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Schmidt: Bundeswehr muss sich auf realistische Szenarien einstellen

Meurer: Vielleicht waren es ja die Bilder aus dem Irak, aus dem Gefängnis in Abu Ghraib, die Ausbildern in einer Kaserne im westfälischen Coesfeld als Vorbild gedient haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jedenfalls gegen insgesamt 21 Offiziere und Unteroffiziere. Im Sommer und auch im Spätsommer waren in Coesfeld Rekruten Übungen ausgesetzt, bei denen sie in die Rolle von Geiseln schlüpfen mussten und gequält wurden mit Stromstößen oder einem Rekruten wurde Wasser in den Mund gefüllt und dabei die Nase zugehalten. Heute morgen ab halb acht schon wird Bundesverteidigungsminister Peter Struck im Verteidigungsausschuss des Bundestages Rede und Antwort stehen. Dabei sein wird auch der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Christian Schmidt. Für uns ist er jetzt am Telefon. Guten Morgen Herr Schmidt.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Schmidt: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Was werden Sie heute morgen von Peter Struck erfahren wollen?

    Schmidt: Was wir erfahren, wissen wir nicht. Was wir erfahren wollen ist zweierlei, Zum Ersten die Frage: Was ist passiert? und zum Zweiten: Wie konnte es dazu kommen? Das Erste stellt die Frage nach den Sachverhalten, die ja teilweise durch die Staatsanwaltschaft bereits öffentlich gemacht worden sind und das Zweite stellt die Frage nach den Verantwortlichkeiten und nach dem, was man immer fragen muss und worauf die Opposition insbesondere Wert legt: Was muss geändert werden?

    Meurer: Haben Sie jetzt schon eine Idee, was geändert werden könnte?

    Schmidt: Von den Ausbildungsinhalten, so wie sie sich jetzt darstellen bei diesen folterinspirierten jedenfalls, der Menschenwürde nicht entsprechenden Ausbildungsformen, die können so nicht Gegenstand der Ausbildung bei der Bundeswehr bleiben oder sein. Ich hoffe, dass das ein einmaliger Ausrutscher war. Wir werden das aber noch mal zu prüfen und zu sehen haben, und dass völlig klar gelegt wird, dass die Verantwortung für die Ausbildung bei der militärischen politischen Führung liegt. Die muss letztendlich dafür gerade stehen, dass Soldaten anständig ausgebildet sind.

    Meurer: Die Bundeswehr bereitet sich in solchen Übungen auf Situationen vor, die im Auslandseinsatz den Bundeswehrsoldaten sozusagen geschehen könnten. Seit diesem Sommer werden solche Kriegseinsätze geübt. Was läuft da schief?

    Schmidt: Zum einen ist es natürlich wichtig, dass man sich auf realistische Szenarien einstellen muss. Das wird ja in Hammelburg bei der einsatzvorbereitenden Ausbildung durchaus - auch Bekämpfung beziehungsweise Moderierung von Aufständischen und all diese Fragen - geübt. Man kann auch nicht nur theoretisch über diese Dinge sprechen, die muss man auch erfahren. Das kann aber auf keinen Fall heißen, dass Foltermethoden - ich nehme das Wort mal so - wir werden sehen, ob das zugetroffen hat - angewendet werden. Man kann nicht versuchsweise jemandem die Nase zu halten und den Mund voll Wasser füllen und sagen: "Damit du weißt, wie das aussieht, wenn dich mal einer erwischt hat." Das ist unmöglich und ich erwarte, dass hier auf der zentralen Ebene völlig klar gestellt wird, dass hier keine handgestrickten Pseudoausbildungsstrukturen, die eher an Filme oder Berichte erinnern, die in Hollywood gedreht werden, dass das nicht der Fall sein kann und darf. Das heißt, da ist ein ziemlich klares Wort notwendig.

    Meurer: Sollte so etwas komplett aus der Grundausbildung herausgenommen werden, umso mehr, als bei diesen Übungen ja auch Wehrpflichtige beteiligt sind an diesen so genannten Übungen? Wehrpflichtige, die für Auslandseinsätze in der Regel ja gar nicht in Frage kommen.

    Schmidt: Es stellt sich ja überhaupt die Frage nach der inneren Führung. Die innere Führung, die ja einer der Leuchttürme der Nachkriegsmilitärstruktur in Deutschland ist und war, innere Führung, die zeigen soll, dass der Staatsbürger in Uniform anerkannt wird, dass er selbstständig denken soll, dass er nicht Duckmäusertum haben soll, sondern dass er ein vernünftig normal gebildeter einsatzbereiter Staatsbürger ist. Was mich doch sehr bewegt und dem müssen wir nachgehen: Wie kann es sein, dass es bei solchen Methoden eines Zufalls bedarf nach einigen Monaten, dass Dinge an die Öffentlichkeit kommen, beziehungsweise dass die Dinge abgestellt werden. Jeder Soldat weiß, dass er die Möglichkeit hat, wenn er eine Nacht drüber hat vergehen lassen, eine Beschwerde einzureichen, sich an den Wehrbeauftragten zu wenden. Ich kann aus meiner eigenen soldatischen Grundwehrdienstleistungserfahrungen beredte Geschichten darüber erzählen, dass davon auch Gebrauch gemacht wird. Mich wundert, dass hier kein Gebrauch gemacht worden ist. Das ist ja keine explizite, nur auf Auslandseinsätze trainierte Einheit, das sind keine KSK-Leute, das sind ganz normale Grundwehrdienstleistende in der Ausbildung. Also diese Frage muss man sehr genau anschauen, ich glaube nicht, dass das etwas in der Grundausbildung verloren hat.

    Meurer: Es ist ja umso schlimmer, dass 80 oder 100 Rekruten sich darüber nicht beschwert haben. Hatten die vielleicht Angst vor ihrem Vorgesetzten?

    Schmidt: Das ist nur eine Vermutung, aber ich glaube schon, dass da ein großer Gruppenzwang unterwegs gewesen ist, dass man die Befürchtung hatte, als Schwächling oder als Spielverderber dargestellt zu werden, wenn die Dinge nach außen dringen. Ob es dazu gekommen ist, dass Soldaten auch unter Druck gesetzt worden sind, nicht nur körperlich, sondern auch psychisch, das werden die Ermittlungen zeigen, da muss auch die Bundeswehr selbst sich diese Frage stellen und zwar jenseits von staatsanwaltschaftlichen und strafrechtlichen Fragen. Das ist eine Frage guter militärischer Führung und die scheint hier versagt zu haben. In welchem Ausmaß sie auf die Soldaten eingewirkt hat, das werden die Untersuchungen zeigen.

    Meurer: Ist das Idealbild, Herr Schmidt, des Staatsbürgers in Uniform auf dem Rückzug seitdem die Bundeswehr und die Soldaten sich daran gewöhnen müssen, in gefährliche Auslandseinsätze zu kommen?

    Schmidt: Nicht auf dem Rückzug, aber es muss angepasst werden und nicht zuletzt deswegen haben wir ja auch gefordert - mein Kollege Lamers ist Vorsitzender eines Unterausschusses -, dass so ein Unterausschuss des Verteidigungsausschusses im deutschen Bundestag sich mit den Fragen beschäftigt: Wie muss eigentlich innere Führung unter den Einsatzbedingungen aussehen? Da gibt es Veränderungen, das ist völlig klar. Das Zentrum innere Führungen in Koblenz hat sich mit diesen Fragen bereits beschäftigt und die wollen als Parlamentarier prüfen und klären, müssen wir in Vorschriften, in Regelungen gesetzgeberisch etwas tun, müssen wir etwas fordern, was über das bisherige Verständnis hinausgegangen ist? Ich glaube, diese Verbindung von heftigem Einsatz auf der einen Seite, der gefordert werden kann und andererseits, vom Bewusstsein "ich bin Staatsbürger in Uniform", das muss neu entwickelt werden und mir scheint, dass diese Vorfälle in Coesfeld doch ein großes Warnsignal sind. Da hat die Bundeswehr sich bisher offensichtlich zu wenig bewegt.

    Meurer: Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei uns heute morgen im Deutschlandfunk. Herr Schmidt, ich bedanke mich und auf Wiederhören.

    Schmidt: Auf Wiederhören.