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Arbeitgeber zu Grundrenten-Vorschlag
"Vorschlag von Herrn Heil schafft neue Ungerechtigkeiten"

Teuer, wenig zielgenau und mit neuen Ungerechtigkeiten: Das von der SPD vorgeschlagene Modell einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung lehnt BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kategorisch ab. Die soziale Absicherung des Alters sei nicht allein Aufgabe des Rentensystems, sagte er im Dlf.

Steffen Kampeter im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Das Grundprinzip der Rentenversicherung dürfe nicht aufgehoben werden, der Beitragsbezug müsse erhalten bleiben, forderte Kampeter im Dlf. (dpa / picture alliance / Britta Pedersen)
Stefan Heinlein: Wer arbeitet soll im Alter mehr haben als jemand, der sein Leben lang auf der faulen Haut lag. Dieser Grundsatz klingt logisch, doch die Realität ist nicht selten eine andere. Viele Geringverdiener rutschen trotz jahrelanger Erwerbstätigkeit im Alter unter die Armutsgrenze, bekommen nicht mehr als eine Grundsicherung und haben es entsprechend schwer, über die Runden zu kommen. Keine Bundesregierung hat es bislang geschafft, hier eine Lösung zum Thema Grundrente zu finden. Auch aktuell hakt es in der Koalition. SPD und Union konnten sich gestern erneut nicht einigen, wie die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Grundrente angepackt werden soll.
Am Telefon ist nun der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, Steffen Kampeter, bis 2016 für die CDU im Bundestag. Guten Morgen, Herr Kampeter.
Steffen Kampeter: Guten Morgen, Herr Heinlein.
Heinlein: Wie groß ist Ihr Druck, der Druck des BDA auf Ihre alten Parteifreunde von der Union, die Einführung der Grundrente auf die lange Bank zu schieben?
Kampeter: Na ja. Ich glaube, die Grundrente lenkt ein bisschen ab von den Problemen, die die Rentenversicherung tatsächlich hat. Als damals Müntefering festgestellt hat, dass die längere Lebensarbeitszeit zu Ungerechtigkeiten führt und nur die Beitragszahler bisher in die Pflicht genommen hat, hat er die Rente mit 67 eingeführt, um einen fairen Ausgleich der verschiedenen Generationen herbeizuführen. Dieser faire Ausgleich, nämlich dass die Rente nachhaltig und solide finanziert sein muss und dass man, wenn sich Veränderungen im Lebenssystem abbilden, dass man das auch in der Rente wiederfinden muss, davon lenkt die Grundrenten-Diskussion ein bisschen ab. Denn nach dem Alterssicherungsbericht der Bundesregierung sind bei der betroffenen Zielgruppe, 35 Jahre beschäftigt, lediglich ein Prozent der Rentnerinnen und Rentner tatsächlich von Altersarmut bedroht. Hier wird ein bisschen abgelenkt von den fundamentalen Problemen der Rentenversicherung: langfristige Finanzierbarkeit, faire Verteilung der Altersveränderung auf Beitragszahler und Rentenempfänger. Und es wird im Hinblick auf Landtagswahlen und Parteitage sehr viel Druck aufgemacht. Hier geht es nicht um Rentenpolitik; hier geht es um Wahlkampf.
"Systematik des Heil-Vorschlages schafft neue Ungerechtigkeiten"
Heinlein: Jetzt haben Sie Ihre grundsätzliche Sicht der Dinge erläutert, Herr Kampeter. Noch einmal meine Frage: Wie eng ist Ihr Draht zur CDU, um die BDA-Position, die Sie gerade erläutert haben, in den Bundestag, in die Koalition zu tragen?
Kampeter: Na ja. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat in der Rentenpolitik immer schon auf Seriosität gedrängt. Das hat mit meiner Person oder historischen Reminiszenzen wenig zu tun. Denn die Rentenversicherung hat ja – darauf haben Sie in Ihrem Wortbeitrag hingewiesen – jetzt schon einen hohen Steuerzuschuss aufgrund von politischen Einflussnahmen. Und das Prinzip, wer mehr Beitrag zahlt soll auch mehr Rente bekommen, wird ja durch die Vorschläge fundamental verändert. Da kann es sein, dass man lediglich teilzeitbeschäftigt ist und einen fast halb so großen Beitrag zur Rente eingezahlt hat, und man bekommt zum Schluss genauso viel Rente ausbezahlt nach der Systematik des Heil-Vorschlages wie jemand, der Vollzeit einen ähnlichen Zeitraum gearbeitet hat. Dieses Beispiel zeigt doch schon: Das, was da derzeit diskutiert wird, löst kein Gerechtigkeitsproblem. Es schafft neue Herausforderungen, neue Ungerechtigkeiten. Es ist teuer und wenig zielgenau.
ILLUSTRATION: Ein älterer Herr arbeitet in einem mittelständischen Unternehmen für Maschinenbauteile in Sigmaringen südlich von Stuttgart. An elderly man works in a middle-size company for the machine building industry in Sigmaringen south of Stuttgart. Arbeiten im Alter Illustration a Older Mr works in a Medium Companies for Machine components in Sigmaringen south from Stuttgart to Elderly Man Works in a Middle Size Company for The Machine Building Industry in Sigmaringen South of Stuttgart Work in Age
Kampeter beharrt auf dem Prinzip, wer mehr Beitrag zahlt soll auch mehr Rente bekommen. (imago / Andreas Prost)
Heinlein: Sie haben jetzt ein Prinzip erwähnt. Stimmen Sie denn dem Grundsatz zu, wer arbeitet, muss im Alter mehr haben als derjenige, der nie an der Werkbank stand? Stimmen Sie diesem Grundsatz zu?
"Steuerfinanzierte Sozialleistungen brauchen Bedürftigkeitsprüfung"
Kampeter: Der Grundsatz, den ich formuliert habe, bezieht sich auf das Rentensystem insgesamt. Wer Beitrag bezahlt hat und wer mehr Beitrag bezahlt hat, da soll derjenige, der mehr Beitrag bezahlt hat, im Ergebnis auch mehr Rente bekommen. Die Frage der sozialen Absicherung des Alters ist nicht allein Aufgabe des Rentensystems, sondern dafür haben wir die steuerfinanzierte Grundsicherung.
Da darf ich, Herr Heinlein, mir erlauben, Ihnen zu widersprechen. Bedürftigkeitsprüfungen in steuerfinanzierten Sozialleistungen sind nicht peinlich, wie Sie das in Ihrer Anmoderation gesagt haben, sondern notwendig. Denn wenn wir steuerfinanzierte Sozialleistungen an nicht Bedürftige auszahlen, dann würde das eine neue Gerechtigkeitslücke im Sozialsystem aufbauen, die viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Beitragszahler bei den Arbeitgebern eigentlich nicht nachvollziehen können, sondern wer vom Staat ohne Gegenleistung im Rahmen der notwendigen sozialen Unterstützung Geld erbittet, erfragt, und er ist bedürftig, dann soll er das gerne und nach klaren Kriterien bekommen. Aber wenn bei staatlichen steuerfinanzierten Sozialleistungen die Bedürftigkeitsprüfung wegfallen oder einschränken, sind Sie relativ nahe an einem bedingungslosen Grundeinkommen, und das wiederum lehnen, glaube ich, ja mehr als die Arbeitgeber, sondern breite Teile der Bevölkerung als unfair und leistungsfeindlich ab.
Heinlein: Können Sie mir kurz definieren, Herr Kampeter? Wer ist in Ihren Augen, aus Sicht der Arbeitgeber bedürftig und sollte Grundrente erhalten?
Kampeter: Dazu gibt es im Rahmen des Koalitionsvertrages einen klaren Vorschlag, der die steuerfinanzierten Systeme und die beitragsfinanzierten Systeme klar und unbürokratisch voneinander trennt. Wenn das der politische Wille ist, scheint mir das ein besseres System zu sein als das, was ich aus dem Arbeitsministerium höre, wo es im Kern ja nur darum geht, die Grundsicherung aufzustocken und von Bedürftigkeitsprüfungselementen zu befreien. Das hat nichts mehr mit Rente zu tun, sondern das ist ein völliges Durcheinander der sozialen Sicherungssysteme. Von daher, wenn Sie mich fragen, was auf dem Tisch liegt, was wir eher unterstützen würden, würde ich mit Bauchgrimmen das, was im Übrigen ja Union und SPD gemeinsam vereinbart haben im Koalitionsvertrag, mit der Bedürftigkeitsprüfung, stark steuerfinanziert, auch für akzeptabel halten.
"Keine Leistungen mit dem Gießkannenprinzip"
Heinlein: Nun will die SPD ja, dass jemand, der in seinem Leben wenig verdient hat, dann aber vielleicht am Ende ein kleines Häuschen, eine kleine Eigentumswohnung erbt, dennoch eine Grundrente bekommt, ohne dass er dann der Rentenkasse jeden Cent, jeden Vermögenswert auf den Tisch legen muss. Denn allein das Wort Bedürftigkeitsprüfung, da fühlen sich viele Menschen – auch da muss ich Ihnen widersprechen, Herr Kampeter – durchaus gedemütigt.
Kampeter: Noch mal, Herr Heinlein! Es geht hier doch nicht darum, dass ich die Lebensleistung von Menschen in irgendeiner Art und Weise diskreditieren möchte. Ich möchte nur sagen: Wenn wir ein beitragsfinanziertes System haben, dann läuft das nach dem Äquivalenzprinzip. Das heißt, wir zahlen dazu ein, und der, der wenig einzahlt, kriegt eine verhältnismäßig niedrige Rente im Verhältnis zu dem, der höher einzahlt. Der Staat kann darin eingreifen, bestimmte Korrekturen machen, und finanziert sie über Steuern.
Wenn wir in einem System sind, wo Sie eine staatliche Leistung erhalten wollen, für die die Gemeinschaft der Steuerzahler bezahlt, das heißt, Sie machen eine Umverteilung von denjenigen, die Steuern zahlen, zu denjenigen, die staatliche Leistungen erhalten, dann ist die Frage, ist das zielgerecht, braucht diese staatliche Leistung die entsprechende Person, nicht peinlich, sondern sachgerecht. Denn ansonsten würden Sie staatliche Leistungen nach der Gießkanne machen.
Wenn Sie das Baukindergeld beantragen, dann wird Ihre Bedürftigkeit geprüft. Die Steuererklärung ist nichts anderes als eine Bedürftigkeitsprüfung, wo ihre Leistungsfähigkeit ermittelt wird und wo Ihnen dann aufgrund Ihrer Leistungsfähigkeit Steuern abgezogen werden. Wenn Sie eine Förderung bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die einkommensabhängig ist, beantragen, dann wird Ihnen die sogenannte Bedürftigkeitsüberprüfung gemacht. Ich muss wirklich mal widersprechen, dass unser Sozialstaat ohne die Prüfung von zielgenauem Einsatz von Steuermitteln überhaupt leistungsfähig ist und überhaupt gerecht sein kann. Die Bedürftigkeitsprüfung mag sprachlich eine dämliche Formulierung sein. In der Sache ist sie aber notwendig und zutreffend.
"Vorschlag von Herrn Heil schafft neue Ungerechtigkeiten"
Heinlein: Herr Kampeter, lassen Sie mich noch mal kurz eine Frage zum Stichwort Gerechtigkeit stellen. Das Problem, das die SPD ja sieht, ist, wenn jemand nie in seinem Leben gearbeitet hat, dann bekommt er am Ende eine Grundsicherung von 800 Euro. Und jemand, der sein Leben lang für wenig Geld, als Geringverdiener gearbeitet hat, vielleicht an der Supermarktkasse oder als Friseurin, erhält dann eine ähnliche Rente oder vielleicht sogar darunter. Das ist das Problem, Stichwort Gerechtigkeit, das die SPD sieht.
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, sitzt zu Beginn einer Kabinettssitzung am 22.05.2019 im Bundeskanzleramt. 
Kampeter ist unzufrieden mit dem Vorschlag von Hubertus Heil (SPD) (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
Kampeter: Ja, und dafür hat der Koalitionsvertrag auch einen, wie ich finde, finanzierbaren und vernünftigen Vorschlag gemacht. Der Vorschlag von Herrn Heil schafft neue Ungerechtigkeiten. Ich habe ja darauf hingewiesen, wenn Sie knapp unterhalb der Grenze Vollzeit arbeiten und knapp oberhalb der Grenze Teilzeit arbeiten, kriegen Sie eine ähnliche Rente. Wenn Sie das als gerecht empfinden, dass jemand, der nur halb so viel Rente einbezahlt hat, plötzlich genauso viel kriegt wie der, dem über sein Leben lang die doppelten Rentenversicherungsbeiträge abgezogen werden, dann sehen Sie, dass der Vorschlag, der aus dem Haus des Bundesarbeitsministers kommt, keine Gerechtigkeitslücke schließt, sondern schafft. Auch die abgespeckten Bedürftigkeitsprüfungen, die da derzeit diskutiert werden, nur das Einkommen zu berücksichtigen, sind doch unsystematisch und unklar.
Beispielsweise wenn Sie eine Betriebsrente bekommen, wird die angerechnet, und wenn Sie sich eine Lebensversicherung oder dergleichen am Anfang auszahlen lassen, wird das als Vermögen nicht angerechnet. Sie sehen: Wenn Sie da anfangen, im Großen und Ganzen die große Gießkanne auszuschütten, dann schaffen Sie nicht mehr Gerechtigkeit, sondern behaupten, unter dem Deckmantel der Einzelfallgerechtigkeit geben Sie viel Geld aus, bis zu sechs Milliarden, Finanzierung unklar, und schaffen erhebliche neue Ungerechtigkeiten, weil Sie das Grundprinzip der Rentenversicherung aufheben und der Beitragsbezug geht verloren. Herzlich willkommen, das wird viel Ärger schaffen.
"Höhere Lebenserwartung schafft neue Herausforderungen"
Heinlein: Für viel Ärger, Herr Kampeter, sorgt auch ein Vorschlag der Bundesbank in dieser Woche. Sie fordert oder überlegt, debattiert, das Rentenalter auf knapp 70 Jahre anzuheben. Der BDA hat in dieser Woche diesen Vorschlag unterstützt. Herr Kampeter, wie wollen Sie das einem Maurer, einem Dachdecker oder einem Straßenarbeiter erklären, der schon jetzt mit 50 die Knochen kaputt hat?
Kampeter: Lieber Herr Heinlein, ich glaube, dass Sie den Vorschlag der Bundesbank nur unvollständig wiedergeben. Die Bundesbank hat genau die gleichen Überlegungen vorgetragen wie damals Franz Müntefering. Was machen wir, wenn Leute 20 Jahre arbeiten und Beitrag zahlen, aber durch den erfreulichen medizinischen Fortschritt jedes Jahr länger Renten beziehen?
Heinlein: Aber ab 50 nicht mehr arbeiten können!
Kampeter: Das schafft eine Herausforderung. Deswegen, hat Müntefering gesagt, müssen wir da Fairness machen und da dieser medizinische Fortschritt weitergeht, hat die Bundesbank das weitergerechnet. Es ist keine Entscheidung, die heute ansteht, aber das Grundprinzip von Müntefering war damals richtig und Müntefering und die Bundesbank haben auch gemeinsam heute recht.
Wenn Sie mal die Diskussion über die Frühverrentung, Rente mit 63 sehen, werden Sie feststellen, dass das nicht die mühseligen und betroffenen, schwer handwerklich arbeitenden Menschen in Anspruch nehmen, sondern dass es andere Leute trifft. Die Behauptung, Rente mit 67 könne man nicht machen, weil es die körperliche Leistungsfähigkeit betrifft, da muss man andere Instrumente finden wie beispielsweise eine Gesundheitsvorsorge.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.