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'Schmerzgrenze bei der SPD ist überschritten'

    Remme: Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim sieht kein rechtswidriges Verhalten von Rudolf Scharping. Herr Clement, viel Lärm um nichts?

    Clement: Ja, das kann sein, aber das ist nicht mehr wichtig. Das hat Herr Arnim ja gerade auch gesagt. Wir wissen, dass Verteidigungsminister Scharping auf dem Rückflug von Düsseldorf nach Berlin ist. Die ganzen Termine, die angesetzt worden sind, deuten darauf hin, dass sich da etwas zusammenbraut, sonst hätte man die Termine, auch die formellen Sitzungen von Fraktion und Fraktionsvorstand und Geschäftsführung und Fraktionsvorstand nicht anberaumt, dann hätte man das in den anderen Gremien klären können. Der Minister wird sich nun noch mal in seine Akten vertiefen und dann, wie ich höre, kämpfen, aber man sagt auch in seiner Umgebung. Es sei nicht eng, es sei sehr eng in den letzten Stunden geworden.

    Remme: Wenn Sie jetzt sagen, dass das alles nicht mehr wichtig ist, ist das denn nicht geradezu Ausdruck von ganz schlechtem Stil unabhängig davon, wie substanziell die Vorwürfe sind, Konsequenzen zu ziehen?

    Clement: Wir müssen sehen, in welcher Situation wir sind. Wir sind 66 Tage vor der Wahl. Wir haben einen vergleichbaren Fall beim Rücktritt von Verteidigungsminister Stoltenberg seiner Zeit gehabt. Der ist letztendlich über eine falsch deklarierte Waffenlieferung in den nahen Osten gestolpert, die im Hamburger Hafen mit Planen abgedeckt entdeckt worden sind. Die Sache hat sich nachher in Untersuchungsausschüssen als durchaus formal richtig dargestellt. Es war nur in der Wahlkampfzeit, damals kurz vor der Schleswig-Holstein-Wahl, wo die CDU sehr schlechte Umfrageergebnisse hatte. Es war in dieser kurzen Zeit bis zur Wahl nicht mehr zu überbrücken. Man braucht gelegentlich, wenn man solche Vorwürfe bekommt, viel länger, um sie zu entkräften und darauf zu antworten. Und in einer Wahlkampfsituation wie der, in der wir jetzt sind, ist es sehr schwierig, dieses noch überzubringen. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt: Scharping ist nicht das erste Mal aufgefallen - Sie hatten das vorher schon einmal erwähnt -, vor allen Dingen wegen privaten Verhaltens. In der SPD gibt es eine gewisse Schmerzgrenze, die wohl jetzt überschritten ist, wo man sagt, das akzeptieren wir nicht, zumal noch in der Wahl, und dann muss man gucken, wer ihn eigentlich in dieser Phase unterstützt. Aus der Truppe erfährt Herr Scharping keine Unterstützung. Das haben wir plastisch bei der Kommandeurtagung im April in Hannover erlebt und wo immer man hinhört, erfährt man, dass er dort keine direkte Unterstützung erfährt. Wenn er die jetzt aus der Fraktion nicht erfährt und wenn der Kanzler sagt - mir reicht's jetzt -, dann ist eigentlich keiner mehr da, der ihn noch hält und dann guckt man nicht mehr so genau auf die Fakten, sondern dann sagt man, dass hier jetzt eine schnelle Bereinigung erfolgen muss. Das ist so das Klima, was ich in meinen Gesprächen hier in Berlin wahrgenommen habe und darauf scheint es hinauszulaufen.

    Remme: Rudolf Scharping ist seit Jahrzehnten in den verschiedensten Funktionen im Geschäft. Wir bemerken diese - sagen wir zumindest mal - Instinktlosigkeiten gehäuft in den letzten zwei, drei Jahren. Davor galt er zumindest in der politischen Führung, wenn ich mich recht erinnere, als untadelig. Woran liegt das?

    Clement: Ich habe da einen Verdacht, der natürlich sehr gewagt ist. Die privaten Lebensverhältnisse von Minister Scharping haben sich verändert: Er hat sich von seiner Familie getrennt und lebt seit einiger Zeit mit der Gräfin Pilati zusammen, die nun wenig Einblick in die Politik hat. Wenn ich die Termine nebeneinander lege, sehe ich einen Zusammenhang zwischen diesem neuen, privaten Umfeld und dem etwas weniger bodenständigem Leben, das er führt, das sich dann in Anzügen, die, wie das jetzt berichtet wird, 5.000 DM kosten oder aber in entsprechenden Badeszenen auf Mallorca niederschlagen, wo wir ja auch wissen, dass nicht er die Fotografen nach Mallorca bestellt hat, sondern die von seiner Lebensgefährtin bestellt wurden, weil sie ihn etwas menschlicher darstellen wollte. Ich sehe einen fatalen Zusammenhang in dieser Situation.

    Remme: Abschließend, Herr Clement, Sie haben kurz den Bundeskanzler erwähnt. Wie steht es um das Verhältnis Schröder zu Scharping?

    Clement: Das ist nicht besonders gut. Das ist schon seit langer Zeit nicht gut. Das war eigentlich nie gut während dieser Regierungszeit. Das war vorher schon schlecht. Ich hatte immer das Gefühl, dass Bundeskanzler Schröder Verteidigungsminister Scharping so lange halten will, bis er für eine große Kabinettsumbildung "Spielmaterial" braucht, also Minister die er dann entlassen kann. Und da ist ihm ein schwacher Verteidigungsminister natürlich sehr lieb, den er dann sehr schnell austauschen kann. Deswegen habe ich immer gedacht, dass er ihn hält, aber jetzt scheint es anders zu laufen.

    Remme: Vielen Dank für diese Einschätzung, Rolf Clement.