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Schlachtet die heiligen Kühe der Öko-Bewegung

In unserer Rubrik Kursiv haben wir im Advent Autorenempfehlungen gesammelt. Historiker Joachim Radkau, Autor von "Die Ära der Ökologie", empfiehlt das Werk seines ehemaligen Studenten Frank Uekötter, der eine stärkere weltweite Vernetzung der Umweltbewegung fordert.

Von Melanie Longerich | 12.12.2011
    "Mein Leben ist ein ständiger Kampf gegen das Chaos muss man ehrlich sagen. Und wenn ich hier rumlaufe stoße ich ständig irgendwelche Bücherstapel um."

    Joachim Radkau steigt in seinem Arbeitszimmer vorsichtig über Bücherstapel, schiebt dann auf seinem Schreibtisch einen Berg von Kopien beiseite und setzt sich auf die freigewordene Ecke. Noch einmal mit der rechten Hand durchs graue Haar gefahren, dann ist Radkau bereit für's Gespräch.

    "Ich bin von meinem Naturell her ein assoziativer Typ, kein systematischer Typ. Ich gehe so allen möglichen Ideen nach, die mir irgendwie so zufliegen durch die Luft, bestelle mir alle Tage neue Bücher."

    Doch die finden schon längst keinen Platz mehr in den Regalen. Auch die Garage ist voll, der Dachboden, der Keller. Deshalb stapelt der Bielefelder Historiker nun munter den blanken Holzfußboden im Arbeitszimmer seines alten Fachwerkhauses zu. Die drei Bücherstapel links vom Schreibtisch sind für die kommenden Auftritte, die daneben für Tagungen und die vor seinen Filzpantoffeln für die Beiträge in Sammelbänden, die bis Weihnachten fertig sein müssen.

    Joachim Radkau ist derzeit ein gefragter Mann. Im Februar erschien sein Buch "Die Ära der Ökologie", mit dem er eine imposante Weltgeschichte der Umweltbewegung vorlegte:

    "Das war für mich irgendwo auch so ein geistiger Verdauungsakt. Ich hatte seit Jahren, Jahrzehnten da so viel angesammelt auch so viele Notizen, irgendwelche Gespräche, irgendwelche Tagungen, manchmal vor Jahrzehnten. Und ich hatte das Gefühl, in meinem Hirn ist das so ein großes Kuddelmuddel geworden, was mich auch beunruhigt und verwirrt. Ich muss da mal eine Ordnung hineinbringen."

    Seit über 40 Jahren beschäftigt sich der Historiker mit ökologischen Themen: Er habilitierte über Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft, tritt seit Langem als ihr größter Kritiker auf. Doch so viel Resonanz wie diesmal gab es auf seine Arbeit bislang nie. Denn zwei Wochen nach der Veröffentlichung geschah das Reaktorunglück in Fukushima. Und Radkau, der unter Kollegen lange Zeit als "grüner Spinner" galt, fand auf einmal Gehör:

    "Natürlich war das Balsam auf meine Seele, obwohl mir der Rummel manchmal auch ein bisschen zu viel wurde, vor allem ich wurde dann immer wieder in Interviews gefragt, welche Prognosen ich für die Zukunft stellen könnte. Ich wurde so wie ein Prophet behandelt. Und wie die Energieversorgung in 20, 30 Jahren aussehen wird, weiß ich natürlich genauso wenig wie irgendein Mensch auf dieser Erde."

    Insgesamt ein aufregendes Jahr, sagt Joachim Radkau und greift auf seinem Schreibtisch nach seiner eigenen Ausgabe der "Ära der Ökologie".

    "Also es ist kein Tag vergangen, ohne dass ich noch irgendwelche Resonanzen kriegte oder auch neue Ideen für eine künftige Überarbeitung des Buches. Mein eigenes Handexemplar geht schon fast aus dem Leim. Ich hab da schon so viele Mails und Zeitungsartikel da eingeklebt. Dieser Strom von neuen Ideen dieses Jahr war schon toll."

    Joachim Radkau blättert durch sein Buch, und tatsächlich: Die Seitenränder sind schwarz vor Anmerkungen, zwischen den Seiten kleben Zeitungsartikel, ausgedruckte E-Mails von Lesern, mit Korrekturvorschlägen, Notizen zu Gesprächen, die er bei Lesungen führte. So sehen nicht nur seine eigenen Bücher aus, sagt er:

    "Ich schreib' mir ständig den Rand der Bücher voll, die ich lese. Deswegen bin ich auch immer sehr versessen darauf, mir die Bücher zu kaufen und nicht nur auszuleihen. Das ist immer sehr gefährlich, wenn ich mir Bücher ausleihe, dass ich dann aus Versehen auch den Rand vollschreibe. Wenn ich ein Buch lese, ist es irgendwie auch eine Unterhaltung mit dem Buch."

    Ein Buch, das Joachim Radkau in diesem Jahr mit großer Begeisterung gelesen hat: Das seines ehemaligen Studenten Frank Uekötter. Der promovierte bei Radkau, habilitierte unter dessen Mitwirkung und lehrt mittlerweile an der Uni München.

    "Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert" lautet der Titel - und stellt - so Radkau - das Gegenwerk zur "Ära der Ökologie" dar - mit dem Fokus auf Deutschland - trotz globalem Ansatz: Anders als sein Doktorvater fordert Uekötter eine stärkere weltweite Vernetzung der Umweltbewegung und deren Unabhängigkeit von staatlicher Finanzierung. Das sind zwei von Uekötters zwölf Thesen für eine erfolgreiche Umweltbewegung der Zukunft.

    Radkau hingegen will keine Zukunftsprognosen wagen, sagt er. Er habe über die Jahre gelernt, dass es schon schwierig sei, die Vergangenheit umfassend zu bewerten. Die Idee für beide Bücher entstand auf einem gemeinsamen Kongress an der Pekinger Universität vor sechs Jahren. Dort hatte Joachim Radkau sein erstes Konzept für sein eigenes Buch vorgestellt:

    "Und Frank, den hat es da gleich gekribbelt. Er hat da gleich ein Gegenpapier verfasst, was die Chinesen wohl etwas verwirrt hat, weil nach dem Ende der chinesischen Kulturrevolution das alte konfuzianische Lehrer-Schüler-Verhältnis dort wieder dominierte. Das war also ganz lustig."

    Seitdem streiten sich die beiden regelmäßig und leidenschaftlich:

    "Frank kritisiert, die Umweltbewegung wird oft zu langweilig dargestellt, immer dasselbe, immer die gleichen Floskeln. Sie muss mal wieder lebendiger, interessanter werden, neue Themen aufgreifen. Da würde ich sagen, da ist auf der einen Seite auch was dran, aber ich habe auch notiert: Gerade weil die großen Umweltprobleme nie endgültig gelöst werden, was übrigens Frank auch selber schreibt, stellen sie sich immer wieder neu."

    Und trotzdem: Der 68-Jährige schätzt die Provokationen seines 40-Jährigen Kollegen. Und dessen Forderung, die heiligen Kühe der Öko-Bewegung endlich zu schlachten. Gerade von dieser Kompromisslosigkeit habe er stark profitiert: Nämlich um aus den eigenen Denkschienen rauszukommen, sagt Joachim Radkau. Als Alt-Öko laufe man doch ständig Gefahr, Altherren-Allüren zu entwickeln. Dann blickt er auf die Uhr. Zeit für seinen gewohnten Spaziergang.

    "Da steck' ich mir immer einen Zettel und was zu schreiben ein. Die besten Ideen krieg' ich eigentlich immer beim Spazierengehen. Ich hab' es immer sehr bedauert, dass die alte Kultur des Spazierengehens heute fast völlig verschwunden ist."

    Während Radkau mit der einen Hand die Filzpantoffeln gegen feste Schuhe tauscht, fischt die andere nach dem Notizbuch. Das liegt ganz oben auf dem wohl wichtigsten Bücherstapel ganz nah bei der Tür. Den hat der Historiker für sein neues Buch getürmt: eine Biografie über Theodor Heuss soll es werden- der sei ja auch irgendwie ein Öko gewesen. Bis dahin will Joachim Radkau noch oft spazieren gehen. Denn ein paar Ideen kann er noch gebrauchen.

    Frank Uekötter: "Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert".
    Campus Verlag, 301 Seiten, 24,90 Euro, ISBN: 978-3-593-39533-3