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Schleswig-Holstein
Dänische Minderheit kämpft um ihre Schulen

Es brodelt in der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein: Eigentlich gilt die Minderheitspolitik des Bundeslandes als modellhaft, doch nun sollen gleich mehrere dänische Schulen geschlossen werden. Bei dem Streit um die Schulen geht es um mehr als nur ein paar Millionen Euro.

Von Johannes Kulms | 16.01.2019
    Die dänische Schule in Rieseby
    Droht das Aus: Der dänischen Schule in Rieseby (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    Die dänische Schule von Rieseby liegt in einem kleinen gemütlichen Backsteingebäude. 25 Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur sechsten Klasse werden hier unterrichtet. Die ersten vier Jahrgänge zusammen in einer Gruppe – die Fünft- und Sechstklässler in der anderen. Bei den ältesten steht an diesem Morgen die Mülltrennung auf dem Lehrplan: "Vi klipper nogle billeder ud til. Hvordan man. Til skrald." – "Wir schneiden gerade Bilder aus für Abfall von Restmüll und - ja", sagt der 10-jährige Bosse.
    Eine Erfolgsgeschichte
    Bis auf Deutsch und Englisch werden in Rieseby alle Fächer auf Dänisch unterrichtet. Schulleiter Niels-Jørgen Hansen zog 1981 von Dänemark nach Schleswig-Holstein. Damals hatten die Schulen der dänischen Minderheit in der Mehrheitsbevölkerung nicht gerade den besten Ruf, erinnert sich der heute 61-Jährige: "Da war das meistens so, sag‘ ich mal, die Schüler, die Schwierigkeiten hatten in der deutschen Schule, also Problemkinder oder so, die in die dänische Schule kamen."
    Doch längst gelten die dänischen Schulen als Erfolgsgeschichte. Inzwischen sind sie den öffentlichen deutschen Einrichtungen gleichgestellt. Knapp 8.000 Kinder und Jugendlichen besuchen die 57 Kindergärten und 43 Schulen der Minderheit. Nicht immer haben die Familien einen Bezug zu Dänemark oder zur Minderheit. Auch viele deutsche Eltern ohne vorherige Skandinavien-Bindung schicken ihre Kinder in die dänischen Einrichtungen.
    Wegen des guten Rufs aber auch der Aussicht, zweisprachig unterrichtet – und Teil der Minderheit zu werden. Denn auf beiden Seiten der deutsch-dänischen Grenze gilt: Minderheit ist, wer Minderheit sein will!
    Minderheit fürchtet um kulturelle Identität
    Doch seit einigen Monaten droht vier kleinen dänischen Schulen die Schließung. Auch der in Rieseby. Ursache ist der Sparkurs, den sich der Schulträger verordnet hat. "Klar kann ich das nachvollziehen. Aber wenn man das so sieht, muss man auch an die Kinder denken. Die haben hier wirklich `ne schöne Schule und fühlen sich wohl hier", sagt Schulleiter Hansen.
    Schulleiter Niels-Jørgen Hansen in seinem Büro.
    Schulleiter Niels-Jørgen Hansen sieht die dänische Gemeinde in Rieseby in Gefahr (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    In den letzten fünf Jahren ist die Schülerschaft der dänischen Schule in Rieseby um fast ein Drittel gesunken. Schulleiter Hansen weiß, dass eine allgemeine Schule dieser Größe in Deutschland oder Dänemark längst geschlossen wäre. Trotzdem: Die Lernbedingungen und der Zusammenhalt in der Schülerschaft seien besonders. Und die Schule sei nun mal kultureller Mittelpunkt für die dänische Minderheit in der 2.000-Einwohnergemeinde nahe der Schlei sagt Hansen:
    "Das ist ja nicht nur die Schule, das ist auch unsere SSF - der kulturelle Verein, der dänische Sportverein. Alles hängt ja damit zusammen. Ist die Schule weg, stirbt mehr oder weniger der Sportverein vielleicht aus, oder der dänische SSF. Weil dann ziehen sie nach Eckernförde und irgendwann gibt’s in Rieseby gar keine dänische Minderheit mehr."
    Schulschließungen - kein neues Phänomen
    Schulträger der Minderheitenschulen ist der Dansk Skoleforening for Sydslesvig - der Dänische Schulverein für Südschleswig. Udo Jessen ist der Vorsitzende des Elterngeführten Vereins. Jessen hält fest: "Keine dänische Minderheit in der Stärke, wie wir sie haben ohne ein funktionierendes Bildungssystem! Jede Minderheit, die ich kenne, die keine eigenen Schulen und Kindergärten hat, keine Möglichkeit, ihre Sprache zu erhalten außerhalb des Familienkontextes im öffentlichen Raum, hat Probleme in Europa."
    Doch leider gebe der Schulverein mehr aus als er über die Zuwendungen aus Kiel, Kopenhagen und der Eltern erhalte. Jessen beziffert das Defizit mit drei Millionen Euro. Geld, das zum Beispiel für die Weiterbildung oder die Digitalisierung fehle. Mit Forderungen an die Schleswig-Holsteinische Landesregierung oder die Regierung in Kopenhagen hält Jessen sich zurück, die öffentlichen Zuwendungen seien vollkommen angemessen, ist er überzeugt.
    Derzeit beteiligen sich in Rieseby die Schüler mit 25 beziehungsweise 30 Euro an Materialkosten - pro Jahr. Doch diese Gebühren deutlich zu erhöhen wäre politischer Selbstmord, sagt Udo Jessen. Denn Bildung sei in Dänemark nun mal selbstverständlich kostenlos. Dass mit einer Schließung der Schule auch das Leben der Minderheit vor Ort stirbt, kann er nicht erkennen: "Wissen Sie: Der dänische Schulverein hatte mal knapp 100 Schulen. Wir haben noch 43. Es ist also kein neues Phänomen, dass man als Schulträger auch mal über Schulschließungen nachdenkt."
    "Ein Lebensnerv für die Minderheit"
    Flemming Meyer sieht das ganz anders. Meyer hat viele Jahre lang an den dänischen Schulen unterrichtet, sitzt seit 2009 im Kieler Landtag und ist Vorsitzender des Südschleswigschen Wählerverbands - der Partei der dänischen und friesischen Minderheit: "Ich halte das für einen sehr, sehr großen Fehler, wenn wir als Minderheit kleine Schulen in den Außenbereichen schließen. Denn das ist ein Lebensnerv für die Minderheit. Und deshalb meine ich, wir müssen alles mögliche tun, um solche Schulschließungen zu verhindern!"
    Als Zeichen der Solidarität haben in Rieseby kürzlich mehrere hundert Personen eine Menschenkette gebildet. Auch Kathrin Frank hofft darauf, dass die dänische Schule hier fortbestehen wird. Sie stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, ihr Mann aus Süddeutschland. Bei allen drei Kindern haben sich die Eltern für die dänische Schule entschieden: "Also, es war wirklich `ne Überraschung, dass es so was hier überhaupt gibt. Und weil wir ja eh sowieso entwurzelt waren, haben wir gesagt, wir suchen jetzt neue Wurzeln und wurzeln uns in die dänische Minderheit mit rein!"
    Ob es auch künftig solche Geschichte aus Rieseby zu erzählen gibt, darüber werden in den nächsten Monaten im dänischen Schulverein für Südschleswig die Elternvertreter entscheiden.