Waltraud Wende: Es geht nicht darum, die Zahl der Doktoranden nach oben zu katapultieren, sondern es geht darum, Forschungseinrichtungen – und ich finde, Fachhochschulen sind genauso Forschungseinrichtungen wie Universitäten –, zu ermöglichen, ihre Studierenden nach dem Master auch bis zur Promotion zu betreuen, das ist das Ziel.
Manfred Götzke: Na ja, ursprünglich waren die FHs, die Fachhochschulen, ja gegründet worden, um Anwendbarkeit, praxisnahe akademische Ausbildung zu garantieren und nicht primär zu forschen.
Wende: Ja, sie waren ursprünglich gegründet worden Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, weil man gesagt hat, wissenschaftlich basierte Ausbildung, ohne dass die Professoren an den Fachhochschulen aber selbst forschen sollten oder mussten. Das hat sich aber, wie wir gesehen haben in den letzten 40 Jahren, ganz anders entwickelt. Und die Fachhochschulen forschen genauso, wie Universitäten forschen. Sie forschen in der Regel anwendungsorientiert. Aus meiner Perspektive gibt es aber nicht Forschung erster und zweiter Klasse. Und aus diesem Grund spreche ich von Forschung, egal ob sie anwendungsorientiert oder eher grundlagenorientiert ist.
Götzke: Die Plagiatsskandale der vergangenen Jahre, die haben ja gezeigt, dass die Betreuung von Doktoranden an vielen Universitäten, ich sag mal, suboptimal läuft. Wird das besser, wenn nun auch noch FH-Professoren Doktorarbeiten annehmen können?
Wende: Wenn Sie es so formulieren, nicht unbedingt. Aber wir haben ja gerade daran die entscheidende Weichenstellung justiert. Wir haben gesagt, wir wollen ein Promotionsverfahren an den Fachhochschulen installieren, wo der Betreuer nicht gleichzeitig Gutachter der Arbeit sein darf. Das ist eine entscheidende qualitative Maßnahme im Vergleich zu den Promotionsverfahren, wie wir sie an den Universitäten kennen. Und wir haben darüber hinaus gesagt, die Gutachter der Arbeit sollen zwei Universitätsprofessoren und ein Fachhochschulprofessor sein, wobei der Fachhochschulprofessor nicht der Betreuer der Arbeit sein darf. Hinzu kommt, dass wir gesagt haben, die Arbeit soll anschließend in einem öffentlichen Raum verteidigt werden, also eine Disputation soll stattfinden.
Götzke: Die gibt es ja jetzt auch schon.
Wende: Ja, aber nicht flächendeckend. Das ist von Universität zu Universität unterschiedlich.
Götzke: Interessant finde ich ja, Sie haben es gerade genannt, dass in dem Promotionsausschuss, der dann die Arbeit begutachtet, zwei Uni-Professoren sitzen, ein FH-Prof kann dann noch dabei sitzen. Trauen Sie den Fachhochschulen letztlich doch nicht zu, Doktorarbeiten angemessen kritisch zu beurteilen?
Wende: Das hat nichts damit zu tun, mit dem Nicht-Zutrauen, sondern ich habe das ja mit den Fachhochschulen gemeinsam erarbeitet, dieses Konzept. Und wir haben gesagt, wir wollen zeigen, dass wir uns nicht verstecken müssen als Fachhochschule. Unsere Qualität kann den Qualitätsmaßstäben der Universitäten auch, also mit denen konkurrieren. Und wir stellen uns dann auch der Außenkontrolle, dass das Universitätsprofessoren sein sollen. Also, es hat nichts damit zu tun, dass es die nicht auch selbst könnten. Aber wenn wir das umgekehrt organisiert hätten, hätten wir natürlich den Widerstand gekriegt. Dann wäre schnell gekommen, das ist eine Billigart von Promotion, weil doch die Fachhochschulen all das nicht können. Und jetzt sagen wir: Nein, der Qualitätsmaßstab ist der Maßstab, den auch jede Universität anlegen würde.
Götzke: Den Widerstand, den gibt es ja trotzdem. Der Präsident der TU9 zum Beispiel, der großen Technischen Universitäten, Schmachtenberg, der befürchtet ja den Untergang des Abendlandes. Was halten Sie ihm entgegen?
Wende: Ich halte ihm zum Beispiel entgegen – das finde ich gerade so schön, weil die Technischen Universitäten oder die Technischen Hochschulen vor hundert Jahren ja erst das Promotionsrecht bekommen haben. Als sie das im Kaiserreich bekommen haben, mussten sie als Malus die Bezeichnung in deutsch, also deutsch "Ing." anhängen und durften keine lateinische Bezeichnung des Doktortitels auswählen. Das war damals als Malus gedacht und ist mittlerweile ein Qualitätskriterium. Und ich finde, wir sind ja nicht so auf dem Weg, dass wir sagen, wir wollen die Zahl der Promovenden auf diese Weise in die Höhe treiben, sondern wir wollen die Promotion, die eh schon auch von ehemaligen Fachhochschulstudierenden angefertigt werden, die sollen jetzt auch in der Fachhochschule selbst zu Ende gebracht werden. Und vor allen Dingen, was mir dabei wichtig ist, die Fachhochschule soll der Akteur des Verfahrens sein. Sie holen sich dann qualifizierte Universitätsprofessoren mit ins Verfahren, aber sie sind der Akteur.
Götzke: Es gibt ja bei Ihrem Entwurf eine große Einschränkung. Sie sagen, die forschungsstarken Fachhochschulen sollen das Promotionsrecht erhalten. Wie ist das denn überhaupt zu definieren.
Wende: Das könnten Sie jetzt genauso bei den Universitäten fragen. Wo ist da ein forschungsstarker und wo ist ein weniger forschungsstarker Professor ...
Götzke: Man darf ja an jeder Universität promovieren.
Wende: Ja, man darf an jeder Universität promovieren, egal, ob der Professor, der die Arbeit betreut, forschungsstark ist oder nicht. Also, da könnten wir genau die gleich Frage stellen. Aber unabhängig davon, natürlich gibt es Rahmenkriterien. Also zum Beispiel könnte man davon ausgehen, dass ein Professor, und wir haben eine Reihe von Professoren an unseren Fachhochschulen, der habilitiert ist, sicherlich die Kriterien erfüllt, die ein forschungsstarker Professor erfüllt. Ein Professor, der Drittmittelakquise erfolgreich betreibt, könnte ich mir vorstellen, ist ein forschungsstarker Professor. Ein Professor, der in bestimmten Journals publiziert, ist ein forschungsstarker Professor. Und da gibt es natürlich Kriterien.
Götzke: Wenn die Fachhochschulen forschungsstärker werden sollen, was Ihr Vorstoß ja auch impliziert, bekommen die dann auch von Ihnen mehr Forschungsmittel, mehr Geld?
Wende: Nein. Dann haben Sie was falsch verstanden oder ich hab mich falsch ausgedrückt. Die sollen nicht forschungsstärker werden, die sind bereits forschungsstark, und zwar in der anwendungsorientierten Forschung. Und ich möchte die auch nicht dahin treiben, jetzt zu promovieren, sondern ich möchte etwas ermöglichen. Es ist ein Recht, keine Pflicht. Ich möchte einfach sagen, ich guck mir die Hochschullandschaft an, stelle fest, dass die Fachhochschulen schon etwas tun, was man ihnen vor 30 oder 40 Jahren nicht zugetraut hat. Und sage jetzt, die Wirklichkeit hat sich geändert, und wir müssen an diese veränderte Wirklichkeit auch unsere Promotionsverfahren anpassen. Wobei ich gleichzeitig eben dafür Sorge getragen habe, dass das Verfahren, was wir jetzt wählen an den Fachhochschulen, den höchsten qualitativen Kriterien entspricht. Und ich glaube, da könnten wir – wir messen uns ja an den Promotionsverfahren im angelsächsischen Raum, da wird das obligatorisch so gemacht, wie wir es jetzt auch an den Fachhochschulen tun werden. Und ich denke, wir sind da auf einem richtigen Weg.
Götzke: Sollte man dann nicht auch gleichzeitig sagen, wir verändern die Promotionsregeln für die Universitäten?
Wende: Wir haben eine Autonomie der Universitäten, die haben ihr Promotionsrecht. Wenn jetzt eine Universität in meinem Land sagen würde, wir wollen uns diesem Verfahren anpassen, werde ich nicht protestieren. Aber ich werde umgekehrt jetzt nicht die Universitäten unter Druck setzen, das gleiche Verfahren so zu übernehmen. Da müssen sie selbst abwägen, wo die Qualitätsabsicherung die bessere ist.
Götzke: Die Studienabschlüsse haben sich durch Bologna an Universitäten und Fachhochschulen einander angenähert. Jetzt können bald ausgewählte Fachhochschulen in Schleswig-Holstein zumindest promovieren oder das Promotionsrecht ausüben. Gibt es dann in Zukunft überhaupt noch Unterschiede? Kann man die Unterscheidung FH/Uni in zwei, drei Jahren abschaffen?
Wende: Da möchte ich Ihnen mal einfach zitieren, was das Bundesverfassungsgericht schon vor drei Jahren geurteilt hat. Es hat gesagt, es gibt nicht verschiedene Hochschulen, es gibt nur eine Hochschule. Und ich glaube, das ist ja bereits der Weg, der eingeleitet worden ist, dass wir eben wirklich aufhören müssen, in verschiedenen Kategorien zu denken, sondern es gibt bestimmte Typen von Universitäten, so wie es Technische Universitäten gibt, gibt es anwendungsorientierte Hochschulen – ich nenne das jetzt nicht Universität, aber Hochschulen. Und damit müssen wir leben. Und die sind alle unterschiedlich, aber gleichwertig.
Götzke: Frau Wende, ganz herzlichen Dank für das Interview!
Wende: Gerne!
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