maßnahmen für mehr Wirtschaftswachstum. Will heißen, eine Steuersenkung für Unternehmen, denn eine wettbewerbsfähige Wirtschaft sei ja nun mal Voraussetzung für jede Rente. Hört sich logisch an, oder?
Bartsch: Wer ist gegen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft? Niemand! Aber ob die Vorschläge von Herrn Spahn dann die richtigen sind, das bezweifele ich. Das ist ein anderes Thema. Hier wird versucht, etwas miteinander zu verbinden, was gar nicht zusammen gehört.
Heckmann: Kompromisse gehören zum Geschäft, oder?
Bartsch: Natürlich gehören Kompromisse zum Geschäft. Aber die Grundrente hat einen Ansatz und sie ist zunächst mal losgelöst. Dass man jetzt versucht, das ganze Projekt zu behindern, das hat doch im Kern nur mit dem Zustand dieser Koalition zu tun. Es gibt in der Union diejenigen, die nicht daran glauben, dass es weitergeht nach dem SPD-Parteitag, und die sagen sich, warum sollen wir jetzt so ein Geschenk machen. Ich finde, diese taktischen Spielereien von Parteien dürfen nicht auf dem Rücken von Menschen, die das dringend brauchen, ausgetragen werden. All diese Vorschläge – wissen Sie, ich bin auch in der Politik und kann Ihnen wunderbare Formulierungen anbieten, wo jeder sagt, das stimmt, aber darum geht es hier nicht. Es geht hier um eine Gruppe von Menschen, denen endlich geholfen werden sollte, und deswegen finde ich es unverantwortlich und sie zeigen, dass sie handlungsunfähig sind. Das ist nicht gut für unser Land.
Heckmann: Im Dezember soll ja ein SPD-Parteitag über die Fortsetzung der Koalition entscheiden. Was denken Sie? Wie wird sich die SPD entscheiden, auch angesichts der miesen Wahlergebnisse?
Bartsch: Da stellen Sie mir eine Frage, die ich leider nicht beantworten kann. Das ist Kaffeesatzleserei. Ich glaube, dass das auch in der SPD niemand einschätzen kann. Was ich mir allerdings wünsche ist, dass dieser desolate Zustand bei den Sozialdemokraten beendet wird. Wir brauchen endlich eine Alternative auch regierungspolitisch, jenseits der Union, damit derartige Dinge wie die Grundrente, aber auch andere mal in Konsequenz fortschrittlich und dann auch nachhaltig umgesetzt werden.
Folge eines vergifteten gesellschaftlichen Klimas
Heckmann: Herr Bartsch, wir haben jetzt intensiv über den Zustand der Koalition und die Grundrente gesprochen. Ich möchte Sie noch auf ein anderes Thema ansprechen, nämlich die Morddrohungen gegen Cem Özdemir und Claudia Roth am Wochenende. Was schließen Sie aus dieser Entwicklung?
Bartsch: Ja, das ist alles ganz furchtbar, und ich verurteile natürlich solche Morddrohungen, egal an wen sie gehen, auf das Schärfste. Wir müssen allerdings auch festhalten, dass sie Folge eines vergifteten gesellschaftlichen Klimas sind und auch des jahrelang vernachlässigten Kampfes gegen rechts. Ich freue mich, dass jetzt auf Seiten des Innenministers in Konsequenz gehandelt werden muss. Hier muss der Rechtsstaat mit seinen Möglichkeiten aktiv werden. Deswegen klare Solidarität mit allen denjenigen, die Morddrohungen erhalten. Das ist leider, leider, leider ein Standard geworden und viele von uns wissen, was das bedeutet. Häufig sind dann die Angehörigen und Leute im Umfeld mehr betroffen und mehr ängstlich als man selbst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.