Donnerstag, 28. März 2024

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Schlafstörungen
Wenn die Nacht zum Tag wird

Die Welt dreht sich schneller, für manche so schnell, dass sie aus dem Takt kommen. Tagsüber sind sie müde, nachts können sie nicht mehr schlafen: Ein- und Durchschlafstörungen nennen Schlafforscher das. In dem Schlafzentrum Pfalzklinik erhalten sie Hilfe.

Von Uschi Götz | 30.08.2017
    Ein Frau liegt im Bett und schaut mit müden Augen auf ihren Wecker.
    Aus Studien geht hervor: Die Zahl der Menschen mit Schlafstörungen steigt von Jahr zu Jahr (imago )
    "Wir haben zur Beschreibung des Schlafes und der Schlafqualität … leiten wir ein EEG ab, für die Hirnströme."
    Kurz nach 20 Uhr, ein älterer Herr wird von Kopf bis Fuß verkabelt. Wegen nächtlicher Atemprobleme ist er schon länger in Behandlung und kommt regelmäßig zur Kontrolle.
    Facharzt Dr. Hans-Günter Weeß leitet das Interdisziplinäre Schlafzentrum am Pfalzklinikum in Klingenmünster. Er zeigt auf kleine Elektroden im Gesicht des Patienten, an die gleich dünne Kabel angeschlossen werden:
    "Wir zeichnen die Augenbewegungen auf, dann zeichnen wir die Muskelanspannungen auf und mit diesen drei Biosignalen sind wir dann in der Lage, den Schlaf in seine Qualität zu beschrieben. Wir können sagen, ob jemand oberflächlich schläft, ob jemand tief schläft, ob er Wachphasen hat, das können wir bis auf die Sekunde genau bestimmen."
    Das Wort Schlaflabor passt nicht zur Stimmung auf der Station
    Auch der Luftfluss an Mund und Nase wird gemessen. Per Funk werden die Messergebnisse auf Monitore übertragen und am nächsten Morgen ausgewertet.
    Patient: "Es ist am Anfang unangenehm, muss man schon sagen."
    Weeß: "Aber grundsätzlich tun sich die meisten Patienten sehr rasch an diese 'Messaufnehmer' gewöhnen. Sie sehen, die sind nicht so groß, die sind klein, das sind feine Kabel."
    Der bisweilen verwendete Name Schlaflabor passt nicht zur Stimmung auf der Station. Im Schlafzentrum geht es zu wie in einem kleinen Hotel. Jeder bekommt ein Einzelzimmer, das durch jeweils zwei Türen schallgedämpft ist. Insgesamt 14 Betten stehen zur Verfügung.
    Schnarchende Patienten werden hier untersucht. Bei einigen Patienten wird eine Schlafapnoe entdeckt, kurze Atempausen in der Nacht. Auch Schichtarbeiter finden hier Hilfe. Doch vor allem sind es Menschen mit Ein-und Durschlafstörungen, die Hilfe bei Schlafforschern wie Hans-Günter Weeß suchen:
    "Wir haben viele viele Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen, da gibt es heute viele gute, neue Behandlungsansätze gerade für die Ein- und Durchschlafstörungen".
    Viele Patienten warten lange auf den Platz im Schlafzentrum
    Die Welt dreht sich schneller, für manche so schnell, dass sie aus dem Takt kommen. Tagsüber sind sie müde, nachts können sie nicht mehr schlafen. 24-Stunden Kitas, 24-Stunden Supermärkte, nächtliche Konferenzen mit Geschäftspartnern in anderen Zeitzonen. Die ständige Erreichbarkeit macht uns krank, schreibt Schlafforscher Weeß in seinem Buch: "Die schlaflose Gesellschaft":
    "Wir sehen diese Menschen, das sind häufig Führungskräfte, die rund um die Uhr aktiv sind, die nicht mehr abschalten können, die im Dauerstress leben. Führungskräfte in Politik und Wirtschaft. Und das sehe ich ein Stück weit mit Besorgnis, gerade weil es wider unserer Natur läuft."
    "So, guten Abend".
    Kurz vor 22 Uhr. Dr. Weeß schaut noch kurz bei einer Patientin vorbei. Wie viele Patienten mit Schlafstörungen, hat die Dame mittleren Alters einige Monate auf den Platz im Schlafzentrum gewartet. Heute geht sie mit großer Hoffnung auf Hilfe ins Bett.
    "Sie hat auch einen unerholsamen Schlaf und da sind wir uns noch gar nicht so schlüssig, an was das liegt. Sie hat eine hohe Tagesschläfrigkeit, Müdigkeit."
    Es gibt 50 Schlafstörungsformen, fast alle gut behandelbar
    Im Unterschied zu anderen Schlafzentren, ist das Pfalzklinikum nicht auf eine bestimmte Schlafstörung festgelegt, sondern geht mit einem interdisziplinären Ansatz vor, das heißt, viele Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen sind beteiligt:
    "Wir können ganzheitlich auf den Patienten schauen und ich meine, dass wir ihm so auch ehesten gerecht werden, wenn wir den neurologischen Blick haben, den psychiatrischen Blick, den psychologischen Blick, den internistischen Blick und dann auch im Team ein Stück weit konkurrieren, was denn die Ursachen tatsächlich sind."
    50 Schlafstörungsformen seien bekannt, und nahezu alle könne man gut behandeln, macht Experte Weeß Hoffnung.
    Zwei Uhr nachts. Zwei medizinische Fachkräfte sitzen in einem großen Stationszimmer, Technikraum genannt, und schauen konzertiert auf ein Dutzend Monitore. Auf den Bildschirmen laufen die Messergebnisse aus den einzelnen Patientenzimmern ein:
    "Wir sehen jetzt auf allen Monitoren, wie die einzelnen Patienten schlafen. Wir sehen bei einem, dass er noch wach ist, beim anderen können wir erkennen, dass er sich im Tiefschlaf befindet."
    Die Frühschicht wertet die nächtlichen Aufzeichnungen aus
    Für einige Patienten gehen die Untersuchungen am Tag weiter:
    "Das heißt, wir müssen wissen, wie wirkt sie sich aus die Schlafstörung, auf die Aufmerksamkeit, auf die Konzentration, auf die Gedächtnisleistung."
    Die Frühschicht wertet die nächtlichen Aufzeichnungen aller Patienten aus. Die Ergebnisse werden auf der Visite mit jedem Patienten einzeln besprochen. Bei stressbedingten Ein- und Durschlafstörungen steht am Ende der Diagnostik häufig die Empfehlung, eine Verhaltenstherapie zu machen:
    "Das wissen wir heute, dass diese Methoden sehr effektiv sind, dass sie der klassischen Therapie mit Schlafmitteln überlegen sind. Akut nicht gleich, wir brauchen die Schlafmittel für schwere, akute Fälle sicherlich noch weiterhin, da sind sie gut und sinnvoll eingesetzt. Aber diese Langzeiteinnahmen, diese Gewöhnung, Abhängigkeit auf Rezept, der gilt es zu begegnen."
    Hellhörigkeit zahlte sich aus
    Studien haben gezeigt, dass die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie gerade bei stressbedingten Schlafstörungen sehr gut wirkt. Bereits wenige Sitzungsstunden zeigten selbst in hartnäckigen Fällen schnell Erfolg:
    "Einen wunderschönen guten Morgen. Wie war denn Ihre Nacht für Sie subjektiv?" Patientin: "Schlechter als normalerweise."
    Sagt die Dame mittleren Alters, die mit so viel Hoffnung ins Bett gegangen ist. Doch Weeß beruhigt:
    "Dass man hier schlechter schläft, ist ein Stückweit normal. Wir nennen das first-night-effect: veränderte Umgebung, Messaufnehmer, anderes Bett, jeder Mensch schläft schlechter, wenn er sich an einem anderen Ort befindet."
    Früher mussten die Menschen nachts hellhörig sein, um drohende Gefahren zu registrieren, erklärt Weeß ein bis heute erkennbares archaisches Schlafmuster. Dazu gehöre auch, dass erwachsene und ältere Menschen sowieso nicht durchschlafen:
    "Weil wir müssen es ja hören, wenn sich der Tiger anschleicht, damit wir noch rechtzeitig auf den nächsten Baum flüchten können. Und es ist gut, dass wir wach werden, das hat der Spezies Mensch das Überleben gesichert, und das erzählen wir auch all unseren allen schlafgestörten Patienten, dass sie da wieder eine andere Haltung entwickeln. Viele meinen ja, sie müssten durschlafen, bis der Wecker klingelt, aber das ist nicht notwendig."