Jochen Spengler: Wir machen jetzt eine kleine Zeitreise mit Ihnen. Stellen Sie sich vor: Berlin, das Jahr 1954. Eine Reisegruppe besichtigt mit dem Bus Berlins Stadtmitte, also den damaligen Osten.
Bis 1950 stand das Berliner Schloss noch auf der Museumsinsel, wenn auch schwer beschädigt durch den Krieg. Über Jahrhunderte diente es als Residenz der Kurfürsten von Brandenburg, später der Könige von Preußen und der Kaiser des deutschen Reiches. Ab dem Jahr 1699 erhielt es durch den Baumeister Andreas Schlüter seine Ausprägung als bedeutender Bau des protestantischen Barocks. Rund 250 Jahre später, im Jahr 1950, wurde es auf Weisung von Walter Ulbricht gesprengt und abgetragen. In den Augen der SED war das Stadtschloss ein Symbol des preußischen Absolutismus. Später bedauerte Erich Honecker den Abriss. Ab 1973 wurde auf dem Schlossgelände der "Palast der Republik" errichtet. Auch er steht nicht mehr. Vor zwei Jahren wurde mit dem Abriss des DDR-Symbols begonnen. Bundestag und Land Berlin haben beschlossen, das Berliner Schloss wieder aufzubauen. Drei Fassaden sollen wieder so aussehen wie beim historischen Barockbau. Mehr werden wir heute Nachmittag wissen. Dann will Bundesbauminister Tiefensee den Sieger des Architektenwettbewerbs präsentieren.
Wir haben zwei bekannte Exponenten gegensätzlicher Konzeptionen zum Streitgespräch gebeten. Beide saßen in der Expertenkommission "Historische Mitte Berlins". In Stuttgart begrüße ich Peter Conradi, lange Jahre SPD-Abgeordneter und früher Vorsitzender der Bundesarchitektenkammer. Guten Morgen, Herr Conradi.
Peter Conradi: Guten Morgen!
Spengler: Und in Berlin sein Kontrahent, der Publizist Christoph Stölzl, CDU-Mitglied, früher Kultussenator in Berlin und Direktor des Deutschen Historischen Museums. Herr Stölzl, auch Ihnen guten Morgen.
Christoph Stölzl: Hallo, guten Morgen!
Spengler: An beide zu Beginn dieselbe Frage. Wenn wir heute Nachmittag den Siegerentwurf kennen werden, ist das dann das Ende des langjährigen Streits, oder geht er dann erst richtig los? - Herr Conradi.
Conradi: Ich glaube nicht, dass das das Ende des Streits ist, denn ein Wettbewerb, der sich von Vornherein auf eine Lösung beschränkt, ist ja kleinkariert. Das ist albern. Außerdem wird es einen Streit geben, ob man in dem Gebäude überhaupt alles unterbringen kann, was da untergebracht werden soll. Und schließlich kommt die Kostenfrage. Die Kosten sind bisher nach unten gerechnet worden. Das wird so nie reichen. Das heißt, die Diskussion geht in jedem Fall weiter. Aber jetzt sind wir erst mal gespannt, was der Wettbewerb noch bringen kann.
Spengler: Herr Stölzl, wie sehen Sie es?
Stölzl: Ich glaube, der Streit ob des Ja oder Nein, der wird vorbei sein, denn es soll gebaut werden, und der Streit wird vielleicht ein bisschen fachlicher unter den Architekten und den Leuten, die sich auskennen, ob das, was da rauskommt, wirklich gut ist und ob es durch öffentliche Diskussionen noch zu verbessern sei.
Spengler: Herr Stölzl, Sie haben gesagt, Sie seien der erste gewesen, der den Wiederaufbau des Berliner Schlosses verlangt hat. Wann war das?
Stölzl: Das ist eine merkwürdige Geschichte. Es gab im Volkskammerwahlkampf im Februar 1990 mal eine baupolitische Veranstaltung der Liberalen, und da habe ich gesagt, warum denn nicht tatsächlich die Mitte Berlins wieder historisch rückbauen samt dem Schloss. Das hat natürlich keinen Menschen damals interessiert, aber es ist in der "Zeit" damals kommentiert worden, dass Christoph Stölzl endgültig übergeschnappt ist. Diesen kleinen Zettel habe ich mir aufgehoben als Beweis dafür, wie merkwürdige Wege Ideen gehen können.
Spengler: Herr Conradi, das fanden Sie bestimmt dann auch, dass Christoph Stölzl endgültig übergeschnappt ist, oder?
Conradi: Nein. Dazu kenne ich Herrn Stölzl zu gut. Übergeschnappt war er nie, aber die Vorstellung, dass hier ein Preußenschloss nachgebaut wird, eine Kopie hergestellt wird und dass das die deutsche Identität begründet, die habe ich für absurd gehalten.
Spengler: Warum? Warum ist das absurd?
Conradi: Weil Preußen ist untergegangen - Gott sei Dank. Preußen ist Teil der deutschen Geschichte. Aber Preußen begründet nicht die Identität der Bundesrepublik Deutschland. Da sind wir uns im Süden, in Bayern, in Baden-Württemberg, im Rheinland, in Hessen, alle einig. Wenn die Berliner meinen, ihre Identität sei durch dieses Schloss begründet, Herrschaften, dann sollen sie es auf eigene Kosten wieder aufbauen. Aber das ist doch keine Bundesaufgabe.
Spengler: Herr Stölzl.
Stölzl: Die Preußen-Identität, die war mir eigentlich ganz Wurst bei dieser ganzen Geschichte. Ich kannte die Berliner Innenstadt ganz gut und habe sie später noch besser kennen gelernt als Nachbar dieses Nicht-mehr-Schlosses im Zeughaus. Wer dort herumgeht, wer sich auskennt, der weiß, dass da ein riesiges Vakuum ist. Dort ist eine Amputation vorgenommen worden in der urbanen Struktur, in den Baumassen, in den Sichtachsen. Da muss dieses Herz wieder gefüllt werden. Der Palast der Republik war leider, muss man sagen, eine falsche Füllung. Das stimmte einfach hinten und vorne nicht, nicht in der Höhe, nicht in der Breite, nicht in der Lage. Die haben das richtig falsch gemacht. Darum weine ich diesem Ding keine Träne nach. Die Diskussion öffentlich ging ja nicht darum, dass man da vollkommen neu baut. Die Idee, da einen Eiffelturm hinzubauen oder so was, was die DDR Anfang der 50er ja noch gewollt hat, so eine Art Stadtkrone, sagen wir Lomonossow-Turm oder Rockefeller-Center, so was stand nie zur Debatte. Aber dass da ein kräftiger, ganz starker Akzent hin muss, das, glaube ich, ist unbestritten für jeden, der die Augen dort aufmacht.
Spengler: War das auch für Sie unbestritten, Herr Conradi?
Conradi: Unbestritten ist, dass in der Mitte Berlins etwas entstehen muss, und wir haben in der Expertenkommission uns ja auf einen kulturellen Zweck, eine Art Kulturhaus geeinigt. Ich bezweifle bloß, dass ein Wettbewerb Sinn macht, bei dem der Auslober, der Bauherr von Vornherein sagt, das muss so und so aussehen, darf nicht größer werden. Ein Ideenwettbewerb soll ja Ideen bringen und offenbar hat man sich im Bundestag und in Berlin vor Ideen gefürchtet. Denn es wäre ja durchaus auch denkbar gewesen, neben einem Nachbau des Schlosses nun einen Neubau mit Zitaten aus dem Schloss oder gar einer Collage aus Teilen des Palasts und Schlosses vorzuschlagen. Wenn das alles so furchtbar geworden wäre, na gut, dann hätte die Jury gesagt, wir bauen das alte Schloss nach, aber man wollte andere Ideen - und es gab ja sehr kluge Ideen, beispielsweise von Axel Schultes und Charlotte Frank; es gab gute Ideen - nicht sehen. Man war versessen auf dieses Schloss, von dem dann behauptet wurde, es sei der wichtigste Barockbau nördlich der Alpen, also ein blanker Blödsinn. Es gibt also ganz andere, in Würzburg und so. Die Berliner sind da ein bisschen schlossbesoffen, und das gönne ich ihnen auch. Aber in Wirklichkeit ist es nicht Sache des Bundes.
Spengler: Nehmen Sie das so an, dass Sie schlossbesoffen sind, Herr Stölzl?
Stölzl: Nein, überhaupt nicht. Ich habe das ganz ruhig gesehen. Es ist nur so, dass die Frage, wenn eine Stadt so konsequent um ein bestimmtes Bauwerk herum entstanden ist, der Lustgarten, Schinkels altes Museum - die ganzen anderen Korrespondenzen beziehen sich auf einen Bau in einer bestimmten Ausdehnung -, dann in der Tat spricht viel dafür, das wieder zu machen. Ich stimme Herrn Conradi zu, dass man unbedingt einen Wettbewerb dafür nicht gebraucht hätte. Wenn man sich dafür entscheidet, so was zu tun, so wie die Münchener sich 1945 entschlossen haben, die Residenz wieder aufzubauen, als sei nichts gewesen, da gab es auch keinen Wettbewerb, sondern den Entschluss, mit aller Kunst der Architekten und heutzutage der Computer das so gut wie möglich zu machen. Nun, so weit, so konservativ waren die Berliner nicht. Das sind sie einfach nicht. Alle Beteiligten waren nicht so konservativ, wie die Süddeutschen in solchem Falle gewesen sind.
Spengler: Aber Herr Stölzl, warum nicht ein konsequent freier Wettbewerb? Warum diese Vorgaben, drei Fassaden, nachgebildet dem Barockbau?
Stölzl: Das war offenbar das Ergebnis des öffentlichen Nachdenkens. Ich finde ja auch: entweder freigeben, tatsächlich wirklich eine ganz neue Stadtmitte bauen, so wie das nach '50, nachdem also das Schloss schändlicherweise weggeräumt war, ja eine Zeit lang in der DDR diskutiert wurde, die dann die Kraft nicht dazu hatte, oder aber zu sagen: konservativ, wir bauen diesen Kasten, so wie er war, weil er die Ordnung wieder herstellt.
Spengler: An dem Punkt sind Sie beide einer Meinung?
Conradi: Ja, das ist schön!
Stölzl: Ich finde das radikal konservativ.
Conradi: Das ist ja schön, dass wir an diesem Punkt einer Meinung sind, dass dieser Wettbewerb doch sehr beschränkt ist, ich meine geistig beschränkt ist, und das bedauere ich sehr. Es mag ja rauskommen hinterher eine halbwegs verträgliche Lösung. Nur mir ist immer noch nicht klar, wie Architekten das lösen werden. Dass hier eine völkerkundliche Sammlung - also Indianerzelte, Grönland, Kanus und so was - in ein Barockschloss reingesperrt werden, das halte ich geradezu für absurd. Aber wir werden heute Abend sehen, wie die armen Architekten das gelöst haben.
Spengler: Herr Conradi, finden Sie das ein Armutszeugnis für die moderne Architektur, dass man da irgendwas nachbauen soll, statt was eigenes zu schaffen?
Conradi: Ja. Ich verstehe das auf der einen Seite. Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Die Menschen sind stark verunsichert und sagen, lieber das Alte - und so gut war die alte Zeit übrigens gar nicht -, und haben Angst vor dem Neuen. Das verstehe ich schon.
Spengler: Nein, da muss ich noch mal was fragen. Ich kenne viele Bürger, die sagen irgendwo, die moderne Architektur kann einfach mit der Pracht der alten Gebäude nicht mithalten. Die sind einfach schöner, die alten.
Conradi: Auch das stelle ich in Zweifel. Da gibt es wunderbare Beispiele, vom Olympiastadion in München bis zu den Bundestagsbauten heute neu, dem Kanzleramt, den Bundestagsbauten in Bonn auch. Das heißt, es gibt wunderbare Rathäuser und Krankenhäuser, auf die wir stolz sind, tadellose neue Museen, Kirchen. Es ist einfach nicht so, dass die moderne Architektur völlig ausdruckslos wäre. Aber die Sehnsucht geht zurück in die Vergangenheit. Viel Nostalgie ist da dabei und Angst vor der Zukunft. Das verstehe ich, aber ich kann diese Ansicht nicht teilen.
Spengler: Herr Stölzl, passt das, was Herr Conradi gesagt hat, wirklich nicht so gut zusammen, ich sage mal Einbäume hinter barocken Schlossfassaden?
Stölzl: Nein. Ein Museum kann man fast in jedem Gebäude machen. Das, glaube ich, ist mehr eine technische Frage. Aber ich glaube nicht, dass die Sehnsucht oder der Wunsch nach diesen alten Fassaden etwas Reaktionäres ist, sondern eher eine nüchterne Einsicht. Die moderne Architektur baut das, was sie kann, technisch wunderbar, 100 Meter, 200 Meter, 300 Meter hoch. Sie baut immer nach ihren technischen Möglichkeiten. Dieser Barockbau hat auch die technischen Möglichkeiten ausgereizt. Höher konnten die nicht so richtig. Der Turm ist damals ja auch eingefallen. Ich finde, wenn man A sagt, nämlich wir wollen die genauen Proportionen von diesem Körper haben, weil der die Stadt zusammenhält, dann ist das B zu sagen, dann machen wir auch die Fassaden. Das finde ich eigentlich konsequent. Also es ist so, ich hielte das wirklich für einen Murks und ich finde, die deutschen Beispiele aus der Nachkriegszeit wie zum Beispiel beim Wiederaufbau von Nürnberg, wo man die alten Hauskanten, also die so genannte Kubatur erhalten hat und dann gesagt hat, man macht aber ein modernes Kleid darüber, das finde ich wirklich schrecklich. Ich finde, entweder freigeben dort, tatsächlich den Körper freigeben - dazu hat man sich nicht durchringen können -, oder aber zu sagen, wir bauen das hin. Das ist natürlich eine Simulation. Jeder weiß, dass das ein Neubau ist. Wie die Architekten jetzt umbauen können mit dieser Erinnerungspflicht, zunächst einmal mit der Fassade, das halte ich für ganz faszinierend. Ich bin sehr optimistisch, dass da was sehr Intelligentes, Ironisches und mit dem Gedanken der Erinnerung spielendes herauskommen wird.
Spengler: Nicht auch ein bisschen Puppenstuben-Biedermeier, wie es jemand gesagt hat?
Conradi: Na ja, wie die Kommandantur, die gegenüber steht. Da haben wir ja schon so einen Nachbau, der ja nun wirklich eher komisch ist, in dem Bertelsmann drin ist. Da kann man nur den Kopf schütteln.
Stölzl: Da bin ich anderer Meinung. Ich finde das interessant. Ich meine, es gibt extreme Beispiele wie Braunschweig, wo also das Schloss überhaupt nur außen um ein Kaufhaus gebaut ist. Das, finde ich, kann man nicht machen. Aber je mehr Handwerk, je mehr historische Bautechnik, umso besser ist sie. Eines der faszinierendsten Häuser, das ich kenne, ist Herrenchiemsee von Ludwig II., das ja nur zur Hälfte fertig geworden ist. Der Flügel, der nur Ziegelrohbau ist, ist eigentlich der schönste. Ich hätte mir gewünscht, dass man für diesen Schloss-Neubau - das ist kein Wiederaufbau, sondern ein Neubau - tatsächlich doch auch sehr viel mehr verlangt hätte, dass die historische Bautechnik in Teilen jedenfalls verwendet wird. Stahlbeton mit angeklebter Tapete finde ich auch falsch.
Spengler: Bundestag und Land Berlin haben beschlossen, das Berliner Schloss wieder aufzubauen. Drei Fassaden werden wohl so aussehen wie beim historischen Barockbau. Mehr werden wir heute Nachmittag wissen. Dann wird der Bundesbauminister Tiefensee den Sieger des Architektenwettbewerbs präsentieren.
Ich hatte zwei gegensätzliche Konzeptionen zum Streitgespräch gebeten: Peter Conradi, SPD-Bundestagsabgeordneter über lange Jahre und Vorsitzender der Bundesarchitektenkammer in früheren Zeiten. Herr Conradi, herzlichen Dank! - Und den Publizisten Christoph Stölzl, CDU-Mitglied, früher Kultussenator in Berlin und ehemals Direktor des Deutschen Historischen Museums. Danke, Herr Stölzl, auch Ihnen.
Bis 1950 stand das Berliner Schloss noch auf der Museumsinsel, wenn auch schwer beschädigt durch den Krieg. Über Jahrhunderte diente es als Residenz der Kurfürsten von Brandenburg, später der Könige von Preußen und der Kaiser des deutschen Reiches. Ab dem Jahr 1699 erhielt es durch den Baumeister Andreas Schlüter seine Ausprägung als bedeutender Bau des protestantischen Barocks. Rund 250 Jahre später, im Jahr 1950, wurde es auf Weisung von Walter Ulbricht gesprengt und abgetragen. In den Augen der SED war das Stadtschloss ein Symbol des preußischen Absolutismus. Später bedauerte Erich Honecker den Abriss. Ab 1973 wurde auf dem Schlossgelände der "Palast der Republik" errichtet. Auch er steht nicht mehr. Vor zwei Jahren wurde mit dem Abriss des DDR-Symbols begonnen. Bundestag und Land Berlin haben beschlossen, das Berliner Schloss wieder aufzubauen. Drei Fassaden sollen wieder so aussehen wie beim historischen Barockbau. Mehr werden wir heute Nachmittag wissen. Dann will Bundesbauminister Tiefensee den Sieger des Architektenwettbewerbs präsentieren.
Wir haben zwei bekannte Exponenten gegensätzlicher Konzeptionen zum Streitgespräch gebeten. Beide saßen in der Expertenkommission "Historische Mitte Berlins". In Stuttgart begrüße ich Peter Conradi, lange Jahre SPD-Abgeordneter und früher Vorsitzender der Bundesarchitektenkammer. Guten Morgen, Herr Conradi.
Peter Conradi: Guten Morgen!
Spengler: Und in Berlin sein Kontrahent, der Publizist Christoph Stölzl, CDU-Mitglied, früher Kultussenator in Berlin und Direktor des Deutschen Historischen Museums. Herr Stölzl, auch Ihnen guten Morgen.
Christoph Stölzl: Hallo, guten Morgen!
Spengler: An beide zu Beginn dieselbe Frage. Wenn wir heute Nachmittag den Siegerentwurf kennen werden, ist das dann das Ende des langjährigen Streits, oder geht er dann erst richtig los? - Herr Conradi.
Conradi: Ich glaube nicht, dass das das Ende des Streits ist, denn ein Wettbewerb, der sich von Vornherein auf eine Lösung beschränkt, ist ja kleinkariert. Das ist albern. Außerdem wird es einen Streit geben, ob man in dem Gebäude überhaupt alles unterbringen kann, was da untergebracht werden soll. Und schließlich kommt die Kostenfrage. Die Kosten sind bisher nach unten gerechnet worden. Das wird so nie reichen. Das heißt, die Diskussion geht in jedem Fall weiter. Aber jetzt sind wir erst mal gespannt, was der Wettbewerb noch bringen kann.
Spengler: Herr Stölzl, wie sehen Sie es?
Stölzl: Ich glaube, der Streit ob des Ja oder Nein, der wird vorbei sein, denn es soll gebaut werden, und der Streit wird vielleicht ein bisschen fachlicher unter den Architekten und den Leuten, die sich auskennen, ob das, was da rauskommt, wirklich gut ist und ob es durch öffentliche Diskussionen noch zu verbessern sei.
Spengler: Herr Stölzl, Sie haben gesagt, Sie seien der erste gewesen, der den Wiederaufbau des Berliner Schlosses verlangt hat. Wann war das?
Stölzl: Das ist eine merkwürdige Geschichte. Es gab im Volkskammerwahlkampf im Februar 1990 mal eine baupolitische Veranstaltung der Liberalen, und da habe ich gesagt, warum denn nicht tatsächlich die Mitte Berlins wieder historisch rückbauen samt dem Schloss. Das hat natürlich keinen Menschen damals interessiert, aber es ist in der "Zeit" damals kommentiert worden, dass Christoph Stölzl endgültig übergeschnappt ist. Diesen kleinen Zettel habe ich mir aufgehoben als Beweis dafür, wie merkwürdige Wege Ideen gehen können.
Spengler: Herr Conradi, das fanden Sie bestimmt dann auch, dass Christoph Stölzl endgültig übergeschnappt ist, oder?
Conradi: Nein. Dazu kenne ich Herrn Stölzl zu gut. Übergeschnappt war er nie, aber die Vorstellung, dass hier ein Preußenschloss nachgebaut wird, eine Kopie hergestellt wird und dass das die deutsche Identität begründet, die habe ich für absurd gehalten.
Spengler: Warum? Warum ist das absurd?
Conradi: Weil Preußen ist untergegangen - Gott sei Dank. Preußen ist Teil der deutschen Geschichte. Aber Preußen begründet nicht die Identität der Bundesrepublik Deutschland. Da sind wir uns im Süden, in Bayern, in Baden-Württemberg, im Rheinland, in Hessen, alle einig. Wenn die Berliner meinen, ihre Identität sei durch dieses Schloss begründet, Herrschaften, dann sollen sie es auf eigene Kosten wieder aufbauen. Aber das ist doch keine Bundesaufgabe.
Spengler: Herr Stölzl.
Stölzl: Die Preußen-Identität, die war mir eigentlich ganz Wurst bei dieser ganzen Geschichte. Ich kannte die Berliner Innenstadt ganz gut und habe sie später noch besser kennen gelernt als Nachbar dieses Nicht-mehr-Schlosses im Zeughaus. Wer dort herumgeht, wer sich auskennt, der weiß, dass da ein riesiges Vakuum ist. Dort ist eine Amputation vorgenommen worden in der urbanen Struktur, in den Baumassen, in den Sichtachsen. Da muss dieses Herz wieder gefüllt werden. Der Palast der Republik war leider, muss man sagen, eine falsche Füllung. Das stimmte einfach hinten und vorne nicht, nicht in der Höhe, nicht in der Breite, nicht in der Lage. Die haben das richtig falsch gemacht. Darum weine ich diesem Ding keine Träne nach. Die Diskussion öffentlich ging ja nicht darum, dass man da vollkommen neu baut. Die Idee, da einen Eiffelturm hinzubauen oder so was, was die DDR Anfang der 50er ja noch gewollt hat, so eine Art Stadtkrone, sagen wir Lomonossow-Turm oder Rockefeller-Center, so was stand nie zur Debatte. Aber dass da ein kräftiger, ganz starker Akzent hin muss, das, glaube ich, ist unbestritten für jeden, der die Augen dort aufmacht.
Spengler: War das auch für Sie unbestritten, Herr Conradi?
Conradi: Unbestritten ist, dass in der Mitte Berlins etwas entstehen muss, und wir haben in der Expertenkommission uns ja auf einen kulturellen Zweck, eine Art Kulturhaus geeinigt. Ich bezweifle bloß, dass ein Wettbewerb Sinn macht, bei dem der Auslober, der Bauherr von Vornherein sagt, das muss so und so aussehen, darf nicht größer werden. Ein Ideenwettbewerb soll ja Ideen bringen und offenbar hat man sich im Bundestag und in Berlin vor Ideen gefürchtet. Denn es wäre ja durchaus auch denkbar gewesen, neben einem Nachbau des Schlosses nun einen Neubau mit Zitaten aus dem Schloss oder gar einer Collage aus Teilen des Palasts und Schlosses vorzuschlagen. Wenn das alles so furchtbar geworden wäre, na gut, dann hätte die Jury gesagt, wir bauen das alte Schloss nach, aber man wollte andere Ideen - und es gab ja sehr kluge Ideen, beispielsweise von Axel Schultes und Charlotte Frank; es gab gute Ideen - nicht sehen. Man war versessen auf dieses Schloss, von dem dann behauptet wurde, es sei der wichtigste Barockbau nördlich der Alpen, also ein blanker Blödsinn. Es gibt also ganz andere, in Würzburg und so. Die Berliner sind da ein bisschen schlossbesoffen, und das gönne ich ihnen auch. Aber in Wirklichkeit ist es nicht Sache des Bundes.
Spengler: Nehmen Sie das so an, dass Sie schlossbesoffen sind, Herr Stölzl?
Stölzl: Nein, überhaupt nicht. Ich habe das ganz ruhig gesehen. Es ist nur so, dass die Frage, wenn eine Stadt so konsequent um ein bestimmtes Bauwerk herum entstanden ist, der Lustgarten, Schinkels altes Museum - die ganzen anderen Korrespondenzen beziehen sich auf einen Bau in einer bestimmten Ausdehnung -, dann in der Tat spricht viel dafür, das wieder zu machen. Ich stimme Herrn Conradi zu, dass man unbedingt einen Wettbewerb dafür nicht gebraucht hätte. Wenn man sich dafür entscheidet, so was zu tun, so wie die Münchener sich 1945 entschlossen haben, die Residenz wieder aufzubauen, als sei nichts gewesen, da gab es auch keinen Wettbewerb, sondern den Entschluss, mit aller Kunst der Architekten und heutzutage der Computer das so gut wie möglich zu machen. Nun, so weit, so konservativ waren die Berliner nicht. Das sind sie einfach nicht. Alle Beteiligten waren nicht so konservativ, wie die Süddeutschen in solchem Falle gewesen sind.
Spengler: Aber Herr Stölzl, warum nicht ein konsequent freier Wettbewerb? Warum diese Vorgaben, drei Fassaden, nachgebildet dem Barockbau?
Stölzl: Das war offenbar das Ergebnis des öffentlichen Nachdenkens. Ich finde ja auch: entweder freigeben, tatsächlich wirklich eine ganz neue Stadtmitte bauen, so wie das nach '50, nachdem also das Schloss schändlicherweise weggeräumt war, ja eine Zeit lang in der DDR diskutiert wurde, die dann die Kraft nicht dazu hatte, oder aber zu sagen: konservativ, wir bauen diesen Kasten, so wie er war, weil er die Ordnung wieder herstellt.
Spengler: An dem Punkt sind Sie beide einer Meinung?
Conradi: Ja, das ist schön!
Stölzl: Ich finde das radikal konservativ.
Conradi: Das ist ja schön, dass wir an diesem Punkt einer Meinung sind, dass dieser Wettbewerb doch sehr beschränkt ist, ich meine geistig beschränkt ist, und das bedauere ich sehr. Es mag ja rauskommen hinterher eine halbwegs verträgliche Lösung. Nur mir ist immer noch nicht klar, wie Architekten das lösen werden. Dass hier eine völkerkundliche Sammlung - also Indianerzelte, Grönland, Kanus und so was - in ein Barockschloss reingesperrt werden, das halte ich geradezu für absurd. Aber wir werden heute Abend sehen, wie die armen Architekten das gelöst haben.
Spengler: Herr Conradi, finden Sie das ein Armutszeugnis für die moderne Architektur, dass man da irgendwas nachbauen soll, statt was eigenes zu schaffen?
Conradi: Ja. Ich verstehe das auf der einen Seite. Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Die Menschen sind stark verunsichert und sagen, lieber das Alte - und so gut war die alte Zeit übrigens gar nicht -, und haben Angst vor dem Neuen. Das verstehe ich schon.
Spengler: Nein, da muss ich noch mal was fragen. Ich kenne viele Bürger, die sagen irgendwo, die moderne Architektur kann einfach mit der Pracht der alten Gebäude nicht mithalten. Die sind einfach schöner, die alten.
Conradi: Auch das stelle ich in Zweifel. Da gibt es wunderbare Beispiele, vom Olympiastadion in München bis zu den Bundestagsbauten heute neu, dem Kanzleramt, den Bundestagsbauten in Bonn auch. Das heißt, es gibt wunderbare Rathäuser und Krankenhäuser, auf die wir stolz sind, tadellose neue Museen, Kirchen. Es ist einfach nicht so, dass die moderne Architektur völlig ausdruckslos wäre. Aber die Sehnsucht geht zurück in die Vergangenheit. Viel Nostalgie ist da dabei und Angst vor der Zukunft. Das verstehe ich, aber ich kann diese Ansicht nicht teilen.
Spengler: Herr Stölzl, passt das, was Herr Conradi gesagt hat, wirklich nicht so gut zusammen, ich sage mal Einbäume hinter barocken Schlossfassaden?
Stölzl: Nein. Ein Museum kann man fast in jedem Gebäude machen. Das, glaube ich, ist mehr eine technische Frage. Aber ich glaube nicht, dass die Sehnsucht oder der Wunsch nach diesen alten Fassaden etwas Reaktionäres ist, sondern eher eine nüchterne Einsicht. Die moderne Architektur baut das, was sie kann, technisch wunderbar, 100 Meter, 200 Meter, 300 Meter hoch. Sie baut immer nach ihren technischen Möglichkeiten. Dieser Barockbau hat auch die technischen Möglichkeiten ausgereizt. Höher konnten die nicht so richtig. Der Turm ist damals ja auch eingefallen. Ich finde, wenn man A sagt, nämlich wir wollen die genauen Proportionen von diesem Körper haben, weil der die Stadt zusammenhält, dann ist das B zu sagen, dann machen wir auch die Fassaden. Das finde ich eigentlich konsequent. Also es ist so, ich hielte das wirklich für einen Murks und ich finde, die deutschen Beispiele aus der Nachkriegszeit wie zum Beispiel beim Wiederaufbau von Nürnberg, wo man die alten Hauskanten, also die so genannte Kubatur erhalten hat und dann gesagt hat, man macht aber ein modernes Kleid darüber, das finde ich wirklich schrecklich. Ich finde, entweder freigeben dort, tatsächlich den Körper freigeben - dazu hat man sich nicht durchringen können -, oder aber zu sagen, wir bauen das hin. Das ist natürlich eine Simulation. Jeder weiß, dass das ein Neubau ist. Wie die Architekten jetzt umbauen können mit dieser Erinnerungspflicht, zunächst einmal mit der Fassade, das halte ich für ganz faszinierend. Ich bin sehr optimistisch, dass da was sehr Intelligentes, Ironisches und mit dem Gedanken der Erinnerung spielendes herauskommen wird.
Spengler: Nicht auch ein bisschen Puppenstuben-Biedermeier, wie es jemand gesagt hat?
Conradi: Na ja, wie die Kommandantur, die gegenüber steht. Da haben wir ja schon so einen Nachbau, der ja nun wirklich eher komisch ist, in dem Bertelsmann drin ist. Da kann man nur den Kopf schütteln.
Stölzl: Da bin ich anderer Meinung. Ich finde das interessant. Ich meine, es gibt extreme Beispiele wie Braunschweig, wo also das Schloss überhaupt nur außen um ein Kaufhaus gebaut ist. Das, finde ich, kann man nicht machen. Aber je mehr Handwerk, je mehr historische Bautechnik, umso besser ist sie. Eines der faszinierendsten Häuser, das ich kenne, ist Herrenchiemsee von Ludwig II., das ja nur zur Hälfte fertig geworden ist. Der Flügel, der nur Ziegelrohbau ist, ist eigentlich der schönste. Ich hätte mir gewünscht, dass man für diesen Schloss-Neubau - das ist kein Wiederaufbau, sondern ein Neubau - tatsächlich doch auch sehr viel mehr verlangt hätte, dass die historische Bautechnik in Teilen jedenfalls verwendet wird. Stahlbeton mit angeklebter Tapete finde ich auch falsch.
Spengler: Bundestag und Land Berlin haben beschlossen, das Berliner Schloss wieder aufzubauen. Drei Fassaden werden wohl so aussehen wie beim historischen Barockbau. Mehr werden wir heute Nachmittag wissen. Dann wird der Bundesbauminister Tiefensee den Sieger des Architektenwettbewerbs präsentieren.
Ich hatte zwei gegensätzliche Konzeptionen zum Streitgespräch gebeten: Peter Conradi, SPD-Bundestagsabgeordneter über lange Jahre und Vorsitzender der Bundesarchitektenkammer in früheren Zeiten. Herr Conradi, herzlichen Dank! - Und den Publizisten Christoph Stölzl, CDU-Mitglied, früher Kultussenator in Berlin und ehemals Direktor des Deutschen Historischen Museums. Danke, Herr Stölzl, auch Ihnen.