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Schlappe für Balkenende

Die Niederländer haben bei den Kommunalwahlen für einen Linksruck gesorgt und damit der regierenden Mitte-Rechts-Koalition einen deutlichen Denkzettel verpasst. Friso Wielenga vom Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität Münster sieht das Kabinett von Ministerpräsident Jan Peter Balkenende in einer schweren Krise. Aus seiner Sicht hat vor allem die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt zu dem Erstarken der Linken geführt.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Vor vier Jahren haben die Kommunalwahlen in den Niederlanden vielleicht erstmals bei uns wirklich für Aufsehen gesorgt, als die Partei des Rechtspopulisten Pim Fortuyn überraschend hoch gewann. Es war der Beginn eines politischen und gesellschaftlichen Bebens in den Niederlanden. Die Ermordung von Pim Fortuyn schließlich und später die des Filmemachers Theo van Gogh leiteten eine Grundsatzdiskussion über Fragen der Integration und der Ausländerpolitik ein. Das Blatt scheint sich nun ein wenig gewendet zu haben. Bei den Kommunalwahlen gestern machten die sozialdemokratischen und linkeren Parteien Boden gut.

    Und am Telefon ist Professor Friso Wielenga vom Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität Münster. Herr Wielenga, jetzt gewinnt die Linke in den Niederlanden zum Beispiel die Stadt Rotterdam wieder zurück. Ist das schon eine Art Beleg für eine Rückwärtsbewegung?

    Friso Wielenga: So sieht es aus. Und auch die Prognosen in den letzten Monaten haben schon darauf hingedeutet, dass die Bevölkerung eine andere Politik will. Man muss über die Wahlergebnisse von gestern natürlich auch sagen, dass das Wahlergebnis der Sozialdemokraten vor vier Jahren sehr, sehr schlecht war und dass, was sich gestern abgezeichnet hat, auch eine Art Wiedergutmachung war oder eine Art Normalisierung der früheren Verhältnisse - auch wenn die PVDA darüber hinausgegangen ist. Aber der Vergleich mit vor vier Jahren deutet auch darauf hin, dass die PVDA - vor vier Jahren war es für die PVDA auch sehr, sehr schlecht.

    Klein: Die Menschen wollen eine andere Politik, sagen Sie. Das heißt, die Kommunalwahlen haben eine Quittung ausgestellt für die Mitte-Rechts-Regierung von Premier Balkenende?

    Wielenga: Auch das kann man sicherlich so sehen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung möchte auch gerne eine linke Regierung. Und das Bemerkenswerte ist, dass, wenn es gestern Parlamentswahlen gegeben hätte, dass wir dann zum ersten Mal in der niederländischen politischen Geschichte überhaupt eine linke Mehrheit im Parlament gehabt hätten. Das hat es bis jetzt noch nicht gegeben, was natürlich nicht bedeutet, dass es im nächsten Jahr, im Mai 2007, dann auch tatsächlich so auch gehen wird. Aber sowohl die Christdemokraten als auch die Rechtsliberalen, auch die Linksliberalen, kann man sagen, sind jetzt in einer ziemlich tiefen Krise, zumal - was eben auch in dem Bericht durchklang - auch jetzt der rechtsliberale Fraktionsvorsitzende zurückgetreten ist; vor ein paar Wochen war der linksliberale Fraktionsvorsitzende zurückgetreten. Also das Kabinett läuft sozusagen doch auf seinen letzten Beinen, kann man sagen.

    Klein: Was versprechen sich die Menschen von einem Politikwechsel hin zu sozialdemokratischen und linken Parteien?

    Wielenga: Also bemerkenswert ist, dass vor vier Jahren, als Fortuyn seine Erfolge buchte, dass es vor allem um die Integrationspolitik ging und um die Fragen des Verhältnisses zwischen Niederländern und Ausländern, Allochtonen und Autochtonen, wie die Niederländer sagen. Das Thema hat jetzt in den Kommunalwahlen eigentlich kaum eine Rolle gespielt. Und es ging jetzt vielmehr um traditionelle Fragen wie soziale Politik, Armutsbekämpfung, und dass - auch das klang in dem Bericht gerade auch durch -, dass die Bevölkerung sich vor allem jetzt in wirtschaftlicher Hinsicht neue Perspektiven ersehnt, auch im Bereich der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt, auch wenn die sich im Moment etwas bessert. Das sind vor allem jetzt die Themen, und da profitieren natürlich traditionell auch eher die linken Parteien.

    Klein: Weshalb spielt die Ausländerpolitik jetzt keine Rolle mehr?

    Wielenga: Also man kann nicht sagen, dass die Ausländerpolitik jetzt weg vom Fenster ist sozusagen. Aber es hat jetzt als Thema in den Wahlen kaum eine Rolle gespielt. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass das Thema Ausländerpolitik sowieso schon immer in den letzten Jahren sehr stark auf der Tagesordnung gestanden hat und auch für sehr viel Wirbel und Diskussionen gesorgt hat in den letzten Jahren und dass es da vielleicht auch eine gewisse Müdigkeit in diesem Bereich gibt. Vor vier Jahren war es ein relativ neues Thema, um es so zu thematisieren, wie Fortuyn es gemacht hat. Und inzwischen haben die Leute sich sehr stark auch daran gewöhnt. Da sind auch neue Initiativen ergriffen worden von der Regierung, auch in den Gemeinden. Und es ist im Moment kein Thema, worüber so richtig Wahlkampf geführt wird.