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Schlichtung im Öffentlichen Dienst gescheitert

Müller: Ich begrüße den Leipziger Oberbürgermeister, Wolfgang Tiefensee, SPD. Guten Morgen.

    Tiefensee: Guten Morgen. Ich grüße Sie, Herr Müller.

    Müller: Herr Tiefensee, Sie waren bei den Verhandlungen nicht dabei, aber die Arbeitgeber haben geschlossen, gegen den Schlichterspruch gestimmt. Hätten Sie auch dagegen gestimmt?

    Tiefensee: Ja, es gibt keine Alternative. Der Sonntag-Abend, ein schwarzer Sonntag, hat einen Schlichterspruch gebracht, der so gar nicht vorhersehbar war - allerdings konnten die schlimmsten Befürchtungen das so erwarten lassen -, nämlich so dicht an der Gewerkschaftsforderung, dass die Arbeitgeber angesichts der Haushaltslage in den Kassen eigentlich nur ablehnen konnten.

    Müller: Herr Geyer hat gerade argumentiert, dass die Gewerkschaften einen kräftigen Schritt nach vorne in Richtung Arbeitgeber gemacht haben. Es geht da sozusagen um ein Splitting dieser 3 Prozent-Forderung. Warum konnte man denn diesen Kompromiss nicht mittragen?

    Tiefensee: Wie gesagt, ich habe nicht am Tisch gesessen, aber wir gehen bald auf den 1.1.2004 zu. Im Januar kommenden Jahres sind wir bei 3 Prozent angekommen. Das war die Forderung der Gewerkschaft, und die Arbeitgeber, auch die Oberbürgermeister, der Deutsche Städtetag haben vorgerechnet, dass das schlicht für die Kassen nicht verkraftbar ist. Ich kann nur aus dem Blickwinkel einer großen Stadt davon berichten, dass das Millionenaufwendungen sind. Jeder Prozentpunkt kostet in Leipzig ungefähr 2,5 Millionen direkt in der Stadt und noch einmal 1 rund 1,8 Millionen bei den angeschlossenen Eigenbetrieben. Das ist schlicht nicht verkraftbar, und so ist das was der Schlichter, die Schlichter vorgelegt haben, im Kern eigentlich kein Kompromiss, sondern der Versuch einen Streik zu verhindern, indem man die Forderungen der Gewerkschaften aufgreift und zum Schlichterspruch erklärt.

    Müller: Hat das Hans Koschnick nicht gewusst?

    Tiefensee: Das schon, aber ich denke, dass man letztlich dann doch in Abwägung des volkswirtschaftlichen Schadens eines Streiks seitens der Schlichter auf die Gewerkschaften zugegangen ist. Nur, das kann eigentlich nicht der Weg sein. Ich habe schon Verständnis dafür, dass man um Einkommenssteigerungen ringt, dass man dafür kämpft, dass Ost-West-Angleichung stattfindet. Wir erleben das tagtäglich, dass die Leistungen hier genauso teuer sind wie im Westen, das Gehalt aber schmaler, die Arbeitszeit länger. Ich habe also gewisses Verständnis dafür. Auf der anderen Seite muss man, wenn man einen Kompromiss sucht, eben auch sehen, dass viele Kommunen am Ende ihrer Kraft sind, sich schon in Zwangsverwaltung durch die Regierungspräsidien befinden, die Leistungen für die Bürger nicht mehr erbringen können, und das muss auf der anderen Seite der Lage zur Geltung kommen, und deshalb hätte ich mir einen anderen Spruch erwartet.

    Müller: Herr Tiefensee, bleiben wir noch einmal bei dem Aspekt, Streik und seine Folgewirkung. Hans Koschnick hat argumentiert: ein Kompromiss jetzt mit den entsprechenden Lohnerhöhungen, der ist billiger als ein Streik. Hat er da Recht?

    Tiefensee: Das ist aber nur eine rein fiskalische, eine rein materielle Berechnung, die das so nicht trägt. Einer macht seine Forderung auf, und diese Forderung wird gegengerechnet gegen das, was an Abstand zwischen Arbeitgeberangebot und Arbeitnehmerangebot auf dem Tisch liegt, nämlich diese rund 1,2 Milliarden Euro. So kann man doch nicht argumentieren, sondern man muss auf der einen Seite sehen, welche Forderungen berechtigt sind und was auf der anderen Seite verkraftbar ist in der öffentlichen Hand. Und dazu kommt: Wir werden nicht nur einen materiellen Schaden haben. Die deutsche Wirtschaft hat nicht zuletzt deshalb ihren guten Ruf, weil sie stabil ist, weil sie verlässlich ist. Der öffentliche Dienst stellt das Rückrat auch für die Wirtschaft dar. Ein Streik bringt also nicht nur Kosten von 1,2 Milliarden, sondern er bringt, auch für die Wirtschaft, verheerende indirekte Folgen.

    Müller: Herr Tiefensee, blicken wir auf Mittwoch. Da ist das nächste Datum, was ansteht. Beide Seiten wollen sich da noch einmal zusammensetzten. Macht das denn Sinn, wenn die Arbeitgeber keinerlei Spielraum mehr erkennen lassen?

    Tiefensee: Sich am Mittwoch zusammenzusetzen, um in erneute Verhandlungen zu treten, macht tatsächlich nur Sinn, wenn sich beide Seite aufeinander zu bewegen. Ich kann wie viele andere, nur appellieren, dass es einen Weg gibt, der unterhalb des Schlichterspruchs zu einem Ergebnis kommt, der also den Arbeitgebern entgegenkommt, der den Streik verhindert und andererseits in gewissem Sinne die Forderung der Gewerkschaften aufgreift. Also neben dem Schlichterspruch oder nach dem Schlichterspruch sind jetzt sehr weise und sehr bedächtige Diplomaten auf beiden Seiten gefragt, die nicht etwa einen Blick dafür haben, was wir für Zahlen in der Vergangenheit genannt haben, wie wir uns aus dem Fenster gehangen haben und ob wir auf diese Forderung zurückblicken, sondern die wirklich die Volkswirtschaft und alles das was an Folgen daran hängt bedenken und weise einen Kompromiss finden.

    Müller: Abschließende Frage, Herr Tiefensee, ganz kurz, wenn es geht: Stehen mittelfristig Entlassungen im öffentlichen Dienst an?

    Tiefensee: So ist es. Wir werden nicht weiter an Leistung einschränken können, und selbst das wäre katastrophal. Für Leipzig bedeutet eine 1-Prozent-Steigerung etwa 2,5 Millionen - ich sagte es. Sollten wir zu keinen weiteren Einschnitten in den Leistungen kommen, dann sind 1 Prozent etwa 60 Stellen. Wir haben in diesem Jahr, 2003, schon einen Streichung von rund 180 Stellen vorgesehen. Wir sind am Ende dessen, was möglich ist.

    Müller: Das war der Leipziger Oberbürgermeister, Wolfgang Tiefensee. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio