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Schmelztiegel Bratislava
Bunte Sprachenvielfalt im Dreiländereck

Lange war Bratislava ein Schmelztiegel der Kulturen und Sprachen. Erst der Zweite Weltkrieg beendete abrupt das Zusammenleben der Deutschen, Ungarn und Slowaken im früheren Pressburg. Ein slowakischer Germanist hat jetzt die spannende multikulturelle Geschichte der Stadt im Dreiländereck an der Donau untersucht.

Von Stefan Heinlein | 07.02.2017
    Blick von der Burg in Bratislava auf die Donau mit der Brücke des Slowakischen Nationalaufstandes, aufgenommen am 12.08.2015.
    Blick von der Burg in Bratislava auf die Donau mit der Brücke des Slowakischen Nationalaufstandes (picture alliance / dpa / Alkimos Sartoros)
    "Na ja nostalgisch? Das würde ich nicht sagen. Es ist einfach Geschichte, also es gehört der Vergangenheit an. Heute gibt es nur noch wenige Leute die die drei Sprachen beherrschen."
    Sein ganzes Leben hat Otto Sobek in Bratislava verbracht. 1929 wurde er im damaligen Pressburg geboren. Erst wenige Jahre zuvor waren seine Eltern in die Stadt an der Donau gezogen. Sie wurde seit dem Mittelalter geprägt vom Zusammenleben der Deutschen, Ungarn und Slowaken:
    Kennzeichen ist die multiethnische und mehrsprachige Vielfalt
    "Ich bin eigentlich dreisprachig aufgewachsen. Meine Eltern waren Deutsche. Zuhause haben wir deshalb deutsch gesprochen. Meine Spielgefährten von frühester Kindheit an waren tschechische Kinder, von denen habe ich Slowakisch gelernt. Ungarisch habe ich auf der Straße gelernt. Wenn uns jemand ungarisch angesprochen hat, haben wir ungarisch geantwortet. So wie man uns angesprochen hat, so haben wir geantwortet"
    Tatsächlich ist die multiethnische und mehrsprachige Vielfalt das Kennzeichen der Stadt an der südwestlichen Grenze der Slowakei am Dreiländereck mit Österreich und Ungarn. Nach der Staatsgründung der Tschechoslowakei 1918 werden Deutsch und Ungarisch zwar zunehmend von der slowakischen Sprache verdrängt, doch der Alltag der meisten Bewohner wird weiter von einer bunten Sprachenvielfalt dominiert, so das Forschungsergebnis des slowakischen Germanisten Jozef Tancer:
    Interviews mit mehr als 70 Zeitzeugen aus dem alten Pressburg
    "Das ist der Unterschied zwischen der Mehrsprachigkeit heute und der damaligen Mehrsprachigkeit. Die heutige Mehrsprachigkeit, auch in der Slowakei, ist eher eine Sache der Bildung. Die Mehrsprachigkeit ergibt sich daraus, das wir Fremdsprachen in der Schule lernen. Die damalige Mehrsprachigkeit war eine Notwendigkeit in einer ethnisch gemischten Bevölkerung."
    Über einen Zeitraum von fast zehn Jahren hat der Hochschullehrer Interviews mit mehr 70 Zeitzeugen aus dem alten Pressburg geführt. Das Ergebnis hat Jozef Tancer jetzt in seinem Buch "Gelöste Zungen – Wie wir im alten Bratislava gesprochen haben" veröffentlicht. Ein seltener Einblick in eine untergehende Epoche. Nach 1945 wurden fast alle Angehörigen der deutschen Bevölkerungsgruppe und die Mehrzahl der Ungarn vertrieben. Die deutsche Sprache verschwand so fast völlig in der Versenkung. Doch die jahrhundertelange Geschichte hinterlässt bis heute tiefe Spuren:
    Vor allem die deutsche Sprache erlebt eine Wiederauferstehung
    "Es ist nicht völlig weg. Es gibt die Kindergeneration und es gibt die Enkelgeneration. Im Familiengedächtnis ist sehr viel erhalten geblieben.. Bei vielen Preßburgern sind das Deutsche und das Ungarische keine Fremdsprachen, auch wenn sie die Sprachen nicht sprechen oder wenn sie sie nur teilweise sprechen. Sie betrachten sie als ihre eigenen Sprachen aufgrund der Familiengeschichte."
    Tatsächlich erlebt vor allem die deutsche Sprache seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder eine Auferstehung in Bratislava. Viele Slowaken leben und arbeiten im österreichischen Grenzgebiet oder im nur 50 Kilometer entfernten Wien. Auch bei vielen großen deutschen Arbeitgebern wie Volkswagen ist die deutsche Sprache die Voraussetzung für gut dotierte Jobs. Eine Entwicklung die dem 88-jährigen Otto Sobek gefällt. Viele der ehemaligen Studenten des früheren Professors für internationale Finanzbeziehungen arbeiten mittlerweile im Ausland. Damals wie heute sei die Mehrsprachigkeit ein Tor zu Welt und sorge für Aufgeschlossenheit und Toleranz: "Man sagt ja immer, je mehr Sprachen du kannst desto öfter bist du Mensch. Also es war schon gut das man hier so viele Sprachen gesprochen hat."