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Schmelztiegel Mexiko

Die Hochkultur der Maya fand durch die Kolonisation ein abruptes Ende. Heute ist das indigene Volk verarmt. Für Ethnologen sind die Maya ein Beispiel für sogenannte Exklusionsphänomene: Entwicklungen, die in einem Land ganze Bevölkerungsgruppen abhängen oder ausgrenzen.

Von Barbara Weber | 07.10.2010
    "Mit elf Jahren habe ich angefangen zu arbeiten. Ich habe gearbeitet in einer Papierhandlung und in einem Kleidergeschäft, um meine Schule zu finanzieren."

    Angela Chay ist 42 Jahre alt. Sie hat sieben Geschwister. Sie ist geschieden und lebt mit ihren drei Kindern und ihrer Mutter zusammen in Uayamon, einer kleinen Gemeinde im mexikanischen Bundesstaat Yucatán Angela Poot Cauché arbeitet im Bereich Bildung. Sie möchte gerne Lehrerin werden hat aber kein Geld, um zu studieren. Sie hofft auf später, wenn sie genug gespart hat. Ihre Freundin Adriana Casanova hilft in der Bibliothek von Uayamon.

    "Ich möchte gerne Krankenschwester werden. Ich war die Beste in meiner Klasse auf der Oberschule, aber ich kann das Studium nicht bezahlen."

    Die drei Frauen haben eine Gemeinsamkeit: Sie gehören zur Volksgruppe der Maya.

    Aufgrund ihrer Struktur benachteiligt die mexikanische Gesellschaft indianische Volksgruppen. Das liegt auch an der mexikanischen Geschichte, am Kolonialismus und der Ausbeutung indigener Bevölkerungsgruppen, meint Dr.Antje Gunsenheimer vom Kompetenznetz Lateinamerika. Exemplarisch lässt sich das am Beispiel der Sisalproduktion in Yucatán darstellen. Seit Mitte des 19.Jahrhunderts boomte der Anbau auf riesigen Plantagen von Landflächenausmaßen, die wir uns gar nicht vorstellen können, mit 11.000 Hektar. Das ist unbeschreiblich, hier entwickelt sich dann diese Diskrepanz der Oberschicht, die hier in der weltweiten Produktion und Handel agiert und der indigenen Bevölkerung, die zum Teil Land los ist, die dann in eine Leibeigenschaftabhängigkeit rutschten.
    Das heißt:

    "Die arbeiten auf diesen Hazienden in der Sisalproduktion, bekommen Geld, das dann lokal hergestellt wird, das dann außerhalb dieser Hazienda überhaupt keinen Wert hat. Mit diesem Geld können sie dann in dieser Hazienda einkaufen die überteuerten Waren. Diese Form des drastischen Kapitalismus, muss man ja sagen, hat es dort auch gegeben."

    Yucatán bestimmt den Weltmarkt für Sisal. Bis zur Einführung des Kunststoffes in den 1920, 1930er Jahren, ist Sisal das Verpackungsmaterial für Lebensmittel und Waren jeglicher Art und wird nachgefragt bis hin zur Rüstungsindustrie, die Handgranaten in Sisal verpackt. Als der Markt zusammenbricht, verfallen die Hazienden. Die ehemaligen Besitzer zeigen kaum ein Interesse, landwirtschaftlich tätig zu werden.

    Für die indigene Bevölkerung in den umliegenden Dörfern hat das dramatische Folgen.

    Die Politologin Maria Carola Diez, Direktorin der Stiftung Fundación Haciendas del Mundo Maya, hat zu Beginn der Hilfsaktivitäten der Gruppe vor acht Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, um die Situation in einigen Maya - Gemeinden zu analysieren. Sie ist stolz auf die Veränderungen, die die Organisation seither erreicht hat:

    "Es hat sich zum Beispiel geändert, dass in den Gemeinden, wo der größte Teil der Bevölkerung nicht lesen und schreiben konnte, also eine hohe Rate an Analphabetismus herrschte, die Rate von 89 Prozent auf 25 Prozent gefallen ist, nur in acht Jahren. Das ist ein großes Projekt, dass zusammen mit den staatlichen Programmen durchgeführt wird. Was die gesundheitliche Situation anbelangt, wissen wir aus sechs Gemeinden, dass die Kindersterblichkeit jetzt auf Null gefallen ist. Das war wirklich harte Arbeit, harte Arbeit vor Ort."

    Die Stiftung gehört zur nationalen Unternehmensgruppe Grupo Plan. Die mexikanische Gruppe übernahm einige der Hazienda - Ruinen und baute sie zu Hotels um. Da kaum qualifizierte Arbeitskräfte in den zum Teil abgelegenen ländlichen Regionen zu bekommen waren, mussten sie vor Ort gesucht werden. Das war die Geburtsstunde der Stiftung. Die Bevölkerung wurde geschult. 90 Prozent der Belegschaft kommen heute aus den umliegenden Dörfern. Das ist auf den ersten Blick positiv zu werten, meint Dr.Antje Gunsenheimer:

    "Klar bieten solche Zentren Arbeitsplätze vom Koch, vom Kellner, vom Zimmer-mädchen, vom Gärtner bis hin zum Tourismusführer, der sich anbieten kann, der sagt, ich mache eine Lokalführung im Dorf oder dieses oder jenes. Das ist ein Magnet, hier können sich Leute drauf beziehen, hier haben sie vielleicht eine Chance."

    Darüber hinaus verfolgte die Stiftung ein weiteres Ziel: Die Förderung traditioneller kunsthandwerklicher Fähigkeiten und die Gründung von selbstverantwortlich arbeitenden Kooperativen durch im Dorf ansässige Frauen, die selbständig wirtschaften. Erstmalig haben die Mitglieder einer Kooperative eine Krankenversicherung, erstmalig gibt es eine Altersabsicherung. Aber bedeutet das schon gesellschaftliche Teilhabe, also Inklusion? Dr. Antje Gunsenheimer:

    "Problematisch sehe ich, dass jetzt die indigene Bevölkerung, also die Maya, weil sie doch weitgehend in der Bildung immer noch sehr marginalisiert sind, kaum Chancen haben auf eine führende Position. Wenn es geleistet werden kann, dass auch später die Leute nicht nur als Zimmermädchen oder Kellner arbeiten sondern auch in den höheren Hoteletagen Fuß fassen und da berufliche Perspektiven haben, dann würde ich sagen, ist so ein Transformationsprozess hervorragend gelaufen."

    Da könnten die Kooperativen, die von Maya - Frauen geleitet werden, ein erster Schritt sein. Was die Hotellerie anbelangt, haben es einige Frauen schon geschafft: Angela Chay leitet inzwischen die Hotel-Hazienda in Uayamon. Aber sie will noch höher hinaus:

    "Ich möchte gerne die Position von meinem Chef."

    Ihr Chef heißt Walter Habicht, der Generalmanager der fünf Hazienden, ein Europäer. Sollte Angela Chay, die kleine, rundliche, lächelnde Maya - Frau diese Position wirklich erreichen, dann kann man von Inklusion sprechen.