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Schlauch

Thiel: Die Sommerpause in Deutschland beginnt; auch das Parlament geht nach drei aufeinanderfolgenden Sitzungswochen in die Ferien, wohl aber nicht ohne Unterbrechung, Rezzo Schlauch. Ein möglicher Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien wird eine Sondersitzung des Bundestages notwendig machen. Am Donnerstag informierte ja der Kanzler die Fraktionschefs. Wann entscheidet nun das Parlament?

atthias Thiel |
    Schlauch: Das kann man noch nicht sagen, und zwar deshalb, weil natürlich eine Mandatierung des Bundestages erst dann erfolgen kann, wenn die Voraussetzungen, die auch in der NATO-Entschließung genannt sind, erfüllt sind. Und da ist an allererster Stelle zu sagen, dass ein Waffenstillstand - eine Waffenruhe über längere Zeit - vorhanden sein muss und dass eine Grundlage vorhanden ist über eine politische Lösung, das heißt, über die Frage der Verfassung von Mazedonien, die dann auch die Partizipation der Minderheiten der Albaner gewährleisten muss. Eine Waffenruhe ist ja Ende der Woche vereinbart worden. Man muss sehen, wie die sich entwickelt. Wenn hier weitere Eskalationsstufen zu erwarten sind, dann wird es mit dieser Mandatierung jedenfalls nichts.

    Thiel: Wer sollte der NATO das Mandat erteilen? Reicht ein Hilferuf - eine Bitte - aus Mazedonien, oder ist ein UNO-Mandat nicht notwendig?

    Schlauch: Nein, die Bitte um Hilfe von der demokratisch legitimierten Regierung von Mazedonien ist bereits auf dem Tisch, und auch die andere Partei, nämlich die UCK, ist mit einer NATO-Intervention dergestalt, dass an bestimmten vorgesehenen Punkten die Waffen eingesammelt werden sollen - also eine freiwillige Ablieferung der Waffen der kämpfenden Parteien - dass diese Intervention dann so stattfinden kann, dass sie die NATO durchführt und dass ein UNO-Mandat nicht notwendig ist, weil - wie gesagt - eine demokratisch legitimierte Regierung nachgesucht hat und die Bundesregierung zwar in der EU und in der NATO ein solches UNO-Mandat auch in die Diskussion gebracht hat, aber alle anderen Partner dafür keine Notwendigkeit sahen.

    Thiel: Kritik gab es in Ihrer Fraktion, 'der NATO-Plan sei unehrlich' wurde gesagt. Wie soll denn nun ein robuster Einsatz und ein ehrlicher Einsatz aussehen?

    Schlauch: Also, wir haben darüber geredet - und zwar nicht nur in der Fraktion, sondern auch in der Bundestagsdebatte wurde dieser Aspekt ja angesprochen. 'Ehrlich' heißt, dass man sich mit Sicherheit auch darauf einstellen muss, dass die von der NATO vorgesehenen 30 Tage wahrscheinlich nicht ausreichen werden. 'Ehrlich' heißt auch, dass möglicherweise die Ablieferung der Waffen nicht ganz so einfach durchgeführt werden kann. Aber das ist alles angesprochen worden, auch in der Unterrichtung durch den Kanzler und durch den Außenminister, auch in der Debatte des Bundestages. Insofern ist eigentlich dieser Kritikpunkt ausgeräumt.

    Thiel: Also, einen Vorratsbeschluss wird es nicht geben für einen mögliches Ausweitungspotential?

    Schlauch: Nein, einem Vorratsbeschluss - da haben wir immer darauf geachtet - werden wir da nicht zustimmen.

    Thiel: Die CDU/CSU beklagt aber nun, wichtige Fragen seien unbeantwortet geblieben, gerade eben in dieser Unterrichtung beim Kanzler, zum Beispiel die nach dem Eskalationspotential, aber auch nach der Finanzierung. Wird die Koalition auf die Forderung der Opposition nach mehr Geld für die Bundeswehr noch eingehen?

    Schlauch: Die Opposition ist für meine Begriffe an diesem Punkt sehr unglaubwürdig. Die CDU verquickt die Frage ihrer Zustimmung zu diesem Einsatz ausschließlich mit innenpolitischen Gesichtspunkten. Sie will die Bundesregierung fast geradezu erpresserisch dazu bringen, die Bundeswehrstrukturreform in ihrem Sinne - im Sinne der CDU - durchzuführen mit einer Menge mehr Geld; es ist von zwei Milliarden die Rede. Und ich kann nur sagen: Es ist wenig seriös, die Frage über den Einsatz von ca. 300 bis 350 deutschen Soldaten daran zu knüpfen, dass die Bundeswehr in wesentlich höherem Maße finanziell ausgestattet wird, als dies bisher im Haushalt vorgesehen ist. Deshalb bin ich gespannt, wie die CDU an diesem Punkt weiter agieren wird. Außenpolitisch ist es absolut unseriös, und über die Frage, dass ein solcher Einsatz, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind - politische Lösung, Bitte durch die mazedonische Regierung, Freiwilligkeit der Waffenabgabe -, kann ich mir eigentlich kaum einen legitimen Grund vorstellen, warum man dagegen sein könnte, denn diese ganze Aktion dient ja der Vermeidung einer Eskalation und der Vermeidung der Entwicklung eines Bürgerkriegs.

    Thiel: Wird es also eventuell auch einen Beschluss des Bundestages ohne den bisherigen Grundkonsens geben?

    Schlauch: In der Bundestagsdebatte haben alle Parteien dazu aufgerufen, dass die CDU sich noch mal eines Besseren besinnen soll. Und es ist ja auch offensichtlich, dass es in der CDU unterschiedliche Positionen zu dieser Frage gibt: Die sehr polemisch zugespitzte Position des ehemaligen Verteidigungsministers Rühe, dem wir ja zu großem Maß diese Unterfinanzierung der Bundeswehr in den letzten Jahren zu verdanken haben, und dem doch sehr viel differenzierter argumentierenden außenpolitischen Sprecher der Opposition. Also, insofern besteht ja jetzt auch noch Zeit, dass sich die Opposition ins Reine bewegt. Vielleicht noch ein Wort zur anderen Oppositionspartei, zur FDP. Auch die hat hier ein wenig glaubwürdiges und sehr durchsichtiges Spiel betrieben, indem sie zunächst mit dem gleichen Gestus diesen Einsatz ablehnte, um dann aber doch auf die Linkskurve einzuschwenken, nachdem der Kanzler unmissverständlich gesagt hat, dass sie sich jegliche Avancen abschminken könnte, wenn außenpolitisch diese Unverlässlichkeit sozusagen Platz greifen würde. Also, da ist sehr viel Taktiererei bei der Opposition im Spiel, übrigens aus meiner Sicht zum Schaden des Ansehens der Bundesrepublik in der Europäischen Gemeinschaft und im Bündnis.

    Thiel: Anderes Thema. Deutschland in der Wachstumsdelle; die Konjunktur lahmt. Ratschläge kommen ja jetzt von allen Seiten. Der Bundeskanzler setzt aber auf eine Politik der 'ruhigen Hand'. Hat die Koalition alles getan, was sie in der derzeitigen Wirtschaftslage hätte tun können?

    Schlauch: Ich kann ausdrücklich sagen, dass ich der Politik der 'ruhigen Hand' insoweit zustimme, als ich es für vollkommen verfehlt hielte, in dieser jetzigen Situation 'Konjunkturprogramm' das Wort rede. Ich erinnere mich gut daran: Wenn der Begriff der Konjunkturprogramme in der Zeit auf die politische Tagesordnung kam, in der die Union und die FDP die Regierungsverantwortung hatten, dann war dieser Begriff - zurecht übrigens - ein Unwort. Konjunkturprogramme ziehen in Zeiten offener Märkte, in Zeiten der Globalisierung nicht. Sie verpuffen. Was anderes ist es - und da denke ich schon, dass Nachholbedarf in der Bundesrepublik vorhanden ist und dass die Regierung für meine Begriffe noch nachlegen muss, das sind Reformen in der Struktur, also Strukturreform, insbesondere beim Arbeitsmarkt. Ich bin der Auffassung, dass der 'erste' Arbeitsmarkt in dieser Bundesrepublik immer noch zu hohe formale Hürden aufweist, und deshalb hat die grüne Fraktion mehrfach in die Diskussion gebracht, Brücken in den ersten Arbeitsmarkt zu schlagen, beispielsweise durch die Möglichkeit der Schaffung von Kombilöhnen, so dass Menschen, die in den sozialen Transfersystemen - Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe - sind, zusätzliche Einkommen durch Erwerbstätigkeit nur in Höhe bis zu 50 Prozent ihres Einkommens anrechnen können. Das heißt, dass es Anreize gibt, dass solche Menschen dann auch in den ersten Arbeitsmarkt eintreten können; oder auch den Begriff der Lohnsubvention, dass Unternehmen dafür subventioniert werden, Langzeitarbeitslose in Erwerbstätigkeit zu übernehmen. Ein weiterer ganz wichtiger Punkt - und der steht nach wie vor auch im Koalitionsvertrag - ist der, dass wir als Grüne nach wie vor dafür kämpfen und dies nicht aufgegeben haben, dass die Lohnnebenkosten weiter gesenkt werden - durch beispielsweise Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Im Koalitionsvertrag steht, dass wir die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent senken wollen, und wir von den Grünen haben dieses Ziel nicht aufgegeben.

    Thiel: Das wird aber sehr schwierig durchzusetzen sein, denn wenn wir uns angucken, dass die Krankenkassenbeiträge in Kürze erhöht werden und auch andere sonstige Kosten noch dazukommen.

    Schlauch: Ich sehe diese Schwierigkeiten durchaus, und wir haben auch alles dazu getan, um die Kurve - beispielsweise der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung - nicht nach oben zu ziehen, sondern konstant zu halten. Ich sehe jetzt, dass beispielsweise durch Aufhebung der Budgetierung hier eine andere Entwicklung möglich ist. Wir haben auch beispielsweise, indem wir die Festsetzung von Mindestbeiträgen von kleineren Krankenkassen verhindert haben, sozusagen dazu beigetragen, die Kostenspirale zu erhöhen. Ich glaube, die Koalition ist insgesamt gut beraten, alles dafür zu tun, die Lohnnebenkosten zu senken, jedenfalls nicht steigen zu lassen. Und wir Grünen haben dafür ein besonderes Interesse, und zwar deshalb, weil wir ja mit der Erhebung der Ökosteuer, die ja in großer gesellschaftlicher Diskussion ist, die Vorleistung dazu gebracht haben, dass die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Und deshalb können wir es uns - glaube ich - nicht leisten, einerseits die Ökosteuer als vernünftiges, zukunftsfähiges Instrument im Steuersystem zu verteidigen, andererseits aber auch die Lohnnebenkosten zu erhöhen.

    Thiel: Wie steht es um die Einigkeit in der Koalition in der Finanzpolitik? Der SPD-Finanzexperte Joachim Poß nannte Ihr Positionspapier zur konjunkturellen Lage eine 'reine Show-Veranstaltung'. Fordern Sie Dinge, die mit der Haushaltskonsolidierung nicht vereinbar sind?

    Schlauch: Also, die Grünen sind gerade diejenigen in der Koalition, die den Konsolidierungskurs gewährleistet haben, die der Garant dafür waren, dass neue Verschuldungen abgewehrt werden konnten - die beispielsweise der Garant dafür waren, dass wir bei den unvorhergesehenen Einnahmen aus den UMTS-Erlösen - 100 Milliarden Mark -, dass wir direkt zur Schuldentilgung verwandt haben und nicht in Ausgabenprogramme überführt haben. Also, insofern ist das ein bisschen Koalitionsgeplänkel, das man nicht so ernst nehmen muss.

    Thiel: Gerade in den letzten drei Wochen hat die Koalition ein ungeheures Arbeitspensum hinter sich gebracht. Vorgestern hat der Bundestag noch die neue Familienförderung beschlossen. Mit Blick auf das Ende der Legislaturperiode und die anstehenden Wahlen, Rezzo Schlauch: Alle attraktiven Regierungsprojekte sind jetzt abgearbeitet; was folgt noch nach der Sommerpause?

    Schlauch: Die Koalition wäre schlecht beraten, wenn sie sich jetzt auf dem, was sie geschaffen hat, ausruht. Ich glaube, dass es eine Modernisierungspause nicht geben darf, dass wir nach wie vor sowohl im ökonomischen, im ökologischen wie auch im gesellschaftspolitischen Bereich Modernisierungsbedarf haben. Ein großes Projekt steht an, ist unmittelbar ante portas - das ist die Zuwanderung, die eine sowohl gesellschaftspolitische wie auch ökonomische Notwendigkeit ist. Und dann werden wir mit Sicherheit auch noch viele kleinere Projekte haben, die aber auch gerade für uns Grüne sehr wichtig sind, beispielsweise im neuen Verbraucherschutzministerium die Frage der Implementierung der Agrarwende, die entgegen dem Getöse des Präsidenten des Bauernverbandes, der offensichtlich die letzten Monate schon wieder aus dem Gedächtnis getilgt hat - mit BSE und Maul- und Klauenseuche, dass wir selbstverständlich an dieser Agrarwende festhalten; oder beispielsweise auch die Frage 'Reform des Naturschutzgesetzes', ein wichtiges ökologisches Projekt. Also, es ist nicht so, dass die Arbeit ausgeht.

    Thiel: Stichwort 'Zuwanderung': Die CSU hat jüngst die Empfehlung der Süßmuth-Kommission abgelehnt; die CDU will erst einen Gesetzentwurf des Innenministers abwarten. Der lehnt nun die Anerkennung von nichtstaatlicher Verfolgung als Asylgrund ab. Die SPD akzeptiert inzwischen Änderungswünsche der Union, und die Bundesregierung will eigentlich einen parteiübergreifenden Konsens. Welche Grundsätze für diesen parteiübergreifenden Konsens müssen von bündnisgrüner Seite unbedingt da drin stehen?

    Schlauch: Na ja, das ist klar, dass wir jetzt alle Konzepte auf dem Tisch haben, dass es eine lebhafte Diskussion gibt: 'wohin geht die Reise?'. Was ich allerdings nicht verstehen kann bei der CDU, ist offensichtlich, dass die CDU Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen hat, dass sie eine Rolle rückwärts gegenüber dem von ihr selbst vorgelegten sogenannten 'Müllerpapier' macht. Und ich kann da nur den ehemaligen Generalsekretär der CDU zitieren - Heiner Geisler -, der sagt: 'Wer auch nur daran denkt, dieses Thema zum Wahlkampfthema zu machen, ist eigentlich reif für die Psychiatrie'. Wenn ich diesen doch sehr harten Spruch anwenden würde, dann würden mir da offensichtlich einige Stimmen einfallen, die darunter fallen. Für meine Begriffe geht es jetzt darum, auf der Grundlage der Süßmuth-Kommission, auf der Grundlage der vorhandenen Papiere - die Grünen haben ihre Vorstellungen in dem sogenannten 'Drei Säulen-Papier' - Einwanderung, Integration und Asyl - vorgelegt - auf dieser Grundlage einen Gesetzesentwurf zu entwickeln. Und ich kann nur alle auffordern, an diesem Vorhaben auch konstruktiv und nicht so, wie ich jetzt die Stimmen höre, destruktiv mitzuwirken. Ich denke, es ist eine gesellschaftspolitisch wichtige Aufgabe. Die Lebenslüge, die die CDU jahrzehntelang vor sich hergetragen hat - 'wir sind kein Einwanderungsland' - positiv umzuwenden und auch die Essentials, die für uns wichtig sind - nämlich Beibehaltung des individuellen Asylrechtes -, zu bekräftigen. Und zur Beibehaltung des individuellen Asylrechtes gehört meiner Meinung nach auch das Schließen von Schutzlücken, wie beispielsweise geschlechtliche Verfolgung etc.

    Thiel: Nach dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes, dass die Stasi-Akte von Helmut Kohl unter Verschluss bleiben muss, will Bundesinnenminister Otto Schily jetzt alle Unterlagen von Prominenten sperren. Werden Sie dieses Vorgehen zulassen?

    Schlauch: Das ist eine Frage, die ich so nicht beantworten kann, und zwar deshalb, weil wir ja in der Klärung einer Rechtsfrage sind. Und wir haben ein erstinstanzliches Urteil, über das ich äußerst verwundert bin, das nämlich letztendlich dazu führen wird, dass eine nahezu zehnjährige allgemein gültige Rechtspraxis auf den Kopf gestellt wird. Wir haben beispielsweise bei den Personen dé Maziere, bei den Personen Stolpe, bei vielen anderen Personen der Zeitgeschichte die Akten verwertet, und dort ist Aufklärung über die Vergangenheit - teilweise jedenfalls - erreicht worden. Ich kann mir nicht vorstellen, jetzt hier die Akten zuzumachen. Das würde der Intension des Gesetzes zuwiderlaufen. Und ich sage nur: Es ist schon ein Treppenwitz, dass ausgerechnet derjenige - nämlich Helmut Kohl -, der dieses Gesetz mit auf den Weg gebracht hat, und zwar mit der Absicht, über die DDR/SED-Diktatur aufzuklären und sie aufzuarbeiten, dass genau derjenige sozusagen den Weg frei macht, um diese Aufklärung zu stoppen, dass genau derjenige sich - bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt - mit den alten Stasi-Kadern verbündet und so eine weitere Aufklärung und eine weitere Aufarbeitung verunmöglicht. Das kann für meine Begriffe nicht gewollt sein. Deshalb bin ich auch guter Hoffnung, dass dieser Spruch nicht - der ja ein erstinstanzlicher Spruch war - nicht das letzte Wort war. Sollte aber diese Rechtsmeinung auch von einem oberen Gericht bestätigt werden, bin ich durchaus der Auffassung, dass man dann in der neuen Legislatur über eine Novellierung dieses Gesetzes nachdenken muss.

    Thiel: Zur Lage in der Koalition: Die Liberalen glauben schon, auf der Regierungsbank zu sitzen. Der Kanzler verbreitet den Eindruck: 'Alle wollen mit uns, mit allen könnten wir'. Bleiben die intensiven SPD-FDP-Kontakte bei Ihnen völlig ohne Wirkung?

    Schlauch: Ich sehe es eigentlich als legitim an, wenn die FDP nach 29 Jahren Regierungsbeteiligung und zweieinhalb Jahren Opposition wieder Regierungsverantwortung übernehmen will. Also, das ist das gute Recht eine Opposition. Ich frage mich nur, wofür? Ich frage nur, was die FDP will. Und das ist mir nicht ganz einsichtig. Ich komme noch einmal auf die Außenpolitik zurück: Die FDP hat, wenn überhaupt irgendwas, was mir jedenfalls im Gedächtnis geblieben ist, in ihrer Tradition - Verlässlichkeit, Kontinuität der deutschen Außenpolitik mit Namen wie Genscher - dafür ist sie immer gestanden. Wenn ich mir jetzt angucke, mit was für einen 'Wackelkurs' - und zwar aus durchsichtigem innenpolitischen, parteipolitischen Machtkalkül die FDP jetzt in Sachen Nizza - europäische Erweiterung, in Sachen Mazedonieneinsatz, in Sachen Erweiterung und Verlängerung des Kosovo-Mandates agiert hat, dann bleibt doch der Verdacht übrig, dass es der FDP nur um eines geht, nämlich darum, mit am Tisch zu sitzen. Und ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger - dass denen das nicht genug ist. Denn wo war die FDP, als die BSE-Krise das Land beispielsweise erschütterte? Haben Sie da was von der FDP gehört? Haben Sie von der FDP was gehört bei der ökologischen Erneuerung dieses Landes, Stopp der Atomenergie oder Energiewende, neue regenerative Energien? Also, das heißt, mir ist da überhaupt nichts Inhaltliches sichtbar, weshalb ich auch diesem Spielchen - diesem machtpolitischen Spielchen - sehr gelassen gegenüber stehe. Im übrigen steht das Kanzlerwort, und das ist dann eher eine Aufforderung an die Grünen. Wenn die Mehrheit stimmt - Rot-Grün -, gibt es sowohl aus unserer Sicht wie - ich glaube - auch aus der Sicht der SPD und des Kanzlers eigentlich überhaupt keinen vernünftigen Grund, die Koalition nicht fortzusetzen.

    Thiel: Die Union hat derzeit immer mehr mit sich selbst zu tun als mit aktiver Oppositionsarbeit. Dabei geht es nicht nur um den Kanzlerkandidaten. Die CSU macht inzwischen auch eigenen Wahlkampf in Berlin. Beobachten Sie das Dilemma der größten Oppositionspartei mit einem lachenden oder mit einem weinenden Auge?

    Schlauch: Beides. Also, als jemand, der über Jahre hinweg gerne leidenschaftlich konstruktive Opposition betrieben hat, denke ich, es ist ein Verlust für dieses Land und für die Demokratie, wenn die Opposition nicht handlungsfähig ist. Eine Regierung kann immer nur so gut sein - auch -, wie die Opposition sie treibt und kontrolliert. Aber da die Opposition an diesem Punkt nahezu völlig ausfällt, nur mit sich selbst beschäftigt ist, ist es mit Sicherheit kein Pluspunkt für die demokratische Kultur. Auf der anderen Seite macht es uns natürlich das Geschäft einfacher. Was da insgesamt abgeht, ist mir nicht mehr verständlich. Dass beispielsweise in Berlin plötzlich nicht die Berliner CDU Wahlkampf macht, sondern Stoiber eingeflogen kommt, dass ein Herr Stoiber, der jetzt über Monate hinweg mit der Nase bei der Kanzlerkandidatur vorne lag - plötzlich sagt: Na ja, also wenn er sich den Zustand - den maroden Zustand - der Schwesterpartei anguckt, der CDU, muss er eigentlich von der Frage der Kanzlerkandidatur abrücken, weil er mit einer so schwachen Partei im Rücken eigentlich nicht die Kandidatur ausfüllen kann - also, da gehen die Ohrfeigen hin und her und kreuz und quer. Das zeigt aber umso mehr, dass wir als Regierungskoalition noch mehr die Gestaltungskräfte in Richtung sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Erneuerung, aber auch in Richtung gesellschafts-politischer Erneuerung in die Hand nehmen müssen. Von der Opposition ist derzeit nicht viel zu erwarten.

    Thiel: Ganz zum Schluss noch: Wer wird in diesem Jahr im Sommertheater Protagonist auf der politischen Bühne sein?

    Schlauch: Ich hoffe, dass das politische Sommertheater ausbleibt und dass als einziges Sommertheaterthema möglicherweise ein Krokodil in der Spree oder ein Walfisch im Wannsee auftaucht. Für meine Partei bin ich allerdings ziemlich sicher: Nach viel getaner Arbeit werden die meisten von uns auch sich ein Ausspannen gönnen. Wir werden uns jedenfalls am Sommertheater nicht beteiligen.