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"Schlechte Qualität ist die teuerste"

Der frühere Vorsitzende der Barmer Ersatzkasse, Eckart Fiedler, hat eine stärkere Qualitätsorientierung im Gesundheitssystem verlangt. Ärzte müssten dazu verpflichtet werden, bestimmte Leitlinien bei der Behandlung zu befolgen.

Eckart Fiedler im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 11.07.2009
    Jürgen Zurheide: Wenn wir über das Gesundheitssystem reden, dann reden wir meistens über Kosten, über Milliarden, über Defizite und die gesamte Diskussion ist eher aus einer defensiven Grundhaltung, so wird sie überwiegend geführt. Eigentlich könnte man und müsste man vielleicht ganz anders da rangehen, und das haben zumindest einige versucht, die unter dem Titel "Zukunft des Gesundheitssystems" sich Gedanken darüber gemacht haben, wie denn das Gesundheitssystem aussehen sollte. Einer der Mitautoren ist Eckart Fiedler, der frühere Vorsitzende der Barmer Ersatzkasse, er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Fiedler!

    Eckart Fiedler: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Fiedler, zunächst einmal wollen wir mal nicht über Kosten und Defizite und über all das reden, sondern mal über die Strukturen. Wenn wir das mal uns genau anschauen, dann wissen wir: In Deutschland gibt es drei Sektoren, da gibt es die Hausärzte, da gibt es vielleicht noch die Fachärzte und dann die Krankenhäuser, und das alles arbeitet nicht so zusammen, wie es eigentlich zusammenarbeiten müsste. Ist das für Sie auch eines der Kernprobleme, wenn wir über die Strukturen reden?

    Fiedler: Ganz sicherlich. Ich meine, wir müssen darauf achten, dass natürlich die Versorgung optimal wirtschaftlich und qualitativ gut erfolgt, und da ist eine abgeschottete Versorgung zwischen den drei Versorgungsbereichen - das ist dann natürlich nicht förderlich.

    Zurheide: Wie kann man denn diese starre Trennung, die lange schon beklagt wird, wie kann man die denn eigentlich aufbrechen, was müsste da passieren?

    Fiedler: Ja, gut, dass man versucht, die Vernetzung herzubringen. Das Ergebnis dieser Abschottung ist ja Folge der sektoralen Finanzierung, also, jeder Bereich wird sozusagen durch ein Budget bedient und von daher versucht jeder sozusagen, mit diesem Budget optimal auszukommen, indem er auch möglichst Patienten in die anderen Sektoren verschiebt, ohne, sage ich mal, sie optimal ausdiagnostiziert und therapiert zu haben. Von daher war es schon das Anliegen der Politik in der Vergangenheit, hier eine Vernetzung, also eine integrierte Versorgung vorzuschreiben. Da sind Ansätze gemacht worden, aber wir sind noch längst nicht am Ziel.

    Zurheide: Jetzt haben Sie gesagt: Am Ende sind die Kosten dann natürlich doch wichtig und das Geld bestimmt, was passiert. Wie könnte das denn laufen? Zum Beispiel, indem die Krankenkassen viel mehr, als sie es bisher schon können, Einzelverträge machen können und dann diejenigen, die im System etwas anzubieten haben, auch zwingen zur Zusammenarbeit? Könnte das ein Weg sein?

    Fiedler: Ja, sicherlich. Ich meine, wir sind ja heute bestimmt bei der Vertragspolitik durch gemeinsame, einheitliche, also sprich kollektive Verträge, und ja, da ist kein Wettbewerb, also bemüht man sich, die Sache zu erledigen, aber man achtet vielleicht nicht auf das, was gerade für den Patienten wichtig ist, die Qualität, und das andere, was für den Beitragszahler wichtig ist, die Kosten. Von daher ist einfach der Gedanke, hier durch Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringergruppen sage ich mal die Innovation freizusetzen, Suchmöglichkeiten nach guten, optimalen Versorgungsformen, da haben wir ja auch schon erste Ansätze im Bereich der Hausärzte, Hausarztverträge werden hier geschlossen, in denen vor allen Dingen eine Komponente wichtig ist: dass das Qualität der Versorgung stimmig ist und dass diese dann auch nachher kontrolliert wird. Und von daher glaube ich, ist es schon richtig, hier zumindest partiell mal den Weg der Einzelverträge zu gehen.

    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade das Stichwort Qualität mehr als einmal genannt und wir alle wissen, dass wir im Gesundheitswesen – und die Menschen erleben das tagtäglich – an vielen Stellen diese Qualität nicht so haben, wie wir sie eigentlich haben sollten. Nun kann der Einzelne das ja in aller Regel nicht machen: Wie kann man denn objektiv Qualität feststellen?

    Fiedler: Man muss natürlich erst mal Qualitätsstandards formulieren, zum Beispiel, dass man evidenzbasierte Leitlinien zur Grundlage der Behandlung macht, evidenzbasiert heißt, nach den besten Möglichkeiten und Erkenntnissen der Wissenschaft Behandlungsleitlinien vorgibt für die Behandlung des Bluthochdrucks, der Herzinsuffizienz oder was auch immer, und im Grunde genommen dann in einem Vertrag die Ärzte verpflichtet, diese Behandlungsleitlinien auch zu berücksichtigen. Das wird auch teilweise heute schon gemacht, dabei muss man allerdings sehen, dass nicht nur diese Frage der Verpflichtung wichtig ist auf dem Papier, sondern in der Realität, man muss das Ganze also evaluieren, kontrollieren in dem Sinne: Was bringt es und wird es tatsächlich beherzigt? Oder dass man zum Beispiel bei operativen Eingriffen zunehmend Mindestmengen vorschreibt. Wir wissen, ein Operateur, der eine Leistung nur einmal im Monat macht, eine operative Leistung, der wird sicherlich nicht die Sicherheit haben und die Qualität wie jemand, der das täglich macht. Und es gibt weitere Vorgaben, dass man zum Beispiel ein internes Qualitätsmanagement durchführt, das heißt, das, was heute so als DIN-, ISO-Norm überall so in der Gesellschaft gemacht wird, verfolgt wird als Qualitätsziel, das muss auch innerhalb der Medizin sich ausbreiten, innerhalb der ärztlichen Praxen, innerhalb der Krankenhäuser, und das muss gleichfalls, sage ich mal, kontrolliert, aber auch, wenn ich das mache, dann honoriert werden, das heißt: Ich muss Anreize setzen, ich muss Boni ausloben für gute Qualität.

    Zurheide: Und das alles kostet unter dem Strich dann furchtbar viel mehr Geld, oder sagen Sie, im System sind so viele Qualitätsreserven, dass wir damit auch bezahlen können, wenn wir älter werden? Wie sehen Sie das?

    Fiedler: Na ja, gut, eins ist auch klar: Eine schlechte Qualität ist die teuerste Leistung. Also, wenn wir heute schlechte Qualität haben und die beseitigen, dann würden wir ja erst einmal sparen. Natürlich kosten Anstrengungen für Qualität auch erst mal Geld, hier muss investiert werden, aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich dadurch dann auch Kosten in einem viel höheren Maße sparen lassen. Es gibt ja hier die Aussage von Professor Stichtenoth aus der Medizinischen Hochschule Hannover, dass drei Prozent der Krankenhauseinweisungsfälle – das sind 50.000 Krankenhauseinweisungen pro Jahr – auf Medikationsfehlern beruhen. Hier werden Fehler gemacht bei der Verordnung und Verabreichung von Arzneimitteln, die im Grunde genommen dann 50.000 Krankenhauseinweisungen zur Folge haben. Wenn man das zum Beispiel durch eine bessere Qualität, durch Vorgaben beseitigen kann, na, da spart man dann.

    Zurheide: Das war Eckart Fiedler, der Mitautor der Studie "Zukunft des Gesundheitssystems" im Deutschlandfunk, ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön, Herr Fiedler!

    Fiedler: Danke auch, Herr Zurheide!