Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Schmid (SPD) zu Fall Kashoggi
"Mit unserem Verständnis von konsularischer Arbeit hat das nichts zu tun"

Das Verschwinden des saudi-arabischen Journalisten Jamal Kashoggi sei extrem beunruhigend, sagte der SPD-Politiker Nils Schmid im Dlf. Die Hintergründe müssten umfassend aufgeklärt werden. Sollte es sich bei dem Fall um eine gezielte Tötung handeln, wäre das "eine neue Qualität des Agierens der saudischen Regierung".

Nils Schmid im Gespräch mit Christoph Heinemann | 16.10.2018
    Der Journalist Jamal Kaschoggi im Porträt
    Der regierungskritische Journalist Jamal Kashoggi wurde zuletzt im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul gesehen (AFP/STR/AFP PHOTO)
    Christoph Heinemann: Todesursache: Während eines Verhörs verstorben. – Türkische und saudische Ermittler haben die Durchsuchung des saudi-arabischen Konsulats in Istanbul abgeschlossen. Ziel des gemeinsamen Einsatzes war es, den Verbleib des seit zwei Wochen verschwundenen Journalisten und Regime-Kritikers Jamal Kashoggi aufzuklären. Es gibt Hinweise, mutmaßlich habe sich ein hochrangiger saudischer Gerichtsmediziner in diesem Konsulat aufgehalten in Istanbul, als Kashoggi dort verschwand.
    Am Telefon ist Nils Schmid, Obmann der SPD-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, Wahlkreis Nürtingen. Guten Tag!
    Nils Schmid: Guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Schmid, CNN – Sie haben es gehört – meldet, die Saudis wollten jetzt behaupten, Kashoggi sei während eines schiefgelaufenen Verhörs verstorben. Sollte das tatsächlich die offizielle Erklärung sein, glauben Sie das?
    Schmid: Ich beteilige mich da nicht an Spekulationen. Tatsache ist, dass das Verschwinden von Herrn Kashoggi extrem beunruhigend ist und dass die deutsche Bundesregierung und viele andere auch deshalb zu Recht vollständige und umfassende Aufklärung gefordert haben. Und man kann nur hoffen, dass die Untersuchungen durch saudische und türkische Ermittler schnell Klarheit über den Verbleib von Herrn Kashoggi schaffen. Denn eins ist klar: Wenn jemand in das Konsulat seines Heimatlandes geht, um Formalitäten zu erledigen, dann sollte er auch wieder lebend rauskommen.
    "Wenn jemand in das Konsulat seines Heimatlandes geht, sollte er auch wieder lebend rauskommen"
    Heinemann: Schließen Sie aus, dass Kashoggi ermordet wurde?
    Schmid: Das kann ich nicht ausschließen. Wie gesagt, ich beteilige mich nicht an Spekulationen. Es ist sehr beunruhigend, dass schon über viele Tage hinweg Herr Kashoggi nicht mehr lebend gesehen wurde. Und die, die dieses Konsulat betreiben, die saudischen Behörden, die müssen jetzt umfassende Aufklärung möglichst schnell schaffen.
    Heinemann: Herr Schmid, wir müssen notwendigerweise ein bisschen spekulieren. Das saudische Königshaus weist jede Beteiligung an dem Verschwinden zurück. Ist vorstellbar, dass die Zentrale dieses Regimes nicht informiert war?
    Schmid: Das wird sich jetzt in den Untersuchungen erweisen. Tatsache ist, wenn ein so hochrangiger Regime-Kritiker in einem Konsulat, im Herrschaftsbereich der saudischen Regierung sich aufhält, dann müssen die saudischen Stellen schon auch Fragen beantworten, was mit ihm geschehen ist, und müssen auch gegebenenfalls aufklären, wer an welcher Stelle in der saudischen Regierung und Verwaltung Verantwortung für das Schicksal von Herrn Kashoggi trägt.
    Heinemann: Welche Folgen sollte eine mutmaßliche gezielte Tötung haben?
    Schmid: Wenn es sich bestätigen sollte, dann werden wir zunächst mal auffordern, die Hintergründe aufzuklären. Verantwortliche müssen wie bei allen Tötungsdelikten zur Verantwortung gezogen werden. Aber wie gesagt, dazu ist es noch zu früh, und die deutsche Bundesregierung wird Wert darauf legen, gemeinsam mit den europäischen Partnern mögliche Konsequenzen zu beraten.
    Aber es wäre auf alle Fälle eine neue Qualität von Agieren der saudischen Regierung, wenn Regime-Kritiker in saudischen Konsulaten zu Tode kommen. Das war bislang nicht der Fall und wäre auch im diametralen Widerspruch zur Schutzfunktion von Auslandsvertretungen für ihre Staatsbürger. Mit unserem Verständnis von konsularischer Arbeit hat das nichts zu tun.
    "Mit unserem Verständnis von konsularischer Arbeit hat das nichts zu tun"
    Heinemann: Kriegsmaterial für 161 Millionen Euro allein im ersten Quartal 2018. Wieso genehmigt diese Bundesregierung weiter Waffenlieferungen an ein solches Regime?
    Schmid: Das Problem ist, dass man bei diesen Zahlen nicht sieht, was alles nicht genehmigt wird, denn natürlich sind Waffenlieferungen an ein solches Regime extrem kritisch zu beurteilen. Aber wir haben im Koalitionsvertrag einen Vertrauensschutz verabredet für schon eingeleitete Lieferungen. An den muss man sich halten. Aber klar ist, dass wir bei Rüstungsexporten mit Saudi-Arabien im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dass die Jemen-Klausel gilt und dass wir insgesamt die Rüstungsrichtlinien Deutschlands schärfen wollen. Das gilt dann nicht nur für Saudi-Arabien, sondern insgesamt, weil wir natürlich nicht in Konfliktregionen hinein Waffen liefern wollen.
    Heinemann: Herr Schmid, die Linkspartei sagt, das ist komplett unverantwortlich. Verfügt die Linkspartei da über einen feineren moralischen Kompass als die SPD?
    Schmid: Nein, das ist keine Frage von Moral, sondern das ist eine Frage von Verabredungen im Koalitionsvertrag. Die Linkspartei kann sich in der Opposition immer groß aufführen. Wir haben einen Koalitionsvertrag mit der CDU verhandeln müssen und dort steht diese Jemen-Klausel drin und in Zukunft wird man Waffenexporte nach Saudi-Arabien und andere Länder wesentlich schärfer bewerten müssen. Das ist doch völlig klar.
    Heinemann: Wieso müssen?
    Schmid: Weil wir verabredet haben in der Koalition, dass wir die Rüstungsexportrichtlinien verschärfen wollen, und weil wir nicht wollen, dass Waffen an Länder geliefert werden, die am Jemen-Konflikt unmittelbar beteiligt sind. Der Vertrauensschutz wurde vereinbart; der galt jetzt für die letzten Lieferungen. In Zukunft wird es sicher nicht mehr diese Vertrauensschutz-Tatbestände geben.
    "Das ist keine Sache der Bundesregierung, zu Boykotten aufzurufen"
    Heinemann: Herr Schmid, am 23. Oktober soll in Riad eine hochrangig besetzte Wirtschaftskonferenz stattfinden. Sollte die Bundesregierung jetzt deutschen Unternehmen nicht sagen, dass sie dieses Treffen boykottieren sollen?
    Schmid: Das ist keine Sache der Bundesregierung, zu Boykotten aufzurufen. Aber ich bin mir sicher, dass die deutschen Unternehmen selbst das notwendige Gespür haben, wie man mit solchen Situationen umgeht. Viele Unternehmen aus Europa und den USA haben ja ihre Teilnahme abgesagt und wir werden sicher auch von den deutschen Unternehmen die notwendige Sensibilität erwarten können.
    Heinemann: Rufen Sie dazu auf, zu einem Boykott?
    Schmid: Nein. Das ist auch nicht Aufgabe der Politik, da zu einem Boykott aufzurufen.
    Heinemann: Warum nicht? Wessen Aufgabe ist es denn dann?
    Schmid: Erst mal ist es Aufgabe der Unternehmen, selbst zu entscheiden, wie weit sie sich da engagieren wollen. Wir haben als Bundesrepublik das Interesse, mit Saudi-Arabien, gerade weil es viele Schwierigkeiten und auch viele Meinungsverschiedenheiten gibt, diese dann auch ansprechen zu können. Das ist gerade mit schwierigen Partnern und mit schwierigen Ländern Aufgabe von Diplomatie.
    Heinemann: Zusammengefasst: Geld vor Moral?
    Schmid: Nein, das ist genau falsch. Es gilt nicht Geld vor Moral, sondern es geht darum, Interessen wahrzunehmen, und es geht darum, Einfluss zu nehmen, und das gilt auch dann mit klaren Ansagen an die saudische Adresse, wenn sich bewahrheiten sollte, dass Herr Kashoggi dort zu Tode gekommen ist.
    "Es ist bemerkenswert, wie genau angeblich türkische Behörden Bescheid wissen"
    Heinemann: Eine andere Erscheinung in diesem Zusammenhang: Die türkischen Behörden wissen offenbar merkwürdigerweise sehr, sehr genau Bescheid, was sich in dem saudischen Konsulat abgespielt haben soll. Werden eigentlich deutsche diplomatische Einrichtungen in der Türkei regelmäßig auf Abhöreinrichtungen untersucht?
    Schmid: Das müssen Sie jetzt das Auswärtige Amt fragen. Aber es ist in der Tat bemerkenswert, wie genau angeblich türkische Behörden Bescheid wissen. Wir stützen uns ja da auch nur auf Medienberichte, wissen auch nicht, was da zutreffend ist. Aber wir haben bei allen unseren Botschaften, egal in welchen Ländern, sicher die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Was die Türkei anbelangt, müssten wir allerdings beim Auswärtigen Amt nachfragen. Das kann ich logischerweise nicht beantworten.
    Heinemann: Apropos Auswärtiges Amt. US-Außenminister Michael Pompeo hält sich in Saudi-Arabien auf. Sollte Heiko Maas nicht auch mal auf den Tisch hauen?
    Schmid: Er hat ja schon umfassende Aufklärung gefordert und gerade Heiko Maas hat ja die Beziehung zu Saudi-Arabien wieder so weit gebracht, dass wir einen Botschafter haben, und der saudische Botschafter hier in Deutschland hat auch schon von der deutschen Seite entsprechende Erklärungen und Aussagen bekommen. Denn eins ist klar: Gerade weil wir über viele Jahre hinweg mit Saudi-Arabien Beziehungen unterhalten haben, ist es jetzt wichtig, auch die kritischen Dinge unzweideutig anzusprechen. Genau das macht Heiko Maas.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.